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Was und wer kam vor dem legendären Captain James Tiberius Kirk? Lange hat Star Trek der Versuchung einer direkten Prequel-Serie oder Neuauflage widerstanden. Doch Strange New Worlds ist mehr als nur eine Ergänzung, findet seine eigene Identität und setzt ein Zeichen für eines der größten Science-Fiction-Franchises der Welt.

New Trek spaltet immer noch die Gemüter. Ein Jahrzehnt lang war Sendepause für neue Star Trek-Serien, nachdem Star Trek: Enterprise 2005 vorzeitig abgesetzt wurde. Diskussionen um die wahre Vision Gene Roddenberrys, um Stil und Modernität gab es schon immer, besonders bei The Next Generation und gerade auch bei Enterprise. Doch bisher halten sich die Diskussionen um Star Trek: Discovery, Star Trek: Picard und die anderen Serien der jüngsten Zeit besonders hartnäckig. Zu unlogisch und düster sind sie vielen, zu wenig Utopie und Idealismus, zu viel zwischenmenschliches Drama.

Man kann lang darüber debattieren, wie viel daran Geschmack ist, wie viel vom Konzept des ursprünglichen Machers noch in diesem oder jenem steckt. Gegen The Next Generation und Deep Space Nine wurden seinerzeit ähnliche Argumente vorgebracht, und reiner Idealismus-Kitsch zieht heute noch weniger als „damals“ – wann auch immer das war.

Star Trek: Strange New Worlds wurde vor seinem Erscheinen mit Sorge und Hoffnung erwartet. Es versprach ein Maß an klassischer Star Trek-Kost, das viele vermissten. Aber die Qualität und der Wille, diesen Stil auch durchzuziehen, mussten natürlich stimmen. Für die meisten Fans hat die Serie geliefert. Zum Erscheinen der zweiten Staffel hat sich Teilzeithelden das Abenteuer um Captain Pike und die Crew der Enterprise vor Kirks Zeit im Kapitänssitz angeschaut und kann das durchaus bestätigen.

Triggerwarnungen

Body Horror, kriegsähnliche Traumata, Diskriminierung, Misshandlung Minderjähriger, religiöser Fundamentalismus

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Story: And now for something completely different …

Bevor James Tiberius Kirk die Enterprise in den 2260ern kommandiert, steht sie (unter anderem) unter dem Kommando von Captain Christopher Pike. Christopher Pike ist Held des ursprünglich nie gezeigten Piloten von Star Trek in den 1960ern, wird schon in Discovery wieder eingeführt und kommandiert für kurze Zeit das namensgebende Schiff von Michael Burnham. In einer Staffel, in der Discovery nach Identität sucht, ästhetisch und thematisch hin und her torkelte, ist Pikes Amtszeit ein ankerndes Highlight. Nun kehrt der erfahrene Captain auf sein eigenes Schiff zurück.

Eine relevante, die Staffel überspannende Story hat Strange New Worlds nicht. Die Spannungsbögen der einzelnen Episoden sind wesentlich wichtiger und präsenter. Im Hintergrund durchlebt Captain Pike eine Krise, die er aus den melodramatischen Ereignissen in Discovery mitbringt. Oft wirken diese Momente aber eher störend, so viel Mühe sich die Serie mit dieser Altlast auch gibt. Letztendlich kulminiert die Identitätskrise des Helden dann im Staffelfinale, das der starken Tradition der Serie folgt und als gute und abgerundete Story auf eigenen Füßen stehen kann. Mit ein paar Szenen Vorbereitung im Laufe der Staffel kann man damit leben.

Die Stories der Episoden sind durchwachsen und dabei auch vom persönlichen Geschmack abhängig. Es gibt definitiv narrativ oder regieseitig starke (Children of the Comet) und schwache (Lift Us Where Suffering Cannot Reach), kreative (Spock Amok) und klassische (The Serene Squall) Einträge. Allgemein ist das Niveau allerdings enorm hoch. Jede Episode macht einen Riesenspaß und bietet eine Bühne für die Charaktere der Enterprise.

Darsteller*innen: Captain Daddy, Mr. Spock & the Lesbian Fashion Spectrum

In einer episodischen Serie im 21. Jahrhundert sind die Charaktere und ihre Darstellung noch einmal wichtiger als im Medium Serie sowieso schon. Und Strange New Worlds sieht sich der zusätzlichen Herausforderung gegenüber, dass eine klassische Star Trek-Serie nach einem ausladenden Ensemble verlangt. Gelöst wird dies ganz traditionell: Episoden haben ihre Spotlights und daneben bekommen manche Figuren mehr Raum und andere weniger. Das durchgehend hohe Niveau der Darsteller*innen, die wissen, wie sie ihren Rollen in wenigen Zeilen Dialog Charakter und Identität geben, hilft dabei enorm.

Am Captain hängt natürlich alles. Und Anson Mount kann seine angenehme Darstellung von Christopher Pike aus Discovery nahtlos in seine eigene Serie übertragen und ausbauen. Der ruhige, erfahrene und im unironischsten Sinne edle Captain Pike wirkt nicht nur wie ein Anker für seine Crew, sondern auch wie ein reales Vorbild moderner Maskulinität.

Pictured: Anson Mount as Pike of the Paramount+ original series STAR TREK: STRANGE NEW WORLDS. Photo Cr: Marni Grossman/Paramount+ ©2022 ViacomCBS. All Rights Reserved.

Natürlich ist die spannende Frage, wie Pike im Vergleich zum berühmten Captain Kirk abschneidet. Kann man einen (In-Welt-)Zeitgenossen der singulären Star Trek-Ikone Kirk überhaupt genug absetzen, ohne dass er einfach nur zu „nicht Kirk“ wird? Seit Picard stellt sich bei keinem Star Trek-Captain diese Frage mehr so deutlich. Mount und den Drehbuchschreiber*innen gelingt dies ganz ohne Probleme, und Captain Pike kann sich nahtlos neben den anderen legendären Kapitänen des Franchise einreihen.

Kirk selbst tritt in einer Folge sogar auf – eindrücklich gespielt und elegant modernisiert von niemand anderem als Vampire Diaries-Alumnus Paul Wesley. Im Kontrast wird noch einmal deutlich, wie Pike ein anderer, auf ganz eigenen Beinen stehender Charakter ist, ohne dass dies Raum nimmt, die Figur James T. Kirk mit all seinem Machismo und seiner Charakterstärke ins 21. Jahrhundert zu übertragen. Pike kann sich gelassen an die Seite stellen und verliert mit seiner väterlichen, persönlichen Art zu führen nie die Autorität, die ein Captain braucht.

Das andere große Erbe aus Discovery ist natürlich Ethan Peck als Mr. Spock. Peck blüht in Strange New Worlds merklich auf. Eine stabile, aber nicht trockene oder übermäßig distanzierte Darstellung des vielleicht berühmtesten Außerirdischen der Welt, ist genau Pecks Metier. Sein Spock ist jünger, aktiver und weniger getragen als die Original-Inkarnation aus den 60ern. Manchmal fragt man sich, wie nahtlos diese beiden Versionen von Spock zusammengehen, doch Peck ist genau der Spock, den Strange New Worlds braucht.

Neben Spock ist, schon von Amts wegen, vor allem „Number One“ Una Chin-Riley als Gegenüber von Captain Pike platziert. Rebecca Romijn (X-Men) spielt nicht die auffälligste oder kantigste Rolle, sondern eine manchmal strenge, manchmal mütterliche rechte Hand des Captains, der sie die nötige Würde und innere Stärke verleihen kann.

Die Führungsriege

Eine besondere Beziehung zu Una Chin-Riley hat die Sicherheitschefin La’an Noonien-Singh. Christina Chongs steife und disziplinierte junge Offizierin ist mit Anbindungen an verschiedene Storyelemente beladen. Nicht nur ist Noonien-Singh eine Nachfahrin des gefürchteten Diktators und Kirk-Nemesis Khan Noonien-Singh, sondern auch die einzige Überlebende eines Massakers. Und doch kann auch Chong nebenbei an der einen oder anderen Stelle ihre Camp-orientierten Comedy-Muskeln spielen lassen und Lt. Noonien-Singh vor allem zu einer runden und starken Figur machen.

Die Brückencrew wird abgerundet durch Erica Ortegas als Pilotin der Enterprise. Melissa Navia macht einiges aus dem Klischee der abenteuerlustigen Pilotin. Ihre Darstellung ist nicht komplex, dafür aber sehr ikonisch und sympathisch. Navia zeigt, was man – gerade in einem großen Cast – aus einem weniger komplexen Charakter machen kann.

Anstatt von Dr. „Bones“ McCoy wird die – natürlich viel beanspruchte – medizinische Abteilung der Enterprise von Dr. Joseph M’Benga geführt, gespielt von Babs Olusanmokun. Auch er kann sich problemlos von seinem berühmten Gegenstück absetzen. M’Bengas ruhige und weise Autorität verstellt nur manchmal den Blick auf seine passionierte und energische Empathie und Durchsetzungskraft.

Seine Begleitung ist eine weitere Figur der Original-Enterprise, Nurse Christine Chapel, in den 60ern gespielt von niemand geringerem als Gene Roddenberry’s Frau Majel. Die australische Schauspielerin und Künstlerin Jess Bush liefert ihre erste größere Rolle mit viel Passion für die lebenshungrige und extrovertierte Medizinerin ab, die schnell auch als romantische Option für Spock in Position gebracht wird. Man muss die Schreiber*innen der Serie allerdings fragen – selbst mit meiner persönlichen Vorliebe für dieses vielgescholtene Klischee – ob sie Nurse Chapel nicht etwas weniger Verbrauchtes oder einfach etwas mehr hätten geben können als den Archetyp der promisken Bisexuellen mit leichten Bindungsproblemen.

Ein wenig außerhalb steht ganz bewusst der andorianische (beziehungsweise genauer gesagt aenische) Chefingenieur Hemmer. Bruce Horaks Figur entschuldigt sich nicht dafür, ein Außenseiter oder eine kantige Persönlichkeit zu sein, und integriert sich gerade dadurch wiederum sehr schön in das Mosaik der Crew.

Chief Hemmer (Bruce Horak)

Und schließlich ist da noch ein letztes Mitbringsel aus den Abenteuern von Kirk und Spock: Nyota Uhura. Als junge Kadettin im Feldeinsatz durchläuft Uhura sämtliche Stationen und Abteilungen der Enterprise und fungiert damit gern auch mal dezent als Point of View-Charakter der Zuschauer. Die Jugendlichkeit der Offiziersanwärterin wird häufig herausgestellt und auch ihr Charakter als neugierige und unsichere Hochbegabte entspricht dem. Es ist vor allem der Schauspielkunst der bisherigen Musical-Darstellerin Celia Rose Gooding zu verdanken, dass Uhura nicht nur jung ist, sondern auch Charakter hat.

Keine der Figuren in Strange New Worlds ist übermäßig komplex oder innovativ. Das müssen sie auch nicht sein, denn das Ensemble schultert die einzelnen Stories in seiner Zusammenstellung großartig und schafft ein Gefühl familiärer Vertrautheit, zu dem man gern immer wieder zurückkehrt. Wenig augenscheinlich, aber umso wichtiger ist dabei der Beitrag, den Strange New Worlds’ gelassener, offener Umgang mit Geschlechter- und Rollenbildern dabei spielt. Nicht nur Captain Pike ist ein erfrischend gesunder Archetyp. Auch seine Crew mag nicht aus komplizierten Persönlichkeiten bestehen, aber doch aus modernen und abwechslungsreichen Charakteren.

Sicherheitsoffizierin La’an Noonien-Singh stirbt nicht nach einer Folge

Nichts symbolisiert das besser, als die Präsenz von Frauen und das Spektrum ihres Erscheinens in der Crew, von der hochfemininen Una Chin-Riley, die gern im 60er-Trek-Uniformkleid zu sehen ist, über die cool-attraktive Präsentation von Nurse Chapel bis hin zu Lt. Ortegas als klassischer Butch, also teilweise maskulin gestylter Frau. Nichts davon ist allzu relevant für den Charakter, geschweige denn für den Wert der jeweiligen Figur. Diese Normalität der Vielfalt fühlt sich in unserer Zeit oft genauso sehr nach Star Trek-Utopie an wie die von Hunger befreite und von Idealismus angetriebene Gesellschaft.

Inszenierung: Cinematisch, praktisch, gut

Strange New Worlds’ Inszenierung dient der Story und den Charakteren. Schon der Vorspann erweckt die klassische Star Trek-Ästhetik bewusst und in aller Deutlichkeit wieder zum Leben. Nichts ist zu dunkel, kein Übermaß an Lens Flares, also starken Spiegelungen der Lichtquellen in der Kamera, überdeckt das Bild. Solide Handwerkskunst im Dienste der Sache ist das Gebot der Stunde.

Dabei ist der Schritt des klassischen Star Trek von einer wöchentlichen TV-Genre-Serie hin zu den Ansprüchen einer eventartigeren Streaming-Präsentation nur im positiven Sinne zu merken. Dem*Der Zuschauer*in wird bewusst, mit wie viel Liebe und Detailreichtum die Elemente gestaltet sind, oder wofür Star Trek in den 80ern einfach kein Geld gehabt hätte.

Und natürlich stößt der Retro-Look mit vollfarbigen Uniformen und klassischen Kommunikatoren die Zuschauer immer wieder auf die Gemachtheit des Ganzen, durchaus auch mit dem Effekt, die modernen Einstellungen und Ästhetiken in Strange New Worlds herauszustellen. Manchmal frage ich mich nur – in einem Anflug sinnloser Fixierung auf Kontinuität vermutlich: Wie hat die Föderation in den wenigen Jahren bis zu Kirks Zeit einen derartigen Rückschritt geschafft, dass die progressiven Einstellungen unserer realen 1960er zum gesellschaftlichen Standard wurden?#

Spock in klassischer Uniform

Eine besondere Erwähnung in Strange New Worlds verdienen die Gorn, die reptiloiden Außerirdischen, mit denen sich schon Captain Kirk wortwörtlich herumschlagen musste. Seit der Ära der Original-Serie hat sich Star Trek nicht mehr wirklich mit den Gorn auseinandergesetzt. Strange New Worlds interpretiert sie nun um zu Horror-Antagonisten, zwar zu interstellaren Reisen fähig, doch in ihrer Biologie und Kultur völlig fremd und oft inkompatibel mit der Föderation – ein geschickter Kniff, der dieses klassische Element aufwertet und das Star Trek-Universum erweitert.

Erzählstil

Das grundlegende und wichtigste Element von Strange New Worlds ist sein episodisches Konzept. Jede Episode wird primär von einem abgeschlossenen Storybogen getragen. Dieser Rückgriff in die klassische Zeit von Star Trek-TV ist ein Kernstück der Identität von Strange New Worlds. Die Serie macht mit ihrem modernen Budget und ihren modernen Möglichkeiten allerdings mehr aus den einzelnen Erlebnissen der Enterprise, als es das Fernsehen des 20. Jahrhunderts vermochte.

Jede Episode behandelt in gewisser Form ein anderes Genre. Und gerade das macht Strange New Worlds so spannend und sehenswert. Nach der klassischen Star Trek-Episode als Pilot nimmt sich die erste Staffel unter anderem Körpertausch-Comedy (Spock Amok), Horror im Alien-Stil (Memento Mori) und Märchen (The Elysian Kingdom) als narrativen Meta-Kommentar vor. Die starken Charaktere halten dabei das Schiff nicht nur wortwörtlich, sondern auch narrativ zusammen und schaffen es immer wieder, ganz verschiedene Genres auszufüllen, ohne sich übermäßig zu verbiegen.

Spock und seine Verlobte auf Vulcan

Oft liegt ein gewisser Humor in den einzelnen Szenen, auch wenn die Episode nicht Comedy ist. Ob er nun eher dezent oder sehr direkt ist – wo er eingesetzt wird, funktioniert er auch, und die Drehbücher überspannen den Bogen nicht. Natürlich gilt hier dasselbe wie bei Strange New Worlds’ Genresprüngen auch: Was einem davon liegt und was nicht, ist im hohen Maße persönlicher Geschmack. Allerdings kann die Serie auch Ideen zugänglicher machen. Persönlich bin ich beispielsweise kein Freund von Horror in den allermeisten Formen, doch mit Charakteren, an denen man wirklich hängt, und einer etwas zurückhaltenderen Inszenierung konnte mich Memento Mori durchaus fesseln.

Die harten Fakten:

  • Showrunner: Akiva Goldsman, Henry Alonso Myers
  • Darsteller*in(nen): Anson Mount, Ethan Peck, Rebecca Romijn
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Englisch
  • Format: Streaming, ca. 50 Minuten
  • Preis: im Abo enthalten
  • Bezugsquelle: Paramount+

 

Fazit

Star Trek: Strange New Worlds ist das Beste, das Star Trek heute zu bieten hat. Es verbindet auf höchstem Niveau Altes mit Neuem. Klassische Stories treffen auf modernes Charakterspiel, Star Treks maßgebliche Utopie wird elegant ins 21. Jahrhundert geholt. Wo Discovery, Picard oder auch Lower Decks neue Perspektiven auf Star Trek entwickeln, will Strange New Worlds die Tradition am Leben halten und erneuern. Die Idee, von Genre zu Genre zu wandern, unterfüttert das episodische Konzept. Und der wunderbare Cast kann die nötige Stabilität und vertraute Atmosphäre schaffen, um das Projekt mit Leben zu füllen. Anson Mounts Captain Christopher Pike reiht sich elegant in die Linie legendärer Star Trek-Kapitäne ein. Mein persönlicher Liebling ist er schon jetzt.

 

  • Großartige Charaktere und Darsteller*innen
  • Wechselnde Genre, immer auf hohem Niveau
  • Klassisches Star Trek im modernen Gewand

 

  • Nicht jedes Genre ist für jede*n attraktiv

 

Artikelbilder: © Paramount Pictures
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Saskia Harendt

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