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Im Königreich der Mittagsstunde treiben Monster ihr Unwesen. Bis zu fünf mutige Held*innen stellen sich ihnen im Dark-Fantasy-Brettspiel Amulett entgegen, um sie zu vertreiben. Was es mit den namensgebenden Amuletten auf sich hat und ob der knifflige Kampfmechanismus überzeugt, haben wir uns genauer angeschaut.

Das Böse in Brettspielen zu bekämpfen, ist nichts Neues. Auch in Amulett von Grimspire, das 2023 über die Spieleschmiede finanziert wurde, geht es darum, kompetitiv oder kooperativ böse Monster zu besiegen. In Rollenspielmanier müssen die Spielenden als Kleriker, Magierin, Jäger, Schurkin oder Paladin neue Talente erlernen, ihre Ausrüstung verbessern und Aufträge erfüllen. Dabei kommt ein interessanter Kampfmechanismus mit Polyomino-Puzzleteilen zum Einsatz, um das Königreich vom Bösen zu befreien.

Triggerwarnungen

Monster, Waffengewalt

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Spielablauf

Amulett kann gegeneinander, zusammen oder allein gespielt werden. Die Regeln für die kompetitive Variante bilden dabei die Basis für alle Modi. Das Ziel ist es, durch das Ausführen von Aktionen an verschiedenen Orten auf dem frei erkundbaren Spielplan (ähnlich wie bei Michael Menzels Die Abenteuer des Robin Hood) die meiste Macht, sprich: Siegpunkte, zu erlangen. Diese erhält man, indem man mit gesammelten Edelsteinen Segmente im eigenen Amulett komplett einfasst und besiegte Monster als Trophäen erhält. Auf die Regelunterschiede im Koop-Modus gehen wir im Unterkapitel Gemeinsames Abenteuer mit Story ein.

Alle Spielenden übernehmen die Rolle eines der fünf Charaktere, die durch farbige Miniaturen repräsentiert werden. Auf den dazugehörigen doppellagigen Charakter-Tableaus ist je eine Lebenspunkte-Leiste abgebildet. Außerdem besitzen alle ein individuelles Amulett, in dem gesammelte farbige Edelsteine platziert werden.

Des Weiteren ist auf allen Tableaus ein klassenspezifischer Talentbaum dargestellt, der mithilfe von Erfahrungspunkten (EP) aufgewertet werden kann. Je nachdem, welche Talente sie freischalten, können die Spielenden verschiedene Taktiken verfolgen. Trotz ihrer individuellen Talente und Waffen wirken die Charaktere gut ausbalanciert. Keiner hat sich in den Testrunden als übermäßig stark herausgestellt.

 

Rundenablauf und Aktionen

Eine Partie verläuft über mehrere Tage (Runden), die sich in die vier Phasen unterteilen:

  1. Die Dämmerung ist die Vorbereitungsphase, in der abhängig von der Personenanzahl neue Monsterkarten verdeckt neben die Orte Höhle und Anwesen gelegt werden.
  1. Der Morgen ist die erste Aktionsphase. Nun können die Spielenden reihum ihre Miniaturen zu einem beliebigen der neun Orte auf dem schön illustrierten Spielplan bewegen. Jeder Ort bietet den Abenteurer*innen eine oder mehrere Aktionen.
  1. Der Abend ist die zweite Aktionsphase. Die Spielenden müssen ihre Spielfiguren zu einem anderen Ort bewegen, da sie die gleiche Aktion nicht zweimal hintereinander ausführen können.
  1. Die Nacht ist die Aufräumphase. Alle in der Höhle oder im Anwesen verbliebenen normalen Monster führen nun schlimme Dinge aus, die die Monsterkarten vorgeben. Zum Beispiel: „alle verlieren ein Leben“ oder „keine Nutzung von Tränken im Anwesen“. Manche Auswirkungen sind einmalig, andere permanent. Anschließend wandern die Monster ins Dorf, wo sie über den Spielplan abgelegt werden. Das sogenannte Mittagsplättchen wird an den nächsten Startspielenden weitergeben und die nächste Runde beginnt mit der Dämmerung.

Die Anzahl der Runden ist abhängig von den Mitspielenden. Das Spiel endet am Ende des letzten Tages, wenn der Monsterstapel aufgebraucht ist.

Der Spielaufbau für eine Solopartie.

In den beiden Aktionsphasen – Morgen und Abend – versuchen die Spielenden durch das Verbessern von Talenten, das Sammeln von Edelsteinen fürs Amulett sowie das Besiegen von Monstern möglichst viele Siegpunkte zu erlangen. Dazu können sie folgende Aktionen nutzen:

  • Aufträge in der Burg oder bei Bezahlung einer Kupfermünze in der Banditenbude erfüllen, um Münzen, EP und Edelsteine zu erlangen
  • Waffen reparieren auf dem Jahrmarkt, im Dorf, im Magierturm oder gegen Geld in der Banditenbude
  • Edelsteine fürs eigene Amulett erhalten oder tauschen im Dorf beziehungsweise auf dem Jahrmarkt
  • Lebenspunkte heilen im Kloster oder gegen Geld in der Banditenbude
  • Tränke kaufen im Kloster sowie Zauber kaufen im Magierturm
  • Monster bekämpfen in der Höhle, im Anwesen und im Verlies

Bei der Wahl des Ortes ist strategisches Vorgehen gefragt, denn: Manche Talente oder Monstereffekte sind nur in bestimmten Phasen des Tages aktiv und bringen Vor- beziehungsweise Nachteile. Zum Beispiel erhält ein Charakter bei Kämpfen am Morgen einen zusätzlichen Edelstein oder repariert am Abend eine zusätzliche Waffe.

Die Aktionen, die reihum ausgeführt werden, führt jede*r für sich aus. Die meisten Aktionen sind schnell abgehandelt, wodurch die Runden zügig gespielt sind. Wer am Zug ist, hat den Sanduhr-Marker vor sich liegen. Um das Spiel schneller zu machen, kann die Sanduhr während eines Kampfes an die nächste Person weitergegeben werden, die dann ihre Aktion(en) ausführen kann. Denn das Bekämpfen der Monster kann länger dauern.

Das Puzzle-Kampfsystem

Sobald sich eine Figur in der Höhle, im Anwesen oder im Verlies befindet, darf der*die Spieler*in eine ausliegende Monsterkarte wählen, die bekämpft werden soll. Bevor die Karte umgedreht wird, wählt die Person nun zwei ihrer Waffenplättchen aus. Zu Spielbeginn stehen jedem Charakter vier individuelle Waffen zur Verfügung. Zwei weitere können im Spielverlauf über den Talentbaum freigeschaltet werden.

Zusätzlich zu den eigenen Waffen haben die Spielenden in der Höhle noch ein Kriegerin-/Ritter-Plättchen und im Anwesen noch ein Mönch-/Priesterin-Plättchen als Unterstützung. Außerdem können die Spielenden im Kampf Tränke und Zauber-Plättchen einsetzen. Diese dürfen auch erst ausgewählt werden, wenn die Monsterkarte umgedreht wurde.

Sobald beide Waffen ausgewählt sind, kann die Monsterkarte aufgedeckt werden. Darauf abgebildet ist ein Raster aus vier mal sechs Quadraten. Um das Monster zu besiegen, müssen mithilfe der Waffen-, Unterstützer- und Zauber-Plättchen die Schwachstellen, markiert mit roten Kreuzen, abgedeckt werden. Stufe-1-Monster haben zwei Schwachstellen und Stufe-2- sowie legendäre Monster haben drei Schwachstellen.

Die Monsterarten in der Übersicht, von oben: Stufe-1-Monster, Stufe-2-Monster und ein legendäres Monster.

Durch das geschickte Abdecken der Flächen mit den Polyomino-Plättchen, wie man es aus Spielen wie Planet Unknown, My City oder Ein Fest für Odin kennt, erhält man in Amulett Boni, denn: Die Monster haben teilweise Münzen oder Edelsteine dabei. Alle Symbole, die am Ende des Plättchenlegens noch zu sehen sind, erhält der*die Spielende als Belohnung, wenn alle Schwachstellen abgedeckt sind.

Aber es gibt auch negative Auswirkungen: Für jeden sichtbaren Bluttropfen verliert der*die Kämpfende einen Lebenspunkt. Sind die eigenen Lebenspunkte am Kampf-Ende auf null, stirbt der Charakter zwar nicht, erhält aber einen Schwächungsmarker, der Siegpunkte kostet.

Das Puzzeln mit den Waffen ist ein überraschend guter Kampfmechanismus und knifflig, da man einige Regeln beachten muss. Die Waffenplättchen so zu drehen, dass der Dolch oder das Gewehr die Schwachstelle erwischt, erinnert an ein „echtes“ Gefecht, bei dem man versucht, möglichst geschickt zu treffen. Am Ende des erfolgreichen Kampfes wandert das Monster als Trophäe in den eigenen Besitz. Die eingesetzten Waffen sind nach dem Kampf zerstört. Dazu werden die Kampfplättchen auf die Rückseite gedreht. Um sie wieder einsetzen zu können, müssen sie repariert werden.

Ein gewonnener Kampf im Anwesen: Hier kam das Mönchplättchen (links) als Unterstützung zum Einsatz.

Waffen sind aber nicht nur im Kampf hilfreich. Sie können auch in der Burg oder in der Banditenbude auf Auftragskarten gelegt werden. Auftragskarten funktionieren ähnlich wie Monsterkarten. Sie haben auch Schwachstellen und es gibt abgebildete Belohnungen. Allerdings darf die Person am Zug nur eine Waffe auf die Karte legen und muss hoffen, dass die Mitspieler*innen dies ebenfalls tun. Damit der Auftrag abgeschlossen wird und alle Beteiligten die Belohnungen erhalten, müssen alle Schwachstellen abgedeckt sein. Durch die Auftragserfüllung wird zudem je ein Ort aufgewertet. Das bedeutet, dass ab sofort bessere Aktionen an jenem Ort zur Verfügung stehen.

Ist der Auftrag abgeschlossen, wird das nächste Aufwertungsplättchen Höhle freigeschaltet.

Wenn man es genau nimmt, würden wir Amulett eher als semi-kooperativ beschreiben. Wir spielen zwar gegeneinander, trotzdem versuchen wir gemeinsam, die Monster zu vertreiben und Aufträge zu erfüllen. Dennoch ist das Spielgefühl sehr solitär. Alle machen nacheinander ihre Aktionen und es findet wenig Interaktion statt. Für diejenigen, die sich mehr Interaktion wünschen, bietet Amulett glücklicherweise noch einen voll kooperativen Modus, der ein paar zusätzliche Elemente mitbringt.

Gemeinsames Abenteuer mit Story

In der kooperativen Variante stellen sich die Spielenden zusammen drei Herausforderungen, die sie bestehen müssen: einer Willenskraft-, einer Mut- und einer Ausdauerprobe. Dafür kommen weitere Karten ins Spiel. Jede Probe ist in drei Schwierigkeitsgraden vorhanden. So kann die Siegbedingung leichter oder schwerer gemacht werden.

Jede Karte gibt vor, wie sie bestanden wird und wie sie verloren wird. Die Willenskraftprobe ist bestanden, sobald eine bestimmte Anzahl an Segmenten in den Amuletten mit Macht erfüllt ist. Eine Mutprobe ist bestanden, sobald alle legendären Monster besiegt sind. Die Ausdauerprobe ist bestanden, sobald die anderen beiden Proben erfüllt sind und die angegebene Anzahl Schwächungsmarker nicht erreicht wird.

Für einen stimmungsvollen Einstieg wählen die Spielenden außerdem eine von drei Begegnungskarten mit einer netten Hintergrundstory. Auch die Proben werden auf der Rückseite erzählerisch eingeleitet.

Zusätzlich erhalten die Spielenden je zwei Schwurkarten. Von diesen persönlichen Zielen muss jede*r Spieler*in je eines erfüllt haben, sobald alle drei Proben bestanden sind.

Im Koop-Modus kommen weitere Karten dazu: eine Begegnungskarte, drei Proben und je zwei Schwüre.

Um das Spiel gemeinsam zu gewinnen, müssen sich die Mitspielenden gut absprechen und können dafür auch Ausrüstungsgegenstände tauschen, sobald sie denselben Ort besuchen.

Leider gibt es nur neun verschiedene Probenkarten, die zwar untereinander kombinierbar sind, aber wenig Abwechslung bringen. Hier hätten wir uns mehr Karten gewünscht, die den Wiederspielwert von Amulett steigern.

Trotzdem machen die Proben und Schwüre das Spiel erst richtig rund. Die kooperative Variante hat uns durch die Interaktivität am Tisch in den Testrunden deutlich mehr Spaß gemacht als die kompetitive Variante, die im direkten Vergleich irgendwie unvollständig wirkt.

Der Koop-Modus bietet auch die Möglichkeit, Amulett solo zu spielen. Allerdings konnte uns auch diese Variante im Test nicht gänzlich begeistern.

Ausstattung

Das Spielprinzip von Amulett ist wenig komplex, dennoch macht es einem die Anleitung nicht leicht, ins Spiel hineinzufinden. Die Struktur ist nicht einstiegsfreundlich. Wichtige, erklärende Abbildungen sind viel zu klein, Unwichtiges hingegen viel zu groß dargestellt. Und auch die Textformatierung macht es einem schwer, beim Nachschlagen Regeln wiederzufinden. Hinzu kommt, dass es keine kompakte Regelzusammenfassung auf der Rückseite der Spielanleitung gibt.

Um das Kampfsystem zu verstehen, braucht es an der einen oder anderen Stelle eine Lupe.

Eins muss man Amulett lassen, in der Gestaltung setzt es das Dark-Fantasy-Thema konsequent um – aber nicht zu seinem Vorteil: Die düstere, kontrastarme Gestaltung vom Cover der Spielschachtel findet sich auch in der Anleitung und teilweise auf dem Spielmaterial wieder, was es schwer macht, wichtige Spielelemente visuell zu erfassen. Insbesondere die benötigten EP für die einzelnen Talente auf den Tableaus sind bei indirektem Licht sehr schwer zu erkennen.

Die Spielschachtel ist prall gefüllt mit hochwertigem Material. Die Marker aus dicker Pappe, die doppellagigen Tableaus und die Miniaturen haben uns gut gefallen.

Das Spielmaterial im Karton: Ein Sortiersystem ist nicht vorhanden.

Zum Leidwesen jedes*jeder Ordnungsliebenden gibt es jedoch keinerlei Sortiersystem. Nur die Edelstein-Würfel sind in einer wiederverschließbaren Tüte verpackt. Alles andere darf sich frei in der Box bewegen. Das Suchen von benötigten Talent-, Waffenplättchen und weiterem Spielmaterial in diesem Chaos erhöht den Aufbauaufwand unnötig und mindert schon vor dem eigentlichen Spiel den Spielspaß.

Positiv finden wir aber, dass die Charaktere sowohl mit männlichen als auch weiblichen Bezeichnungen benannt wurden und so ein (fast) ausgeglichenes Geschlechterverhältnis vorhanden ist.

 

Die harten Fakten:

  • Verlag: Grimspire
  • Autor*in(nen): Alena Sokolov, Vladimir Sokolov
  • Illustrator*in(nen): Nikita Rozhkov, Igor Savchenko
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 60–90 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: (1) 2 3 4 (5)
  • Alter: ab 12 Jahren
  • Preis: 54,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Seite der Spieleschmiede steht die englische Anleitung zum Download bereit.

Fazit

Die Spielidee und das Puzzle-Kampfsystem haben uns gut gefallen. Die Spielanleitung jedoch hat gestalterische und redaktionelle Defizite, sodass der Einstieg ins Spiel trotz einfacher Regeln nicht so leicht ist. Auch die dunkle Gestaltung des Spielmaterials ist sehr unvorteilhaft.

Amulett bietet verschiedene Spielvarianten: Die kompetitive Variante erfordert kaum Interaktion zwischen den Spielenden. Alle führen nacheinander ihre Aktionen durch. Diese Variante konnte in den Testrunden nicht überzeugen, da sie sich unvollständig anfühlt. Aus unserer Sicht wäre es kein Verlust gewesen, wenn Amulett als rein kooperatives Spiel entwickelt worden wäre.

Denn die kooperative Variante hat deutlich mehr Spaß gemacht. Das gemeinsame Pläneschmieden, um die Proben zu erfüllen, hat ein schönes rollenspielartiges Gefühl erzeugt.

Da die kooperative Variante uns wirklich gut gefallen hat, wären mehr Proben- und Storykarten wünschenswert gewesen, um den Wiederspielwert zu steigern.

Für uns ist Amulett ein durchschnittlich gutes Spiel mit Stärken und Schwächen. Wer auf der Suche nach einem seichten, kooperativen Brettspiel ist, für den ist Amulett auf jeden Fall drei von fünf glitzernden Edelsteinen wert.

  • interaktive Koop-Variante
  • Haptik und Qualität des Spielmaterials
  • Charakterentwicklung durch Talentbaum
 

  • schlecht strukturierte, unübersichtliche Spielanleitung
  • unvorteilhafte Gestaltung des Materials
  • kein Sortiersystem

 

Artikelbilder: © Grimspire
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Gloria Puscher
Fotografien: Michelle Saarberg

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