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Begriffe wie „Metaplot“, „Sandbox“ und „Railroading“ fallen gerne am Spieltisch. Wir wollen uns in diesem Beitrag diese Begriffe einmal näher ansehen und schauen, wie sie sich für unsere Spielrunden nutzen lassen. Das Spiel im Sandkasten macht mit Zügen schließlich viel mehr Spaß.

Die Sandbox – Versuch einer Begriffsdefinition

Wenn man etwas länger mit Pen-and-Paper die schönste Beschäftigung der Welt betreibt, wird man recht zwangsläufig auf mehrere Worte aus dem Fachvokabular gemeiner (und lieber) Rollenspieler*innen treffen. Begriffe wie W20, Kritischer Treffer, Loot und Erfahrungspunkte sind Teil des alltäglichen Jargons unter Rollenspieler*innen. Etwas später trifft man auf zwei sehr spezifische, scheinbar gegensätzliche und sich vielleicht auch ergänzende Begrifflichkeiten – die der Sandbox und des Metaplots.

Eine Sandbox ist ein Urquell des Rollenspiels. Nicht umsonst haben viele von uns ihre ersten Burgen in einer kleinen Kiste, gefüllt mit Sand und dazu viel Fantasie, errichtet (und so manche haben diese frühkindliche Fantasie dann als Erwachsene etwas weiter gedacht).

Im Kontext des Rollenspiels bleibt die Sandbox genau das – ein Spielplatz für unsere Fantasie. In einer Sandbox geht es um die Erfahrungen, Wünsche und Handlungen der Charaktere der Spieler*innen und die Konsequenzen aus ihren Handlungen. Eine klassische Sandbox zentriert die Geschehnisse um die Abenteuer der Held*innen, ihre Erfolge, wie auch ihre (temporären) Niederlagen, bis sie an das selbstgesteckte Ziel kommen.

Ein extremes Beispiel einer Sandbox wäre die Belehnung der Heldengruppe durch die lokalen Autoritäten. Wenn die Held*innen eine Baronie (oder jedwede andere Form eines Questhubs) zur dauernden Verfügung und Verwaltung erhalten, ergeben sich daraus gleich mehrere Folgen. Die Spieler*innen und ihre Charaktere erhalten eine Basis, einen Questhub, von welchem sie aus immer wieder in die wilde Umgebung vorstoßen können und werden.

Unser Wille formt die Welt, unsere Wünsche erschaffen das Spiel. Wie sieht deine Welt aus? Foto © FreerLaw | depositphotos.com

Mit ihrer Verankerung in der Welt hat die Spielleitung einen festen Punkt, mit dem sie arbeiten und neue Abenteuer erschaffen kann. Ein fixer Ort, von dem aus die Charaktere in die Welt aufbrechen und wieder zurückkehren werden, kann auch viel schöner bespielt und ausgeschmückt werden als ein nur temporärer Unterschlupf der Charaktere. Eine Vault im Fallout-Universum, die Arche in Mutant Year Zero, eine eigene Motte in Pendragon. All dies sind großartige Zentren einer Sandbox, die von diesem Punkt an erforscht werden kann.

Die Sandbox ist genau das, was sie für uns als Kinder war – ein wunderbarer und ungemein kreativer Ort für unsere Vorstellungskraft. Wir haben Burgen aus Sand gebaut, Kanäle gegraben und Paläste in unserer Fantasie erschaffen. So weit entfernt davon sind wir am Spieltisch nicht (auch wenn wir jetzt keine Schaufel mehr brauchen werden). Die Sandbox wird von den Spielleitungen angeboten und durch die Kreativität und den Willen der Spieler*innen gestaltet. Die Charaktere haben in dieser Herangehensweise maximal möglichen Gestaltungsspielraum, den ihre Spieler*innen hoffentlich nutzen werden. Spielleitungen sind in dieser Art des Spiels etwas zurückhaltender als normalerweise und geben immer wieder Probleme und Optionen vor, aber grundsätzlich wird das Spiel hier vor allem durch die Charaktere vorangetrieben und gestaltet.

Der Metaplot und der Unterschied zum Railroading

Niemand fährt gerne Zug. Zumindest nicht im Rollenspiel, wenn das sogenannte Railroading die Möglichkeiten zur Entfaltung der persönlichen Held*innengeschichte einschränkt. Seien es Dungeons, in welchen die Optionen zum Weiterkommen auf „rechts oder links weiter?“ beschränkt sein können, oder in großen Erzählungen wortgewandter Spielleiter*innen, welche mit so erdrückendem Pathos und weltbewegendem Plot anrücken, dass die Charaktere dermaßen an die Wand gedrückt werden, dass sie zu Nebencharakteren in ihrer eigenen Geschichte degradiert sind. Spielleiter*innen mit einem derartigen Meisterstil wären wohl besser Autor*innen geworden.

der Tunnel kann einer Geschichte helfen, aber man fühlt sich wie auf Schienen gedrängt. Foto © 3dmentat | depositphotos.com

Das ist ja das eigentliche Problem: der Spielleiter, wenn er unerfahren ist, muss mit der freien Entscheidungsfähigkeit der Spieler umgehen. Und die machen wirklich jede vorbereitete Geschichte kaputt. Rennen immer woanders hin. Haben irgendwelche Ideen. Sind immer dümmer als du es brauchst und viel genialer, als du es dir vorstellen kannst. Und deswegen brauchen gerade unerfahrene Spielleiter am Anfang sehr einfache Geschichten und da ist halt der Tunnel, das Dungeon, die eingeschränkte Handlung, die Railroad, die beste Methode, das langsam zu lernen. Aber die mittel- und langfristige Entwicklung muss immer eine Emanzipation sein, die Möglichkeit, wirklich das Versprechen einzulösen, das ist eine ganze Welt, in der du spielen kannst.

– Hadmar von Wieser, Hinter der Maske des Meisters

Gerade Das Schwarze Auge ist ein schönes anschauliches Beispiel für einen ausufernden Metaplot, welcher einen gesamten Kontinent namens Aventurien umfasst. In diesem finden sich genügend weiße Flecken für eigens erfundene Abenteuer, aber es ist allen Spieler*innen und ihren Meister*innen durchaus möglich, kleine und epische Geschichten nachzuspielen, wie schon hunderte Spielrunden vor und nach ihnen.

Dem Nachspielen einer Geschichte, die dem Metaplot einer Welt folgt, liegt ein ganz eigener Reiz zugrunde – hat man erst einmal gewisse Bösewichte besiegt, holde Drachen gerettet und bösartige Jungfrauen besiegt, kann man sich mit vielen anderen Spieler*innen darüber austauschen, wie man die Geschichte erlebt hat (und jede, wirklich jede Spielrunde wird ein Abenteuer nicht auf ganz die gleiche Art erleben wie ihre Mitspieler*innen).

Ein Metaplot ist zunächst einmal eine Geschichte, die unabhängig von den Charakteren stattfindet. Während die Held*innen gerade dabei sind, ein Dungeon auszuräumen, findet gerade ein paar hundert Kilometer links davon ein Thronfolgekrieg statt. Während die Chummer*innen einer neuen Runnergruppe in Seattle des Jahres 2070 ihren Turf ausbauen und gemütlicher machen, bekriegen sich zwei mächtige Go-Gangs in ihrer näheren Umgebung. Während des Untergangs des römischen Britanniens versucht eine Gruppe junger Ritter, sich am Hofe König Artus‘ zu beweisen.

All diese Abenteuer können ohne weiteres abseits der „großen Politik“ stattfinden, und es ist vielleicht auch besser, wenn sich die Spieler*innen und ihre Charaktere erst langsam in die „große Welt“ hinauswagen. Wichtig ist, dass der Metaplot unabhängig von den Charakteren stattfindet. Und irgendwann trifft er auf die Gruppe und wird ihre Aufmerksamkeit fordern.

Die Kunst ist hier, den Spieler*innen genügend Freiheiten zu geben, auf einen Metaplot zu reagieren, aber gleichzeitig die Bedrohung durch eben diesen groß genug erscheinen zu lassen, damit sie ihn auch nicht ignorieren können. Was werden die Spieler*innen gegen eine langsam anrückende Orkhorde tun? Was können die Charaktere gegen das langsame Verschwinden der Magie aus der Welt ausrichten? Und ist es möglich, das drohende, unaufhaltsame Auseinanderbrechen der Realität doch noch aufzuhalten?

Manchmal fühlt sich Spielleiten wie ein Labyrinth an. Foto © scanrail | depositphotos.com

Man muss natürlich nicht gleich die ganz großen Kaliber auspacken, um die Spieler*innen bei Laune und ihre Charaktere unter Spannung zu halten. Es muss nicht immer gleich das Ende der Welt sein (auch wenn das bei einem magischen Setting ein toller Kampagnenstart für eine von Anfang an hochstufige Runde wäre). Ereignisse, die ihren Schatten schon lange vorausgeworfen haben und endlich eintreten, sind Metaplot. Wenn sie endlich auf die Charaktere treffen, werden diese Geschehnisse zu spielrelevanter Handlung. Damit geben sie den Spieler*innen die notwendige Illusion, dass sich in der Umgebung der Charaktere auch abseits ihrer Aktivitäten etwas tut. Das macht die bespielte Welt gleich viel realistischer.

Der Unterschied eines Metaplots zum meist verhassten Railroading ist die feine Trennlinie, ob die Charaktere und ihre Spieler*innen trotz aller Probleme noch so etwas wie Entscheidungsfreiheit haben. Eine Geschichte ohne echte Handlungsoptionen ist ein nachgespielter Roman. Für manche Spielrunden ist das auch genau die richtige Herangehensweise an dieses tolle Hobby, aber die allermeisten Spielrunden schätzen die Freiheit der eigenen Handlungsmöglichkeit – oder zumindest die Illusion davon:

„[Bezogen auf die Kampagne der Sieben Gezeichneten, einer als sehr „railroadlastig“ verschrienen Kampagne aus Das Schwarze Auge] […] so eine Geschichte muss ich ja mit einer gewissen strukturierten Handlung machen, damit ein halbwegs normaler Spielleiter das handeln kann. Ich kann natürlich einfach eine riesige Werkstattbox auf den Markt schmeißen, wo einfach drinnen steht, hier Bösewicht mit folgenden Schurken, bau dir irgendetwas zusammen. Aber damit würde ich ja meinen Job nicht machen, mein Job ist es ja letztlich, für unerfahrene, wenig erfahrene, oder Spielleiter, die zwar Erfahrung, aber wenig Zeit haben, eine Geschichte vorzubereiten, so, dass sie sie spielen können. Und damit muss ich, auch, wenn ich das selber gar nicht so gerne habe, immer wieder Railroading-Möglichkeiten anbieten. Und dass diese Kampagne gewisse Plotpoints und -elemente hat, das ist einfach klassisches Schreiben. Das ist die Dreiaktstruktur im griechischen Drama, die Fünfaktstruktur, die Reise des Helden, […] wie auch immer man es aufbaut, aber […] wenn du eine Geschichte baust, hat sie ein paar klassische Elemente, die stattfinden müssen“.

– Hadmar von Wieser, Hinter der Maske des Meisters 

Vorgefertigte Abenteuer, die nicht von Spielleitungen improvisiert, aus dem Ärmel geschüttelt und aus den Fingern gesogen werden, haben immer ein gewisses Element der Handlungsnotwendigkeit – wenn die Spieler*innen partout nicht der vorgeschlagenen Handlung aus dem Kaufabenteuer folgen mögen, haben Spielleiter*innen, die nicht improvisieren können oder wollen, ein Problem.

Eine Welt voller Möglichkeiten oder doch nur ein Roman zum Nachspielen? Foto © mike_kiev | depositphotos.com

Diesem kann man auf mehrere Arten begegnen: man kann als Spielleiter*in ehrlich zugeben, dass die Charaktere gerade dabei sind, die Grenzen der Welt zu verlassen und sie ersuchen, doch bitte einem vorgegebenen Pfad zu folgen. Man kann wie im Dungeons & Dragons-Abenteuer Der Fluch des Strahd die Grenzen so hart einbetonieren, dass die Spieler*innen gar keine anderen Möglichkeiten haben, als einem recht engen Handlungskorsett zu folgen. Die dritte und wahrscheinlich eleganteste Herangehensweise ist die, vorgefertigte Abenteuer als Ideensteinbruch für eigene Szenarien und Abenteuer zu verwenden, ganz getreu dem Motto, dass Nachahmung die höchste Form intellektueller Anerkennung darstellt.

Erfahrene Spielleitungen haben genug Abenteuer erlebt und gelesen, dass sie aus einem breiten Repertoire aus Versatzstücken, Ideensprengseln und (Schnaps)ideen immer wieder alte Rezepte neu anrühren und servieren können (deswegen macht es auch so viel Freude, mit unerfahrenen Rollenspieler*innen zu spielen – man kann sie viel leichter begeistern als Veteran*innen, die schon alles gesehen und gespielt haben).

Fazit

Railroading, Metaplot oder Sandbox? Alle Herangehensweisen haben durchaus ihre Berechtigung, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt an die passenden Spieler*innen gebracht werden. Je nachdem, welche Art von Abenteuer für welche Art von Spieler*innen man als Spielleitung angedacht hat, lassen sich verschiedene Elemente der erwähnten Abenteuerbestandteile gut zusammenbauen.

Kein Abenteuer wird eine reine Sandbox oder reines Railroading sein, dafür sind diese Begriffe in ihrer puren Form zu extrem und werden ziemlich sicher kaum Spaß beim Spielen machen. Je nach Bedürfnis der Spielrunde kommt es darauf an, die „Zügel“ eines Metaplots einmal stärker anzuziehen, um sie dann wieder in der Sandkiste spielen zu lassen.

Viel Vergnügen mit euren Abenteuern!

 

Artikelbilder: © Odelinde, © FreerLaw, © 3dmentat, © scanrail, © mike_kiev | depositphotos.com
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Katrin Holst

5 Kommentare

  1. Ach, ich dachte, mit Sandbox sei der Sandkasten-Tisch der Offiziere gemeint, die darin ihr Kriegsspiel-Gelände modellierten? ;-)
    Weitere Anmerkungen:
    – Es wäre schön gewesen, wenn du neben „Sandbox“ noch die Variante „Westmarches Campaign“ besprochen hättest, die gerade in vieler Munde ist.
    – Die Illusion freier, bedeutsamer Entscheidungen ist das Gegenteil freier, bedeutsamer Entscheidungen.

  2. Ich spiele seit 1983 Rollenspiele. Einen Großteil der Zeit als Spielleiter.
    Aus Erfahrung kann ich sagen, dass wenig Spieler so frustriert, als wenn ihnen bedeutsame Entscheidungen verwehrt werden. Und genau das ist Railroading. meine feste Überzeugung ist, das Abenteuer die Railroading nutzen, schlechte Abenteuer sind.
    Ich stehe da in krassen Gegensatz zu den Auslassungen von Hadmar von Wieser.
    Auch ein unerfahrener Spielleiter braucht kein Railroading zu nutzen. Er muss allerdings die Werkzeuge an die Hand bekommen, mit denen er auf Spieler reagieren kann, die den vom Abenteuer gedachten Pfad verlassen.

    • Ich verstehe deine Ausführung nicht ganz. Wenn ein Spieler den angedachten Weg verlässt (Die Railroad?) welche Werkzeuge soll er dann nutzen und wozu?
      Gibt es mehr als folgende Optionen: 1. Die Spieler wieder auf den Weg zurück bringen, eventuell mit „Zwischenstationen“ dann wäre es immer noch railroading, in unterschiedlicher härte,
      oder 2.: Die Spieler machen lassen, dann wäre das (Buch-)Abenteuer für sie beendet, der Spielleiter improvisiert was neues. Dann ist es kein railroading, aber überfordert neue Spielleiter wahrscheinlich.

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