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In der Sechsten Welt hat jeder schon einmal einen Troll getroffen, der unbeabsichtigt etwas zerstört hat. Das ist doch etwas ganz Normales, die sind eben groß, grobschlächtig und dumm. Wirklich? Dieser Quellenband gibt einen Einblick in das, was Trolle und Orks zu diesen Vorurteilen zu sagen haben.

Trog Rock
Trog Rock

Bevor es um den eigentlichen Inhalt geht, sollte man ein paar Worte darüber verlieren, warum dieses Buch, das im Original The Complete Trog heißt, eine besondere Rolle erfüllt und realhistorische Bezüge aufweist. Das Wort „Trog“, abgeleitet vom englischen Wort „troglodyte“ (zu Deutsch Höhlenmensch), wird in der Sechsten Welt anfänglich vor allem von Metamenschen benutzt, die abfällig über Orks und Trolle reden. Es geht dabei um phänotypische Eigenschaften oder vermeintlich unterdurchschnittliche Intelligenz.

Während der Jahre haben die Opfer dieser Schmähungen das Wort aber für sich adaptiert, es zu ihrem Wort gemacht, um den verbalen Angreifern die Macht zu nehmen, die sie damit hatten. Dies wird so auch im Buch thematisiert. Die Parallele zu der Geschichte der Afroamerikaner bzw. generell der schwarzen Bevölkerung in verschiedenen Ländern wird ziemlich schnell deutlich.

Trog ist eine Neuauflage des N-Wortes, und die Orks und Trolle sind in einer ähnlichen Situation in der Sechsten Welt, wie es die Schwarzen lange Jahre in Amerika zur Zeit der größten Rassenkämpfe oder während der Apartheid in Südafrika waren. Heutzutage tauchen diese Tendenzen leider immer noch an mancher Stelle in unserer Gesellschaft auf. Auch Konzepte wie die der Black Panther Party und Gegenbewegungen finden sich in der Sechsten Welt wieder. Dieser Rassenkampf und -hass gehört zur Welt von Shadowrun dazu, wird hier aber im Besonderen thematisiert.

Inhalt

Das grüne Äußere zeichnet Mit Hauern und Hörnern als Quellenband aus. Das bedeutet viel Fluff und ein bisschen Crunch. Dies zeigt sich deutlich im Aufbau des Buches: Der Großteil des Inhalts widmet sich den Lebensumständen von Trollen und Orks, die letzten acht Seiten der Erweiterung des Spielsystems präsentieren Ausrüstung und Ähnliches.

Zeitlich wird auf die späten 2070er Jahre verwiesen, in denen die Trog-Stolz-Bewegung ihren Anfang nimmt. Der Stil ist eine Mischung aus Berichten, Hörensagen, Interviews, kommentierten Matrixeinträgen und allem Möglichen, gespickt mit Werbung – eben ganz Shadowrun.

Szenische Einführung

Eine Kurzgeschichte zum Thema liefert den szenischen Einstieg in das Werk, nachdem die Formalitäten durch die Inhaltsangabe, einen Einleitungstext und der für diese Bücher obligatorischen Einwahl in Jackpoint geklärt sind. Auch weiter hinten findet sich noch eine kurze Geschichte, und die typischen Anmerkungen aus Jackpoint kommentieren farbenfroh alle möglichen Textpassagen. Durchweg lesen sich diese gut und sind durch die schwarze Hintergrundfarbe oder entsprechende Umbrüche abgesetzt, sodass sie einfach übersprungen werden könnten, wenn man dies wollte.

Die Einleitung erzählt die Geschichte eines Geschwisterpaares, das in Jackpoint Meinungen über einen Brief ihres Ziehvaters einholen will. Die Diskussion auf den ersten Seiten dreht sich um die Frage, wie Trogs in der Gesellschaft behandelt werden und wie sie damit umgehen können. Es wird klar, dass es ein Spannungspotenzial in der Sechsten Welt gibt, das man bei der Gestaltung einer Kampagne und auch von Charakteren berücksichtigen sollte, ja sogar muss.

Lebensbedingungen in verschiedenen Regionen

Lebensumstände unterscheiden sich von Ort zu Ort. In einigen Regionen gibt es viele Metamenschen, in anderen wenige, manchmal sind sie akzeptiert und manchmal verhasst. In Chicago beispielsweise herrscht eine Situation, in der die Konzerne Mitarbeiter aller Art anheuern (egal ob von der offiziellen oder inoffiziellen Sorte), um ihre Drecksarbeit zu erledigen, und Warlords Verbündete um sich scharen.

Die Skandinavische Union erlebt dagegen gerade einen durch Peikko Skarsgaard angeführten Umbruch, doch auch der wird heiß diskutiert. Hier macht das Lesen wirklich Spaß, wenn man Hintergründe erfahren will.

Zu den ADL gibt es nur eine Zusammenfassung, aus gutem Grund, da es eine ausführliche Beschreibung der Regionen und Situationen einzelner Metatypen in den ADL im bereits vorher erschienenen Datapuls ADL gibt. 

Konzerne und Trogs

Auch in den Konzernen gibt es eine Menge Unterschiede zu beobachten. Ob man bei Evo einen Job bekommt oder bei Lone Star, ist auch eine Frage des Metatyps. Selbst, wenn es das nicht ist, bestimmt dieser dann häufig die Art des Jobs. Können Trogs in der Hierarchie aufsteigen oder sind sie nur die Schlägertruppe? Werden sie geachtet oder geächtet? Man erhält in diesem Kapitel einen guten Überblick über die Situation von Orks und Trollen in den multinational agierenden Konzernen.

Berühmte Persönlichkeiten und Runner

Kat Berg aka Nikki Blackstone
Kat Berg aka Nikki Blackstone

Geld und Ruhm sorgen dafür, dass vieles einfacher wird. Das ist auch so, wenn der eigene Metatyp in vielen Bereichen der Welt benachteiligt oder gar verhasst ist. In zwei Kapiteln wird nicht nur das Leben von einigen Mitgliedern der High Society besprochen, sondern auch bekannte Runner vorgestellt. Letztere sogar mit Werten für die Verwendung am Spieltisch.

Wer schon immer mal ein paar genauere Daten über Orxanne, eine der wohl einflussreichsten Musikerinnen der Sechsten Welt, haben wollte, kann sie hier finden. Auch weitere Persönlichkeiten geben sich in diesen Kapiteln die Klinke in die Hand, darunter König Alfonso XIII. von Spanien, der Trollschmuggler 2XL oder die versierte orkische Medizinerin Butch. Aufmerksame Leser erkennen hier Kommentatoren aus Jackpoint wieder, was die Immersion verstärkt.

Ein kleines Or’zet-Wörterbuch befasst sich mit der Sprache der Orks und listet häufige Worte und Redewendungen auf. Scheinbar ist den Autoren wie vielen Spielern aufgefallen, dass Orks und Trolle gerade in der Erstellung mit Prioritätensystem selten favorisiert werden. Mit einer Art Portfolio der Möglichkeiten wollen sie zeigen, dass auch diese Metatypen zu nützlichen und verwertbaren Charakteren geformt werden können.

Verwunderlich ist, dass bei der Auflistung so vieler Berühmtheiten gerade jemand fehlt, der in den neueren Abenteuerbänden Auftritte hat: Lothan der Weise. Man könnte argumentieren, dass dieser mit Werten in den Abenteuern versehen ist, aber doch wertet es ihn herab, dass er nicht in der Liste dieses erlauchten Kreises auftaucht.

Leider muss man auch feststellen, dass die Informationen zu den Trog-Runnern, die exemplarisch erstellt werden, teilweise sehr dünn sind. Während die Prioritäten angegeben sind, gibt es keine Angaben dazu, wie viel Karma für Geld eingetauscht wurde oder welcher magischen Tradition ein Charakter folgt. Natürlich kann ein erfahrener Spieler oder Spielleiter das recht schnell herausfinden, aber wenn schon der Anfang gemacht ist, sollte nicht doch noch in anderen Regelwerken geblättert werden müssen. Die nachgerechneten Charaktere enthielten aber keine Fehler. 

Feinde und Freunde

Meta-Rassismus
Meta-Rassismus

Neben den Konzernen spielen Gruppierungen und Einzelpersonen mit Einfluss eine Rolle, die das Leben eines Trogs erschweren oder erleichtern können. Der berühmte Humanis Policlub zum Beispiel, eine Vereinigung von Metamenschenhassern, ist vielen Runnern schon einmal begegnet. Auch Einzelpersonen wie Kenneth Brackhaven oder Sheila Martin, bekannte Politiker auf dem nordamerikanischen Kontinent, führen einen Krieg gegen Metas.

Trog-Gegner sind oft weithin bekannt, ihre Fürsprecher wagen sich aber teils erst langsam aus dem Dunkel ans Licht der Öffentlichkeit. Trog Rock Recording, das wohl meistgehörte Trog-Plattenlabel unter der Führung der Trollsängerin Bella Blackwood, gibt der Bewegung eine Stimme, wenn nicht mehr. Natürlich gibt es auch radikale Gruppen, die weniger für Trogs, als vielmehr gegen Nicht-Trogs agieren – teils mit unüberlegter, zorniger Gewalt wie die Söhne Saurons.

Die ADL wird auch in diesen Kapiteln thematisiert, zwar nur kurz, aber die Gründe dafür sind bereits erwähnt. Es ist trotzdem schön, dass es einige Passagen dazu gibt, um unnötiges Blättern in verschiedenen Büchern zu verringern.

Crunch

Die letzten Seiten sind, wie für die Quellenbände üblich, für das reserviert, was man für seine Charaktere benutzen kann und Werte aufweist. Hintergrundwissen ist Macht, aber die eigene Karre aufyerzen ist trotzdem nicht zu verachten.

Da liest man zum Beispiel von einem Osmiumstreitkolben, der ordentlich Muckis zur effektiven Anwendung voraussetzt, oder von Hornbehältern, der Trollversion des Zahnbehälters, mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten. Troggerechte Fahrzeuge und spezifische Vor- und Nachteile könnten auch für den ein oder anderen interessant sein. Den Abschluss bilden Lebensmodule für Orks und Trolle.

Schade ist, dass der Streitkolben auch von anderen Metas getragen werden kann, ohne Einschränkungen zu erleiden, solange sie die Stärke von sieben aufbringen können. Auch wenn das vielleicht untypisch ist, verliert er damit doch ein wenig seinen Trog-Flair.

Da die Quellenbände dafür da sind, die Spielwelt zu beleben, ist das aber zu verschmerzen, wenn man dafür einen faltbaren, selbstaufbauenden Maxi-Meta-Stuhl bekommt. Es gibt ab jetzt keine Entschuldigung mehr, der darf auf keinem Run fehlen!

Erscheinungsbild

Wie alle deutschen Quellenbände erscheint auch Mit Hauern und Hörnern mit einem dunkelgrünen Cover. Das Layout ist übersichtlich und durch zahlreiche Illustrationen, Kommentare aus Jackpoint oder Wertetabellen ergänzt. Positiv aufgefallen ist die Anzahl neuer Bilder, und auch die Werbung für Produkte der Sechsten Welt trägt zu einem schönen Gesamteindruck bei. Zwar ohne Index, dafür aber mit detailliertem Inhaltsverzeichnis lassen sich Informationen unkompliziert finden. Die 191 vollfarbigen Seiten sind von vernünftiger Stärke und in einem festen Einband untergebracht, sodass sie auch wildere Spielabende überstehen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus Spiele
  • Autor(en): David Ellenberger, Jan Helke, Jasin M. Hardy, James Meiers, Scott Schletz, C. Z. Wright, et al.
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 191
  • ISBN: 9783957891693
  • Preis: 19,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit

Mit Hauern und Hörnern – Almanach der Orks und Trolle ist ein Quellenband und liefert damit auch genau das, was er verspricht, nämlich Hintergrundinformationen zur Spielwelt. Das heikle Thema der Metatypdiskriminierung, die zur Spielwelt gehört, wird aus der Sicht der Opfer beleuchtet und diskutiert. Es dreht sich um Sprache als Werkzeug der Ausgrenzung und Verbrüderung, um Konzerne und Persönlichkeiten. Wer will, zieht viele wichtige Informationen für seinen Charakter oder als Spielleiter aus dem Buch.

Die Gestaltung ist gewohnt solide und ansprechend. Der Preis ist nach wie vor nahezu unschlagbar und man erhält dafür viele schöne Ideen, Anregungen und Einblicke in die Welt der Trogs. Die Darstellung von der Seite der Betroffenen des Meta-Rassismus bereichert die Spielwelt tatsächlich enorm, und die fast durchweg positiven Eindrücke schlagen sich in Kombination mit dem Preis in einer sehr guten Bewertung nieder.

mit Tendenz nach oben

Artikelbild: © Pegasus Spiele, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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