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Die Videospielreihe rund um Geralt den Hexer gilt als Vorzeigestück des Rollenspiel-Genres und hat die düstere Fantasywelt aus der Feder des polnischen Autors Andrzej Sapkowski weltberühmt gemacht. Jetzt wagt sich Publisher CD Project Red mit dem Witcher-Franchise auf das Pen & Paper-Parkett.

Krieg, Rassismus, Pogrome, Intrigen, Verrat, Raub, Mord und Totschlag – der Einband des Pen & Paper-Grundregelwerks zu The Witcher lügt nicht, wenn er „adventures in the dark and dangerous world of the witcher“ verspricht.

Die Spielwelt

Die Welt des Hexers präsentiert sich im Buch, wie sie im letzten Teil der populären Videospielreihe, The Witcher 3 – Wild Hunt, zu sehen ist: Der dritte Nilfgaardische Krieg ist in vollem Gange und die ewig zerstrittenen nördlichen Königreiche liegen im Krieg mit dem riesenhaften Imperium, das sich von Süden her unerbittlich ausbreitet. Hunger und Not haben die Landbevölkerung fest im Griff. Kriegsbanden, Marodeure und Banditen machen das Land unsicher. Rassismus, Hass und Gewalt gegen alles, was nicht menschlich oder sonst irgendwie übernatürlich ist, grassieren. Vor allem einige Elfen und Zwerge wehren sich verbissen. Sie führen einen erbarmungslosen Guerillakrieg gegen die Menschen und machen dabei auch vor brutaler Gewalt gegen Zivilisten keinen Halt.

Die Spuren des Krieges sind in der Welt des Hexers allgegenwärtig
Die Spuren des Krieges sind in der Welt des Hexers allgegenwärtig

Die Botschaft ist deutlich: Das wahre Monster ist oft genug der Mensch (oder auch der Elf, Zwerg oder Halbling) selbst. Aber auch an wortwörtlichen Monstern herrscht inder Welt des Hexers kein Mangel: Diverse Bestien, Geister und Dämonen suchen das Land und seine Bewohner heim. Zum Schutz der Menschheit gibt es deshalb die Hexer: Zaubermächtige Mutanten, die als fahrende Monstertöter durchs Land ziehen und mit Silberschwert, Zaubertränken und Hexerei den Ungeheuern den Garaus machen – gegen Bezahlung, versteht sich.

Artwork aus The Witcher TRPG © R. Talsorian Games

Es ist eine Welt der Grauschattierungen, in der echte Helden und Sympathieträger selten sind. Gerade dieser Mangel an genretypischer Schwarz-Weiß-Malerei und der oft fehlende klare moralische Kompass machen den Reiz der Witcher-Welt aus. Das Regelwerk selbst bringt es auf den Punkt: „This isn’t epic fantasy“. Wie die Geschichten um dem Hexer Geralt, Yennefer, Ciri, Rittersporn und Konsorten soll sich das Spiel hauptsächlich um das Überwinden persönlicher Probleme der Helden drehen, nicht unbedingt um die Rettung des Königreichs.

Die große Politik und Ereignisse von epischen Ausmaßen dienen der Geschichte eher als Kulisse denn als eigentlicher Inhalt. Dieser Spielstil ist allerdings nur als Empfehlung der Autoren zu verstehen, nicht als Zwang. Das Regelwerk gewährt große spielerische Freiheit – Eine Kampagne mit gänzlich anderen Schwerpunkten ist definitiv möglich.

Regeln

Mit R. Talsorian Games hat sich CD Project Red (CDPR) die Spieleschmiede ins Boot geholt, die vor allem für das immer noch recht bekannte Cyberpunk 2020 berühmt ist. Dessen Videospiel-Adaption Cyberpunk 2077 ist derzeit bei CDPR in Arbeit – die Auswahl genau dieses Partners wundert daher wenig. Die Autoren Cody und Lisa Pondsmith sind Sohn und Ehefrau von Cyberpunk-Schöpfer Mike Pondsmith, der auch selbst im Layout mitgewirkt hat.

Als Regelbasis dient eine stark überarbeitete, auf das Fantasy-Setting und die Witcher-Hintergrundwelt zugeschnittene Variante des Interlock-Systems, auf dem auch Cyberpunk 2020 beruht. Dabei gibt sich das Regelwerk viel Mühe, das Flair von The Witcher 3 aufzugreifen – vermutlich vor allem, damit sich Quereinsteiger aus dem Videospiel-Bereich wohl fühlen und schneller zurechtfinden. Hier und da wirkt das System dadurch etwas videospielartig, etwa bei der Ausrüstung.

Hier gibt es, wie bei vielen Videospiel-RPGs üblich, ein steil ansteigendes Macht-Niveau. Das billigste Schwert etwa verursacht 2W6+2 Punkte Schaden, das teuerste 6W6, seltene Artefakte sogar noch deutlich mehr. Während das Belohnungssystem von Loot-Junkies und Charakter-Optimierern hier stark angesprochen wird, kommen Fans von fantastischem Realismus und ausgefeiltem Balancing eher nicht auf ihre Kosten.

Artwork aus The Witcher TRPG © R. Talsorian Games

The Witcher verwendet ausschließlich sechs- und zehnseitige Würfel. Selten werden mithilfe von zwei Zehnseitern auch Prozentwürfe simuliert. Das Regelsystem basiert auf neun Attributen und einer Reihe von Fertigkeiten, normalerweise jeweils mit einem Wert von 0 bis 10, die zu einem Basiswert zusammengezählt werden. Bei Proben wird ein W10 gewürfelt und zum Basiswert addiert. Die erwürfelte Gesamtsumme wird dann mit einem vom Spielleiter festgelegten Schwierigkeitswert – oder aber, bei direkter Konfrontation, mit dem Ergebnis des Kontrahenten – verglichen.

Ist der erzielte Wert höher als die festgelegte Schwierigkeit oder das gegnerische Ergebnis, gelingt die Probe. Das Talent-System in The Witcher ist breit aufgestellt und erlaubt es, alle möglichen alltäglichen Fähigkeiten abzubilden. Für eine minutiöse Alltagssimulation reicht die Auswahl nicht unbedingt, trotzdem ist das System definitiv weit mehr als ein Dungeon Crawler und es lassen sich damit alle möglichen Arten von Kampagnen gestalten.

Wie Cyberpunk 2020 ist auch The Witcher ein klassenbasiertes System mit insgesamt  neun spielbaren Klassen: Barde, Handwerker, Krimineller, Arzt, Zauberer, Krieger, Händler, Priester und Hexer (jeweils sinngemäß übersetzt). Jede Klasse hat eine exklusive Fertigkeit und Zugriff auf einen kleinen Talentbaum mit weiteren zur Profession passenden Spezialfähigkeiten. Ein Klassenwechsel oder Mehrfach-Klassen sind, jedenfalls im Grundregelwerk, nicht vorgesehen.

Die spielbaren Spezies im Grundregelwerk sind Mensch, Elf, Zwerg und Hexer. Jede Spezies hat spielrelevante Eigenschaften und Boni. Die Auswahl ist frei, anders als bei anderen bekannten Systemen müssen keine Punkte oder andere Ressourcen ausgegeben werden, um eine bestimmte Spezies spielen zu dürfen. Andere Spezies oder Mischlinge wie Halbelfen sind vorläufig nicht spielbar, mit der ersten Erweiterung Lords and Lands sind aber Halblinge als neue spielbare Spezies angekündigt.

Charakterbau

Die Charaktererschaffung in The Witcher ist einfach und unbürokratisch gehalten. Wenn man einigermaßen konzentriert vorgeht, ist eine Charaktererschaffung auch ohne Vorerfahrung ungefähr in einer Stunde zu schaffen. Der Spieler wählt zunächst Geschlecht, Spezies und Herkunft seines Charakters aus. Der folgende Schritt ist ungewöhnlich, macht aber einen besonderen Reiz des Systems aus: Der Spieler erwürfelt den persönlichen Hintergrund und Werdegang seines Charakters, angefangen bei der Familiensituation über die Kindheit, das Beziehungs- und Liebesleben und prägende Ereignisse seines bisherigen Lebens. Darunter können sowohl Glücksfälle als auch Rückschläge sein.

Artwork aus The Witcher TRPG © R. Talsorian Games

So kann ein Charakter beispielsweise mit Schulden, einem Todfeind oder auch einer Suchtkrankheit ins Spiel starten, aber auch mit Beziehungen, mehr Startkapital oder verbesserten Fertigkeiten. Der deprimierende Grundton der Witcher-Welt macht auch vor dem Lebenslauf-Generator nicht halt. Kaum ein so erschaffener Charakter kommt aus einer heilen Welt, hat zwei lebendige Eltern und nicht wenigstens eine Leiche im Keller. Oft ergibt sich daraus ganz von selbst das Grundgerüst für eine lebendige Hintergrundgeschichte und Anknüpfungspunkte für persönliche Plots und Storylines.

Es ist allerdings auch möglich und kann sehr frustrierend sein, wenn auf diese Weise ein Charakter mit nichts als Nachteilen ins Spiel startet, die sich teilweise recht stark auswirken können. Alle Schritte des Lebenslauf-Moduls sind, vielleicht gerade deshalb, optional. Wer seinen Charakter lieber etwas planvoller ausarbeiten will, kann auf das Auswürfeln einfach verzichten. 

Im Anschluss folgt dann die Auswahl der Charakterklasse und die Verteilung von Attributs- und Fertigkeitspunkten. Jeder Charakter erhält festgelegte Punkte, die er verteilen kann. Welche Fertigkeiten gewählt werden können, hängt von der Charakterklasse ab. Jeder Charakter erhält aber zusätzlich auch Punkte für sonstige Fertigkeiten. Ein Händler kann so auch zum passablen Kämpfer, ein Krieger auch zum fähigen Dieb und ein Arzt auch zum passablen Handwerker ausgebaut werden.

Kampfsystem

Das Kampfsystem ist schnell, schnörkellos und tödlich – Kämpfe dauern in der Regel nur wenige Kampfrunden und kommen ohne seitenweise komplexe Sonderregeln aus. Die Grundlage ist ein klassisches Hitpoint-System mit rudimentärem Trefferzonen-Modell. Ein einzelner glücklicher Treffer, selbst mit einer kleinen Waffe wie einem Dolch, kann einen Kampf bereits beenden und auch schwere Rüstung macht einen Charakter alles andere als unverwundbar. Der eigentliche Dreh- und Angelpunkt des Kampfsystems sind kritische Treffer. Wann immer ein Angriff deutlich besser gelingt als die entsprechende Verteidigung, landet der Angreifer einen kritischen Treffer.

Abhängig von der Qualität der Attacke und der getroffenen Trefferzone kann das ein verlorener Zahn, gebrochene Rippen, eine Gehirnerschütterung oder auch ein Schädelbasisbruch sein, schlimmstenfalls sogar der unmittelbare Verlust von Arm, Bein oder gar Kopf. Man erkennt den Versuch der Autoren, hier die „Finisher“-Moves aus The Witcher 3, mit denen Protagonist Geralt seine Gegner so bildgewaltig wie brutal verhackstückt, in das Spiel einfließen zu lassen.

Grafisch explizite Gewalt ist bei The Witcher ein zentrales Element

Magie

Das Magie-Kapitel ist überschaubar. Es gibt drei magische Klassen mit jeweils eigenen Zaubern: Magier, Priester und Hexer. Erstgenannte verfügen über Sprüche in verschiedenen Graden, Hexer bleiben auf die aus den Videospielen bekannten Hexer-Zeichen beschränkt. Ein Großteil der Sprüche sind Kampfzauber, es gibt aber durchaus auch eine Reihe von anderen nützlichen Zaubern wie etwa Heilung, Teleportation oder Geisteskontrolle. Darüber hinaus gibt es außerdem Rituale und „Hexes“ (Flüche), die bestimmte Vorbereitungen erfordern.

Eine Ressource wie Mana gibt es bei The Witcher nicht, gezaubert wird mit Ausdauer, die sich schnell regeneriert. Das führt dazu, dass Zauberer, verglichen mit anderen Systemen, ihre Magie sehr häufig einsetzen können. Wie beispielsweise bei Shadowrun riskiert ein Zauberer aber körperliche Verletzungen, wenn er beim Zaubern zu viel Kraft einsetzt.

Insgesamt 27 Seiten widmet The Witcher der Herstellung von Ausrüstung und alchemistischen Substanzen. Hinzu kommt, allerdings an anderer Stelle, ein kurzer Abschnitt zur Herstellung von Hexer-Ausrüstung und -Tränken und experimentellen Waffen wie Bomben und Fallen. Die Herstellungsregeln sind rudimentär und legen nur wenig Wert auf Immersion. Wie in der Videospiel-Vorlage braucht es den passenden Bauplan bzw. die Rezeptur und die nötigen Materialien, dann würfelt der Handwerker eine Probe und hat im Erfolgsfall das fragliche Ding hergestellt.

Der Easy Mode als Quickstarter ist in den USA für den 15. Juni 2019 angekündigt – dies ist der Free RPG Day 2019

Großartige Ausführungen zu Herstellungsmethoden, Werkstätten oder ähnlichem gibt es nicht, die Spielmechanik steht im Vordergrund. Nahezu alles, was an Ausrüstung im Buch aufgeführt wird, kann etwa zu zwei Drittel des Ladenpreises hergestellt werden und das Regelwerk preist Crafting auch vor allem als Möglichkeit an, billiger an begehrte Gegenstände heran zu kommen. Außerdem können Handwerker Ausrüstungsgegenstände reparieren und auf spezielle Weise verbessern.

Durch den knappen, nüchternen Aufbau der Regeln fühlt sich das Ganze aber eher wie in einem Videospiel an: Nimm zwei Einheiten Eisen, eine Einheit Holz und zwei Einheiten Leder, würfle eine Probe und voilá, fertig ist das Schwert. Dank tragbarer Reise-Schmiede geht das sogar bequem unterwegs.

Material für Spielleiter

Zusätzlich zu den Spielregeln umfasst das Grundregelwerk ein 31-seitiges Kapitel, das die Spielwelt näher vorstellt. Hier sind die wesentlichen Informationen übersichtlich und komprimiert zusammengestellt. Gerade für Witcher-Neulinge ist diese Spielhilfe sehr nützlich. Hinzu kommt auf 25 Seiten ein Leitfaden für Spielleiter, der SL-Neulinge an die Hand nimmt und eine Menge nützliche Tipps zum Leiten an sich und zum Aufbau von Abenteuern, Kampagnen und Rahmengeschichten liefert.

Die Spielleitersektion umfasst darüber hinaus eine Sammlung mit 20 ausgearbeiteten Gegnern, darunter die bekanntesten Monster, aber auch gewöhnliche Bedrohungen wie Wölfe oder Banditen. Dazu kommen einige Werte für häufige Tierarten. Auf längere Dauer dürfte diese Liste für abwechslungsreiche Abenteuer nicht ausreichen, für ein paar erste Ausflüge in die Welt des Hexers und den einen oder spannenden Hexer-Auftrag reicht die Auswahl aber allemal. 

Zu guter Letzt enthält das Buch außerdem ein 7-seitiges, voll ausgearbeitetes Einsteiger-Abenteuer inklusive Karten und NPC, das gerade einer Neueinsteiger-Runde einen einfachen Einstieg ermöglichen soll.

Gestaltung und Erscheinungsbild

Das Grundregelwerk von The Witcher kommt als A4-Hardcover in Vollfarbe mit 336 Seiten daher. Die Seiten sind glänzend gehalten, der Druck wirkt insgesamt wertig. Das Papier ist allerdings merklich dünner, als man es von preislich vergleichbaren Grundregelwerken gewohnt ist.

Das gesamte Buch ist randvoll mit Concept Art und Illustrationen aus den Witcher-Videospielen. Die Bilder sind fast durchweg sehr dekorativ und von guter Qualität, allerdings ist bei vereinzelten Illustrationen die Auslösung missglückt. So schön die Bilder aber sind, insgesamt wirkt die Illustration etwas sehr reichlich.

Ebenfalls enthalten sind eine rudimentäre Übersichtskarte des namenlosen Kontinents und eine leider unschön zurecht geschnittene Detailkarte der nördlichen Königreiche.

Das Layout wirkt insgesamt modern und gut strukturiert. Es gibt Randspalten mit hilfreichen Erläuterungen und farblich voneinander abgesetzte Kapitel zu den jeweiligen Themenbereichen. Außerdem hat das Regelwerk einen Index, der das Nachschlagen sehr erleichtert. Allerdings ist die Anordnung der einzelnen Kapitel hin und wieder nur schwer nachvollziehbar und Dinge, die eigentlich in einen Block gehören würden, sind auf verschiedene Stellen im Buch verteilt.

Außerdem finden sich im Layout hin und wieder größere Schnitzer, beispielsweise in der Größe verrutschte Textkästen. Wesentlich ärgerlicher ist, dass die erste Print-Auflage jede Menge inhaltliche Fehler aufweist, zu denen Talsorian bereits umfangreiche digitale Errata nachgereicht hat. Die Nutzbarkeit der Druckausgabe leidet deutlich darunter, was gemessen am Preis sicherlich Grund für Frustration ist. In der aktuellen PDF-Ausgabe des Regelwerks sind die Errata hingegen schon eingepflegt, die Layout-Fehler wurden allerdings längst noch nicht alle korrigiert.

Ausblick

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es ausschließlich das Grundregelwerk. Die Erweiterung Lords and Lands (enthält einen Spielleiterschirm, eine NPC-Sammlung, eine neue Klasse und eine neue Spezies), das Monsterhandbuch A Witcher’s Journal und die Abenteuersammlung The Witcher’s Book of Tales sind in Arbeit, haben aber alle noch kein konkretes Erscheinungsdatum.

Zum Free RPG Day am 15. Juni 2019 soll außerdem das 24-seitige kostenlose Light-Regelwerk The Witcher Tabletop Game: Easy Mode erscheinen, sowohl digital, als auch gedruckt. Eine deutsche Übersetzung des Grundregelwerks als PDF und Printausgabe ist bei Truant Spiele in Arbeit, als Erscheinungsdatum wird die RPC 2019 genannt, die mittlerweile in der CCXP Cologne 2019 aufgegangen ist. Das wäre der 27. Juni.  

Die harten Fakten:

  • Verlag: R. Talsorian Games
  • Autor(en): Cody Pondsmith, Lisa Pondsmith
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Englisch
  • Format: Print / PDF
  • Seitenanzahl: 336
  • ISBN: 1-891933-24-8
  • Preis: 50,00 USD (Print), 24,99 USD (PDF)
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG.com (PDF)

 

Fazit

The Witcher ist ein solides Fantasy-Grundregelwerk, das alles enthält, was ein Grundregelwerk braucht. Die vergleichsweise geringe Komplexität macht es attraktiv für Einsteiger, und das sicherlich mit voller Absicht. Wer von den Witcher-Abenteuern am Bildschirm schon nicht genug bekommen konnte, findet hier einen guten Einstieg ins Pen & Paper-Hobby und wird sich durch die vertraute Aufmachung und inhaltliche Gestaltung schnell zurechtfinden.

Auch für alte Hasen hat das System mit seinem einfach gestrickten Regelset ohne viel Schnickschnack und dem knackigen, harten Kampfsystem sicherlich seine Reize. Das Regelwerk begünstigt wegen seiner schlanken Linie eher ein freies narratives Spiel, in dem nicht alles minutiös durch geregelt ist. Das lässt SL und Spielern zwar mehr Freiheiten – wer hohe Komplexität und Regeldichte liebt, wird hier aber eindeutig nicht zufrieden gestellt.

Wie andere Talsorian-Rollenspiele bleibt aber auch The Witcher ein ungeschliffener Edelstein mit etlichen Ecken und Kanten. Das Regelwerk lässt an vielen Stellen Fragen offen, häufig sind Formulierungen unklar und überlassen Spielleiter und Spielern die Auslegung. Wirklich unspielbare Regeln oder massive Regellücken sind bei der Sichtung und beim Testspiel zwar keine aufgefallen, wer allerdings ein Regelwerk sucht, das alle Eventualitäten abdeckt und keinen großen Interpretationsspielraum schafft, greift besser nicht zu The Witcher.

Für einige vergnügliche Abenteuer in der Hexer-Welt ist das Regelwerk eindeutig zu empfehlen. Die Grundregeln sind vollständig, größer angelegte Kampagnen sind ebenfalls vorstellbar. Allerdings wird die enthaltene Auswahl an Optionen, Charakter-Ausbaumöglichkeiten, Ausrüstung und Gegnern auf lange Sicht gesehen vermutlich für die meisten Gruppen nicht genügend Abwechslung bieten. Das System ist jedoch so einfach aufgebaut, dass sich eigene Ideen und Hausregeln leicht einfügen lassen dürften, ohne dadurch ein fragiles Balancing in Gefahr zu bringen.

Artikelbilder: © R. Talsorian Games, © Namco Bandai
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

9 Kommentare

  1. Ich kann der Rezension wirklich überhaupt nicht zustimmen. Das Buch ist ganz eindeutig unfertig und nicht sinnvoll getestet worden, nachdem es jahrelang von einer Person „entwickelt“ wurde (der Autor spricht immer in ICH-Form).
    Aufgrund der guten Qualität, insbesondere auch was die Erzählung angeht, habe ich große Erwartungen an das P&P Rollenspiel gehabt. Aber es ist einfach wenig durchdacht und ohne echtes Detail.
    Das Layout des Werks ist in Ordnung, aber sehr modern gestaltet. Es ist zwar mit vielen Abbildungen versehen, aber wirkt nicht sehr atmosphärisch, sondern auch hier: generisch. Stimmung kommt keine auf. Diverse Layoutfehler sind schon sehr nervig. Viel schlimmer ist, dass diverse Informationen (insbesondere Charakterregeln) nicht nachvollziehbar über mehrere Kapitel verteilt sind, so dass man sehr viel blättern muss – Spielspaß fördert das nicht gerade.
    Das Regelsystem ist sperrig und generisch. Die Würfelwürfe haben fast keinen Einfluss auf das Ergebnis, durch die Kombination mit den Werten, so dass im Grunde das Ergebnis fast feststeht (gerade bei fortgeschrittenen oder mächtigen Charakteren). Das mag für ein „One-Shot“ funktionieren, für längere Kampagnen definitiv nicht. Die Regeln sind weniger detailliert als in den Videospielen, aber in meinen Augen zu komplex für ein Erzählspiel. Das „Craften“ fällt zum Beispiel auch in diese Kategorie. Es gibt Diagramme wie in den Spielen (wie sinnvoll eine „Regelverwurstung“ von diesem Konzept ist, sei mal dahingestellt), aber die Komponenten sind alle sehr generisch und durch diese Methode wird in meinen Augen zu viel Freiheit, gerade für die Spielleiter, genommen.
    Insgesamt fügt das Spiel nur klassische Komponenten zusammen, ohne dem aber Hexerleben einzuhauchen. Ich würde interessierten Spielern empfehlen sich „The World of the Witcher“ zuzulegen und ein anderes System zu verwenden. Die Seelenlosigkeit des Spiels bemerkt man besonders bei dem sehr generischen Abenteuer am Ende, was nicht zu der überall betonten „brutalen“ Spielwelt passt, sondern eher albern ist (was ja durchaus auch in The Wicher vorkommt, aber sich als Sonderfall dann nicht für ein Beispielabenteuer eignet).
    Für mich ist es rausgeschmissenes Geld.

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