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Nicht selten werden im Pen&Paper-Rollenspiel Charaktere gespielt, deren Können und Wissen sich von denen ihrer Spieler*innen unterscheiden. In der Regel ist das kein großes Problem. Aber was, wenn doch? Inwiefern kann diese Diskrepanz hinderlich sein, und welche Möglichkeiten gibt es, um dem entgegenzuwirken?

Einer der Reize des Rollenspiels ist es, einen Charakter zu verkörpern, der man selbst nicht sein kann. Sei es, weil der Charakter aus einem Fantasysetting stammt und somit im echten Leben gar nicht erst existiert, oder sei es, weil er andere Fähigkeiten hat als man selbst. So taucht man als jemand völlig anderes in fremde Welten ein. Doch dadurch wird es mit großer Wahrscheinlichkeit zu Diskrepanzen zwischen dem eigenen Können und dem Können des Charakters kommen.  

Ist diese Diskrepanz relevant?

Je nach Spielstil der eigenen Gruppe lassen sich solche Unterschiede im Können und Wissen vermeiden oder umgehen. Eine große Rolle spielt hierbei das Würfeln. Durch einen Würfelwurf wird ermittelt, ob eine Aktion des Charakters erfolgreich war oder nicht. Als Spieler*in muss man in diesem Fall nicht wissen, wie man ein Schloss knackt, denn der Charakter weiß es. Bei einem Spielstil, der sich auf das Wichtigste konzentriert, ist das Ergebnis des Würfelwurfs die einzige relevante Information. Eine Beschreibung, wie die entsprechende Aktion ausgeführt wird, ist dabei nicht unbedingt nötig.

Bei Gruppen, deren Fokus vor allem auf dem rollenspielerischen Aspekt liegt, kann eine solche Diskrepanz eher zu Problemen führen. Denn wenn man alle Aktionen, Reaktionen und Interaktionen nicht nur benennt, sondern auch ausspielt, dann müssen die Spieler*innen über ein bestimmtes Wissen verfügen, um diese glaubhaft darstellen zu können. Am relevantesten ist dies bei zentralen Aspekten des Charakters, wie etwa dem Beruf. Verfügt der Charakter beispielsweise über biologisches Expertenwissen, dann wird ein fachliches Gespräch mit Kolleg*innen schwierig sein, wenn die Diskrepanz zwischen dem Wissen des Charakters und dem*der Spielenden zu groß ist. Dadurch kann das Rollenspiel ins Stocken geraten oder in der genannten Situation ganz zum Erliegen kommen.

Lösungsmöglichkeiten

Beim Erschaffen eines neuen Charakters ist dem*der Spielenden häufig klar, wo es Diskrepanzen gibt. Insbesondere trifft dies auf den Beruf des Charakters beziehungsweise seine herausragendste Eigenschaft zu. Welche Möglichkeiten gibt es, zu verhindern, dass sich solche Unterschiede im Wissen von Charakter und Spieler*in negativ auswirken?

Nicht-Ausspielen: Eine Möglichkeit kann es sein, betreffende Situationen nicht im Detail auszuspielen, auch wenn dies für viele vermutlich keine zufriedenstellende Lösung darstellt. Es wird also zum Beispiel nur beschrieben, dass man sich mit Kolleg*innen in ein fachliches Gespräch vertieft. Wörtliche Rede findet nicht statt, und Details des Gesprächs werden nicht genannt.

Kaschieren: Es ist auch möglich, den Mangel an Wissen zu verbergen, indem man ihn kaschiert. Man kann etwa auf eine Frage mit einer Gegenfrage antworten. Das Gespräch wird in eine andere Richtung gelenkt oder man entzieht sich der Situation. Diese Methode wird jedoch spätestens dann Schwächen aufweisen, wenn das Szenario selbst etwas thematisiert, mit dem der Charakter sich auskennt. Hierbei kann die Spielleitung aushelfen, wenn es sich um plotrelevante Informationen handelt, und diese einfach mitteilen. Eine Beispiellösung im Spiel könnte sein, dass der Charakter sich nach einem erfolgreichen Würfelwurf daran erinnert, während des Studiums schon einmal etwas über die entsprechende Information gehört oder gelesen zu haben.

Improvisieren: Wenn das entsprechende Wissen zu einem Thema fehlt, dann denkt man sich etwas aus. Einfach so etwas improvisieren zu können, mag etwas Übung erfordern, kann aber den Spielfluss aufrechterhalten. Am besten funktioniert diese Methode, wenn Spielleitung und Mitspieler*innen ebenso wenig Ahnung von dem Thema haben.

Nachschlagen: Wenn es sich um etwas Spezifisches aus der Spielwelt handelt, etwa den genauen Ablauf eines Zaubers, dann ist dies dem Charakter bekannt. Als Spieler*in kann man in diesem Fall den Rest der Gruppe fragen oder im Regelwerk nachschlagen. Das stört zwar unter Umständen die Immersion, aber es erbringt die gewünschte Information.

Wissen aneignen: Bei dieser Möglichkeit gleicht man den eigenen Wissensstand an den des Charakters an. Ist dieser beispielsweise auf Botanik spezialisiert, kann man sich etwas in das Thema einlesen oder Videos dazu schauen. Man beschäftigt sich also auf die ein oder andere Weise damit. Dabei muss man noch nicht einmal ins Detail gehen. Aber sich einen groben Überblick zu verschaffen, kann schon helfen, den Charakter etwas glaubwürdiger darstellen zu können. Vielleicht findet man auf diese Weise sogar ein neues Hobby.

Andere Charaktere spielen: Dies ist die wohl einfachste Methode, um eine Diskrepanz zwischen eigenem Wissen und Charakterwissen zu vermeiden. Es werden Charaktere gespielt, deren Wissensstand in etwa dem eigenen entspricht. Auf diese Weise schränkt man sich jedoch in der möglichen Charakterwahl ein. Wer hingegen damit kein Problem hat und sich so wohler fühlt, kann diese Möglichkeit wahrnehmen.

Neue Spieler*innen

Bei Spieler*innen, die neu in einem System sind, besteht eine zusätzliche Diskrepanz zwischen eigenem Wissen und Charakterwissen, denn sie kennen sich in der Regel kaum bis gar nicht in der Spielwelt aus, ihr Charakter aber schon. Hierbei können die erfahreneren Mitspieler*innen helfen, indem sie dem Neuling noch vor Spielbeginn die wichtigsten Informationen geben und gegebenenfalls während des Spielens aushelfen. Vielleicht interessiert sich der Neuling auch so sehr für die neue Spielwelt, dass er sich selbst ein wenig einliest. Für den Charakter des Neulings sind drei Möglichkeiten denkbar.

  1. Allgemein: Der Charakter ist möglichst unbedarft und benötigt wenige spezifische Informationen zur Spielwelt, um gespielt werden zu können.
  2. Spezialisiert: Der Charakter übt einen sehr spezialisierten Beruf oder eine Tätigkeit aus, die zwar sehr spezifische, dafür jedoch wenige Informationen zur Spielwelt braucht.
  3. Weltfremd: Der Charakter hat beispielsweise sein Leben lang allein im Wald gelebt und weiß ebenso wenig über die Spielwelt wie die Person, die ihn verkörpert.

 

Wenn andere mehr Ahnung haben

Weltfremd zu sein, ist nicht so schlimm, wie es scheint © sytilin
Weltfremd zu sein, ist nicht so schlimm, wie es scheint © sytilin

Einen Charakter zu spielen, mit dessen Spezialgebiet sich andere Spieler*innen der Gruppe oder die Spielleitung auskennen, kann Vorteile, aber auch Nachteile mit sich bringen. Zum einen kann man von ihnen etwas lernen und so den eigenen Charakter besser aus- und aufbauen. Zum anderen kann es anstrengend oder frustrierend sein, immer wieder darauf hingewiesen zu werden, dass das, was man gerade als Charakter gemacht oder gesagt hat, so nicht richtig war. Falls es sich dabei um die Beschreibung einer Tätigkeit handelt, können entsprechende Spieler*innen gebeten werden, diese Beschreibung zu übernehmen. Alternativ kann man auch um Aufklärung bitten. Ein respektvoller Umgang sollte hierbei auf allen Seiten selbstverständlich sein. Schließlich durchlebt man beim Rollenspiel immer noch fiktive Handlungen, die zwar der realen Welt ähneln können, aber keine exakten Abbildungen davon sind.

Eine Diskrepanz zwischen dem Wissen von Charakter und Spieler*in kann also, auch abhängig vom Spielstil, mal mehr, mal weniger zu Problemen führen. Insbesondere in direkter Rede ausgespielte Interaktionen, sei es mit der Umwelt, NSC oder untereinander, können dadurch behindert werden. Aber es gibt für jedes Spielsystem Möglichkeiten, diese Probleme zu minimieren oder zu beheben. Dazu sollten Spielleitung und Spieler*innen sich über das Verwenden bestimmter Möglichkeiten einig sein. Auf diese Weise können alle etwas voneinander lernen und ihr Spielerlebnis nur verbessern.

Artikelbilder: depositphotos |
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Simon Burandt

1 Kommentar

  1. Ein spannendes Thema – damit hatte ich mich als DSA Spielleiter (seit 2005) bisher noch nicht wirklich auseinandergesetzt. Erst nachdem ich Deinen Text gelesen habe, wurde mir schlagartig klar, dass die aufgeführten Diskrepanzen auch Ursache für die Demotivation eines Spielers sein könnten, der mit hohen Erwartungen verbunden mit hohen Fertigkeitswerten in das Spiel gestartet ist und im Laufe der folgenden Spielabende feststellt, dass sich das Ausspielen seiner Spezialisierung mehr oder weniger auf den Zufallsfaktor seiner Würfel stützt, wenn er sich selbst in dem Themengebiet tatsächlich nicht so gut auskennt, wie die Werte suggerieren.
    Mit der Zeit habe ich den Spielern bei der Entwicklung eines neuen Charakters empfohlen, diesen mit bestimmten Gewohnheiten und Routinen zu versehen, die sich abseits der Spieltechnik bewegen, um diese „ausleben“ zu können – um Spaß am Rollenspiel zu haben.
    Das löst das Problem der tatsächlichen Ahnungslosigkeit in Bezug auf Spielelemente zwar nicht, schafft aber die Möglichkeit einer Kompensation.
    Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob dieses Konzept für „Langzeitcharaktere“, wie sie z. B. in der G7 vorkommen, tragfähig ist.

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