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Die Kommunikation am Spieltisch ist zentraler Bestandteil von Pen&Paper-Rollenspielen. Wann immer Charaktere in irgendeiner Form handeln und mit ihrer Umwelt interagieren, muss am Tisch darüber gesprochen werden. Dabei gibt es verschiedene Ansätze, die Vor- und Nachteile haben oder gar zu Verwirrung führen können. Eine kurze Betrachtung.

Fern von der Rollenspieltheorie mit ihrer Einordnung in Spielertypen oder Spielvarianten geht es im Pen&Paper letztlich immer um eine Gruppe Menschen, die sich um den realen oder virtuellen Tisch versammelt und gemeinsam der Realität entflieht. Wir tauchen in fremde Welten und Zeiten ein, erleben wilde Geschichten und verkörpern ganz unterschiedliche Charaktere.

Diese Charaktere sollen innerhalb der Spielwelt handeln können, sonst wären Spielabende recht langweilig und schnell vorbei. Damit das möglich ist, müssen die Handlungen am Tisch kommuniziert werden, und dort beginnt dieser Artikel. Wie macht man das? Wo liegen Vor- und Nachteile der verschiedenen Konzepte?

Es gibt keine offiziellen Untersuchungen und Studien zu diesem Thema. Die Game Studies oder Ludologie befasst sich zwar auch mit Pen&Paper, aber doch eher am Rande. Deswegen wird meine persönliche Meinung einfließen, dennoch soll so neutral wie möglich mit dem Thema umgegangen werden.

Lest euch gerne auch die beiden Artikel von Roger Er oder ich – Immersion und die dritte Person und Er oder ich – die Tiefe der Immersion in der dritten Person durch.

Am Anfang war das Wort

© Depositphotos | pio3
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Wir sind es immer mehr gewohnt, Dinge immersiv wahrzunehmen. Von Ego-Shootern über Virtual Reality (VR) bis hin zu sich mitbewegenden Kinostühlen geht der Trend zum ganzheitlichen Erlebnis von Medien. Immersion bezeichnet weitestgehend das Eintauchen in eine erzählte Welt, das kennt vielleicht der ein oder andere vom Lesen spannender Geschichten oder von einem fesselnden Film. Dieses Erlebnis ist gut für den Zuschauer (Lesenden, Hörenden, …), der damit alles intensiver wahrnimmt.

Im Rollenspiel hat man wenige solche Hilfsmittel. Ein Stift oder das Papier, wer es mag vielleicht eine App oder Hilfsmittel am Laptop, unterstützen die Erzählung. Keines dieser Hilfsmittel taugt aber dazu, Immersion zu erzeugen. Wir können den Tisch herrichten, das Licht dimmen oder Kerzen aufstellen. Wir können Handouts im Stile der bespielten Zeit erstellen oder Essen kochen, das typisch für diese ist. Das hilft alles, aber es reicht für einen stark immersiven Effekt nicht aus.

Was uns bleibt ist die Sprache. Worte sind ein mächtiges Werkzeug, das zu wesentlich mehr in der Lage ist, als manche glauben. Worte können Menschen begeistern, sie können verletzen und bestärken. Mit Worten kann man kurz und knapp starke Emotionen verursachen. Dies nutzen Spielleiter im Besonderen, um die Welt mit Worten zu malen, in der sich die Charaktere bewegen. Charaktere, deren Handlungen von Spielern bestimmt werden.

Ausdrucksarten

Ist alles hergerichtet und vorbereitet, versammeln sich Spieler und Spielleiter um den Tisch und versetzen sich gemeinsam in eine Welt, die fremd oder vertraut sein kann – in jedem Fall aber anders als die Realität. Die Charaktere sind fiktive Lebewesen, auf denen Erwartungen ruhen und denen die Spieler gewisse Eigenschaften zuschreiben: Aussehen, Verhalten, Gewohnheiten, Ängste und Ähnliches.

Der Spielleiter beschreibt die Vorgänge der Welt, und die teilweise minutiös ausgearbeiteten Charaktere sollen nun ihre Umwelt erleben und darauf reagieren. Spätestens an dieser Stelle des Abends beginnt die erste Formulierung „in character“ oder Handlung „in time“, also der Beginn der Handlung innerhalb der erdachten Welt.

Ich

Die intensivste beziehungsweise am stärksten immersive Form der sprachlichen Gestaltung im Rollenspiel ist das erste Personalpronomen. Dieses Wort vereint die beiden Wesen Spieler und Charakter zu einer Handlungseinheit. Spieler versetzen sich in die Figur hinein, die vielleicht sogar als kleine Miniatur auf dem Schachbrettmuster steht. Diese Form ist für die Thrillseeker unter den Rollenspielern. Gerade Anfänger sind durch eine Formulierung mit „Ich“ schnell in die Welt entschwunden, spüren Schmerz und Bitterkeit, Freude und Glück der fiktiven Person wie am eigenen Leib.

Genau diese Verschmelzung wird in modernen Medien immer mehr genutzt. Spiele mit VR oder Filme mit langen Passagen aus der Ego-Perspektive in Kombination mit 3D-Effekten gaukeln uns vor, nicht nur etwas durch unsere Augen wahrzunehmen, sondern mit dem ganzen Körper. Diese Art der Unterhaltung fällt uns aber auf Dauer schwer. Speziell im VR-Bereich werden die Folgen auf unsere Gesundheit immer noch untersucht. Einigen wird schlecht oder sie sind orientierungslos.

Das kann einem nicht passieren, wenn man nur Erzählungen zuhört. Es verbergen sich allerdings andere Gefahren in zu viel Verkörperung. Probleme können auf medizinischer Ebene auftreten, aber auch auf emotionaler und ethischer. Medizinisch kann starker Stress Auswirkungen haben. Das tritt aber eher selten und nur bei Risikogruppen auf.

Interessanter und häufiger sind emotionale und ethische Probleme. Eine sehr starke Bindung zu einem Charakter, eine Identifikation mit diesem, kann dazu führen, dass Emotionen auf den Spieler zurückgeworfen werden. Stirbt der Charakter, können zum Beispiel Trauerphasen entstehen, wie beim Verlust eines geliebten realen Menschen, besonders, wenn man unverhofft oder in einer persönlich schwierigen Zeit damit konfrontiert wird. Warum auch nicht? Der Tod mancher Promis rührt viele Fans zu Tränen.

Ethische Probleme entstehen dann, wenn die Handlungen des Charakters einen krassen Widerspruch zu eigenen Werten und Normen bilden. Dabei muss man selbst nicht einmal der Spieler des Charakters sein, der Dinge tut, die beispielsweise moralisch verwerflich sind. Je mehr man sich hineinversetzt, desto leichter kann man nicht mehr trennen zwischen der Person am Tisch und dem Charakter, den er/sie verkörpert.

© Depositphotos | Rawpixel
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Aus erster Hand habe ich einige Runden erlebt, in denen Spieler nicht mehr unterscheiden konnten, ob ein Ausspruch des Gegenübers gegen den Charakter oder die eigene Person gerichtet ist. Es entstand Streit, der in dieser Form noch nie durch eine andere Formulierung entstanden ist. Wörtliche Rede ist dabei eine besonders spannende Form, denn dabei decken sich Charakter und Spieler zu 100 Prozent.

Er/Sie

Macht man einen Schritt weg vom Charakter, nutzen viele die Er/Sie-Form zur Beschreibung. Es wird eine klare Trennlinie zwischen dem eigenen Selbst und der anderen Entität gezogen, welcher gerade schlimme Dinge angetan werden. Das macht es leichter zu ertragen.

Auf der anderen Seite nimmt man sich selbst aber ein Stück des Erlebnisses, denn der Grad der Immersion sinkt hinter dieser sprachlichen Trennlinie. So entstehen Hybridformen zwischen der ersten und der dritten Person. Passagen mit wörtlicher Rede und einer Beschreibung in dritter Person zum Beispiel. Besonders häufig sogar mit der kleinen Formulierung „mein Charakter“.

„Mein Charakter geht auf den Barkeeper zu. Er legt eine großzügige Summe auf den Tisch und sagt: ‚Hey! Gib mir zwei Scotch, ein Pils und die Info, wo ich Terrence finde.“

Diese Art der Darstellung sorgt dafür, dass der Spieler den Grad des Eintauchens in die Spielwelt variieren kann. Wenn Distanz benötigt wird, kann diese Form gewählt werden. Ein ganzheitliches Erlebnis erreicht man damit aber nicht.

Man

© Depositphotos | jandu
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Einer der Anlässe für diesen Artikel ist eine mir bis vor wenigen Monaten unbekannte Formulierung mit „man“. Diese stammt von einem Spieler, der normalerweise stark im Charakter handelt. Wie geht man damit um, wenn plötzlich Sätze fallen wie: „Dann legt man sich auf die Liege und wartet auf den Doc.“

Dieses kleine Pronomen bezeichnet entweder die Allgemeinheit oder eine völlig unbestimmte Person. Die Distanz zu einem speziellen Charakter könnte also in diesem Moment gar nicht größer sein. Im Laufe der Zeit habe ich beobachtet, dass diese Formulierung immer dann gewählt wurde, wenn etwas passierte, bei dem der Spieler auf keinen Fall erwartete, weitere Handlungen machen zu müssen. Es ist eine Art Handlungsbeschleunigung.

Andere Faktoren

Dialekte, Akzente und Fremdsprachen

Es gibt weitere Aspekte sprachlicher Kommunikation, die sich am Tisch bemerkbar machen. Fast alle mir bekannten Rollenspiele haben verschiedene Kulturen und Sprachen in den Regelwerken verankert. Zumeist gibt es eine Art Gemeinsprache, damit keine Sprachbarriere die Gruppe sprengt, aber jeder, der einmal eine Fremdsprache gelernt hat, weiß um gewisse Probleme. Es fehlen Worte oder man hat einen Akzent. Vielleicht hat man einen speziellen Dialekt gelernt und versteht andere Dialekte der gleichen Sprache schlechter.

Ich kenne wenige Gruppen, in denen es um diese Barrieren geht. Manche aber nutzen gerade diese, um ihrem Charakter etwas Besonderes zu geben. Sie sprechen mit Hamburger Dialekt oder französischem, und viele empfinden das eher als störend, denn hilfreich. Das ist Geschmackssache, aber wichtig zu wissen. Man sollte sich also im Vorfeld darüber einig werden, ob das für alle okay ist.

Fremdsprachen sind noch ein bisschen vertrackter. Hat schon mal jemand erlebt, dass am Tisch plötzlich auf Spanisch oder Englisch gesprochen wurde? Und wie wäre das bei Orkisch, Rssahh oder Gnomisch? Von den Spielern wird in diesen Momenten eine starke Transferleistung erwartet: Wen man nicht versteht, auf den darf man nicht reagieren. In anderen Systemen werden für Sprachen sogar Werte vergeben, die deren Beherrschungsgrad darstellen. Englisch mit einem Wert von zwei zu spielen ist sehr schwierig, wenn man eigentlich einen höheren Kenntnisstand besitzt. Darauf noch zu reagieren, als habe man nur Bruchstücke verstanden, umso mehr.

Sprachen und Sprachbarrieren stellen also Hürden dar und brechen mit der Immersion. Ein Dänischer Akzent lässt die wenigsten Spieler an einen Thorwaler denken, sondern an einen Dänen. Übertriebenes Herausstellen von Sprache kann also hinderlich sein. Manchmal aber auch nützlich. Dazu später mehr.

Staying in character

Kommentare „in time“ oder „staying in character“ sind zwei unterschiedliche Begriffe für die gleiche Sache: Der Spieler schüttelt sein eigenes Ich ab, und all das Gesagte findet genau so in der Spielwelt statt. Nebenkommentare oder witzige Sprüche werden dann nach Möglichkeit zu Gunsten des Erlebnisses vermieden. Je nach Spielleiter und Gruppe wird das sehr streng durchexerziert oder etwas lockerer gesehen.

Hat euch schon mal jemand einen Strick gedreht aus dem Satz: „Ich gehe durch die Tür!“? Das kann zum Problem werden, wenn die Tür aus zwei Zentimeter Stahl und verschlossen ist, aber es sollte klar sein, dass der Versuch gemeint ist, die Tür zu öffnen und durchzugehen.

Neben der Art und Weise, wie man sich selbst mit dem Charakter vereint, während man etwas ausdrückt, kommt also auch die Wirkung auf andere Charaktere, egal ob NSC oder SC, zum Tragen. Außerdem versuchen die Mitspieler gemeinsam, den Immersionslevel zu halten.

Erfahrene Spieler

© Depositphotos | SergeyNivens
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Je länger ein Spieler spielt, desto mehr Erfahrung häuft er an. Erfahrung über die Spielwelt und über das Hobby allgemein. Das führt dazu, dass alte Hasen oft schwer zu überraschen sind – und manchmal zu extremen Verhaltensweisen neigen.

Im Allgemeinen gesprochen ist Erfahrung Fluch und Segen zugleich. Durch Wissen über alle möglichen Inhalte des Rollenspiels, wie Funktionsweise von Zaubern und Kenntnis aller potenziellen Gegner, nimmt man sich einen Teil der Immersion selbst. Da kann die Figur im Schatten schnell langweilig werden, weil man ja eh weiß, dass in diesem Gebiet Dunkelelfen herumlungern.

Auf der anderen Seite trifft man jene, die in der Welt aufgehen. So gibt es Menschen, die das Universum von Star Trek bespielen und Klingonisch sprechen können. Oder man lernt Charakterdarsteller kennen, die sich so in eine Rolle einleben, dass sie diese erst am Ende des Spielabends ablegen. Auch das kann schwierig werden, vor allem, wenn sehr ausgefallene Charakterkonzepte dazu kommen. Man hat ja schon alles gespielt.

Klar ist, dass erfahrene Spieler wichtig sind, sie aber an einem gewissen Punkt vielleicht eine neue Motivation finden müssen, weil die bespielte Welt nicht mehr so neu und aufregend ist. Einigen gefällt auch gerade das. Wie immer gilt, dass eine gemeinsame Kommunikationsebene gefunden werden muss, um zusammen am Tisch Spaß zu haben.

Spielleiterseite

Alle Überlegungen im Vorfeld stammen aus der Sicht von Spielern. Spielleiter haben ganz andere Herausforderungen. Identifikation mit einem einzelnen Charakter ist nahezu nie möglich, und wenn, dann nur für kurze Zeit. Außerhalb der wörtlichen Rede habe ich noch nie einen Spielleiter in der Ich-Form reden hören. Spielleiter sind die Welt, sie handeln durch hunderte Charaktere und besitzen omnipotente Macht im System. Dabei ist ihre Aufgabe auch, den Spielern ein gutes Erlebnis zu bieten, mit ihnen zusammen an einer Geschichte zu arbeiten.

Dafür können sprachliche Besonderheiten nützlich sein. Im Gasthaus trifft man eine Schankdame mit nordischem Akzent. Der Mann in der Ecke räuspert sich zu oft. Der Wirt lispelt, ganz unscheinbar, aber konsequent. Einige Zeit darauf belauscht man das Gespräch von zwei Kultisten, und der eine spricht seltsam. Ist das ein Räuspern? Spieler können solche Dinge nebenbei aufnehmen und später wiederentdecken. Moderat eingesetzt kann es den Erzählstil bereichern.

So what? Warum das Ganze?

Warum schreibt jemand darüber, ob man etwas so oder so sagt, es zählt doch letztlich, wie man es meint? Als Spielleiter, und ich leite verschiedene Gruppen, entwickelt man ein Gefühl dafür, wie die einzelnen Spieler Dinge sprachlich ausdrücken. Und auch dafür, wie sehr sie das auf eine immersive Art erreichen wollen. Damit das, was jemand sagt, möglichst unkompliziert auf die Welt übertragen werden kann, beginnt man in der Sprache zu lesen, sie zu deuten. Dies ist ein Grund, warum ich mich damit beschäftigt habe.

Der andere Grund ist, dass die Intensität eines Spieleabends oder einer Kampagne mit der Stärke der Immersion zusammenhängt. Dichte Atmosphäre erschafft man nur mit den richtigen sprachlichen Mitteln. Als Spieler mag ich es, in einem Charakter aufzugehen, mich darin zu verlieren. Manchmal bewusst dumme Dinge zu tun, obwohl ich es besser weiß – mein Charakter weiß es vielleicht nicht. So auch sprachlich. Meine favorisierte Form des Ausdrucks als Spieler ist die erste Person. Warum das so ist, habe ich oben beschrieben.

Sprache wird diskutiert werden, und unser Hobby lebt vom Diskurs. Ich hoffe, mit meinen Ausführungen einige Denkanstöße gegeben und etwas sensibilisiert zu haben. Denn wir nutzen ein mächtiges Instrument, wenn wir uns in Welten und Abenteuern verlieren. Und wenn wir nicht darüber reden, wie wir dieses Instrument im gemeinsamen Umgang nutzen, können wir uns gegenseitig nicht verstehen. Oder wie der Dichter und Philosoph Novalis bereits Ende des 18. Jahrhunderts schrieb: „Jeder Mensch hat seine eigne Sprache. Sprache ist Ausdruck des Geistes.“

Artikelbild: Depositphotos | olly18

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