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Orks sind in traditioneller Fantasyliteratur und vielen Spielrunden der klassische Erzfeind der Guten. Sie sind das Schwertfutter für so manche Jungcharaktere, welche sich an ihnen abreagieren und Erfahrungspunkte sammeln können. Heute wollen wir uns diesen Umstand mal aus ihrer Perspektive anschauen und sehen, ob sie nicht als Protagonisten interessant wären.

„Die Orks sind die Krone der Schöpfung. Für sie zählt jeder Kampf als Sieg. Sie haben sich zu einer Gesellschaft entwickelt, in der es weder Stress noch Angst gibt. Wer sind wir, dass wir über sie richten können? Weder wir Eldar, die wir versagt haben, noch die Menschen, die bereits die Straße zu ihrem eigenen Ende bestreiten. Und warum? Weil wir nach Antworten auf Fragen suchen, die ein Ork nie im Leben stellen würde! Wir sehen eine starke Kultur und betrachten sie verächtlich als primitiv.“

– Ulthan der Irre, Codex Orks, Warhammer 40.000, 1999

Ein Ork in Warhammer 40.000 © Games Workshop

Als ich vor über 20 Jahren zum ersten Mal Kontakt mit einem Buch hatte, welches sich tiefer mit den Orks als eigener Spezies beschäftigte (genauer gesagt: mit dem Codex Orks aus dem Haus Games Workshop), traf mich dieses Zitat eines als verrückt angesehenen Eldar wie ein Faustschlag. Mein vierzehnjähriger Verstand wurde mit einer Tatsache konfrontiert, welche ich bis dahin gekonnt ausgeklammert hatte – Orks sind mehr als nur ihr Stereotyp, mehr als nur ihre sinnlose Wildheit und wahnsinnige Brutalität. Vielleicht würde in ihnen doch mehr zu entdecken sein, als sich dem flüchtigen Auge bietet.

Dieser Beitrag schließt sich lose an den Artikel Orks müssen sterben von Dirk Walbrühl aus dem Jahre 2014 an, in welchem er bereits einige wichtige Punkte bezüglich unserer grünen Lieblingsbarbaren anspricht und daher eine dringende Leseempfehlung verdient. Hier möchte ich mich aber vor allem mit Gedanken beschäftigen, wie man die Orks ins Pen&Paper-Rollenspiel einbauen kann, und warum sie eine Bereicherung für viele Runden darstellen können.

Was ist ein Ork?

Diese Frage klingt zunächst banal, muss aber aus einem bestimmten Grund am Beginn dieser Betrachtung stehen: was erwarten wir uns eigentlich, wenn wir einen Ork spielen? Für jedeN SpielerIn mag sich diese Frage anders beantworten, deswegen fragte ich den Spielleiter meiner zu Ende gegangenen AD&D-Runde, warum er ein Faible für diese Wesen hat:

Ich mag es, wie unabhängig ein Ork ist. Er kann auf sich aufpassen, ist selten alleine aufgeschmissen und weiß sich immer selbst zu helfen. Noch dazu hat er einen Sinn für Gemeinschaft und fügt sich in jede Gruppe ein, die ihn aufnimmt.

Fassen wir die Eigenschaften der gemeinen Wald- und Wiesenorks zusammen, kommen einem folgende Schlagworte in den Sinn:

  • barbarisch, aber (manchmal) ehrenvoll
  • stolz
  • wild und freiheitsliebend
  • Stammesleben
  • umherziehend
  • eigene Werte und Moralvorstellungen, die sich stark von denen von Menschen oder anderen Wesen unterscheidet
  • treten in der Masse auf
  • brutal gegen sich und ihre Umwelt
  • ein eigenes Pantheon von Göttern und Champions

Die hier angeführten Attribute lassen uns schon eines erahnen – es sind viel zu viele, um eine vernünftige Definition darüber anzustellen, was denn nun einen „ordentlichen“ Ork ausmacht.

Und das ist gut so.

Orks sind eine tolle Schablone, um neue Aspekte eines Charakterlebens auszuprobieren. Ihre eigene Weltsicht, insofern sie nicht unter Menschen aufgewachsen sind (und auch das wäre ein genialer Charakterhintergrund), bieten eine Fülle an möglichen Reibepunkten mit den anderen Gruppenmitgliedern und sind somit eine neue Gelegenheit für eine interessante Rollenspielerfahrung.

Auch in vielen Online-Spielen sind Orks nicht wegzudenken, wie hier in World of Warcraft. © Blizzard

Mein Ork, das unbekannte Wesen – was bin ich?

Eine etwas transzendentere Darstellung einer Orkin. Nicht umsonst haben die Orks eine lange schamanistische Tradition. © Depositphotos | digitalstorm

Da Orks so vielfältige Beschreibungen aufweisen, kann man im Endeffekt alle Arten von Hintergründen auf sie anwenden: Warum zum Beispiel muss es sein, dass die Orks in dieser Welt barbarisch sind? Man drehe den Spieß einmal um und lasse sie die Hochkultur in dieser Fantasywelt sein, welche sich gegen Horden barbarischer Elfen und Zwerge erwehren müssen. Mit der Umkehrung der bereits erwähnten Topoi kann man schon viel erreichen, um die gegebene Erwartungshaltung am Tisch wenn nicht zu brechen, dann doch zumindest etwas aufzulockern. Bereits in der Filmadaption von Der Herr der Ringe durch Peter Jackson aus dem Jahr 2001 wurde eindrucksvoll gezeigt, dass in der selben Welt mehrere Arten von Orks problemlos nebeneinander leben können. Nun, zumindest fast problemlos, wie man im zweiten Teil der Trilogie, Die zwei Türme, sehen konnte …

Nun ist Ork nicht immer gleich Ork. Schon bei Tolkien gab es unterschiedliche Arten von Orks, die sich zwar in ihren Eigenschaften glichen, aber trotzdem noch etliche Unterschiede untereinander aufwiesen. Dies war einer vereinfachten Darstellung der „bösen Völker“ geschuldet, die keine tieferen Schichten aufweisen sollten. Auch Warhammer 40.000 mit seinen sechs Klans (plus den Freibeutern, die wiederum eine äußerst bunte Fraktion darstellen) oder Das Schwarze Auge mit seinen sehr ausführlich ausgearbeiteten Stämmen verdienen hier eine besondere Erwähnung. Insbesondere DSA mit seinem Band Reich des roten Mondes sei hier jedem Freund der „Grünhäute“ (oder, in diesem Fall, „Schwarzpelze“) zur Lektüre ans Herz gelegt.

Ein Uruk aus Herr der Ringe © New Line Cinema

Grundsätzlich muss sich jedeR SpielerIn, welcheR eineN OrkIn spielen möchte, Gedanken um die Perspektive der gespielten Schwarzhaut machen:

  • Welche Haltung hat meine Gruppe/Familie/Klan/Stamm gegenüber Religion, den Nachbarn, Hierarchien, zwischenorkischen Beziehungen etc. – und steht die Weltsicht meines Charakters in Konflikt dazu?
  • Warum ist mein Charakter (offensichtlich) nicht mehr Teil seiner ursprünglichen Gruppe? Oder warum sind wir als reine Orkgruppe unterwegs und nicht mehr daheim?
  • Wie geht mein Charakter damit um, dass er sich in einer Gruppe von Wesen befindet, die traditionellerweise die Feinde seines Stammes sind? Wie kann er eine Brücke schlagen, um vielleicht bestehende alte Konflikte zu beenden?

Gerade Orks als die „klassischen“ Feinde in der Fantasy bieten hier eine neue Sicht, die es zu erkunden gilt. Wenn man allerdings alte Zwiste nicht beenden möchte, sondern sie im Gegenteil lieber noch tiefer auslotet, bietet sich das Spiel als Antiheld an:

Orks als Antihelden

Schon mal einen Bösewicht gespielt?

Orks bieten die perfekte Ausrede, einmal eine … moralisch ambivalente Gruppe spielen zu können, ohne dabei das klassische „Wir sind Böse um des Böseseins Willen“-Klischee auszupacken.

Auch in Shadowrun gibt es als Spielbare Rasse Orks © Pegasus

Orks können eine ganze Reihe von aus ihrer Sicht guten Gründen haben, beispielsweise gegen menschliche Siedlungen und ihre Bewohner vorzugehen. Vielleicht dringen Menschen in das Siedlungsgebiet ihres Stammes ein und müssen zurückgedrängt werden? Vielleicht jagen sie die einzige Nahrungsquelle ihres Stammes oder bringen Krankheiten, die für die Menschen harmlos, aber für die Orks vernichtend sind? Ja, hier werden bewusst Vergleiche aus der realen Geschichte bemüht, und das ist durchaus in Ordnung – die reale Geschichte bietet eine Fülle an guten Inspirationen für Hintergründe, die man ausschlachten kann.

Auch die simple Tatsache, dass Orks eine andere Moral und Weltsicht als Menschen haben, kann sie in Konflikt mit ihrer Umgebung bringen und somit zu Antihelden aus Sicht der „Guten“ werden lassen.

Orks als SCs

Natürlich kann man eine Gruppe Orks als Vertreter des Bösen spielen, aber wirklich spannend wird es erst dann, wenn sich der Ork als guter (oder zumindest nicht-böser) Charakter in einer ihm feindlich gesinnten Umgebung beweisen muss. Dabei ist es für Orks sehr wohl möglich, auch gute oder rechtschaffene Gesinnungen auszuüben. Als ein Beispiel für einen nicht chaotischen oder bösen Charakter sei das Bild des Orkpaladins im aktuellen Player’s Handbook von Dungeons and Dragons erwähnt. Pen&Paper ist immerhin das, was wir daraus machen, und da gibt es keine verbindlichen Vorgaben. Außer natürlich diejenigen, auf welche sich die Gruppe verständigen möchte.

Wer sagt, dass Orks nicht weiblich sein können? Gut, Warhammer 40.000 sagt das, aber das muss nichts bedeuten. © Depositphotos | warpaintcobra

Also eine Gruppe aus guten Orkcharakteren. Warum nicht einmal einen neuen Ansatz ausprobieren – wie wäre es, wenn die Orks dieses Mal keine zahlreiche Spezies sind, und sich im Gegenteil gegen zahllose Horden von Menschen, Elfen und Zwergen wehren müssen? Die beiden letzten Völker erfüllen ansonsten traditionellerweise den Topos des sterbenden, verschwindenden Volkes. Warum nicht einmal diese Vitalität den Elfen und Zwergen geben und dafür die Orks als Spezies der SpielerInnen etwas seltener machen?

Wenn die Orks nicht die  dominante Spezies sind, kann man sich bewusst Grenzen setzen und Probleme schaffen, die zum Denken und Handeln zwingen. Wenn die Orkcharaktere ständig gegen eine feindliche Umwelt bestehen müssen, in der ansonsten „gute“ Fraktionen wie Menschen, Zwerge und Elfen der ständige Antagonist sind, ist das sicher mal ein interessanter Rollentausch. Aus dieser Erfahrung des Underdogs heraus kann schon das bloße Überleben der Spielercharaktere ein Sieg sein.

Was den Orks als spielbares Volk vielleicht zu einer größeren Popularität fehlt, ist ein bekanntes Vorbild, eine Vorlage zur Nachahmung. Während den Dunkelelfen ein Elric von Melnibone in seiner Gebrochenheit und ein Drizzt do’Urden als Vorbild für tolle Charaktere, welche mit  klassischen Bildern der Dunkelelfen brechen, zur Verfügung stehen, sieht es bei den Orks da leider noch etwas mager aus – wenn man von Stryke und seinen Vielfraßen und mehreren orkähnlichen Völkern in der Buchserie Das Spiel der Götter absieht. Als eine weitere löbliche Ausnahme haben es auch Horrk & Grablakk in ihrer Adaption klassischer Märchen und Geschichten in sieben Schandtaten ihren Beitrag zum literarischen Kanon der Orks geleistet. 

Nachdem die Orks als Antihelden bzw. Protagonisten besprochen wurden, wird es Zeit für ein schwierigeres Thema:

Orks und Rassismus

Das heikle Thema Rassismus wird bei den Orks wohl am Ausführlichsten in der Sechsten Welt von Shadowrun beschrieben. Auch in der dystopischen Zukunft des Cyberpunk wird die Gesellschaft von Rassismus gegenüber „Metamenschen“ geplagt. Das Thema gibt sogar soviel her, dass die Teilzeithelden mit dem Buch Mit Hauern und Hörnern eine eigene Spielhilfe besprochen haben, welche nur zu diesem Thema und wie man es sinnvoll in seine Runden einbauen kann, erschien.

Rot, äh, Grün is schnella! © Depositphotos | Kasyanov-creation

Gerade bei den Orks ist es ungeachtet des Hintergrunds reizvoll, sich aus der Perspektive der zumeist Verachteten und Unterdrückten diesem Thema anzunähern – wie reagiert mein Charakter, wenn er angefeindet wird? Will er sich überhaupt in eine Gesellschaft integrieren, die ihn ablehnt, weil er ein Ork ist? Bin ich ein unterprivilegierter Go-Ganger, der sich mit nicht immer legalen Mitteln in einer ihm feindlich gestimmten Welt behaupten muss? Bin ich im Gegenteil ein Konzernchef, der trotz seiner Hauer Macht ausüben kann? Wie reagiere ich, wenn Menschen meine Attribute wie die Hauer als schick empfinden und sie als Modeaccessoire übernehmen? Bin ich vielleicht Teil einer militanten Bewegung wie der Sons of Sauron, welche die gesellschaftlichen Umstände mit Gewalt ändern möchte, oder lehne ich trotz Unterdrückung Gewalt ab?

Dennoch sollte man sich immer bewusst sein, dass das Thema Rassismus nur sehr überlegt und mit bewusster Intention behandelt werden sollte, dafür ist das Problem in der realen Welt zu ernst.

Fazit – Grün ist mehr als eine Farbe

Ich hoffe, aufgezeigt zu haben, warum Orks als vollwertige Spielercharaktere eine Bereicherung für jede Spielrunde sein können. Die Orks sind mehr als ihre gesammelten Attribute, sie sind weitaus vielfältiger, als man zunächst denken mag, und können sowohl in einem todernsten als auch absolut chaotischen Setting alles Mögliche abdecken, was das Spielerherz begehrt. Sie sind das, wozu du sie machen möchtest.

Die neue Perspektive, die Orks in eine Gruppe bringen, bietet dazu eine tolle Gelegenheit für vielfältiges Rollenspiel – und dafür betreiben wir schließlich dieses Hobby.

Viel Spaß mit deinem Ork.

Artikelbild: Pegasus Spiele, bearbeitet von Verena Bach

 

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