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Ein Artikel von Marc Thorbrügge, Johannes Haslhofer und Luise Loges

Das Frühjahr des Jahres 2020 verbrachten viele Rollenspieler und Rollenspielerinnen anders als gedacht. Die Corona-Pandemie legte ganze Spielrunden lahm – oder verlagerte sie an virtuelle Spieltische. Drei Mitglieder der Teilzeithelden-Redaktion berichten euch aus ihren Online-Runden, welche Rollenspielsysteme sie in dieser Zeit online neu oder wieder entdeckten.

Die Kontaktsperre sorgte nicht nur für leere Straßen.

Mitte März geschah es, dass sich die Einträge im Terminkalender merklich lichteten. Zahllose Veranstaltungen wurden abgesagt, viele Angestellte ins Home Office geschickt und mehrere Unternehmer mit einer abrupten Auftragsflaute konfrontiert. Wer unter diesen Umständen für wenige Augenblicke mehr Freizeit witterte, wurde schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Denn die bald bundesweite Kontaktsperre betraf natürlich auch Rollenspielrunden, ganz zu schweigen von jenen Bundesländern oder anderen Ländern weltweit, in denen komplette Ausgangssperren verhängt wurden.

Es folgte eine bemerkenswert schnelle Verlagerung von Spielrunden ins Internet. Genauso, wie Meetings und Konferenzen schließlich online stattfanden, mussten sich auch RollenspielerInnen aus der Corona-Isolation heraus auf einmal mit Roll20, Discord, Zoom und ähnlichen Plattformen oder Programmen auseinandersetzen. Einige SpielerInnen waren damit bereits vertraut und online spielen hatte sich bewährt. Für viele Andere hingegen waren Online-Runden absolutes Neuland.

Die Kontaktsperre kam – und auf einmal spielten wir online

Dadurch gab es einerseits genügend Spielmöglichkeiten, bald sogar reine Online-Conventions, aber nicht jede Runde ließ sich 1-zu-1 an den virtuellen Spieltisch übertragen. Eine Spielleitung, völlig unerfahren mit Online-Tools, sollte sich spontan mit der Materie auseinandersetzen, damit die Spielrunde weiterhin regelmäßig stattfindet? Die sonst vom Ambiente am Spieltisch getragene Horror-Story sollte nun in kühler, virtueller Umgebung weitererzählt werden?

Jede Runde stand bei der Umsetzung vor ganz eigenen Herausforderungen, die nicht immer bewältigt werden konnten. Einige Runden wechselten notgedrungen das System, manche teilten sich auf und suchten neue Spielmöglichkeiten, andere scheiterten schlicht und konnten sich mit dem Online-Spiel überhaupt nicht anfreunden. Genauso fanden sich aber auch bestehende Online-Runden auf einmal in der Situation, dass viele neue MitspielerInnen Interesse anmeldeten.

Auch Mitglieder der Teilzeithelden-Redaktion sammelten neue Erfahrungen mit frischen oder altbekannten Rollenspielsystemen. Drei von ihnen schildern im Folgenden, was sie in ihren Online-Runden erlebten.

Marc – Alte Freunde und neue Abenteuer mit Wrath & Glory

Vor einigen Jahren zog ein Mitglied einer meiner festen Rollenspielrunden etwas weiter weg. Anfangs schalteten wir ihn noch per Tablet über Videochat zu, doch irgendwie klappte es nicht so wirklich. Dies mag nicht zuletzt an der schlechten Verbindung gelegen haben. Einige Zeit später zog ein weiterer Mitspieler für die Werktage in eine andere Stadt, da er dort Arbeit gefunden hatte und somit nur noch am Wochenende anwesend war. Beide machten aus der Not eine Tugend und setzten sich damals schon gemeinsam mit reinen Online-Runden auseinander. Für mich persönlich war dies aber lange nicht vorstellbar.

Dann kam die Corona-Pandemie und die mit ihr verbundenen Kontaktbeschränkungen. Eine meiner festen Rollenspielrunden verlagerte sich nach einigen Startschwierigkeiten ins Internet, die andere fand schlicht nicht mehr statt, da der Spielleiter sich mit der Idee einfach nicht anfreunden konnte. In dieser Zeit meldete sich der zweite der oben erwähnten ehemaligen Mitspieler bei mir. Inzwischen hatte er schon viele Runden online geleitet und sich bereits gedacht, dass ich aufgrund der Umstände gerade etwas mehr Zeit haben würde. Sein Angebot: Eine Online-Runde Wrath & Glory, die aktuelle Version des Warhammer 40K-Rollenspiels.

Natürlich freute ich mich, mal wieder ein bisschen Zeit mit ihm zu verbringen und war außerdem darauf gespannt, endlich in Wrath & Glory reinzuschnuppern. Der andere eingangs erwähnte Mitspieler war auch mit dabei, sowie ein Online-Kontakt, den beide in den vergangenen Jahren kennengelernt hatten. Gemeinsam machten wir uns also auf eine Reise an den Rand des Imperiums und wagten es, das Einsteiger-Abenteuer Escape the Rok zu beginnen.

„Das macht das Makro schon.“

Ich will an dieser Stelle gar nicht auf die Details der Handlung eingehen, sondern eher auf das Spielerlebnis. Zum einen war es natürlich toll, wieder mit zwei alten Bekannten zu spielen, zum anderen auch interessant, endlich einmal Wrath & Glory auszuprobieren. Mit Roll20 funktionierte das wunderbar. Nachdem einige grundlegende Regelmechaniken erklärt waren, konnte dank passender Makros direkt losgespielt werden.

Doch wie war das eine Woche später, als wir das Abenteuer beendeten? So richtig hatte ich die Regeln nicht verinnerlicht. Wie auch, wenn man nicht selbst die Würfel zusammenzählt oder ein Regelwerk zum Nachschlagen in der Hand hat? Da ich mich persönlich nicht so analytisch mit Regelwerken auseinandersetze, wie andere SpielerInnen, habe ich kein Problem damit, bei den grundlegenden Infos zu bleiben. So spannend ich zum Beispiel den Artikel zum Würfelsystem von Wrath & Glory finde, käme ich selbst niemals auf die Idee, einen solchen zu schreiben.

Wrath & Glory online zu spielen war also eine entspannte Angelegenheit, zumal ich dabei mit einigen alten Bekannten wieder in Kontakt gekommen bin, bleibt aber auch etwas oberflächlich. Obwohl alles reibungslos funktioniert, ist doch der Wunsch groß, mit richtigen Würfeln am Spieltisch zu sitzen und in Regelbüchern zu blättern, um das System noch besser zu erfassen.

Johannes – Shadows of Esteren und die Macht der Stimme in Online-Runden

Shadows of Esteren Book 0 Prologue

Wir spielten schon eine gewisse Zeit das System Shadows of Esteren. Dirk Walbrühl hat bereits eine schöne Einführung in System und Welt geschrieben. Grob gesagt handelt es sich hier um ein von französischen Künstlern geschaffenes hochmittelalterliches Schottland mit einer dominierenden Druidenreligion, einem von einem Nachbarkontinent eindringenden Eingottglauben und einer theologisch indifferenten Fraktion von Technomagiern. Dazu kommen noch interne Konflikte und eine Dämoneninvasion. Das alles bietet insbesondere für zusammengewürfelte Gruppen viel Potential für gruppeninternes Rollenspiel. System und Setting bauen auf einem langsam zu steigernden Horror auf, welcher die Schwächen und Spleens der Charaktere auslotet, während sie mehr und mehr an geistiger Stabilität verlieren. Dieser Aspekt des Spiels sollte auch in unsere Runden während der Seuchenzeit einfließen.

Unsere Online-Runden fanden über Discord statt, mit einem Sprachkanal für die eigentliche Kommunikation während des Spiels und mehreren thematisch zugeordneten Textbereichen. Der allgemeine Textkanal war für das Würfeln und das Posten von interessanten und lustigen Bildern gedacht. Andere Textkanäle wie „Karten“, „NSCs“ und „To do-Liste“ genossen einen eher statischen Charakter und waren mehr zum Nachschlagen während und nach dem Spiel konzipiert. Das verschaffte uns eine ganz angenehme Übersicht, besonders dadurch, dass man während des Sprechens über den Sprachkanal auch die anderen Bereiche betrachten und dadurch gleichzeitig Informationen nachschlagen konnte. Es war auch problemlos möglich, durch das Wechseln in einen anderen Sprachkanal, mit einem bestimmten Charakter ein privates Gespräch zu führen.

Ein schöner Aspekt des distanzierten Spielens war die erleichterte geheime Buchführung für den SL – da der Spielleiter die Würfelwürfe der SpielerInnen geheim auf Wahnsinn protokollieren muss. Dies war am PC wesentlich angenehmer als mit einem eigenen Notizblock am Spieltisch.

Die Stimme, das wichtigste Instrument des Spielleitens, wird mehr gefordert.

Die Möglichkeit, Bilder simultan zum Spielleiten aus dem Netz zu suchen, zu finden und zu posten, erwies sich als zweischneidiges Schwert: das Auge spielt bekanntlich mit und es war toll, spontan neue Landschaften und NSC-Bilder herzeigen und archivieren zu können. Andererseits konnte diese Herangehensweise auch dazu verleiten, sich zu sehr auf diese Bilder zu verlassen und sie zu viel an Stimmung vorweg nehmen zu lassen, während die Vorstellungskraft der SpielerInnen unterfordert wurde. Wiederum konnte man sich auch bei der Bildersuche toll inspirieren lassen, wohin es die Charaktere das nächste Mal verschlagen würde.

Shadows of Esteren Book 1 Universe

Die Stimme, das wichtigste Instrument des Spielleitens, wurde während des Spielens über Discord wesentlich mehr gefordert als beim Livespielen. Da man sich bei Online-Spielrunden nicht sieht, sondern nur auf einen Bildschirm blickt, war es nur logisch, dass man mehr reden musste. Aber nicht nur das ausgiebigere Reden, sondern auch das ständige Starren auf einen Bildschirm, statt in die Gesichter seiner MitspielerInnen führte zu einer deutlich erhöhten Belastung in der Wahrnehmung.

Nach einigen Spielabenden sind wir dazu übergegangen, alle zwei Stunden eine kurze Pause einzulegen, sonst wäre das Kopfweh zu irritierend geworden. Außerdem muss man ab und an vom Tisch weg, also hat sich eine allgemein verkündete Pause als sinnvoll erwiesen.

Als Unterstützung bei Kämpfen und während des Erkundens von Dungeons war ein Onlinewhiteboard sehr nützlich für unsere Online-Runden, auch wenn es eher simpel aufgebaut war. Für die Positionierung der Charaktere und das Zurechtfinden unter Tage war es ausreichend.

Angenehme Aspekte des Spielens waren der Wegfall jeglichen Anfahrtsweges, die Option, die Wohnung für den Besuch nicht aufräumen zu müssen und in gemütlicherer Kleidung spielen zu können. Dafür fiel leider die Möglichkeit weg, die Reaktionen auf Probleme und Spielsituationen in den Gesichtern der SpielerInnen und des Spielleiters ablesen zu können. Gerade in Settings, die auf Horror und Grusel aufbauen, ist das ein Problem. Zurückgeworfen auf die Möglichkeiten von Stimme und Bildern, war es nicht immer leicht, Grusel zu erzeugen. Am besten gelang das noch, wenn man nicht alles beschrieb, sondern sich die SpielerInnen die wirklich erschreckenden Details selbst ausmalen ließ. Die gekonnte Auslassung und Andeutung waren hier besonders wichtig.

Letzten Endes bin ich sehr froh, dass wir trotz der Pandemie unsere Spielrunden nicht ausfallen und vielleicht sogar einschlafen ließen. Das Umgewöhnen auf die anzuwendende Technik war zwar lästig, aber die Alternative von ausgefallenen Spielabenden wollte dann doch niemand auf sich nehmen. Dafür möchte ich meiner treuen Spielrunde hier danken.

Luise – Ein Wiedersehen mit Cthulhu und meinen Rollenspiel-Wurzeln

Auch ich hatte durch die coronabedingten Kontaktbeschränkungen ein Wiedersehen mit Runden aus längst vergangenen Zeiten. Vor vier Jahren habe ich meinen angestammten Rollenspielfreundeskreis zurückgelassen und erlebt, wie schwierig es sein kann, eine Gruppe, die es gewohnt ist, sich zum Spielen physisch zu treffen, für das Online-Spiel zu begeistern. Nun habe ich auf einmal zwei Online-Runden mit einem Teil genau dieser Gruppe auf Discord. Es begann – wie wohl bei vielen – als Idee, um die Langeweile in Home Office, vorsorglicher Selbstisolation oder Kurzarbeit totzuschlagen. “Wollen wir nicht mal wieder Call of Cthulhu spielen wie früher?” Der Vorschlag weckte Erinnerungen an das erste Studienjahr und die ersten Rollenspiel-Erfahrungen mit der sehr eigenartigen Welt von H. P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos.

Zu dieser Zeit besaß ich noch die unendliche Energie der Jugend, ganze Nächte durchzuspielen und am nächsten Tag zur Vorlesung zu erscheinen. Ganz so fit ist heute niemand aus der Runde mehr. Aber das macht nichts, denn was bedeutet in Zeiten von COVID-19 schon die Uhrzeit? Wer das Privileg hat, im Home Office in Eigenregie zu arbeiten, spielt eben so lange, wie er oder sie kann und schläft so lange, wie er oder sie will. Nun ja. Ein paar Einschränkungen gibt es natürlich schon. Ein Paar aus unserer Runde ist in der Zwischenzeit Eltern geworden und so können wir erst loslegen, wenn die vierjährige Tochter im Bett ist. Aber zur Gruselatmosphäre von Cthulhu passt es sowieso am Besten, im Dunkeln zu spielen.

Discord und Horror – passt das zusammen?

Discord und düstere Horrorszenarien – passt das überhaupt zusammen? Unsere Spielleiterin war anfangs skeptisch, ob die Gruppe Konzentration und Atmosphäre durchgehend gewährleisten könnte und fing deshalb erst einmal mit ein paar weniger anspruchsvollen Abenteuern aus  an. Mit anderen Worten: Call of Cthulhu, aber mit Katzen statt menschlicher Charaktere. Das Ergebnis der nächtlichen Expeditionen auf Samtpfoten: Zu unserer Überraschung ergaben sich sogar weniger Ablenkungen und Blödeleien als beim physischen Zusammensitzen. Jede und jeder saß in der eigenen dunklen Wohnung am Computer und ließ sich dadurch besser in die Handlung ziehen. Handouts und Bodenpläne, in Discord hochgeladen, halfen weiter dabei, die nächsten Schritte zu planen und die visuelle Vorstellungskraft zu unterstützen. Wir wollten bald mehr. Von Stubentigern stiegen wir auf menschliche Charaktere um und verlegten die Kampagne von Arkham nach Marokko.

Ein paar Abenteuer später wechselten wir zwischenzeitlich auf eine neue Spielleitung, um ein weiteres lange nicht gespieltes System auf Discord wieder aufleben zu lassen. Basierend auf dem Regelsystem von Pathfinder hatten wir vor Jahren eine wöchentliche Spielrunde, angesetzt in der Welt von “Vaas”. Diese von unserem Spielleiter selbst erdachte, mittelalterlich angehauchte Low-Fantasy-Spielwelt begleitete uns durch eine lange, recht abenteuerliche Kampagne. Nun, Jahre später, hatten einige Mitglieder der damaligen Spielgruppe im Lockdown die Gelegenheit die kreativen Energien fließen zu lassen und neue Abenteuerszenarien für das damals lieb gewonnene Setting zu entwerfen.

Und die sind noch lange nicht durchgespielt: Auch wenn wir uns alle auf kommende Lockerungen freuen, werden wir unseren sozial distanzierten Online-Runden weiter treu bleiben.

 

Artikelbilder: © everett225, © Pink Badger, die Verlage
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Susanne Stark

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