Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Vor einem Jahr ging Phil Coulson nach Tahiti und verbrachte seine letzten Lebenstage mit Melinda May. Damit war Agents of S.H.I.E.L.D. nach fünf Staffeln zu Ende… nein, weit gefehlt! ABC hat die Serie für zwei Staffeln verlängert – ist das Ende doch ein Neuanfang? (Enthält Spoiler für Avengers: Endgame)

In Captain Marvel haben wir ihn noch als unerfahrenen Jungagenten an der Seite von Nick Fury gesehen – in der letzten Staffel von Agents of S.H.I.E.L.D. hingegen war Direktor Coulson gezeichnet von seinen Abenteuern: Ermordet von Loki, wiederbelebt durch das T.A.H.I.T.I.-Programm, das er einst selbst aufbaute, um gefallene Avenger zu retten. Er erlebte den Untergang von S.H.I.E.L.D. durch den Verrat der Hydra-Doppelagenten, leitete sein Team im Verborgenen, verteidigte die Menschheit gegen gottgleiche Inhumans, rachsüchtige Geister und fehlgeleitete Roboter. Schließlich führte er eine Rebellion in der Zukunft gegen die Kree, die die Überreste der Menschheit nach der Apokalypse versklavt hatten, und kehrte in die Gegenwart zurück, um eben jene Apokalypse zu verhindern.

Doch obwohl Daisy Johnson alias Quake den tragischen Antihelden General Talbot daran hindern konnte, das gesamte Gravitonium der Erde zu absorbieren (und den Planeten damit auseinanderzureißen), gab es für Coulson kein Happy End. Wie Ghost Rider ihm in Staffel 4 verriet, hatte er sein neues Leben durch das GH.325-Serum nur kurzfristig erkauft. Coulson lag wieder im Sterben, und sein treues Team konnte ihn nicht retten. Mit seiner rechten Hand und Geliebten May ging er ins reale Tahiti, um am Strand seinen letzten Frieden zu finden. Damit hätte Agents of S.H.I.E.L.D. enden sollen, doch die schon oft von Absetzung bedrohte Serie wurde abermals verlängert – diesmal sogar für zwei Staffeln! Wie kann es ohne Coulson weitergehen? Wen spielt Clark Gregg jetzt? Wir haben für euch die ersten beiden Folgen der 6. Staffel angeschaut.

Story

Graviton ist besiegt, aber Coulson ist tot. Ein Jahr später versucht sein Nachfolger Alphonso „Mack“ Mackenzie, S.H.I.E.L.D. zu alter Stärke zu verhelfen. Von der Lighthouse-Basis aus rekrutiert er neue Agenten, doch die Abwesenheit des verschollenen Leo Fitz schwächt die Wissenschaftsabteilung enorm. Gerade jetzt, wo seltsame Dimensionsstörungen auf der gesamten Erde auftauchen, bräuchte die Organisation begabte Forscher.

© Marvel
© Marvel

Fitz, der in dieser Zeitlinie noch im All auf Eis liegt, kann trotz größter Mühen seiner Freunde nicht aufgespürt werden. Daisy, Simmons, Davis und Piper fliegen mit dem weltraumtauglichen Zephyr umher und finden schließlich die Trümmer von Enochs Schiff – ohne Enoch und Fitz. Während Simmons auf eine weitere Suche nach ihrem Ehemann drängt, möchten ihre erschöpften Kollegen zur Erde zurückkehren, um ihre Vorräte aufzufrischen. Als sie eine Spur findet, erzwingt Simmons einen Raumsprung gegen den Willen der anderen drei.

Auf der Erde sind indes Portale aufgetaucht, durch die aggressive Söldner aus einer anderen Welt eindringen. Mack und sein neuer Chefforscher Dr. Benson untersuchen die Vorfälle – scheinbar wollen die Fremden ihren Anführer auf die Erde holen. Im explosiven Höhepunkt der ersten Folge fliegt bei der Öffnung des Portals ein Museum in die Luft. Aus dem Portal rast ein LKW mit dem Anführer Sarge, der das exakte Ebenbild von Phil Coulson ist.

In der zweiten Episode, „Window of Opportunity“, wechselt die Perspektive zu Fitz und Enoch. Nachdem ihr Schiff von unbekannten Angreifern zerstört wurde, verstecken sich die beiden getarnt auf einem Raumfrachter. Doch als der sadistische Kapitän Fitz als Terraner enttarnt, will er die ungebetenen Gäste ins All hinauswerfen. Der brillante Ingenieur und der monotone Chronicom müssen all ihre Cleverness einsetzen, um diesem Schicksal zu entgehen.

Währenddessen ist Sarge mit seiner Crew auf Raubzug durch das ländliche Ohio. Ein Überfall auf ein Juweliergeschäft zeigt, wonach sie suchen: piezoelektrische Kristalle, die sie für eine spezielle Waffe benötigen. May schafft es, den Überfall zu unterbrechen, doch die außerirdischen Kriminellen entkommen mit ihrer Beute. Schließlich entdeckt Dr. Benson auf der Leiche eines verunglückten Söldners ein Video, das zeigt, was Sarge und seine Crew auf einem anderen Planeten angerichtet haben…

Darsteller

Mit der neuen Staffel kehren einige bekannte Nebencharaktere wie Enoch zurück, gleichzeitig kommen auch neue Gesichter hinzu. Leider bleiben sie überwiegend recht farblos. Agent Keller als neuer Einsatzleiter und Partner eines Hauptcharakters ist extrem generisch und hat bislang noch kaum interessante Dialoge. Davis und Piper haben größere Rollen bekommen, beschränken sich aber aufs Fliegen und Streiten. Auch Sarges Crew bleibt eher farblos, bis auf die leicht psychotische Snowflake (verstörend gut: Brooke Williams). Das wird sich vermutlich noch ändern, normalerweise hat AoS gut ausgearbeitete Charaktere.

Bislang jedoch werden die Neuen vom Kernensemble überschattet, das gewohnt gute schauspielerische Leistung zeigt. Henry Simmons als Mack merkt man die neue Belastung als Direktor an, und Ming-Na Wen schafft es, den üblichen Stoizismus von Agent May mit einem unterschwelligen Verlustschmerz über den Tod von Coulson zu verbinden. Das kommt besonders gut zur Geltung, als sie Sarge gegenübersteht. Dieser ist eine ganz neue Rolle für Clark Gregg, und er genießt sichtlich, mal der Böse zu sein… oder ist er das am Ende gar nicht?

Dass Daisy nach ihrem heroischen Kampf gegen Graviton/Talbot deutlich aggressiver auftritt, ist ein glaubwürdiger Teil ihrer Charakterentwicklung (wenn auch unvorsichtig angesichts der prekären Lage ihres Teams). Hier darf Chloe Bennet wie gewohnt als Actionstar agieren, und es ist eine wahre Freude.

Inszenierung und Erzählstil

Die schwache Verbindung zum Marvel Cinematic Universe war immer der große Schwachpunkt von AoS. Die erste Staffel musste 16 Folgen lang herumdümpeln, bis Captain America: The Winter Soldier in die Kinos kam und das große Geheimnis aus dem Sack war: Hydra existiert noch und hat S.H.I.E.L.D. unterwandert. In den späteren Staffeln wurden die Verweise auf die Kinofilme immer seltener. Einerseits merkte das Team um Maurissa Tancharoen und Jed Whedon, wie unterschiedlich die Produktionszyklen von Filmen und Fernsehserien ablaufen. Andererseits kam es auch zu einer Trennung der Filmabteilung unter Kevin Feige und der Fernsehabteilung unter Jeph Loeb. Beide Teams hatten wenig Austausch, was man unter anderem in Staffel 5 merkte.

© Marvel
© Marvel

Das Staffelfinale hatte zwar einen Bezug zu Infinity War: Die Alien-Konföderation warnte vor Thanos‘ Ankunft, woraufhin Talbot versuchte, mehr Gravitonium zu absorbieren, um die Erde vor dem Titanen beschützen zu können. Aber was genau Thanos vorhatte, war der TV-Crew nicht bekannt, somit konnte der „Snap“, die Halbierung allen Lebens im Universum, nicht in die TV-Handlung eingebunden werden.

Staffel 6 geht nicht mehr auf die Filme ein: Während Endgame das Chaos nach dem verheerenden Fingerschnippen zeigt, geht in AoS das Leben auf der Erde seinen gewohnten Lauf. Spätestens jetzt kann man davon ausgehen, dass Serie und Filme nicht mehr im selben Universum existieren. Dank der Erklärung in Endgame, dass bestimmte Ereignisse unterschiedliche Zeitlinien erzeugen können, und dem neuen Spider-Man: Far From Home-Trailer, in dem Peter Parker erfährt, dass es ein Multiversum gibt, ist es gut möglich, dass die Welt von AoS sich irgendwann vom AvengersMCU abgespalten hat und eine eigene Dimension bildet, in der Thanos nie mit dem Finger schnippen konnte. Die kommende Phase 4 der Kinofilme und die geplanten Serien auf dem Disney+-Streamingdienst wären ein guter Zeitpunkt, um diese eigene S.H.I.E.L.D.-Dimension wieder mit der Avengers-Welt zu verknüpfen.

© Marvel
© Marvel

Neben der für MCU-Fans enttäuschenden Abweichung von den Ereignissen in Endgame ist die Handlung der Staffelpremiere solide, aber brennt eher auf Sparflamme. Im Vergleich zu Staffel 4 (Geister! Magie! Ghost Rider!) und 5 (Weltall! Aliens! Postapokalypse!) ist hier zwar das Effektebudget noch mal erhöht worden, aber dafür weiß man noch relativ wenig von der Story. Wer sind Sarge und seine Leute, und warum sind sie so sehr auf Zerstörung aus? Wozu brauchen sie dafür Ressourcen von der Erde? Was treibt Fitz an, auf einmal seinen Kälteschlaf aufzuschieben, um Weltraumabenteuer zu erleben? Zwar wurden die Handlungsbögen früherer Staffeln ebenfalls nach und nach entwickelt, boten aber dafür von Anfang an mehr Spannung. Das kann sich schon in Episode 3 völlig ändern – aber noch kommt Staffel 6 nicht so recht in Fahrt.

Die harten Fakten:

  • Regie: Episode 1: Clark Gregg, Episode 2: Kevin Tancharoen
  • Buch: 1: Jed Whedon & Maurissa Tancharoen, 2: James C. Oliver & Sharla Oliver
  • Darsteller: Clark Gregg, Ming-Na Wen, Chloe Bennet, Iain de Caestecker, Elizabeth Henstridge, Henry Simmons, Natalia Cordova-Buckley, Barry Shabaka Henley
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Englisch
  • Format: Videostream
  • Preis: 2,99 EUR (pro Folge), 29,99 EUR (ganze Staffel)
  • Bezugsquelle: Amazon Prime

Fazit

Trotz des langsamen Starts sind die ersten zwei Episoden definitiv sehenswert und bieten fast alles, was die Fans an den früheren Staffeln liebten: May und Daisy beim Verdreschen von Bösewichten, Fitz‘ technisches Genie, das ihn aus den schlimmsten Situationen herausholt, Yo-Yos trockener Humor. Aber es fehlen eben auch beliebte Elemente, allen voran Coulson, der immer als Kitt im Team agierte. Über Sarge weiß man leider noch zu wenig, um ihn als Charakter zu mögen. Wer die ersten fünf Staffeln durch Höhen und Tiefen begleitet hat, muss jetzt entscheiden, ob Agents of S.H.I.E.L.D. auch ohne Coulson sehenswert ist. Es sei denn, er ist nicht so ganz tot wie gedacht…?

Staffel 6 und 7 sind mit je 13 Episoden deutlich kürzer, was zum Streamingkonzept des neuen Disney+-Dienstes passt, der ab Winter 2019 verfügbar ist. Inwiefern die neuen Storylines wieder an das Kino-MCU anknüpfen, wird sich zeigen. Vielleicht dann, wenn sich die internen Rivalitäten zwischen Marvel TV und Marvel Film durch ein Schnippen von Kevin Feige in Staub auflösen.

gute Marvel-Kost, aber es gab schon besseres von AoS

 

Artikelbilder: Marvel, Bearbeitet von Verena Bach
Diese Folgen wurden durch die Einnahmen des Teilzeithelden-Patreon bezahlt.

5 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein