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Bislang spielte Clint Barton in allen Avengers-Filmen die letzte Geige. Jetzt bekommt der Bogenschütze endlich seine eigene Serie und muss schon gleich Weihnachten retten. Immerhin erhält er Hilfe von seinem neuen Schützling Kate Bishop und Lucky, dem Pizza-Hund. Frohes (Schützen)Fest!

Die Avengers! Captain America! Thor! Iron Man! Hulk! Black Widow! …ach ja, Hawkeye gibt’s auch noch. Seine Superkraft: Unendlich Pfeile…? Viel Enthusiasmus löste der ehemalige S.H.I.E.L.D.-Agent und Bogenschütze im Fandom bislang nicht aus. Auch seine Familie, die immerhin in Age of Ultron und Endgame eine wichtige Rolle für Hawkeye spielte, blieb recht blass im Hintergrund. Das ändert sich jetzt, denn Clint Barton, der nach dem „Blip“ seinen Köcher an den Nagel gehängt hatte, nimmt für seine eigene Serie noch einmal das Böse ins Visier. Okay, es ist nicht ganz seine eigene Serie, denn seine Nachfolgerin steht in den Startlöchern: Kate Bishop macht endlich den Sprung von den Comics ins Marvel Cinematic Universe.

Story

2012, New York. Die kleine Kate Bishop wird im Penthouse ihrer reichen Eltern Zeugin des Chitauri-Angriffs auf die Stadt. Als ihr Vater bei der Katastrophe umkommt, wünscht sich Kate von ihrer Mutter Pfeil und Bogen, um die Familie zu beschützen. Jahre später, kurz vor Weihnachten 2025: Es sind zwei Jahre vergangen, nachdem die Avengers Thanos besiegt haben. Kate ist inzwischen erwachsen, hat zahlreiche Medaillen in Kampfsportarten gewonnen und studiert in New York. Ihre Mutter ist Teil der High Society und mit einem reichen Erben verlobt, sehr zum Missvergnügen von Kate, die erst spät davon erfährt. Auf einer Gala bekommt Kate mit, dass der neue Verlobte ihrer Mutter scheinbar in zwielichtige Machenschaften verwickelt ist. Durch einen Zufall gerät sie an das alte Kostüm von Ronin, rettet einen pizzaversessenen Hund und legt sich mit einer ganzen Bande von Mafiosi in Trainingsanzügen an.

Gleichzeitig ist Clint Barton mit seinen Kindern in New York unterwegs. Der ehemalige Held will mit dem Nachwuchs ein paar ruhige Tage vor Weihnachten verbringen, während seine Frau Laura zuhause die Festlichkeiten vorbereitet. Die Bartons nehmen alles mit: riesiger Weihnachtsbaum, Restaurantbesuch. Sogar ein reichlich fehlerhaftes Musical über die Avengers schaut sich die Familie an. Zu seinem Leidwesen wird Clint überall in der Stadt als Hawkeye erkannt und bewundert. Doch als das Fernsehen über eine maskierte Gestalt berichtet, die sein altes Ronin-Kostüm trägt, geht Clint der Sache nach und trifft auf Kate, die bis zum Hals in Schwierigkeiten steckt. Zu allem Überfluss ist die Trainingsanzug-Mafia ein alter Feind von Clint. Schafft er es, rechtzeitig zu den Feiertagen nach Hause zu kommen?

Erzählstil

Nachdem WandaVision, The Falcon and the Winter Soldier sowie Spider-Man: Far From Home allesamt wenige Monate nach Avengers: Endgame spielten, macht Hawkeye einen kleinen Zeitsprung. Wie viel Normalität ist seit dem „Blip“ im Jahr 2023 in die MCU-Welt zurückgekehrt? Zumindest wirkt der Big Apple so, als wäre die Auslöschung des halben Universums nie passiert, alle freuen sich auf die Feiertage. Doch kleine Details erinnern an die fünf Jahre währende Apokalypse: So findet Clint auf einer öffentlichen Toilette das Graffito: „Thanos was right“ – Thanos hatte recht. Nur ein Easter Egg, oder wird die Serie noch deutlicher auf die Folgen dieses Ereignisses eingehen? Es würde zumindest das erfolgreich begonnene Worldbuilding von Phase 4 weiterführen.

Ansonsten steht in Hawkeye aber erstaunlich wenig auf dem Spiel im MCU-Vergleich. Es muss keine Stadt gerettet werden, nicht die Zeit oder das Multiversum an sich. Im Raum stehen nur ein mysteriöser Mord und die Umtriebe einer erstaunlich unterbelichteten Gang von Jogginganzug-Fetischisten. Deren Absichten sind völlig unklar, sodass die größten Probleme in den ersten beiden Folgen vor allem die sind, in die sich Kate selbst hineinmanövriert hat. Und Clint tut das, was er erfolgreich schon in Age of Ultron und Civil War getan hat: Ersatzpapa für eine junge Heldin spielen, die sich zu weit aus dem Fenster lehnt.

Man bekommt den Eindruck, dass Bartons großes Dilemma im MCU darin besteht, dass er keine Zeit mit seiner Familie verbringen kann und deswegen überwiegend grummelig unterwegs ist. Das ist schade, denn für seine eigene Serie hätten ihm einige neue Stories gut zu Gesicht gestanden. Es ist zwar erst Folge 2 erschienen, aber das ist immerhin schon ein Drittel der gesamten Staffel. Erfahren wir eventuell noch, was mit ihm und Black Widow in Budapest passiert ist? Immerhin wird Yelena Belova im Laufe der Serie auftauchen. Gibt es noch mehr Flashbacks zu seiner Zeit als Ronin? Auch das wäre denkbar. In den ersten beiden Episoden steht Clint Barton aber im Schatten anderer Helden, und das ist wirklich nichts Neues. Hauptfiguren sind hier ganz klar Kate und das weihnachtliche New York.

Inszenierung

An Weihnachtsstimmung wird nicht gespart. Kamerafahrten durch festlich geschmückte Straßen, Nahaufnahmen von Gebäuden mit großen Tannenbäumen oder Innenansichten weihnachtlich verzierter Apartments kommen in fast jeder Szene vor. Auch musikalisch wird Feiertagsstimmung erzeugt: Zahlreiche Weihnachtsklassiker aus den 1940ern bis 1960ern, wie etwa Andy Williams‘ „It’s the Most Wonderful Time of the Year“ begleiten die Szenen. Sogar ein eigens für die Serie komponiertes Stück aus dem fiktiven „Rogers: The Musical“ namens „Save the City“ ist erhältlich und sorgt für großes Aufsehen im MCU-Fandom.

Hawkeye will das Feeling von typischen Weihnachtsfilmen einfangen und das ist gar nicht mal so verkehrt, auch wenn es ein bisschen weh tut angesichts der realen Einschränkungen der Vorweihnachtszeit durch die Pandemie. Ein Mann, der einfach nur rechtzeitig zum Fest zuhause sein will? Check. Tollpatschige Bösewicht*innen? Check. Ein niedliches Tier als Begleiter? Sowas von check. Hier erwartet uns kein großes Mysterium wie die Scheinwelt von Wanda Maximoff, kein politischer Thriller wie Sam Wilsons Kampf gegen Super-Terrorismus. Vielleicht trügt der Schein aber auch und die albernen Trainingsanzüge stehen für einen viel finsteren Plan. Aber würde das die Besinnlichkeit der Serie trüben? Eher nicht. Mittlerweile kann man an den ersten beiden Episoden einer Marvel-Serie ganz gut den Gesamtton erkennen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Clint und Kate in der sechsten Episode im Strickpulli Punsch schlürfen. Auch so etwas kann sich das MCU inzwischen leisten.

Darsteller*innen

Jeremy Renner spielt gekonnt den entspannten Familienvater, der seine Kids liebt, aber auch gerne in Ruhe gelassen werden möchte. Nur gelegentlich bricht sein Trauma aus der Endgame-Ära hervor: Sein kurzes Intermezzo als mörderischer Ronin und der Verlust von Natasha Romanoff beschäftigen ihn immer noch. Wie zuvor erwähnt, bekommt Renner in den ersten beiden Folgen noch keine Chance, Clint weiterzuentwickeln. Es wäre erfreulich, wenn er weitere Persönlichkeitsfacetten zeigen könnte und nicht nur Steigbügelhalter für Kate Bishop wäre.

Diese wird von Hailee Steinfeld mit einer Leichtigkeit gespielt, die großen Spaß macht. Kate ist jung, unerfahren, selbstüberschätzend und nie um einen Spruch verlegen, was aber zum Glück nicht nervig wird. Ähnlich wie Peter Parker zuvor ist auch sie ein Fan, der in der Oberliga mitspielen will und noch viel zu lernen hat. Somit ist Hawkeye auch eine Coming-of-Age-Geschichte. Noch eine Gemeinsamkeit mit Spider-Man: Steinfeld hat Gwen Stacey in Into the Spider-Verse ihre Stimme geliehen. Nicht ihr erster Marvel-Einsatz also, aber ihr erster MCU-Auftritt. Steinfelds Kate beweist, dass es auch Spaß machen kann, erwachsen zu werden. Renners Clint hingegen zeigt, dass Erwachsensein eine ganz andere Geschichte ist. Übrigens ist Hailee Steinfeld ausgebildete Sängerin (bekannt aus der Pitch Perfect-Reihe) – wird Kate noch mal ein Weihnachtslied singen?

Tony Dalton spielt den eindeutig zu perfekten Verlobten und Möchtegern-Stiefvater Jack mit genau jener unterschwelligen Schmierigkeit, die bei Kids wie Kate die Alarmglocken schlagen lassen. Während er Eleanor Bishop mit Romantik und Kochkunst umgarnt, zeigt er sich im Privaten als prassender, nutzloser Erbe. Jacks Szenen mit Kate deuten eine dunklere Seite an, die sicher noch zum Vorschein kommen wird: Hier zeichnet sich ein Konflikt mit Kates anderem Ersatzvater Clint ab.

Neben Kate bleiben die anderen weiblichen Charaktere relativ im Hintergrund. Vera Farmiga (Eleanor Bishop) und Linda Cardellini (Laura Barton) zeigen zwei unterschiedliche Mutterfiguren: Hier die reiche Businessfrau, die ihre Tochter nicht erreicht, dort die fürsorgliche Mama, die das Heldentum ihres Gatten aus der Entfernung unterstützt. Es wäre schön, mehr über sie zu erfahren.

Die beiden Antagonistinnen Echo (Alaqua Cox) und Yelena Belova (Florence Pugh) hingegen werden definitiv eine große Rolle spielen, aber noch nicht in den ersten beiden Episoden. Cox taucht nur sehr kurz auf, Pugh gar nicht. Das wird sich aber spätestens mit Episode 3 ändern. Da bereits eine eigene Serie für Echo angekündigt ist, sollte sich der Hype hoffentlich auszahlen. Pugh war bereits der heimliche Star von Black Widow und es ist zu 150% sicher, dass sie coole Wortgefechte mit Kate austragen wird. Bitte!

Der Golden Retriever Jolt als Lucky, der Pizza-Hund ist ein ganz Feiner. Ein ganz ein Feiner ist er! Das musste nur mal erwähnt werden. Tier-Sidekicks waren im MCU bislang eher rar und Lucky hat die besten Chancen, Fan-Favorit zu werden.

Die harten Fakten:

Hawkeye © Marvel Studios
© Marvel Studios
  • Regie: Rhys Thomas (Folge 1+2)
  • Darsteller*innen: Jeremy Renner, Hailee Steinfeld, Tony Dalton et al.
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Umfang: 6 Episoden (ca. 50 Minuten), wöchentliche Veröffentlichung
  • Sprache: Englisch (Rezension), Deutsch, Spanisch (Spanien/Lateinamerika), Französisch (Frankreich/Kanada), Italienisch, Japanisch, Portugiesisch (Brasilien). Weitere Sprachen als Untertitel verfügbar
  • Format: Serie, Streaming
  • Preis: Disney+ Monatsabo EUR 6,99, Jahresabo EUR 69,99
  • Bezugsquelle: Disney+

 

Fazit

Auch wenn Clint Barton zu Beginn von Hawkeye wie gewohnt im Hintergrund bleibt, gibt er eine gute Figur ab. Er ist einfach der nette Typ von den Avengers, so unbekannt, dass nicht mal das Musical etwas Sinnvolles über ihn sagen kann. Mehr muss er auch nicht sein. So kann er den eher ernsten, erfahrenen Mentor abgeben, der Kates Übereifer im Zaum hält.

Hawkeye ist (bislang) eher Kate Bishops Serie, was an sich Sinn ergibt. WandaVision hat Billy und Tommy Maximoff eingeführt, The Falcon and the Winter Soldier hat uns Eli Bradley präsentiert und in den kommenden Sequels zu Doctor Strange und Ant-Man werden Miss America und (vermutlich) Stinger debütieren. Mit Kate sind die Young Avengers fast vollzählig. Eventuell stößt noch Ms. Marvel dazu, die zwar in den Comics einem anderen Team angehört, aber vom Alter her gut dazupasst. Kamala Khan wird 2022 mit ihrer eigenen Serie starten. Dieses Team-up dürfte aber eher für Phase 5 aufgehoben werden, die noch nicht angekündigt wurde.

Aber Spekulation über zukünftige Rollen im MCU ist müßig. Im hier und jetzt ist Hawkeye einfach eine Serie, die Spaß macht. Tiefgreifende Betrachtungen von Trauerbewältigung oder systemischem Rassismus dürfen die anderen Serien vornehmen. Hier winkt einfach nur Weihnachtsfreude. Ein Volltreffer!

  • Großartige neue Protagonistin
  • Schönes Weihnachtsambiente
 

  • Männliche Hauptfigur könnte besser entwickelt werden
  • Die Stimmung wird nicht allen MCU-Fans gefallen

 

Artikelbilder: © Marvel Studios
Layout und Satz: Nina Horbelt
Lektorat: Nina Horbelt

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