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Die Percy Jackson-Bücher werden von ihren Fans heiß geliebt und gelten als Vorbilder für Autor*innen, die für die gleiche Altersgruppe schreiben. Die Adaption als Serie auf Disney+ ist der zweite Anlauf einer Verfilmung und weckte im Voraus Hoffnungen dank mutigen Casting-Entscheidungen und Unterstützung des Buchautors. Kann die Serie diesen gerecht werden?

Rick Riordans Percy Jackson-Romane für die Altersgruppe 10+ sind in Deutschland vielleicht ähnlich bekannt, aber nicht so als Phänomen etabliert wie in den USA, wo sie nur eine Stufe unter Super-Bestsellern wie Harry Potter oder Twilight stehen. Leider bin ich ein halbes Jahrzehnt zu alt und nicht so im Fandom aufgewachsen, wie ich es gerne wäre.

Der Erfolg der Bücher rief natürlich schnell Hollywood auf den Plan. Schon 2010, nur ein Jahr nach dem Abschluss der (ursprünglichen) Quintologie, kam Percy Jackson & the Olympians: The Lightning Thief in die Kinos. Autor Riordan hatte kaum Einfluss auf den Film, der trotz starker Darsteller*innen von Kritiker*innen größtenteils lauwarm aufgenommen und von Fans gehasst wurde, genau wie sein Nachfolger. Riordan ist dafür bekannt, den Filmen ähnlich feindselig und bissig gegenüberzustehen wie den intoleranten Trollen und konservativen Moralaposteln, die er gern sarkastisch aufs Korn nimmt – auch ein Unterschied zu seinen Kolleginnen mit Harry-Potter– und Twilight-Ruhm.

Rick Riordan über die Verfilmung von 2010 © X (ehem. Twitter)/Rick Riordan
Rick Riordan über die Verfilmung von 2010 © X (ehem. Twitter)/Rick Riordan

Die hohen Erwartungen an die Serie waren also begründet und Herausforderungen gibt es auch genug. Die Hauptfiguren von 12-Jährigen zu jungen Erwachsenen im Highschool-Alter zu machen und mit Erwachsenen zu besetzen – Annabeth-Darstellerin Alaxandra Daddario war beim Erscheinen des Films 24 – war eine der von Riordan am schärfsten kritisierten Entscheidungen des Film-Franchises. Da der Autor, der von seinen Fans liebevoll Onkel Rick genannt wird, in die Serie stark involviert ist, war früh klar, dass junge Schauspieler*innen viel würden leisten müssen.

Gleichzeitig musste sich die Besetzung der Serie an durchaus beeindruckenden schauspielerischen Leistungen messen lassen. Pierce Brosnan, Sean Bean, Uma Thurman und einige weitere lieferten durchaus ikonische Einzelleistungen ab. Und nicht zuletzt hatte sich die Welt in den zwanzig Jahren seit dem Erscheinen der Bücher verändert.

Triggerwarnungen

Bedrohung von und Gewalt gegen Minderjährige, gewaltsamer Tod, Tod von Elternfiguren, Andeutung von Kindersoldaten

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Story

Percy Jackson ist ein Problemkind mit ADHS und Dyslexie. In diesem Fall ist er allerdings nicht die Vorlage für das angeblich so lebensnahe Gesülze eines Autors mittleren Alters, der gerne in der Schule gelesen werden will und mal jemanden mit ADHS kannte. Stattdessen ist Percy der Sohn eines griechischen Gottes und einer Sterblichen. Diese muss ihn versteckthalten, da die Monster der griechischen Mythologie mit Halbgöttern wie ihm ein Problem haben. Als er allerdings trotz ihrer Bemühungen zum Ziel einer Furie wird, bringt sie ihn zum sogenannten Camp Half-Blood, einem mehr oder weniger sicheren Ort für junge Halbgötter.

Megan Mullally als Alecto © Disney
Megan Mullally als Alecto © Disney

Der Anfang des Buches sticht – allen Spott mal beiseite – vor allem durch seine Lebensnähe und das Vermeiden von Kitsch und Weichzeichnen heraus. Wo so viele Kinderbuchheld*innen zwischen Mitleidsfalle, Wunscherfüllung und Identifikationspotential rangieren, ist Percys Leben real, frustrierend und fair erzählt. Man kann sich mit ihm identifizieren, aber er hat Kanten.

Die Serie bemüht sich durchaus, das zu übernehmen, bleibt aber nicht lang genug in dieser Situation, um dieselbe Tiefe zu finden. Was hängenbleibt, ist vor allem der Kontrast: Die magische Welt im Wandschrank oder zwischen den Gleisen ist kein wundervoller Ort, der von einem Übel irgendwo in der Ferne bedroht und von edelmütigen Vaterfiguren beschützt wird. Die Gefahr ist hier, genau jetzt, und sie ist ernst.

Jason Mantzoukas als Mr. D © Disney
Jason Mantzoukas als Mr. D © Disney

Im Camp Half-Blood lernt Percy verschiedene andere Halbgötter kennen und muss sich gegen Mobbing wehren. Die Erwachsenen hier sind ganz im Stil der Welt keine weisen Mentoren, sondern eher verschroben bis problematisch, vor allem Camp-Leiter Mr. D, der unfreiwillig nüchterne auf die Erde verbannte Dionysos.

Doch auch hier verbringt die Serie nur wenig Zeit. Schnell wird Percy als Sohn Poseidons erkannt und bekommt eine Queste, um einen Krieg zwischen dem Meeresgott und seinem Bruder Zeus zu verhindern. So richtig etabliert sich Camp Half-Blood nicht als Heimstatt von Außenseitern und Unangepassten. Gerade für alte Fans mag das schade sein, ist es doch ein zentrales Identifikationsmoment.

Camp Halfblood-Shirts sind unter den Fans Tradition © By Rodrigo Fernández - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=54836241
Camp Halfblood-Shirts sind unter den Fans Tradition © By Rodrigo Fernández – Own work, CC BY-SA 4.0

Von nun ist der Kern der Story eine Reihe von Prüfungen, die Percy mit seinem langjährigen Freund und bisher heimlichen Beschützer, dem Satyr Grover, und der hochintelligenten Athene-Tochter Annabeth durchstehen muss, während sie über Land von New York nach Los Angeles reisen.

Die einzelnen Stationen – Begegnungen mit Medusa, Echidna, Ares und anderen – fügen sich großartig in die Episodenstruktur. Die vom Autor begleiteten Drehbücher nehmen dabei durchaus bewusst Änderungen an den ikonischen Momenten der Serie vor, fast immer zum Guten. Beizeiten nutzt Riordan die Gelegenheit, um echte Dreher zu korrigieren. Ein berühmter Fehler im Buch ist etwa Percys Sprung vom Gateway Arch in St. Louis in den Mississippi. Das Monument steht etwa 250 Meter vom Fluss entfernt, was dem Autor schlicht nicht bewusst war. In der Serie stürzt Percy nun von anderer Stelle in den Fluss.

Darsteller*innen

Um das Wichtigste vorwegzunehmen: Die jungen Schauspieler*innen machen ihre Arbeit sehr gut, beeindruckend gut sogar. Walker Scobell ist ein großartiger Percy Jackson, der die Balance zwischen Abenteuerheld und Teenager hält. Aryan Simhadri als Grover trägt maßgeblich dazu bei, die im Original eindimensionale Figur zu einem echten Teil des Trios auszubauen. Und Leah Sava Jeffries zeichnet Annabeth als unnahbare und traumatisierte, sarkastische und loyale Überlebende in einer grausamen Welt.

Die Hauptfiguren in New York © Disney
Die Hauptfiguren in New York © Disney

Jeffries übernimmt eine Rolle, die ursprünglich als blonde Kaukasierin beschrieben wurde. Die rassistischen Kommentare blieben da natürlich nicht aus. Jeffries ist ein Paradebeispiel dafür, was Diversität einer Produktion jeder Art geben kann. Und auch jenseits der leidigen Kulturkämpfe hat sich das Vertrauen, das die Macher*innen in ihre jungen Stars gesteckt haben, mehr als ausgezahlt. Es beeindruckt vor allem, wie trocken, präzise und nuanciert die Jungschauspieler*innen an ihre Figuren herangehen, während um sie herum ein phantastisches Abenteuer das nächste jagt. An diesen Darstellungen der drei Figuren, die als Konstante durch die Episoden gehen, hängt die gesamte Serie, und sie hängt mehr als stabil. Besonders macht ihr Stil deutlich, wie fremd, barbarisch und belastend das Leben junger Halbgötter ist.

Adam „Edge“ Copeland als Ares © Disney
Adam „Edge“ Copeland als Ares © Disney

Umgeben werden die drei Held*innen von einem großartigen Ensemble in interessanten Nebenrollen. Allein die Wahl von Jason Mantzoukas als Dionysos sollte deutlich machen, dass die Casting-Verantwortlichen mit einem Auge für starke und individuelle Auftritte an ihren Job herangegangen sind. Neben ihm sind besonders Jessica Parker Kennedy als Medusa und Wrestling-Legende Adam „Edge“ Copeland als Ares eine besondere Erwähnung wert. Auch die jüngeren Nebenschauspieler*innen liefern gute Arbeit ab, ohne viel zu tun zu haben – von Dior Goodjohn als Clarisse bis zu Azriel Dalman als kindlicher Percy in Rückblenden.

Sally und Percy Jackson © Disney
Sally und Percy Jackson © Disney

Herausgehoben werden muss natürlich eine Figur ganz besonders: Sally Jackson, Percys Mutter, gespielt von Virginia Kull. Sally ist eine zentrale Motivation für Percy, kommt aber nur am Anfang und in Rückblenden vor. Kull spielt die liebevolle, kämpfende Mutter in Perfektion, versteckt ihre Schwächen und ihre Menschlichkeit nicht und bleibt trotzdem eine ikonische Persönlichkeit auf dem Niveau von Teen Wolfs Melissa McCall und anderen übermenschlich menschlichen Teenieheld*innen-Mamas der Fernsehgeschichte.

Inszenierung

Die Unterwelt © Disney
Die Unterwelt © Disney

Ganz im Sinne der starken Dialoge und Charakterisierungen ist es vor allem beeindruckend, wie ruhig und auf den Moment gerichtet die Inszenierung von Percy Jackson and the Olympians ist. Wieder würde man Action, Jump Cuts und aufgeregte Jugendlichkeit erwarten. Doch diese Szenen sind kurz, handwerklich eher einfach und bilden einen Kontrast zum Sonstigen. Man bekommt viel mehr klare und lange Blicke auf die Akteur*innen, eindrückliche Kulissen mit und ohne den Kontrast zu mythischen Elementen darin und verweilende Einstellungen auf stimmungsgebende Landschaften.

Hoplitenkostüme im Camp © Disney
Hoplitenkostüme im Camp © Disney

Das heißt nun nicht, dass die Serie zäh oder allzu ernst ist. Sie braucht keine immer gleichen Farbfilter, um ihre unerwartet ernsten Untertöne zu vermitteln. Camp Half-Blood, New York, die Unterwelt, jede Biker Bar und jede Stadt ist charakterstark und unterscheidbar. Manchmal ist Percy Jackson and the Olympians durchaus stolz auf seine skurrileren Momente, etwa bei den Kriegsspielen im Camp Half-Blood. Doch es nimmt sich immer Zeit für die Charaktere und verankert sie mit direkten, nahen Einstellungen in ihrer widersprüchlichen, komplexen Welt.

Erzählstil

Die Änderungen in der Story von The Lightning Thief korrigieren nicht nur Fehler oder aktualisieren das Buch auf den heutigen Stand der Technik. Viele der wirklich albernen Szenarien weichen einer intelligenteren Gruppe von Teenagern und oft tiefgehenderen zwischenmenschlichen Momenten. Die Serie nimmt seine Zielgruppe noch einmal ernster, als es das Buch schon versuchte.

Die drei in griechischen Mythen bewanderten Reisenden schlendern nicht mehr ahnungslos durch einen Garten lebensgetreuer Statuen und lassen sich dann um ein Haar von der Medusa überraschen. Ihr angespannter Dialog mit der Kreatur, während draußen eine mörderische Furie lauert, macht stattdessen Annabeths Mutter-Kind-Beziehung deutlich und zeichnet Medusa als eine gebrochene Frau, deren Verhältnis zu den übermächtigen Göttern nie in ihrer Hand lag. Diese Dialoge mit ihren Spannungen und Bedrohungen sind eine der größten und beeindruckendsten Stärken der Serie. An manchen Stellen fühlt man sich in dieser Kinderserie auf Disney+ geradezu an Quentin Tarantino erinnert.

Die Held*innen in Medusas Emporium © Disney
Die Held*innen in Medusas Emporium © Disney

Eine häufig geäußerte Kritik ist zwar, dass einige der Änderungen im Vergleich zum Buch den jeweiligen Szenen ihre Bedrohlichkeit nehmen. Und natürlich ist es ein anderes Gefühl, wenn Percy in Procrastus’ Laden hineinmarschiert und ihm schlicht ins Gesicht sagt, dass er und seine Freund*innen für die Fallen der Sagenfigur zu clever sind. Im Buch rettet er seine Freund*innen im letzten Moment aus tödlicher Gefahr. Allerdings werden hier im Normalfall nur Action und Abenteuer gegen andere Formen von Spannung ersetzt. Die Änderungen geben den Hauptfiguren einen Anstrich von Kompetenz, der ihnen im Buch manchmal doch schmerzlich fehlte.

Die harten Fakten:

  • Showrunner: Jonathan E. Steinberg, Dan Shotz
  • Darsteller*in(nen): Walker Scobell, Leah Sava Jeffries, Aryan Simhadri, Virginia Kull, Adam Copeland, Lin-Manuel Miranda
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Format: Streaming, 30–60 Minuten
  • Preis: im Abo enthalten
  • Bezugsquelle: Disney+

 

Fazit

Percy Jackson and the Olympians ist eine großartige Serie – handwerklich, schauspielerisch, von seiner Story und seiner Atmosphäre her. Es ist vielleicht nicht immer, was man erwarten würde. Anstatt der rasanten Geschwindigkeit des Buches oder des actionlastigen Hollywood-Stils der misslungenen ersten Verfilmung bekommt man starke Charaktere und eine anregende, zutiefst fehlerbehaftete Welt. Die Hauptcharaktere sind komplex und nuanciert, die Nebencharaktere farbenfroh und eindrücklich. Ich bin kein begeistertes Fangirl der Bücher oder des Autors und auch schon länger nicht mehr in der richtigen Altersgruppe. Selbst mein berufliches Interesse als Autorin setzt eher ein paar Jahre später an. Doch ich hatte mit Percy Jackson and the Olympians trotzdem große Freude und war überrascht, wie oft ich die Serie schlicht und ergreifend beeindruckend fand.

 

  • Brillante Dialogszenen
  • Großartige Schauspieler*innen
  • Sinnvolle Änderungen der Story

 

  • Wenig Tiefe zu Anfang

 

Artikelbilder: © Disney, X (ehem. Twitter)/Rick Riordan, Rodrigo Fernández
Layout und Satz: Mika Eisenstern
Lektorat: Alexa Kasparek

Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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