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Eine dunkle, uns unbekannte Bedrohung sucht Goblin’s Coast in Tiny Epic Dungeons heim. Lasst uns dem Ruf der Gefahr folgen und den Weg in das dunkle Verlies hinab wagen. Dort warten Kobolde und andere fiese Schergen auf uns und wollen mit allen Mitteln verhindern, dass wir zum Boss vorstoßen.

Tiny Epic Dungeons ist ein kooperativer Dungeon Crawler im Miniatur-Format. Die Box hat gerade einmal das Format 12 × 18 × 4 Zentimeter und bietet trotzdem so einiges an Material. Es ist Gamelyn Games mit der Tiny Epic-Reihe ein Anliegen, sechs Hauptaugenmerke zu bieten: einfacher Einstieg, viel Strategie, wenig Wartezeit, kurze Spieldauer, hoher Wiederspielwert und eben eine kleine Schachtel. Ob das bei dieser Variante von Erfolg gekrönt war, haben wir uns angesehen.

Die Schachtel im Verhältnis zu Der Kartograph.
Die Schachtel im Verhältnis zu Der Kartograph.

Spielablauf

Das Spiel wird in zwei Akten gespielt. In der ersten Hälfte leveln sich die Charaktere hoch, suchen Ausrüstung und Zauber und besiegen lästige Kobolde und Schergen, um dann in der zweiten Hälfte das Spielziel zu erfüllen, indem sie den jeweils zufällig ausgewählten Boss zur Strecke bringen und das Spiel gewinnen.

Doch wir haben nicht ewig Zeit, denn unsere treue Fackel kann uns nur für eine gewisse Zeit auf unserem Weg durch den zufallsgenerierten Dungeon begleiten. Ist sie erloschen, also erreicht sie das letzte Feld ihrer Leiste, haben wir verloren. Ebenso verlieren wir, wenn alle vier Koboldmarker auf dem Feld sind und ein fünfter platziert werden müsste oder wenn der Dungeon nicht weiter erkundet werden kann, weil es keine offenen Gänge mehr gibt.

So sieht der Dungeon zu Beginn des Abenteuers aus.
So sieht der Dungeon zu Beginn des Abenteuers aus.

Akt 1

In der ersten Hälfte des Spiels geht es vor allem darum, unsere eigenen Züge möglichst effizient zu nutzen und aus den Eigenschaften unserer Avatare das Beste herauszuholen. Diese Eigenschaften auf dem Charakterbogen sind Gesundheit (für Leben), Fokus (für bestimmte Aktionen), Geschwindigkeit für die Bewegung, Verteidigung gegen gegnerische Angriffe sowie die drei Fertigkeiten Stärke, Gewandtheit und Intelligenz für Proben. Zudem stehen unseren Charakteren eine Bewegungsaktion, eine Heldenaktion und beliebig viele freie Aktionen zur Verfügung.

Das Fackeltableau.
Das Fackeltableau.

In der Bewegungsaktion dürfen wir unsere Figur entsprechend unserer Geschwindigkeit bewegen. Diese Bewegung wird beeinflusst durch Monster in einem Raum, die uns sofort stoppen, Fallen, über die wir mit einer Würfelprobe bewegen müssen, oder Portale, durch die wir zu einem anderen Portal im Dungeon teleportieren können. In den meisten Fällen wird der Dungeon durch die Bewegung der Charaktere größer, da sie dabei neue Räume aufdecken. Beim Aufdecken der Räume werden diese beim ersten Betreten auf folgende Gefahren überprüft: Bei einer Koboldbegegnung erleidet der Charakter einen Schaden und ein Kobold wird im Raum platziert.

Kobolde und Schergen.
Kobolde und Schergen.

Eine Schergenbegegnung ist beinahe identisch, nur dass der betroffene Charakter zwei Schaden nimmt. Bei einer Falle muss wie bereits erwähnt eine Ausweichprobe abgelegt werden. Für diese und alle anderen Proben im Spiel werfen wir entsprechend unseres Fertigkeitswerts eine bestimmte Anzahl von W6. Die Seiten mit der 1 und 2 sind Modifikatoren statt einer festen Zahl. Mit den Zahlen 3 bis 6 kann man eine Basis für eine Rechnung auf die Probe festlegen. So kann man aus einer Probe mit vier Würfeln und dem Ergebnis +1, 4, 6 durch die Kombination 6+1 einen Wert von 7 erreichen. Die 4 verfällt, gibt uns aber bei einer erfolgreichen Probe Fokus oder Gesundheit (je nachdem, welches Symbol der Würfel zeigt).

Die drei Angriffs- und der Monsterwürfel.
Die drei Angriffs- und der Monsterwürfel.

Neben der Bewegung steht allen Spielenden pro Zug eine Heldenaktion zur Verfügung. Hierbei gibt es das Rasten, welches uns drei Leben und fünf Fokus zurückgibt. Beim Raum durchsuchen müssen wir eine Probe ablegen und erhalten je nach Ergebnis Boni oder Mali. In einem Fallenraum können wir nach der Ausweichprobe versuchen, die Falle zu entschärfen. Gelingt dies, muss in diesem Raum niemand mehr eine Probe ablegen. Zauber können je nach Art unterschiedliche Dinge bewirken: Sie können heilen, Schaden verursachen, andere Charaktere verstärken oder Ähnliches. Ist die Zauberprobe erfolgreich und wir bezahlen den angegebenen Fokus, wird der Zauber gewirkt.

Ebenso ist es möglich anzugreifen. Nahkampfangriffe richten sich gegen Monster im gleichen Raum, Fernkampfangriffe haben eine bestimmte Reichweite und erfordern eine Sichtlinie, Angriffszauber benötigen nur die Reichweite und ignorieren jedwede Verteidigung. Bei den beiden erstgenannten Angriffsarten wird eine Probe gegen die Verteidigung des Monsters abgelegt. Die ausgerüstete Waffe bestimmt die Fertigkeit. Um Schaden zu verursachen, muss das Probenergebnis größer sein als der Verteidigungswert. Die Differenz wird als Schaden ausgeteilt. Sollte das angegriffene Monster noch leben und sich im selben Raum oder in Sichtlinie befinden, kommt es nun zum Gegenangriff durch den Gegnerwürfel. Dieser zeigt entweder die Schadenswerte 2 bis 5, Schildbruch, bei dem das Monster den Schild des Charakters ignoriert und seinen Grundangriffswert Schaden verursacht, oder das Fackelsymbol, das den Marker auf der Fackelleiste nach unten bewegt. Die Schadenswerte werden gegen den eigenen Verteidigungswert gerechnet und zeigen an, wieviel Schaden der Charakter nimmt.

Einige Gegenstände und Zauber.
Einige Gegenstände und Zauber.

Wenn ein Monster getötet wird, nimmt man sich die entsprechende Belohnung. War das Monster ein Scherge, wird zudem der Gesundheitsmarker auf das Endgegnertableau gelegt. Denn nur, wenn die dort abgebildete Leiste voll ist, kann man den Bossraum betreten. Sollte ein Charakter auf null Lebenspunkte fallen, wird er bewusstlos und muss im nächsten Zug rasten.

Freie Aktionen sind unbegrenzt viele möglich. Damit kann etwa ein Würfel modifiziert werden, man kann forschen, Eigenschaften temporär erhöhen et cetera. Mögliche Freie Aktionen ergeben sich durch das Charaktertableau, die Ausrüstung oder den aktuellen Raum.

Ist der eigene Zug beendet, wandert der Fackelmarker ein Feld nach unten und der nächste Charakter ist am Zug. Durch den Fackelmarker kann aber nicht nur das Spiel verloren werden. Ebenso können neue Kobolde ins Spiel kommen oder alle im Dungeon anwesenden Monster einen Zug machen.

Akt 2

Die Bosskarte für Akt 1 und im entfesselten Akt 2.
Die Bosskarte für Akt 1 und im entfesselten Akt 2.

Das gerade beschriebene Spiel wird so lange getrieben, bis entweder eine Niederlagebedingung erfüllt wurde oder durch das Töten von genügend Schergen der Hort des Bosses (welcher noch im Nachziehstapel der Raumkarten gefunden und wie alle Raumkarten an einen Durchgang angelegt werden muss) geöffnet wird. Wird dieser Hort nun erstmalig betreten, wird die Bosskarte umgedreht und wir erfahren, mit welchem Monstrum wir es zu tun kriegen. Die Bosskarte hat sechs Felder, auf denen jeweils ein Charakter stehen dürfte. Diese Felder haben besondere Eigenschaften und verursachen beispielsweise Schaden, erhöhen Fertigkeiten oder regenerieren Fokus. Von dort aus kann man nach den normalen Angriffsregeln den Boss angreifen und versuchen, dessen Schadensleiste auf null zu reduzieren. Ist der Boss besiegt, gewinnt die Gruppe.

Die Erweiterung (Tiny Epic Dungeons – Storys)

In der separat erhältlichen Erweiterung Tiny Epic Dungeons – Storys sind zwei große Module für das Spiel enthalten. Zum einen die namensgebenden Geschichten; dies sind zu erfüllende Ziele, die etwas mehr Flair ins Spiel bringen und die es zu lösen gilt, bevor man den Hort des Bosses betreten darf. Es ist möglich, eine oder zwei Geschichten gleichzeitig pro Partie zu spielen.

Das umfangreichere Modul ist der epische Dungeon. Hier muss nicht nur eine einzige Dungeon-Ebene befreit werden. Stattdessen gilt es, drei Ebenen des Dungeons zu erobern. In Ebene 1 muss das Ziel einer oder zweier Geschichtskarten erfüllt werden, bevor hinabgestiegen werden darf. Das Hinabsteigen ist eine neue Freie Aktion, mit der (wenn gefunden) die Treppe nach unten genommen werden kann. Ebenso neu ist die Aktion Regenerieren, welche beim Hinabsteigen ausgeführt werden darf. Hierbei darf man so viel Gesundheit und Fokus generieren, wie der Fackelmarker vom letzten Feld der Leiste entfernt ist.

In Ebene 2 muss man quasi das „normale“ Spiel durchspielen, um hinabsteigen zu können: Geschichtskarte erfüllen, Schergen töten, um den Hort betreten zu können, Endgegner und seinen Schergen besiegen (der Scherge kommt als zusätzliches Element hinzu) und Treppe finden und hinabsteigen. In der dritten Ebene ist nun alles aufbringbare Können gefragt. Es gilt, zwei Endbosse gleichzeitig zu besiegen. Erst wenn dies geschafft ist, ist eine Partie im epischen Dungeon gewonnen.

Ausstattung

Für ein Spiel in der Größe dieser Box ist das Material erstaunlich. Die Karten haben eine tolle Haptik und wunderschönes Artwork. Die Marker und Monstermeeple bestehen aus massivem Holz und haben individuelle Formen statt nur eines Stickers oder Siebdrucks. Die Miniaturen sind wirklich „mini“, aber dafür erstaunlich detailliert. Die speziellen Würfel liegen hervorragend in der Hand und sind schön anzuschauen. Überhaupt ist das Artwork sehr stimmig und hat charmanten Videospielcharakter.

Die hübschen Miniaturen des Grundspiels.
Die hübschen Miniaturen des Grundspiels.

Doch beim Thema Grafik müssen wir leider auch auf die Ikonographie zu sprechen kommen. Diese ist die blanke Hölle und eine Qual, gerade für nicht Vielspielende. Viel zu viele Symbole werden verwendet, um das Material sprachneutral zu gestalten. Was als Grundgedanke sehr löblich ist, ist in der Praxis nervend und überfordernd. In einer Testrunde hat es einige Personen so sehr gestört, dass die Partie abgebrochen wurde. Und auch das Regelwerk ist Arbeit. Aufgrund der Boxgröße viel zu kleine Schrift und eine Textwand, die jeglichen Lernspaß verdirbt. Wer die Möglichkeit hat, sollte die (leider nur auf Englisch verfügbare) Regelerklärung der App Dized verwenden. Damit kann das Spiel wunderbar während des Spielens erlernt werden. Das Spiel ist nicht schwierig, und für alle außer der Person, die die Regeln studieren muss, passt der Eigenanspruch „Schneller Einstieg“. Für mich war es in diesem Fall grausam.

Ikonographie im Überfluss.
Ikonographie im Überfluss.

Hervorzuheben ist noch die Qualität der Schachtel selbst. Sehr massiver Karton wurde verwendet und bietet einen robusten Schutz für das Spielmaterial. Aufgrund seines Volumens ist es jedoch schwer, das entnommene Spielmaterial wieder einzusortieren. Hier ist ein Insert, vielleicht aus dem eigenen 3D-Drucker, sehr zu empfehlen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Asmodee, Gamelyn Games
  • Autor*in(nen): Scott Almes
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 30–60 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 (4)
  • Alter: ab 14 Jahren
  • Preis: ca. 25 EUR (Grundspiel), ca. 15 EUR (Erweiterung)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo, KuTaMi

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Seite von Asmodee gibt es die deutsche Anleitung für das Grundspiel sowie für die Erweiterung.

Fazit

Ich hätte Tiny Epic Dungeons gerne mehr gemocht. Das Spiel macht für seine Größe sehr viel richtig und fühlt sich auch ohne überbordende Kartons, Miniaturmassen oder Markerflut nach einem vollwertigen Dungeon Crawler an, der beweist, dass es nicht immer Schwergewichte sein müssen. Die spielbaren Charaktere haben keinerlei Hintergrundgeschichte und sind trotzdem wunderbar unterschiedlich. Mit der Erweiterung stehen derer 16 zur Verfügung – mehr als genug Auswahl. Apropos Erweiterung: Die beiden Zusätze sind nett, aber eigentlich eher unnötig. Für die Charaktere lohnt sich Tiny Epic Dungeons – Storys aber allemal.

Vor allem die Bosskämpfe sind gut durchdacht. Es fühlt sich beim Betreten eines Horts wirklich so an, als würde sich etwas an der Dynamik des Spiels ändern, und zwar im Positiven. Denn leider muss gesagt sein, dass die Suche nach den Schergen und dem Bossraum sehr schnell repetitiv wird. Es fühlt sich alles sehr nach unnötigem (repetitives Aufleveln, um einen Spielabschnitt zu bestehen) in einem Videospiel an, um ein Spiel künstlich in die Länge zu ziehen.

Dass viele Züge unterbrochen werden müssen, um die unfassbar schlechte Ikonographie nochmal zu studieren, negiert leider zwei der Grundsätze der Tiny Epic-Spiele: wenig Wartezeit und kurze Spieldauer. Und auch die Anleitung macht es für die spielerklärende Person nicht gerade zu einem Spiel mit „leichtem Einstieg“, so dass es für diesen Grundsatz ein paar Abzüge in der B-Note gibt.

Dennoch muss man ganz stark betonen, was für eine tolle Leistung es ist, ein solches Spiel in ein solches Format, fast für die Hosentasche, zu entwickeln, welches trotz Schwächen sehr viel Spaß bereitet.

Tiny Epic Dungeons erhält drei von fünf nervenden Kobolden.

  • coole, unterschiedliche Charaktere
  • hochwertiges Material
  • die Bosskämpfe
 

  • Ikonographie ist miserabel
  • Format kann zu Sortierproblemen führen
  • das Vorgeplänkel vor den Bosskämpfen

 

Artikelbilder: © Asmodee
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Simon Burandt
Fotografien: Tim Billen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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