Geschätzte Lesezeit: 12 Minuten

Seit knapp einem Monat ist die erste Staffel zu The Legend of Vox Machina nun komplett auf Amazon Prime erhältlich. Genug Zeit, um die Folgen auf sich wirken zu lassen und sich eine abschließende Meinung zu bilden. Fünf unserer Redakteur*innen haben genau dies getan und laden zum Mitdiskutieren ein.

In unserem Ersteindruck zu den Folgen 1–3 haben wir der Serie 4 von 5 Daumen gegeben – ein solider Start mit Luft nach oben. Nun ist die erste Staffel vorbei, und eine zweite steht in den Startlöchern. Welcher Gesamteindruck bleibt bei uns zurück? Nur ein Teil unserer fünf Redakteur*innen kennt die erste Kampagne der Dungeons & Dragons-Liveshow Critical Role, die die Vorlage der Adaption bildet – Alex hat uns zusätzlich als absoluter Inhalts-Neuling theire Stimme geliehen. Bei welcher Meinung geht ihr am meisten mit?

Achtung! Die folgenden Beiträge enthalten teilweise milde Spoiler im Fließtext.

Kann The Legend of Vox Machina uns überzeugen?

The Legend of Vox Machina ist eine rollenspielerische Erfolgsstory. Keine zehn Jahre ist es her, dass Matt Mercer einen One-Shot für seine Freunde leitete, der sich zu einer Kampagne entwickelte, die wiederum ab 2015 live gestreamt wurde. Seitdem hat sich Critical Role zu einem globalen Phänomen entwickelt. Ohne das millionenschwere Crowdfunding der Fans, die sich Critter nennen, wäre die Amazon-Serie niemals zustande gekommen. Dungeons & Dragons und Fantasy im Allgemeinen haben in den letzten Jahren ein breiteres Publikum erreicht, somit ist das Timing für die Serie perfekt.

Kann diese mit dem Erfolg mithalten? Auf Rotten Tomatoes hat die Serie zum Zeitpunkt unserer Recherche (Stand Anfang März 2022) sagenhafte 100% positive Bewertungen bei Kritiker*innen und 94% beim Publikum. Auch wir konnten fast alle überzeugt werden – 100% kriegt The Legend of Vox Machina von uns allerdings nicht. Im Folgenden erklären wir euch, warum.

Finja (Kennt die Vox-Machina-Kampagne)

Von mir gibt es an dieser Stelle ein Update zu meinem Ersteindruck, bevor meine Kolleg*innen ihre Gesamtmeinungen abgeben. Ich habe den ersten Folgen vier gut gemeinte Daumen gegeben – die Tendenz zum Positiven dank Folge 3, in der Hoffnung, dass sich ein gutes Verhältnis bezüglich der Notwendigkeit von Gewalt mit Fortlaufen der Staffel einspielen würde. Glücklicherweise habe ich damit Recht behalten. Die Folgen gefielen mir von Woche zu Woche immer besser, da die exzessive Gewaltdarstellung nun zu der düsteren Situation der Held*innen von Vox Machina passte. „No Mercy Percy“ konnte seine volle Wirkung entfalten. Der derbe Humor trifft dagegen noch immer nicht meinen Geschmack – meiner Meinung nach waren einige der Witze den Aufwand der dafür notwendigen Animation nicht wert.

Romantik in Whitestone?

Ich habe mich besonders über die etwas abgemilderte Adaption der aufblühenden Liebesgeschichte zwischen Vax’ildan und Keyleth gefreut. Der ursprüngliche Kuss in der Critical Role-Kampagne ist keine Glanzleistung gewesen, vor allem wegen der fehlenden Zustimmung auf der Seite der Geküssten. Adaptionen sollen ja im Idealfall aufzeigen, wo das Original es vielleicht besser hätte machen können. Dies ist der Serie an dieser Stelle gelungen, ohne der Vorlage den Charme zu nehmen.

[Einklappen]
Interpersonelles darf nicht fehlen: Der Druidin Keyleth wird in der Serie etwas Wichtiges gebeichtet.

Ich sehe es sehr positiv, dass mit der Serie Critical Role adaptiert wurde und nicht Dungeons & Dragons. Man spürt natürlich noch immer die chaotische Atmosphäre des Rollenspiels, und das ist auch gut so. Allerdings wurden so einige Mechaniken und Fähigkeiten dem Narrativ angepasst, wodurch dieses lebhafter wird. Hier hat das Kreativteam gute Entscheidungen getroffen.

Die Serie hat vor allem eines geschafft: Lust auf mehr gemacht. Die angeteaserten Storystränge für die bereits finanzierte zweite Staffel lassen hoffen, dass es noch viele weitere Critical Role-Lieblingsszenen zukünftig auch in animierter Form geben wird. Mit Brimscythe hatten wir zu Beginn ja bereits einen Drachenkampf – und Dungeons & Dragons-Spielende wissen, mehr ist in diesem Fall besser. Zumindest für die Zuschauenden.

Johannes (Kennt Critical Role, die erste Kampagne nur ansatzweise)

Die Liebesmüh von Mercer und Freunden hat sich ausgezahlt. The Legend of Vox Machina hat eine hervorragende Animationsqualität, wurde vom Soundtrack-Veteranen Neil Acree (u. a. World of Warcraft, Diablo, Overwatch) vertont und hat als Gastsprecher prominente Namen wie David Tennant oder Gina Torres gewinnen können. Selbst mit 11 Millionen US$ aus dem Kickstarter hat sich die Kooperation mit Amazon gelohnt. Allerdings kann es für Critter, die sich am Crowdfunding beteiligt haben, durchaus frustrierend sein, zusätzlich zu ihrer Finanzierung des Projekts noch ein Prime-Abonnement besitzen zu müssen.

Nichtsdestotrotz hat der Sprung vom Spieltisch zur Animation bestens funktioniert: Die 14 mehrstündigen Folgen des Briarwood-Arc der ersten Critical Role-Kampagne wurden zu 12 halbstündigen Episoden kondensiert und halten den Spannungsbogen durchgehend aufrecht. Insbesondere die schauspielerische Leistung von Taliesin Jaffe als rachsüchtiger Adeliger Percy de Rolo, dessen tragische Vergangenheit im Mittelpunkt der Staffel steht, ist beeindruckend. Die Serie hat es sogar geschafft, mir die singende Nervensäge Scanlan sympathisch zu machen. Critter wissen, wovon ich rede.

Barde Scanlan ist der Comic Relief der Truppe. Seine Witze schlagen manchmal über die Stränge.

Wer Critical Role gesehen hat, wird bemerken, dass die Handlung etwas von der Vorlage gelöst wurde, teils aus Lizenzgründen, teils aus purer Dramatik. So wird der untote Gott Vecna nie beim Namen genannt (Dungeons & Dragons-Copyright), und einige Charaktere besitzen Fähigkeiten nicht, die sie im Original haben. Auffällig ist, dass The Legend of Vox Machina in Actionszenen oft auf ein altes Fantasyklischee zurückgreift: im letzten Moment die einzige Schwachstelle des Gegners auszunutzen. Das ist seit der Nibelungensage ein etwas ausgetretenes Motiv. Auch, dass manche Charaktere an ihre Fähigkeiten erinnert werden müssen, kennt man aus Anime-Serien zur Genüge. Beides kommt in der Vorlage so nicht vor.

Diese Schwächen stören das Gesamtbild wenig, solange man keinen Dungeons & Dragons-Purismus erwartet. The Legend of Vox Machina ist mitreißende Fantasy-Animation für Erwachsene – Kinder sollten angesichts des Vulgärhumors und der Gewaltdarstellungen eher nicht zuschauen. Es ist eben doch ein Unterschied, ob Spieler*innen nur beschreiben, wie sie den Endgegner aufschlitzen oder ob dies graphisch dargestellt wird. Staffel 2 wurde schon im Vorfeld angekündigt, weitere können gerne folgen. Nevosh, Nevonn!

Ralf (Kennt Critical Role, die erste Kampagne nur ansatzweise)

Für vier Wochen habe ich jeden Freitag voller Vorfreude meinen Amazon Prime-Account aufgerufen, um die neuesten Folgen von The Legend of Vox Machina in meinen Vorschlägen zu erblicken. Selbst wenn ich die erste Kampagne von Critical Role nur sporadisch mitbekommen habe und die Show erst seit Exandria Unlimited regelmäßig verfolge, hatte diese Adaption eine besondere Bedeutung für mich. Die Umsetzung von Videospielen, Comics, Graphic Novels oder Büchern als Serien und Filme sind mittlerweile nichts Besonderes mehr. Doch eine Animationsserie auf Basis einer Webserie, in der Synchronsprecher*innen Dungeons & Dragons spielen? Trotz des Erfolgs des ursprünglichen Kickstarters wird The Legend of Vox Machina wegweisend für die Akzeptanz von Tischrollenspielen für künftige Produktionen sein.

Glücklicherweise lieferte das verantwortliche Team eine wundervolle Leistung, um den Charme der Vorlage zu vermitteln. Die ersten beiden Folgen waren zugegeben noch verbesserungswürdig, doch mit Beginn der Geschichte um die Briarwoods stieg die Qualität des Storytellings. Die Charaktere konnten sich entfalten, die Chemie der Hauptdarsteller*innen von Critical Role offenbarte sich in einer Vielzahl von Szenen und die wunderbare Kombination von Emotionen und Action fand ihren Weg in fast jede Folge.

Besonders glänzen konnte Taliesin Jaffe, welcher im englischen Original Percy spricht und den Charakter selbstverständlich auch in der ersten Staffel von Critical Role verkörperte. Seine persönliche Hintergrundgeschichte, gepaart mit dem düsteren Bedürfnis nach Rache für das Schicksal seiner Familie, faszinierte bis zum Ende. Vox Machina mag zwar eine Gruppe von zusammengewürfelten Haudeg*innen sein, doch in der ersten Staffel liegt der Fokus eindeutig auf Percys Handlungsstrang. Glücklicherweise gelingt es der Adaption dennoch, die Bedeutung jedes einzelnen Mitglieds der Gruppe zu betonen.

„No Mercy Percy“ wird die Figur von den Fans genannt. Die Serie zeigt, wieso.

Schlussendlich war ich als Critter der aktuellen Kampagnen sehr glücklich über die Qualität von Legend of Vox Machina. Der Serie gelang es, den Charme der Webserie und ihrer Protagonist*innen einzufangen und gleichzeitig Neueinsteiger*innen abzuholen. Hoffentlich teilt ein Großteil des Publikums diese Begeisterung, sodass künftige Adaptionen von Critical Role oder ähnlichen Vorlagen das Licht der Welt erblicken können.

Alex (Hat Critical Role nicht gesehen)

Vorweg: Ich habe bisher keine Erfahrungen mit Critical Role gemacht. Ich weiß, dass diese Show existiert, doch mir macht es persönlich wenig Spaß, einmal wöchentlich 3–4 Stunden lange Videos anzuschauen, in denen andere Dungeons & Dragons spielen. Deswegen bin ich in The Legend of Vox Machina blind reingegangen. Natürlich kenne ich und spiele auch selbst Dungeons & Dragons, doch über die Figuren und ihre Geschichte weiß ich nichts.

Persönlich muss ich sagen, dass es mir im Rahmen von Umsetzungen zu Dungeons & Dragons etwas zu flach war. Letzten Endes sehen wir eine Menge bekannter Charakterklischees, die mir ein Augenverdrehen entlockt haben. Allen voran der nymphomanische Barde und der sehr simple Tank-Charakter, der nichts wirklich versteht. Ich würde mir einfach mehr wünschen, was von solchen Stereotypen abweicht.

Barbar Grog erfüllt das Klischee des dummen Schlägers mit weichem Kern.

Auch die Handlung ist mir ein wenig zu vorhersehbar. Dies ist fraglos eine Folge dessen, dass es ein Rollenspiel war – und wenn man einmal im Spiel ist, dann darf die Handlung ruhig auch etwas simpler sein, weil man sie selbst mit Charakteren und Interaktion anfüllt. Dennoch ist es zum Zuschauen nicht besonders spannend.

Dadurch, dass die Serie außerdem viele, viele Stunden Spiel auf insgesamt zwölf Folgen kondensiert – und Rollenspiel auch nicht das beste Medium für ausgearbeitete Charakterentwicklung ist – wirken auch die Charakterentwicklungen überhastet oder sprunghaft.

Leider ist auch die Animation definitiv nicht auf derselben Ebene wie beispielsweise die Animationsserien auf Netflix. In Dialogen bewegen sich häufig nur die Münder, während Figuren sehr steif im Bild stehen. Vergleicht man es beispielsweise mit Castlevania auf Netflix, ist auch in den Kämpfen auffällig, dass Legend of Vox Machina kein Talent wie Animator Spencer Wan oder ein vergleichbares Talent hat.

Das hört sich nun alles nach viel Gemecker an, was mir unfair vorkommt. Die Serie hat mich durchaus amüsiert und gut unterhalten. Allerdings liegt es auch daran, dass ich mich über die etwaigen Stereotypen dennoch amüsieren kann. Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass die Serie ein noch cooleres Erlebnis ist, wenn die man die Figuren besser kennt. Wenn ich mich allerdings auf die reine Qualität beziehe, kann ich der Serie nur zwei bis drei von fünf Punkten geben. Gerade, wer weder Critical Role noch Dungeons & Dragons kennt, dürfte hier schnell verloren sein.

Andreas (Kennt Critical Role, die erste Kampagne nur ansatzweise)

Gleich vorneweg: Ich finde die erste Staffel von The Legend of Vox Machina trotz ein paar persönlicher Makel sehr gelungen. Für mich ist die Animationsserie der Zirkelschluss meiner bisherigen Erfahrung mit Critical Role. Schließlich bin ich erst durch die Nachwehen der Kickstarter-Kampagne zur Show gekommen und in die zweite Kampagne eingestiegen. Die Geschichte rund um Vox Machina habe ich nicht komplett nachgeholt, sondern nur einige Highlight-Videos. Dennoch hatte ich eine Art Nostalgie, als ich einzelne Szenen animiert gesehen habe. Die Liebe für das Projekt findet sich in vielen Facetten, seien es die hervorragende Synchronisation (wer hätte es anders erwartet bei einem Herzensprojekt professioneller Sprecher*innen), kleine Easter-Eggs im Hintergrund oder aufwendig animierte Kampfsequenzen. Besonders musikalische Variationen des Intro-Themas innerhalb der Episoden sorgten hin und wieder für Gänsehaut-Momente.

Bevor dieses Fazit aber zu sehr zur Lobhudelei verkommt, hier mein persönlich größter Kritikpunkt: Fäkal-Humor. Klar, den gibt es ebenso wie die sexuellen Innuendos regelmäßig bei Critical Role zu hören. Allerdings sind das spontane Pointen, die zudem in einem mehrstündigen Stream passieren. Animiert brauche ich die Kacke-Witze nicht wirklich, da hätten mir ein paar weitere Gespräche zwischen den Charakteren besser gefallen. Ähnlich schwierig, aber verständlicher finde ich den wechselnden Grad an Gewalt. Dieser schwankt zwischen „dramatisch und sofort tödlich“ und „nur eine Fleischwunde“ munter hin und her. Hier hätte ich mir etwas mehr Abstimmung gewünscht. Bei der Umwandlung eines Kampfsystems wie Dungeons & Dragons ist aber nachvollziehbar, dass eine Balance nicht so einfach ist.

Letztendlich freue ich mich aber für den Cast und die treuen Fans der ersten Stunde mit, dass sie viele ihrer Lieblingsszenen animiert sehen konnten. Im Vorder- wie im Hintergrund gibt es immer wieder toll gestaltete Szenen zwischen einzelnen Charakteren, welche die Freundschaft der Gruppe gut widerspiegeln. Hinzu kommt eine gute Mischung aus Kämpfen und Dialogen, wodurch die Folgen kaum langweilig werden. Gerade das Finale hat mit mehreren eindrucksvollen Bildern überzeugt. Und da ich zumindest grob weiß, welche Szenen noch darauf warten, animiert zu werden, freue ich mich sehr auf weitere Staffeln in Zukunft. Und wer weiß? Vielleicht schaffen irgendwann auch die Mighty Nein den Sprung von der simplen 2D-Animation ins Serienformat.

Vorfreude auf Staffel 2

Besonders den Critical Role-Fans unter uns hat die Serie alles in allem gut gefallen. Wir sind uns zusätzlich im Team auch darüber einig, dass es gerne sehr viel weniger Fäkal-Humor hätte sein dürfen. Alex Beitrag hingegen zeigt noch einmal auf, was der ersten Kampagne oft angekreidet wird: Die Held*innen von Vox Machina bedienen starke Klischees. Bricht man diese so stark herunter wie in The Legend of Vox Machina, was bei Animation oft nötig ist, sticht dies noch einmal mehr hervor. Das Team von Critical Role hat in den Folgekampagnen dahingehend sehr viel mehr Kreativität bewiesen.

Nichtsdestotrotz blicken wir alle auf gute Unterhaltung zurück, von der es zukünftig unserer Meinung nach gerne mehr geben darf. Zum Glück ist die zweite Staffel ja bereits geordert – wir schalten garantiert wieder ein, wenn es denn so weit ist. Und wie seht ihr das Ganze?

 

Artikelbilder: © Amazon Prime
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Simon Burandt
Abschnitte des Rahmenartikels wurden von Johannes Weyrauch mit verfasst.

1 Kommentar

  1. Also mich hats gut unterhalten. War kein großes Highlight, aber für zwischendurch optimal. Um mich mehr zu fokussieren bräuchten die Charaktere mehr Tiefe und die Geschichte paar interessante Twists. Aber das liegt halt eher an der Vorlage. Freu mich trotzdem das es eine zweite Staffel gibt.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein