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Ein unerklärlicher Waldbrand mit Todesfolge, ein toter rosa Flussdelphin am Meeresstrand von Rio de Janeiro und ein Umweltpolizist, der in die verborgene Welt der brasilianischen Legenden stolpert. Das alles bildet die Grundlage der Netflix-Serie Unsichtbare Stadt, die sich Gastautorin Anne neugierig angesehen hat.

Wer die Serie Grimm abgebrochen hat, findet mit der Netflix-Serie Unsichtbare Stadt eine neue Chance auf eine gelungene Urban Fantasy-Krimigeschichte mit mythologischem Hintergrund.

Der Mythos vor der Haustür

Umweltpolizist Eric (Marco Pigossi) verliert seine Frau Gabriela (Julia Konrad) in einem Feuer nahe eines Dorfes, dass für ein Bauprojekt umgesiedelt werden soll. Die Ermittlungen werden jedoch eingestellt. Als der Leichnam eines rosa Delphins sich in einen Mann (Victor Sparapane) verwandelt, nutzt Eric die Gelegenheit, um selbst ermitteln zu dürfen, indem er diesen dorthin bringt, wo seine Frau starb. Dadurch stolpert er in eine Welt, von der er nichts geahnt hat und erfährt die Wahrheit über den Selbstmord seiner eigenen Mutter. An seiner Seite steht dabei der Dorfälteste Ciço (José Dumont), der die Geheimnisse dieser Anderswelt kennt und dadurch tragende und verknüpfende Figur der Handlung wird.

Was anfangs wie ein Standard-Polizeikrimi wirkt, wird schnell eine verwobene Geschichte über brasilianische Mythologie, Umweltschutz und Verlust. Frustrierende Bürokratie, geldgierige Immobilienmakler*innen und Vorurteile dürfen natürlich auch nicht fehlen. Diese Kombination erinnert stark an Grimm, jedoch entsteht durch Einblicke in die Entstehung der sogenannten Entitäten – Wesen der brasilianischen Mythologie, wie zum Beispiel der rosa Delphin – auch eine Brücke zu Hüter des Lichts.

Interessanterweise nutzt der deutsche Untertitel den Begriff „Wesen“ – wie sie auch bei Grimm genannt werden, der englische hingegen „Entitäten“, was eine treffendere Bezeichnung und die korrekte Übersetzung des portugiesischen Begriffs ist. Die Assoziation zu Grimm beginnt allerdings schon mit dem Aussehen des Protagonisten. Marco Pigossi als Eric ähnelt Nick Burkhardt-Darsteller David Giuntoli bis zu dem Punkt, dass er seltener schießt und häufiger oberkörperfrei herumläuft.

Das hierbei Stilmittel wie „jemanden in den Kühlschrank stecken“ und „der Außenseiter ist schuld“ verwendet werden, ist zum Teil verzeihbar, da zumindest Letzteres gut mit der Paranoia der Figuren übereinstimmt.

Darsteller*innen

Alle Schauspielenden der Entitäten überzeugen in ihren übernatürlichen Rollen, sie schaffen es – mit Hilfe von gezielt gesetzten visuellen und akustischen Effekten – ihre Fähigkeiten zu demonstrieren.

Den menschlichen Figuren fehlt es gelegentlich an Tiefe, da sie auf Grundbedürfnisse (nicht umziehen wollen, Dinge in die richtige Ordnung bringen wollen …) beschränkt sind, dies tut der schauspielerischen Leistung jedoch keinen Abbruch. 

Besondere Highlights sind die Cuca (Alessandra Negrini) und Gabriela, die innere Stärke auf komplett unterschiedliche Weisen ausstrahlen.

Es gab einige Versuche Diversität einzubinden, die teils gelungen, teils wie ein Nachgedanke eingefügt wurden. Der einbeinige Saci (Wesley Guimarães) mit Beinprothese und der Curupira (Fábio Lago), der aufgrund seiner verdrehten Füße einen Rollstuhl nutzt, scheinen plausibel. Die Depressionen von Erics Mutter, sowie eine durch die Kräfte der Cuca hervorgeholte Ablehnungserinnerung einer anderen Figur eher weniger. Dennoch ist die Botschaft, dass an ihrer Queerness nichts falsch ist, sehr wichtig und gut umgesetzt.

Das Hauptprobleme der Dialoge ist, dass die Entitäten scheinbar nicht in der Lage sind Informationen ohne Umwege zu vermitteln, dadurch entstehen unnötige Konflikte, die durch ein simples Gespräch schnell behoben werden könnten.

Eventuell liegt es an der deutschen Übersetzung, aber auch der genaue Plan für das Dorf wird aus den Gesprächen nicht deutlich, so sehr er Bestandteil einer der Konflikte ist.

Inszenierung

Die Spezialeffekte sind gezielt eingesetzt und machen die Begegnungen mit der Iara (Jéssica Córes), dem Curupira und der Cuca entsprechend glaubwürdig. Das verbunden mit dem fließenden Intro, das von Ton und Gestaltung an Daredevil (Netflix) erinnert, sorgt für ein angenehmes Gesamtbild.

Interessanterweise spielt die Geschichte in Rio de Janeiro, doch im Gegensatz zu europäischen – und teils nordamerikanischen – Produktionen wird es nur durch Nummernschilder deutlich, anstatt der ständigen Präsentation bekannter Sehenswürdigkeiten. Es könnte genauso gut in jeder anderen beliebigen Region spielen.

Sollte die Serie darauf ausgelegt worden sein düster zu wirken, nehmen die vielen Szenen im strahlenden Sonnenschein diesem Vorhaben den Wind aus den Segeln. Dennoch sind Parallelhandlungen und Übergange wunderbar gestaltet.

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Erzählstil

Die Geschichte folgt in erster Linie Eric, springt aber häufig zu den Entitäten oder anderen Nebencharakteren. Jede Folge steigt mit einem Rückblick ein. Zunächst Gabrielas Tod, dann die Entstehungsgeschichten der Entitäten. Letzteres wird erst am Ende der jeweiligen Erzählung deutlich, obwohl die Schauspielenden für die Szenen genutzt werden. Es ist ein nettes Mittel, um die Figuren näher zu bringen. Es lässt jedoch offen, ob die Entitäten einmalig sind oder durch einen neuen Menschen wieder erschaffen werden können.

Die kurzen Folgen werden vollständig genutzt, um die Geschichte zu erzählen, bieten dadurch aber leider wenig Zeit zum Durchatmen. Dies erschwert ein Mitfiebern beziehungsweise Mitleiden mit einigen der Charaktere, wodurch die Spannung leider auf der Strecke bleibt.

Eine weitere Verknüpfung zu Grimm ist das Kinderbuch, das gelegentlich genutzt wird, um mehr über die Entitäten zu erzählen. Leider geschieht dies nicht ausführlich genug, um als unwissende Person einen guten Überblick darüber, wer sie sind und was sie können, zu bekommen. Für Zuschauende, die mit den Geschichten aufgewachsen sind, ist es ausreichend, für die Verwendung auf einem breiter gefächerten Markt etwas notdürftig.

Leider ist nicht erkennbar, was genau die namensgebende unsichtbare Stadt sein soll. Selbst wenn damit das versteckte Leben der Entitäten unter den Menschen gemeint ist, suggeriert es doch eine eigene Gemeinde. Zumindest in dieser Staffel wird dies nicht gezeigt. Ob es in der angekündigten Fortsetzung geschieht, bleibt abzuwarten.

Die harten Fakten:

  • Regie: Luis Carone, Júlia Pacheco Jordão
  • Darsteller*innen: Marco Pigossi, Julia Konrad, Alessandra Negrini, José Dumont
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Portugiesisch, Englisch, Deutsch als Untertitel
  • Format: Serie
  • Bezugsquelle: Netflix

 

Fazit

Die oben genannten Kritikpunkte sind Meckern auf hohem Niveau, denn die Serie ist interessant inszeniert und bietet einen faszinierenden Einblick in die brasilianische Mythologie.

Der etwas ruhigere Erzählstil überzeugt und verleiht dem Ganzen einen märchenhaften Hauch, der doch in der Realität, durch die bürokratischen Elemente, verankert ist.

Mehr zu mythologischen Themen in Medien findet ihr in unserer Rubrik.

  • Respektvoller Umgang mit Mythologie
  • CGI gut eingebunden
  • Gute Verbindung der Elemente
 

  • Kommunikation zwischen den Charakteren
  • Zu wenig Luft zum Atmen

 

Artikelbilder: © Netflix © Prodigo Films
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

Über die Autorin

Anne Zandt lebt im wunderschönen Mecklenburg-Vorpommern. Wenn sie nicht gerade die Welt erkundet, Aktionen für ihren Blog plant und umsetzt oder Messeauftritte u.ä. organisiert, schreibt sie vor allem Kurzgeschichten im Genre der Fantastik.

 

 

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