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Eine lebendige, realistische, interessante Welt, die man als Held*in bereisen, entdecken und erleben kann: Das ist das große Versprechen des Pen-and-Paper-Hobbys. Aber wie kann man als Spielleitung diese Welt möglichst unterhaltsam gestalten? Mithilfe des Metaplots versuchen wir in diesem Beitrag einen Abriss über diese Optionen im Köcher der Spielleitung.

Was macht eine epische, langfristige Spielrunde aus, an die sich die beteiligten Spieler*innen wohl noch eine lange Zeit erinnern werden? Neben den üblichen Dingen (die Held*innentaten der Charaktere, die fiesen Bösewichte und vieles anderes) ist es auch das Gefühl, eine lebendige Welt erlebt zu haben. Eine Spielumgebung, die sich nicht nur wie eine austauschbare Kulisse für die Held*innen angefühlt hat, weckt ebenso wohlige Erinnerungen, wie ein schön gestalteter Kampf oder eine andere geleistete Held*innentat. Wie also können wir eine Welt lebendig gestalten?

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Der Metaplot, das unbekannte Wesen

Zunächst wagen wir uns an die Definition eines „Metaplots“ und was die beiden Begriffe in diesem Wort zusammen ergeben. Als „Plot“ lässt sich die Summe aller Handlungen, welche in der Geschichte stattgefunden haben, bezeichnen. Das Wort „Meta“ kann mehrere ähnliche Bedeutungen aufweisen: „inmitten, zwischen (zusammen, zugleich), mit, unter, in, bei, zu oder nach… hin“ wären Übersetzungsvorschläge bei Wikipedia. Zusammen bedeutet das Wort „Metaplot“ also so etwas wie „die Handlung, die dazwischen geschieht“.

Metaplot = die Handlung, die dazwischen geschieht

Was bedeutet das für unsere Absicht, eine möglichst realistische Welt in unseren Pen-and-Paper-Runden darzustellen?

Realistische Parallelwelt oder nur Kulisse für die Fantasie? © Depositphotos | rarrarorro
Realistische Parallelwelt oder nur Kulisse für die Fantasie? © Depositphotos | rarrarorro

Eine Welt, die sich nicht nur als Kulisse anfühlen soll, muss eine gewisse Tiefe aufweisen, also das Gefühl hervorrufen, dass sich auch abseits der Taten der Held*innen etwas tut. Wenn sich Charaktere oder Orte, welche die Held*innen bereits getroffen haben, bei der nächsten Begegnung verändert haben, verstärkt dies das Gefühl einer lebendigen Welt. Umso mehr, wenn es sich um langfristig von der Spielleitung geplante Ereignisse handelt. Dies dient dann als Gerüst, um zukünftige Ereignisse vorzubereiten, ist aber auch für die Spieler*innen eine Hilfe zur Interaktion mit der Spielwelt, wenn ihnen ein „roter Faden“ gegeben wird.

Der Metaplot als Eckpfeiler der Welt

Der Metaplot ist ein Gerüst. Die wichtigen Charaktere und Orte, welche von der Spielleitung beständig ausgebaut werden, geben ein Gefühl der konstanten Entwicklung. Diese Figuren und Orte entwickeln dabei im Laufe der Geschichte (hoffentlich) einen eigenen Charakter, an dem sich die Spieler*innen orientieren, aber – ganz wichtig! – ihn auch mitgestalten können. Kaum etwas gibt Spieler*innen so sehr das Gefühl, sich in einer abwechslungsreichen Umgebung zu befinden, als Möglichkeiten zur Interaktion. Umso mehr, wenn diese Aktionen einen dauerhaften Einfluss auf die Spielwelt haben.

Aufgrund der von der Spielleitung präsentierten und von den Spieler*innen mitgestalteten Welt kann die Spielleitung wiederum neue Erzählstränge setzen. So entwickelt sich langsam, aber beständig eine immer komplexer werdende Welt, die den Beteiligten hoffentlich mit der Zeit ans Herz wächst. Dabei ist es nicht so schlimm, wenn man irgendwann das ein oder andere Detail nicht mehr genau in Erinnerung hat oder mit einem Retcon (einer in Übereinstimmung getroffenen Entscheidung, eine zuvor als Tatsache etablierte Begebenheit nachträglich umzuschreiben, um die Handlung voranzubringen) eine im Nachhinein nicht ganz so geglückte Entscheidung revidieren möchte.

Zum Metaplot wird das Ganze nun, wenn die Held*innen nicht mehr anwesend sein müssen, damit etwas geschieht. Dies kann von der Spielleitung genutzt werden, um ganz neue Handlungsstränge zu eröffnen, welche die zurückkehrenden Held*innen beschäftigen können: Der Wirtssohn, der einer Heldin am Vorabend so schöne Augen gemacht hat, wurde entführt? Die geerbte Wohnung der Held*innen wird mittlerweile von einer übelwollenden Firma bedroht? Während der Abenteuer der Charaktere etabliert sich ein neuer Anführer der lokalen Go-Gang?

Mithilfe des Metaplots kann man die Welt und ihre Optionen eingrenzen. © Depositphotos | Elenarts
Mithilfe des Metaplots kann man die Welt und ihre Optionen eingrenzen. © Depositphotos | Elenarts

Das sich immer dichter spannende Erzählwerk bleibt dennoch stark von der Interaktion mit den Held*innen abhängig: Wenn die Spieler*innen ein gewisser (großer) Handlungsstrang partout nicht interessiert, liegt es an der Spielleitung, diesen Handlungsbogen entweder interessanter zu machen oder ihn zugunsten einer passenderen Alternative abzuändern. Natürlich sollte man die für die übergeordnete Geschichte relevanten Themen und Motive frühzeitig durchscheinen lassen. Eine Spielrunde, welche keinen Gefallen an gotischem Horror und Vampiren findet, wird sich im Barovia des Strahd von Zarovich nur schwerlich wohlfühlen (sofern das überhaupt möglich sein sollte).

Schlussendlich definiert der Metaplot auch die Grenzen der bespielten Welt. Die Spieler*innen können erwarten, dass ihre gesetzten Handlungsfäden aufgegriffen und weitergesponnen werden. Eine Spielleitung, die aus heiterem Himmel – zumindest mehr, als man realistischerweise erwarten kann – die Handlung, das Arsenal an Nichtspielercharakteren und den angeschlagenen Ton des Spiels wechselt, hat entweder einen exzeptionell schlechten Tag erwischt oder lässt erkennen, dass ihr für den angesetzten Spieleabend nichts eingefallen ist. Getreu dem alten Spielleitungsmotto: „Wenn deine Spieler*innen gelangweilt sind, schick zwei Männer mit Uzis in den Raum!“

Ein guter Metaplot beinhaltet mehrere Elemente: Kohärenz, Komplexität und Interaktion.

Planungsvorbereitungen für einen Metaplot

Aus diesen Überlegungen geht hervor, dass sich die Spielleitung vor der anberaumten Kampagne einen Metaplot überlegt haben sollte, oder? Nicht ganz. Die Spielleitung sollte sich zwar selbstverständlich schon vor dem Spiel Gedanken um das Spiel gemacht haben, aber wie schon angedeutet, wirken die Spieler*innen nicht unwesentlich an der Geschichte mit und gestalten so ebenfalls einen guten Teil des Metaplots.

Es lohnt sich – neben der anfänglichen Prämisse wie dem Aufstieg und Fall eines mächtigen Charakters oder Organisation, einer großen Katastrophe oder einer Invasion einer fremden Macht –, sich immer wieder Gedanken darüber zu machen, was sich abseits des großen Hauptstranges tun kann. Und je mehr die Spieler*innen Möglichkeiten zum Eingreifen haben, desto besser!

Vorschläge für spannende Metaplots

Die wohl relevanteste Eigenschaft eines gelungenen Metaplots ist seine Spannung und das dadurch hervorgerufene Interesse der Mitspieler*innen.

1) Aufstieg und Fall eines Helden. Und du bist nicht dabei!

Ein guter Metaplot zeichnet sich dadurch aus, dass die Spieler*innen mitmachen wollen! Wenn man ihnen genug Gründe gibt, in den vorgeschlagenen Plot einzutauchen, werden sie es in den meisten Fällen auch tun. Schließlich sitzt jede*r am Spieltisch, um an einem Abenteuer teilzunehmen. Hier sind vage Andeutungen und Hinweise besser als allzu konkrete Feststellungen. Wenn die Charaktere immer wieder den Namen eines bekannter werdenden NSCs und seiner Taten hören, werden sie vielleicht neugierig. Oder, vielleicht sogar noch besser, sie lassen diese Informationen fürs Erste links liegen und stoßen viel später wieder auf diesen Charakter. In diesem Fall hat sich (eventuell) im Hintergrund der Welt etwas getan und die Spieler*innen bekommen das Gefühl von mehr Tiefe in dieser Welt. Natürlich sollte man zumindest eine grobe Idee gehabt haben, worauf man mit einem einmal eingeführten Charakter hinaus möchte. Und man sollte bereit sein, diese Idee wieder (und wieder) umzuwerfen und neu zu schreiben. Genauso wie bei Charakteren der Spieler*innen können auch die Figuren der Spielleitung ein Eigenleben entwickeln.

2) Der Wirt, dein Freund. Oder doch nicht?

Was macht eine*n Held*in aus? Die Bekanntheit? Der Wagemut? Die überwundenen Hindernisse und glorreichen Taten? All das und viel mehr. Aber jede*r Held*in hat mal klein angefangen. Und so wenig man vorhersagen kann, in welche Richtung sich Charaktere der Spieler*innen entwickeln werden, so nehmen NSCs manches Mal auch unvorhergesehene Wege.

So manche epische Geschichte begann in einer Bar mit einem Glas Milch... © Depositphotos |  lacheev
So manche epische Geschichte begann in einer Bar mit einem Glas Milch… © Depositphotos | lacheev

Anders ausgedrückt, wenn man als Spielleitung den Spieler*innen eine breite Auswahl an Anknüpfungspunkten anbietet, werden die Beteiligten der SL schon bald zu verstehen geben, von welchen Charakteren sie auch weiterhin mehr sehen möchten. Das schafft einen Wiedererkennungswert und Vertrautheit, von dem das Spiel nur profitieren kann. Vielleicht möchte beispielsweise die Tochter des lokalen Wirts, dessen Taverne der Treffpunkt der Held*innen ist, selbst ihren Idolen nacheifern und trifft die Held*innen nach vielen Abenteuern in einem Dungeon wieder?

Andererseits können auch NSCs, welche zunächst von den Charakteren und Spieler*innen übersehen oder nicht für relevant befunden wurden, später wiederkommen. Hier sollte man als Spielleitung eine feine Gratwanderung zwischen dem Wiederverwenden bereits bekannter und dem Einführen komplett neuer Charaktere wahren. Besonders wenn die Spielrunde länger an einem Ort verharrt, wo man davon ausgehen kann, bereits bekannte Gesichter wiederzusehen.

Wenn der Metaplot nicht gut ankommt

Es kann immer wieder vorkommen, dass die Vorschläge für einen interessanten Metaplot den Spieler*innen nicht gefallen. Vielleicht waren ihnen die präsentierten NSCs nicht ansprechend genug. Möglicherweise war ihnen das Schicksal der zu bespielenden Siedlung egal. Und vielleicht hat die SL die Anziehungskraft der Geschichte um einen aufstrebenden neuen Kult überschätzt. Jedenfalls hat der Plot sie nicht in ihren Bann gezogen.

In diesem Fall ist es keine Schande, wenn man sich dazu entschließt, die begonnene Erzählung gut sein zu lassen und einen neuen roten Faden zu spinnen. Spielleitungen, welche mit Nachdruck nur ihre eigenen Geschichten erzählen wollen, unbeachtet der Bedürfnisse ihrer Spieler*innen, finden eventuell als Autor*innen ein geneigteres Publikum.

Fazit

Geschichten, die dazwischen geschehen. NSCs, die ihre eigenen Abenteuer erleben. Auf den ersten Blick scheint sich der Metaplot sehr stark um das Kopfkino der Spielleitung zu drehen. Und in gewissem Maße ist das durchaus richtig. Die Spielleitung muss bei einem mehrere Sitzungen übergreifenden Plot Spannung aufbauen, Erwartungshaltungen hervorrufen und den Eindruck erwecken, dass die Geschichte größer als die aktuelle Szene ist. Das ist keine triviale Aufgabe, und manche Spielleitungen bevorzugen gerade deswegen eher One-Shots. Dennoch ist es eine absolut empfehlenswerte und tolle Beschäftigung, sich mit den sitzungsübergreifenden Handlungssträngen zu beschäftigen, zu überlegen, welche Charaktere sich abseits des Rampenlichts wie weiterentwickelt haben und worum es in der erzählten Geschichte eigentlich geht.

Nicht jede Rollenspielrunde muss eine epische Geschichte erzählen. In den Dungeon zu gehen, die Türe einzutreten, das Monster zu erschlagen und seine Schätze einzusacken, ist spaßig und unterhaltsam. Dennoch spielen viele Rollenspieler*innen Pen-and-Paper, um genau dieses Versprechen einzulösen: Die eskapistische Reise in eine fantasievolle Welt, in welcher man gemeinsam aufregende Abenteuer und eine epische Geschichte erleben kann. Die Idee, eine Welt im Geist zu erkunden. Und was könnte unterhaltsamer sein?

 

 

Artikelbilder: © Depositphotos | Curvabezier
Layout und Satz: Verena Kröger
Lektorat: Gloria Puscher

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