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Eigentlich sollte das Marvel Cinematic Universe ohne Unterbrechungen weitergehen, doch dann mussten die Kinos schließen. So kam es, dass der erste Film von Phase 4 – Black Widow – erst diesen Sommer im Kino zu sehen ist. Wie gelungen ist der offizielle cineastische Einstieg in Phase 4?

Vor eineinhalb Jahren zweifelten viele Leute an, ob das Marvel Cinematic Universe (MCU) wie bisher weitergehen könne. Immerhin hat die Serie mit Avengers: Endgame ein bombastisches Finale abgeliefert, welches der krönende Abschluss vieler Geschichten war, die Fans über die Jahre mitgerissen haben. Außerdem wurde immer wieder von Superheld*innenmüdigkeit gesprochen, davon, dass man langsam genug vom Genre hätte.

Davon kann mittlerweile keine Rede mehr sein. Immerhin haben die meisten Kinogänger*innen nun eine gut 18 Monate andauernde Zwangspause erlebt, in der keine neuen Marvel-Filme herausgekommen sind und der Kinobesuch als Freizeitbeschäftigung einfach weggefallen ist. Entsprechend freuen sich Viele in gespannter Erwartung auf die neuen Marvel-Filme und darauf, wie es weitergeht. Dabei macht die Phase 4 des MCU, die eigentlich bereits mit mehreren Serien auf Disney+ begonnen hat, mit einem Film, der weit vor den Ereignissen von Infinity War und Endgame spielt, einen gewagten Einstieg.

Story

Der Film setzt nach dem Ende von Captain America: Civil War an. Natasha ist wegen ihrer Verletzung des Sokovia-Abkommens auf der Flucht vor der amerikanischen Regierung. Als wäre das allerdings nicht genug, erhält sie ein seltsames Paket.

Über den ersten Akt

Diesem Paket schenkt sie zunächst keine Aufmerksamkeit, doch kurz darauf wird sie von einem in eine modernen Rüstung eingehüllten Kämpfer angegriffen: Taskmaster. Sie schafft es nur knapp, ihm zu entkommen und zumindest den Inhalt des Paketes mit sich zu nehmen. Ein Hinweis verrät ihr, von dem das Paket ist: Yelena, der Black Widow, die für drei Jahre in den USA ihre kleine Schwester gespielt hat.

Natasha macht sich auf die Suche nach ihr und braucht nicht lange, um sie zu finden. Auch wenn die beiden misstrauisch gegenüber der jeweils anderen sind, müssen sie schon bald zusammenarbeiten, da sie von weiteren Black Widows verfolgt werden. So erfährt Natasha, dass alles, was sie in den letzten Jahren geglaubt hat, falsch war: Sie hat den Red Room nicht vernichtet, als sie damals zu S.H.I.E.L.D. übergelaufen ist. Dieser ist noch immer funktional und hat seine neuen Black Widows nun unter chemischer Kontrolle. Der Inhalt des Paketes ist eine Chemikalie, die diese chemische Kontrolle überschreiben kann.

Also fasst Natasha kurzerhand einen Entschluss: Wenn es ihr damals nicht gelungen ist, den Red Room zu zerstören, wird sie es eben jetzt tun und Dreykov, dem Leiter des Black Widow Programms, das Handwerk legen.

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Der Film ist definitiv anders, als man es von Marvel-Filmen erwartet. Statt einem klassischen Superheld*innenfilm handelt es sich bei Black Widow eher um einen Agent*innenthriller. Der Marvel-Film, mit dem er sich vielleicht vergleichen ließe, ist wohl Captain America: The Winter Soldier, doch im Allgemeinen möchte der Film eher in Richtung James Bond und Mission: Impossible gehen, als dem Aufbau von Iron Man oder Doctor Strange zu folgen. Dabei bleibt es allerdings nicht. Der Film stellt auch eine Origin-Story dar, nur nicht jene von Natasha; denn genau so sehr wie um unsere bekannte Black Widow geht es in diesem Film auch um Yelena, ihre „Schwester“.

Das lässt allerdings einen Rückschluss zu, der die Spannung des Films durchaus mindern könnte: Dem Publikum wird rasch klar, dass zumindest von diesen beiden Hauptfiguren keine sterben wird. Natasha überlebt diesen Film, das wissen wir längst, und so, wie Yelena als Hauptfigur aufgebaut wird, ist die Annahme gerechtfertigt, dass man diesen Charakter nicht gleich wieder den Leinwandtod sterben lassen wird. Dies ist allerdings ein bekanntes Problem des MCU. Immerhin haben die Marvel-Filme eine eigene Marke und dazu gehört, dass Hauptfiguren, wenn überhaupt, dann in den Avengers-Filmen sterben dürfen, nicht aber in ihren alleinstehenden Filmen.

Davon abgesehen spielt der Film ein wenig zu sehr mit dem „Roten Geist“ der Sowjetunion. Denn natürlich sind die Antagonist*innen überlebende Sowjets, sodass das Finale sehr deutliche Untertöne von „amerikanischer Individualismus gegen sowjetischen Kollektivismus“ mit sich bringt. Etwas, was im Jahr 2021 ein mittlerweile oft genutztes Klischee darstellt.

Der Film versucht ähnlich wie schon Captain Marvel hier und da feministische Themen anzusprechen, tut dies allerdings mit der Holzhammermethode, so dass es nicht wirklich überzeugend daher kommt. Leider ist auch eine Warnung auszusprechen: In dem Film kommen einige fettfeindliche Witze vor, außerdem gibt es eine ausführliche Besprechung von Zwangssterilisation, welche für einige Zuschauer*innen zu detailliert sein könnte.

Figuren & Darsteller*innen

Wie für die alleinstehenden Filme des Marvel-Universums üblich, ist die Besetzung recht überschaubar gehalten. Scarlet Johansson spielt Natasha Romanov und bringt genau den Charakter herüber, den man nach acht anderen Filmen mit ihr in der Rolle erwartet. Sie stellt die Figur durchaus mit einiger Komplexität dar: Natasha ist eine Person, die von vielen Geistern gejagt wird und der man diesen Umstand ansieht. Zugleich macht sie auch weiterhin ein gutes Bild bei den eher actionlastigen Szenen.

Neu im Film dabei ist Florence Pugh als Yelena, der Black Widow, die als Kind für drei Jahre Natashas Schwester gespielt hat. Sie hat zumindest in diesem Film nicht ganz die emotionale Bandbreite, die Johansson zeigt, was allerdings keinesfalls heißen soll, dass sie schlecht in der Rolle ist. Leider wird ihr Marvel-Debüt etwas geschmälert, da ihr russischer Dialekt zumindest in der englischen Fassung teilweise erzwungen wirkt.

Dann hätten wir David Harbour mit dabei, der Alexei Shostako, auch bekannt als Red Guardian, spielt. Diese Figur ist zu großen Teilen einfach nur der Comic Relief in dem Film, hat daher alles in allem mehr Chancen, sein komödiantisches Timing unter Beweis zu stellen als seine schauspielerischen Leistungen. Die witzigen Einlagen funktionieren mal besser, mal schlechter und mal gar nicht – leider sind viele von ihnen fettfeindlich, obwohl David Harbour einfach nur nicht die Figur eines Captain Americas hat und kein extremes Übergewicht hat.

Zuletzt wird der Cast noch von Rachel Weisz ergänzt, die Melina spielt – eine weitere Black Widow, die Undercover als die Mutter von Natasha und Yelena agiert hat und nun eine Wissenschaftlerin für Dreykov ist. Sie hat ein paar mehr Chancen, ihr Können unter Beweis zu stellen und macht dies auch recht solide. Was ein wenig fraglich ist: Der Film fängt mit einem Rückblick an. Zwischen diesem und der Gegenwart des Films scheint Melina kaum gealtert, was der Film nie erklärt.

Inszenierung

Wenn es um die Inszenierung geht, gibt es gewisse Standards, die man von einem Marvel-Film erwartet und diese werden zu großen Teilen auch erreicht. Die Action ist solide, die Spezialeffekte sind im Großen und Ganzen überzeugend; nur einige wenige CGI-Hintergründe sehen dann doch sehr nach CGI aus. Die Musik ist nicht großartig, aber auch nicht schlecht. In diesen Aspekten bleibt der Film nicht hinter anderen, für sich stehenden Marvel-Filmen zurück, aber er übertrifft sie eben auch nicht.

Alles in allem ist die Inszenierung erneut rundum solide gelungen. Sicher könnten einzelne Aspekte besser sein, doch da es die perfekte Inszenierung nicht gibt, finden sich bei jedem Film eben verschiedene Punkte, wo es doch ein bisschen besser gegangen wäre. Richtig schlecht ist allerdings kein einzelner Aspekt des Films – also alles genau wie erwartet. Das einzig Irritierende war die Kameraführung in den Story-Szenen. Hier hat sich Regisseurin Cate Shortland für ein Handheld-Setup entschieden und dies ist leider immer wieder bemerkbar. Denn in diesen eher ruhigen Szenen wackelt die Kamera immer wieder und geht teilweise auch unangenehm nahe an die Figuren mit heran. Das ist etwas, das zumindest ein wenig Gewöhnung erfordert, allerdings ist dies eben nur in den ruhigeren Szenen der Fall. Die Actionszenen sind auf dieselbe Art gedreht wie alle anderen Actionszenen in Marvel-Filmen auch.

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Erzählstil

Der Film fängt mit einer Rückblende an, welche Natasha, Yelena und ihre beiden vermeintlichen Eltern in Ohio zeigt, wo sie undercover gelebt haben. Mit den Opening Credits – denn ja, anders als die anderen Marvel-Filme verwendet der Film tatsächlich Opening Credits – leiten wir in die Gegenwart über, sprich: Natasha ist auf der Flucht vor der amerikanischen Regierung. Von da an bewegt sich der Film stringent linear durch die Handlung.

Dabei folgt der Film der wohl bekanntesten Vorlage für Drehbücher: „Save the Cat“. Der Aufbau ist genau, wie Blake Snyder ihn in seinem Buch vorgeschlagen hat. Das sorgt natürlich für einen angenehmen Fluss, da sich dieser Aufbau gerade in Action-Filmen sehr bezahlt macht. Allerdings ist dieser Aufbau für viele Zuschauer*innen sicher unbewusst bekannt genug, als dass einige Wendungen nicht ganz so überraschend kommen, wie der Drehbuchautor es vielleicht gerne hätte.

Entsprechend lässt sich an vielen Stellen bereits erahnen, was als nächstes passieren wird, da der Film dahingehend keine ungewöhnlichen Wendungen mit sich bringt. Nur eine der Wendungen war wirklich überraschend, allerdings selbst diese nicht unvorhersehbar.

Wie sehr dies stört, hängt natürlich von einzelnen Zuschauer*innen ab und wie leicht es ihnen fällt, anhand von bekannten Mustern Wendungen voraus zu ahnen. Doch alles in allem hätte der Aufbau ein einige überraschende Wendungen vertragen können – schließlich ist der Film in erster Linie ein Agent*innenthriller, und diese leben normalerweise von solchen Wendungen.

Die harten Fakten:

  • Regie: Cate Shortland
  • Darsteller*in(nen): Scarlett Johansson, Florence Pugh, David Harbour, Rachel Weisz
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Englisch (OV), Deutsch
  • Format: Film
  • Preis: Festgelegte Preise des heimischen Kinos

 

Fazit

Zusammengefasst lässt sich also sagen: Marvel hat eine Marke, welche bestimmte Erwartungen weckt. Man weiß, was man bekommt, und genau das liefert dieser Film auch: solide Action, etwas Humor, ein durchschnittlicher Soundtrack und ein bombastisches Finale. Zwischen alldem einige ruhigere Charaktermomente. In vielen Aspekten erinnert der Film sehr an Captain America: The Winter Soldier, sowohl in Sachen des Aufbaus, als auch bezüglich mancher Wendungen. Wer diesen Film also mochte, wird wohl auch an Black Widow seinen Spaß haben.

Marvel macht es einem wirklich schwer, einzelne Filme zu bewerten, weil man sich fühlt, als würde man sich wiederholen. Ja, es ist ein weiterer Marvel-Film, der überdurchschnittlich gutes Popcorn-Kino bietet. Nein, der Film hat nicht dieselbe Nuance, wie beispielsweise Black Panther hatte, aber mit den allermeisten anderen der alleinstehenden Filme des Universums kann Black Widow durchaus mithalten.

Wer die Marvel-Filme alles in allem mag, der wird auch diesen Film mögen. Wer sie nicht mag, dem kann man auch diesen Film nicht empfehlen. Der Film macht das, was er machen will, sehr gut, allerdings macht er eben nicht viel mehr. Es ist ein guter Marvel-Film, ein unterhaltsamer Sommerblockbuster – und mehr möchte Black Widow auch nicht sein.

  • Gute Action
  • Sehr gute Effekte
  • Einführung neuer Figuren
 

  • Durchschnittlicher Soundtrack
  • Teilweise vorhersehbare Handlung

 

Artikelbilder: © Marvel Studios
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Lukas Heinen
Der Besuch dieser Vorstellung war kostenlos.

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