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Was tun, wenn man als Rollenspieler in eine neue Stadt, ja ein neues Land zieht und die lang gepflegten Runden hinter sich lässt? Auf online umstellen? Neue Runden suchen? Das geliebte Hobby aufgeben und nur noch spielen, wenn man alte Freunde wiedertrifft? Ein persönlicher Erfahrungsbericht.

Ich komme aus dem Süden Deutschlands, lebe aber seit einiger Zeit in Schottland. Zum Rollenspielen, zumindest im klassischen Sinne, komme ich seither selten. Die Gründe dafür, und wie ich dem Hobby trotz allem treu geblieben bin, lest ihr hier.

Zu neuen Ufern

„Ich habe ein paar Kommilitonen, die eine wöchentliche D&D-Runde haben … aber ich möchte da gar nicht mitspielen. Ich mache das lieber nicht so häufig, und dafür mit euch.“ Diese rührenden Worte hörte ich vor nicht allzu langer Zeit von einer Freundin, die in Edinburgh lebt. Mein Freund und ich wohnen in Glasgow, knapp 90 Minuten Fahrzeit entfernt. Wir besuchen sie gelegentlich, aber nicht regelmäßig, und zum Rollenspielen kommen wir nur sehr sporadisch. Noch seltener sehen wir natürlich die Freunde, die wir in Deutschland zurückgelassen haben. Mehrere Runden der unterschiedlichsten Systeme, sowie lang gepflegte und lieb gewonnene Charaktere, liegen auf Eis.

Für uns eine ziemliche Umstellung: Noch vor wenigen Jahren trafen wir uns wöchentlich zum Pathfinder-Spielen, viele Wochenenden verbrachten wir, in unterschiedlicher Besetzung, mit Call of Cthulhu, World of Darkness oder Shadowrun. Natürlich gab es auch andere Hobbies, um uns vom Studieren abzulenken, aber keines, das so viel Zeit einnahm und zu so engen Freundschaften führte. Nach dem Studium kamen neue Jobs, neue Perspektiven und schließlich, der Umzug in ein anderes Land. Neue Freundschaften schlossen wir über andere gemeinsame Interessen, und irgendwie kam es lange nicht zum Spiel. Entzugserscheinungen machten sich bemerkbar. Was tun?

Neue Runden

Der erste Schritt war natürlich die Suche nach neuen Freunden zum Rollenspielen – schließlich will man ja auch als moderne Globalisierungsnomadin persönliche Kontakte schließen. Eine harte Erkenntnis, die ich mir nach meinen ersten Versuchen, in Schottland eine Rollenspielrunde zu finden, eingestehen musste: Entweder hat das Vereinigte Königreich eine andere Rollenspiel-Kultur, oder ich werde langsam alt und kann mich nicht mehr so gut auf neue Situationen einlassen. Ein Spieleladen, der Pen-&-Paper-Systeme verkauft, war schnell gefunden, darüber auch regelmäßige Runden in der Stadt. Im coolen Univiertel Glasgows, dem West End, gibt es gar ein Rollenspiel-Café, in dem sich Mittwoch abends spontane Runden zusammenfinden. Ein paar Mal haben wir es versucht, dort Fuß zu fassen – mit gemischten Ergebnissen.

Mit eigenen vorbereiteten Abenteuern Spieler zu finden, stellte sich als schwierig heraus: An Hollow Earth Expedition, Werwolf und Shadowrun hatte niemand Interesse. Fast alle Anwesenden bestanden auf D&D: Fifth Edition (auch bekannt als Adventurers‘ League). Also reihten wir uns als Spieler ein. Ein, zwei Abende des Monsterhackens später war klar: Spaß macht es schon, aber eine Dauerlösung ist es nicht. Ich lege Wert darauf, dass meinem Charakter die Zeit bleibt, sich zu entwickeln, mit der Runde zusammenzuwachsen, persönliche Beziehungen zu entwickeln. Wöchentlich einen One-Shot-Charakter zu erstellen, oder immer wieder in neue Runden mit nahezu wildfremden Menschen einzusteigen, ist mir zu anstrengend. Und: Ich liebe meine semirealistischen Systeme. Ständig nur Orks hauen im Elfenwald … das ist nichts für mich.

So wie meinem Freund und mir geht es vielen Rollenspielern: Der eine zieht aufs Land und findet dort keine Rollenspiel-Szene vor, die andere nimmt einen stressigen Job an und hat keine Zeit, in der neuen Umgebung nach RPG-Communities zu suchen, die dritten werden Eltern und kommen abends kaum noch aus dem Haus. Manche geben das Hobby gleich ganz auf. Für uns keine Option!

Neue Technologien

Erschwerend kommt hinzu, dass man die alten Freunde ja auch ganz persönlich vermisst. Was liegt also näher, als sich regelmäßig zum Spielen im Internet zu treffen? Die Möglichkeiten, eine Spielrunde von der analogen Welt in die digitale zu versetzen und sich einfach online zu „treffen“, sind wahrhaft vielfältig. Es beginnt mit einfachen Videotelefoniegesprächen, etwa über Skype oder Google Hangouts, und hört mit Online-RPG-Communities wie Roll20 noch lange nicht auf. Auch das Zuschalten von Spielern in eine sonst analoge Runde kann durch diverse technische Tricks gewährleistet werden, sofern Bild- und Tonverbindung gut sind.

Und da ergibt sich auch schon das erste Problem: auf beiden, oder wenn mehrere Parteien von außen zugeschaltet sind, allen Seiten muss ein gutes Mikrofon vorhanden sein, damit alle Spieler gleich gut zu verstehen sind. Sobald eine Partei tontechnisch benachteiligt ist, führt das schnell zu Frustration. Bei uns bedeutete dies das Ende einer Runde mit einem anderen Paar, das auch noch in einer Fernbeziehung lebte: Ihr Headset gab ständig auf, mal konnte sie uns nicht hören, mal gingen ihre Kommentare an den Spielleiter unter. Für die Spielerin frustrierend, für das Spiel Gift: wie häufig ärgerten wir uns über falsche Entscheidungen, die wir wohl nicht getroffen hätten, wenn wir den Beitrag unserer Waldläuferin mitbekommen hätten!

Dabei machen drei bis vier Parteien im Skype-Gespräch im Allgemeinen noch verhältnismäßig wenige Probleme. Bei größeren Gruppen sinkt die Gesprächsqualität jedoch dramatisch – ein Problem, mit dem ich mich bei virtuellen Interviews und Konferenzen schon oft genug herumschlagen muss. In meiner Freizeit will ich damit nicht auch noch konfrontiert werden. Skype, obwohl weitverbreitet, ist also nicht die Ideallösung. Andere Anbieter für Internetkonferenzen gibt es natürlich zu Hauf. Allseits beliebt unter Rollenspielern ist Teamspeak, sei es auf einem privaten Server oder über die Drachenzwinge. Hierbei muss man auf Gestik und Mimik der Mitspieler verzichten, dafür hat der Voicechat andere Möglichkeiten, Stimmung zu erschaffen. Ganz ähnlich kann man auch das Programm Discord verwenden, das im Gegensatz zu Teamspeak komplett umsonst ist.

Allen Fällen ist eines gemeinsam: Gute, das heißt oft teure Hardware ist ebenso vonnöten wie Software, auf die sich alle einigen können. Letzteres kann an vielem scheitern, nicht zuletzt unterschiedlichen favorisierten Betriebssystemen. Ersteres scheiterte in unserem Fall vor allem daran, dass nicht alle unsere Freunde stets gleichermaßen gut finanziell dastanden. Es ist nun mal einfach unschön, wenn ein langjähriger Mitspieler aus der Runde aussteigen muss, weil er sich als Hartz-IV-Empfänger keinen neuen Laptop leisten kann. Und schließlich begegnet man beim Thema Rollenspiel im Internet auch immer wieder Grundsatzfragen: Der eine möchte sich kein Google-Konto anlegen, die andere fühlt sich unwohl dabei, im tendenziell abhörbaren Voicechat Shadowrun zu spielen.

Weder Bild noch Ton, noch ausgefallene Software benötigen Chat- oder Emailrollenspiele. Mit anderen Worten, eine Person leitet das Spiel, die anderen antworten. Bevor alle, deren Charaktere an einer Szene beteiligt sind, geantwortet haben, geht das Spiel nicht weiter. Für diese unkomplizierte Alternative habe ich schon mehrere Freundesgruppen in Google Groups, Slack, oder schlicht Emailverteiler eingeladen. Apps und andere Tools, um online zu würfeln, stehen en masse zur Verfügung wie ich feststellte. Leider scheiterten diese Runden immer wieder am gleichen Problem: Der Lethargie der Mitspieler. Es kam immer wieder dazu, dass die Runde Tage, gar Wochen, auf Antwort wartete, und schließlich einfach einschlief. Klar: Außer mir hatten die meisten anderen ja auch „richtige“ Spielrunden, mit persönlich anwesenden Mitspielern als Alternative. Eine für mich persönlich funktionierende Lösung für dieses Problem ergab sich durch die Reduzierung der Mitspielerzahl – auf einen. Mit einem guten Freund leiste ich mir immer wieder gern einen rollenspielerischen Schlagabtausch per Email. Es mag unorthodox erscheinen, bringt aber Spaß.

Fazit: Uns bleibt immer noch Weihnachten

„Und habt ihr jetzt in Schottland eigentlich eine regelmäßige Runde?“ Diese Frage hören wir, in leichter Variation, eigentlich jedes Mal, wenn wir alte Rollenspiel-Freunde in Deutschland besuchen. Die Antwort ist nach wie vor: Nö. Und das ist eigentlich auch in Ordnung so. Wir spielen nicht mehr so häufig wie im Studium, aber wer tut das schon? Bisweilen ergeben sich spontane Runden, denn immerhin kommen ja auch gerne einmal Freunde zu Besuch nach Glasgow oder in die Highlands. Und an Weihnachten begeben wir uns natürlich immer wieder gern in heimatliche Gefilde. Zwischen den Jahren stellen wir ein ums andere Mal fest: Nicht nur das Wiedersehen mit den Freunden, sondern auch mit liebgewonnenen Charakteren ist die Reise immer wert. Alte Liebe rostet eben nicht so schnell.

Seit unserem Umzug haben wir Beides ausprobiert: Neue Runden zusammenzubringen sowie alte mit technischer Hilfe weiterzuführen. Aber – und dies ist eine rein persönliche Einschätzung – das Fazit bleibt: Es ist einfach nicht Dasselbe. Sicher ist es schön, neue Leute zu treffen, aber mir ist es auch wichtig, alte Freundschaften zu pflegen. Doch das Rollenspielen im Internet hat mich bislang auch nicht überzeugt. Mir zumindest fällt es leichter, mich auf das Spiel und die Runde zu konzentrieren, wenn ich physisch im selben Raum sitze. Das heißt nun nicht, dass ich mein Hobby zu Grabe tragen werde – im Gegenteil: Statt jedes Wochenende zu spielen, freue ich mich nun stattdessen schon Wochen im Voraus auf das Wiedersehen mit der alten Runde, auch wenn die Rekapitulation des letzten Spielabends nun manchmal eine echte Gedächtnisleitung erfordert. Als Spielleiterin habe ich andererseits nun umso mehr Zeit, mich ausgiebig auf den nächsten Spielabend vorzubereiten. Mit anderen Worten: Qualität schlägt Quantität. Ich bin gespannt, in den Kommentaren zu lesen, wie ihr das Problem „wie Rollenspielen, wenn man nicht am selben Ort wohnt?“ gelöst habt.

Fotografien: Luise Loges

 

3 Kommentare

  1. Das klingt ja alles sehr ernüchternd. Ich war schon vorher skeptisch, was Rollenspiel über Skype, Hangout und Co. angeht, aber nun bin ich vollends desillusioniert. Ich bin froh, dass ich eine Pen&Paper-Runde habe, die seit 27 Jahren besteht. Das ist schon ein echtes Privileg, das ich nach diesem Artikel noch mehr wertschätze.

  2. Hallo,
    danke für den Artikel. Ich bin gerade in einer ähnlichen Situation: Seit Oktober wohne ich in Singapur und die Rollenspielrunden sind natürlich weiterhin in Deutschland. Allerdings haben wir, so meine ich, Lösungen gefunden:

    1. Oniine:
    WIr verwenden appear.in. Das geht plattformunabhängig im Browser, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Bis zu vier Personen können ohne Probleme mitmachen. Das wird bei uns so genutzt, dass ich als Spielleiter mit zwei Computern eingelooggt bin: Einer für Bild und Ton von mir und einer für Handouts und Musik. Die Gruppe ist ebenfalls zweimal eingeloggt: Einmal als Gruppe mit Bild und Ton und einmal nur als Bild, wobei die Tischaufbauten gezeigt werden – wir verwenden bei Kämpfen gerne Miniaturen. Wir haben ein wenig Geld in gute Hardware gesteckt und das klappt sehr gut.

    Allein die Zeitverschiebung ist ein wenig problematisch: Damit es sich lohnt (der ein oder andere in Deutschland hat ein wenig Anfahrt zu bewältigten), starten die Spieler um 8 Uhr morgens deutscher Zeit und ich spiele bis 4 Uhr nachts (Ortszeit Singapur).

    2. Briefspiel:
    Hat ein Freund gerade für mich gestartet: Es gibt eine Google.docs-Dokument, in das man reinschreiben kann. Da sich der Freund sehr viel Mühe gibt, ist das klasse – es gibt Bilder und ab und an sogar ein Video.

  3. Habe da teilweise ähnliche Erfahrungen gemacht. In Irland habe ich verschiedene Runden gegründet und bin damit zum semi-regelmäßigen Spielen gekommen. Zum Glück gibt es sehr viele Rollenspieler in unserem Freundeskreis.
    Allerdings habe ich auch eher D&D ähnliche Systeme angeboten.

    In Spanien war es schwieriger. Zwar kannte ich da auch viele Rollenspieler und habe zweimal mitgespielt, aber mir haben die Systeme weniger zugesagt und ich hatte zu wenig Zeit und Sprachkompetenz um eine wirklich gute eigene Runde zu starten.

    Wieder in Irland haben wir dann das online Spiel ausprobiert. Mit der geplanten Rundengröße war das aber unmöglich. Mit kleineren Gruppen (idealerweise 3 Spieler +SL) ging’s besser, aber ih bin weiterhin kein Fan. Ich verbringe sowieso zuviel Zeit vor dem Computer und habe wenig Lust meine ursprüngliche Runde auf ein spielbares Niveau zu schrumpfen. Da lasse ich doch lieber wieder meine irische Fantasy oder Call of C’thulhu Runde aufleben :)

    Wenn ich nach Deutschland komme, freue ich mich aber auch immer mit den alten Freunden zu zocken. Leider wohnen die aber auch mittlerweile über die halbe Republik verteilt, also bleibt oft nur Weihnachten.

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