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2021 begann mit einem Jahr Verspätung Phase 4 des Marvel Cinematic Universe. Da zu Anfang des Jahres die Kinos allerdings noch immer geschlossen waren, etwas anders, als geplant: auf dem kleinen Bildschirm. Fünf Serien sind im Verlauf des Jahres herausgekommen und die Frage ist: Hat es funktioniert?

WandaVision, Falcon and the Winter Soldier, Loki und Hawkeye, sowie die Animationsserie What If …? waren die fünf Marvel-Serien, die das Studio dieses Jahr auf Disney+ veröffentlichte. Obwohl es ursprünglich geplant war, die Serien zwischen verschiedenen Filmen zu veröffentlichen, hat sich dieser Plan durch die Pandemie geändert, so dass für die erste Hälfte des Jahres die Serien als einziger Zugang zum MCU

Gleichzeitig kam durchaus der Eindruck auf, dass Marvel es nicht hätte besser planen können. Denn so startete Phase 4 – nachdem nach Phase 3 einige sich über eine Müdigkeit mit dem Genre beklagten – mit einem komplett neuen Konzept. Viele Menschen fanden sich mitten zwischen den verschiedenen Lockdowns wieder, die kaum Abwechslungen brachten: bis auf das Serienschauen. In diese Situation startete Phase 4 hinein mit einer Serie, in der sich eine depressive Figur über Serien auslebt. Etwas, das zu der Zeit enorme Sympathien aufbauen konnte.

Prinzipiell lässt sich sagen, dass zumindest von den Quoten und den kritischen Rückmeldungen her die Serien fraglos ein Erfolg waren. Doch schauen wir uns die Serien noch einmal an und reden darüber, was funktioniert hat, und was vielleicht weniger.

Neue Konzepte, neue Formate

Das erste, wofür man die Marvel-Serien wirklich loben muss, ist, dass zumindest ein Teil von ihnen neue Konzepte ausprobiert hat. Gerade WandaVision hat seinen Status als Serie zu seinem Vorteil genutzt und eine Geschichte erzählt, die in einem anderen Format so hätte nicht erzählt werden können. Auch über den starken Bezug zu alten Fernsehserien, hat WandaVision wirklich viel aus seinem Format gemacht.

Genau so war auch bei What If …? das Serienformat der springende Punkt. Denn auch hier wurde das Format zum Vorteil eingesetzt – in diesem Fall um ein paar sehr unterschiedliche Ideen und auch Genre zu bedienen. Während fraglos einige der einzelnen Geschichten das Wasser für verschiedene kommende Serien und Filme testen sollten, so wäre dies mit einem anderen Format nicht so leicht und verhältnismäßig billig möglich gewesen.

Mit WandaVision startete das Serienjahr 2021 von Marvel auf Disney+

Loki hat derweil vor allem von der längeren Laufzeit profitiert. Immerhin war die Serie dafür verantwortlich, einige wichtige Grundlagen für das kommende Marvel Cinematic Universe zu etablieren – wir werden spätestens bei Doctor Strange and the Multiverse of Madness sehen, ob es wirklich eine Voraussetzung für die Filme wird oder ob sich einige Informationen am Ende wiederholen werden.

Falcon and the Winter Soldier sowie Hawkeye fühlten sich derweil eher wie übliche Marvel-Filme an, die auf sechs Folgen ausgedehnt wurden. Während sich durchaus argumentieren lässt, dass Hawkeye als kleinere, intimere Geschichte sich vielleicht nicht als Film gut gemacht hätte, schaute sich Falcon and the Winter Soldier für viele Fans eher wie ein zu lang gezogener Film – vielleicht einer der Gründe dafür, dass sich gerade hier die Geister scheiden.

Das obligatorische Finale

Obwohl die Serien durchaus ihre eigenen Geschichten erzählt und neue Konzepte benutzt haben, war leider auch an vielen Stellen auffällig, wie sehr sie den üblichen Regeln des Marvel Cinematic Universe unterworfen waren. Das sah man zum einen durchaus an dem für das Universum üblichen Humor, zum anderen allerdings auch an einem deutlich strukturelleren Problem: den Finalen.

Dies war nirgends so auffällig, wie bei WandaVision und hat vielen Zuschauenden die Serie am Ende doch verdorben. Denn ja, während die Serie wohl mit dem individuellsten Konzept der Serien anfing – durch die visuelle Aufmachung in Anlehnung an die verschiedenen alten Serien und Genre – so waren die letzten zwei Folgen leider sehr durchschnittlich. Obwohl die Serie keinen großen Bösewicht gebraucht hätte (immerhin war Wanda selbst ihre eigene größte Antagonistin), kam auf einmal Agartha Harkness um die Ecke und war der Bösewicht der letzten Minute, ohne große eigene Motivation. Einfach nur, damit es einen Kampf mit Energiestrahlen im Finale geben konnte.

Tatsächlich war von den fünf Serien Loki die einzige, die komplett auf das obligatorische „epische Finale“ verzichtet hat und stattdessen die Figuren über das Für und Wieder des Multiversums diskutieren ließ. Auch dies war keine unumstrittene Entscheidung, doch zumindest das einzige Mal, dass die Serien sich getraut haben, vom üblichen Vorgehen einer Marvel-Geschichte abzuweichen.

Starke Charaktere

Eine der größten Stärken der Serien war fraglos, dass die längeren Laufzeiten ihnen Möglichkeiten gegeben haben, die Charaktere weiter auszuarbeiten. Denn auch wenn der Erfolg des Marvel-Filmuniversum in erster Linie wohl auf die sympathischen Figuren und das großartige Casting zurückzuführen ist, so ist es auch bei zwei Stunden Filmlaufzeit häufig so, dass Charakterentwicklung zwischen Lore, Humor und Actionsequenzen eher untergeht und auf ein paar Szenen heruntergebrochen werden muss.

Genau dieses Problem hatten die Serien dank ihrer jeweils langen Laufzeit nicht. So hatte WandaVision wirklich die Zeit, sich mit Wandas Traumata auseinanderzusetzen, während sich Falcon and the Winter Soldier auf Sams Kampf mit sich selbst fokussieren konnte, ob er den Schild nun annehmen will oder nicht. Und Loki war natürlich in erster Linie eine Charakterstudie der namensgebenden Figur, die im Filmformat fraglos gar nicht funktioniert hätte.

Ist dies ein Erbe, das Sam antreten kann?

Gerade dadurch, dass die Emotionen und Entwicklungen der Charaktere so sehr im Zentrum der Geschichten standen, hatte der Cast des MCU in diesen Serien auch noch einmal zu zeigen, was er auf dem Kasten hat. Durch die Serien hindurch gab es wirklich gut geschauspielerte Momente, die das Können der Schauspieler*innen in den Vordergrund rücken konnten.

Das Flag-Smasher-Problem

Speziell in der Serie Falcon and the Winter Soldier zeigte sich allerdings auch ein Problem, das Marvel Studios schon seit einer Weile hat: ihr Umgang mit verschiedenen politischen Bewegungen – und die oft sehr vagen Begründungen, diese letzten Endes als Antagonist*innen erscheinen zu lassen. Dies zeigte sich in der Vergangenheit bereits bei Black Panther, ein Film, bei dem sich viele Schwarze Zuschauer*innen nur zu gut mit Killmonger identifizieren konnten, und nun auch in dieser Serie mit den Flag Smashern.

Denn genau hier haben wir wieder dasselbe Problem: Die Serie gibt der Gruppierung einen sehr validen Grund für ihr Handeln. Seit dem Blip sind Menschen, die vorher eine Chance auf ein besseres Leben hatten, in Flüchtlingslager eingepfercht. Dort haben sie dank dem profitausgerichteten Handeln der Organisation, die ihnen helfen soll, oftmals nicht mehr grundlegende Notwendigkeiten wie Nahrung und Medizin. Dagegen wehren sie sich – sie wollen zurück zu dem Status während des Blips, als Grenzen offen waren und sie nicht diesem inhumanen Handeln ausgesetzt waren.

Taugen die Flag Smasher als Antagonisten?
Taugen die Flag Smasher als Antagonisten?

Der Serie jedoch ist diese Weltanschauung zu extrem und so wird die Tatsache, dass die Flag Smasher Gewalt einsetzen – etwas, das die Held*innen der Filme beständig tun, um gegen von ihnen wahrgenommene Missstände zu agieren – als Grundlage genommen, sie als Antagonist*innen darzustellen. Und das alles, während John Walker, der seinerseits aus einer rechtsideologischen Gesinnung heraus handelt und Gewalt einsetzt, im Finale noch als „Guter“ dargestellt wird. Dies gilt übrigens auch in Zusammenhang mit Hawkeye als eine weitere der Serien. Denn Clints Massenmord an in erster Linie marginalisierten Menschen, wird als etwas Verständliches dargestellt, was jedem*r in seiner Position hätte passieren können. Konsequenzen muss er keine ertragen.

Hier zeigt sich eines der großen Probleme des MCU, das gerne versucht, sich politisch so neutral wie möglich zu halten. Ob diese Neutralität gelingt, ohne US-amerikanische Ansichten zu übernehmen, ist fraglich.

Divers oder eher nicht?

Ein Thema, das natürlich weiterhin viel besprochen ist, ist das Thema der Diversität. Denn ja, wir wissen, dass nicht zuletzt dank Isaac Perlmutter – der in den ersten zwei Phasen des Filmuniversums mitverantwortlich war – das Marvel Cinematic Universe sehr weiß, sehr männlich und sehr cishetero angefangen hat. Isaac Pearlmutter war der Meinung, dass niemand Filme sehen möchte, in denen nicht-weiße Menschen oder Frauen eine Hauptrolle spielen. Ein Grund dafür, warum wir erst jetzt in Phase 4 einen Black Widow-Film bekommen haben.

Seit Kevin Feige die alleinige Verantwortung trägt, hat sich dies verbessert. Das merkte man bereits in Phase 3 und auch jetzt in Phase 4 vor allem durch die Addition der Eternals. Aber wie sieht es nun bei den Disney+-Serien aus? Immerhin sollten diese einen Vorteil haben, werden sie doch über den Streaming-Service geteilt, der nicht einmal in China verfügbar ist – und China ist zumindest offiziell der Grund, warum es wenig LGBTQ*-Repräsentation in den Filmen gibt.

Mehr Diversität als in in Eternals gab es bei Marvel vorher noch nicht.

Die Sache ist: Gerade hier ist die Ausbeute bei den Serien sehr enttäuschend. Von den vier Serien mit durchgehender Geschichte haben drei ausschließlich weiße Protagonist*innen. Selbst Falcon and the Winter Soldier hat nur einen Schwarzen Hauptcharakter – zusätzlich zu einem weißen Protagonisten. Und zwar outet sich Loki in seiner Serie als bisexuell, doch sehen wir nichts von der geschlechtlichen Fluidität, für die Loki in der Mythologie und auch in den Comics bekannt ist.

Zumindest aber führt dann auch Hawkeye Echo ein, die später auch ihre eigene Serie bekommen soll. Diese ist im Filmuniversum nicht nur indigen, wie ihr Comic-Gegenpart, sondern auch gehörlos und hat ein amputiertes Bein.

Technische Finesse

Womit die Serien definitiv beeindrucken können – jedenfalls durch die Realserien hindurch – ist ihre technische Finesse. Die Serien haben jeweils in etwa das Budget eines Marvel-Films mit etwa 150 Millionen USD. Dabei haben die Serien durchweg nicht wesentlich mehr aufwendige Sequenzen, als es entsprechende Filme hätten.

Das erlaubt ihnen, die Serien auf einem ähnlichen technischen Level zu präsentieren, wie die Filme. Die Szenen, die bezüglich der Spezialeffekte aufwändig sind, sind vielleicht nicht komplett auf dem Level der meisten Filme, aber sehr nahe dran. Näher, als diverse andere Serienproduktionen, wie beispielsweise von Netflix oder Prime Video es schaffen – allerdings liegt dies auch daran, dass sie eben ein größeres Budget zur Verfügung haben. Es erlaubt den Serien definitiv, das Gefühl zu geben, cinematisch zu sein.

Das gilt auch für die anderen Aspekte der Präsentation. Die Kostüme sind auf demselben Level, wie in den Filmen – und werden sehr wahrscheinlich zum Teil natürlich auch in den Filmen weiterverwendet werden. Ebenso sind die Soundtracks von einer ähnlichen Qualität, wie wir es soweit von den Marvel-Filmen gewohnt sind.

Dahingehend sind die Serien durchweg sehr beeindruckend.

Und die Frauen?

Lange Zeit die einzige Starke Frauenrolle Black Widow
Lange Zeit die einzige Starke Frauenrolle: Black Widow.

Ein weiteres Problem, dass die Marvel-Filme nicht zuletzt dank Perlmutter hatten, war der Mangel an weiblichen Figuren. In Phase 1 war Black Widow die einzige weibliche Figur, die im Mittelpunkt stehen durfte – andere weibliche Figuren waren allerhöchstens als potentielle Liebespartnerinnen in den Filmen zugegen. In Phase 2 wurde dies zumindest um Gamora in den Guardians-Filmen und Scarlet Witch im zweiten Avengers-Film erweitert. Einen Film mit einer Frau in der Hauptrolle gab es jedoch bis Captain Marvel in Phase 3 nicht.

Dahingehend haben wir zumindest in WandaVision einen starken Gegenpol. Denn die Serie zentriert sich in erster Linie auf Wanda als Hauptfigur, erforscht ihr Innenleben, ihr Trauma und auch ihre Beziehung zu Vision. Genau das ist das zentrale Thema – und der Bruch damit, wie schon erwähnt, fraglos der Grund, warum die letzten paar Folgen eher negativ aufgenommen wurden. Auch neben Wanda gibt die Serie zwei weiteren Frauen in Form von Monica Rambeau und Darcy eine zentrale Rolle.

Und auch Hawkeye hat mit Kate Bishop eine weibliche Hauptfigur, selbst wenn sie sich diese Position mit Clint teilt. Dazu kommt natürlich auch die Einführung von der bereits erwähnten Echo.

Allerdings hatten wir auch What if …? unter den Serien – und What if …? weiß leider so gar nicht, was es mit seinen weiblichen Figuren anfangen soll. Die Serie nutzt nicht nur einmal, sondern gleich drei Mal den Trope „Stuffed in the refrigerator“, bei dem der Tod einer Frau genutzt wird, um einen männlichen Charakter zu motivieren – hier ausnahmslos, um die männlichen Figuren zu Antagonisten zu machen.

Fazit

Es ist immer so eine seltsame Sache, über Marvel Studios-Produktionen zu sprechen. Denn auf technischer Ebene kann man meistens nicht viel meckern. Während einige Filme von ihren Geschichten her schnell klischeehaft sind, so sind die Geschichten inhaltlich meistens sehr kompetent aufgebaut. Guter Drei-Akt-Aufbau, die notwendigen Punkte in Sachen Charakterentwicklung werden abgehakt, Finale. Wir kennen es. Nicht zwangsweise inspiriert, aber technisch kompetent. Genau so sind die Schauspieler*innen gut, die Spezialeffekte ebenso meistens absolut ausreichend, die Soundtracks häufig keine Ohrwürmer, aber auch nicht wirklich schlecht. Die meisten der Filme landen auf unserer Skala irgendwo zwischen 3 und 4 Punkten, und mit den Serien sieht es sehr ähnlich aus.

Dennoch sind da Dinge, die nicht zwangsweise qualitativ schlecht sind, aber dennoch stören. Diese sind zum Teil auf einer sehr allgemeinen Ebene – wie die Tatsache, dass oft das Spektakel über wichtige Charaktermomente gewichtet wird – teilweise aber eben gerade auch aus einer modernen, progressiven Betrachtung aus ärgerlich. Und genau in dieser Betrachtung versteckt sich Disney gerne hinter dem China-Argument: „Das muss so sein, weil das chinesische Boxoffice so wichtig ist und wir nicht riskieren können, dass wir dort nicht ins Kino kommen.“ Aber genau an dieser Stelle hätte man meinen können, dass die Disney+-Serien ihnen die angeblich gewünschte Freiheit bieten würden – und davon merkt man eben nichts. Die Serien sind weiterhin vornehmlich sicher, wir sehen weder viel von Queerness, noch großartig viele nicht-weiße Figuren. Und ja, das ist für viele Zuschauende nicht sehr schön.

 

 

Artikelbilder: © Disney, © Marvel
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Saskia Harendt

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