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Bekämpft das Böse und rettet die Welt! So einige Brettspiele arbeiten in der einen oder anderen Art mit dieser Formel. Aber was genau ist überhaupt jenes Böse? Wie beschäftigen sich Brettspiele mit dem Bösen? Sind vielleicht sogar wir Spieler manchmal die Übeltäter?

Ob als ewige Nemesis, übermächtige Herausforderung am Spielende oder als Spieler*innen-Rolle, in die wir schlüpfen können: Das Böse begleitet uns in mannigfaltiger Gestalt in Spielen. Was ist eigentlich ganz genau das Böse? Meist verstehen wir darunter eine Zusammenfassung verschiedener absichtlich ausgeübter, moralisch verwerflicher oder destruktiver Taten. Aber auch das beantwortet die Frage nicht ganz, denn was moralisch akzeptiert ist und was nicht, ist nicht immer absolut und kann von der Gesellschaft und den äußeren Umständen beeinflusst werden – umso mehr in Spielen, die uns oft in fremde Fantasiewelten entführen.

Dennoch ähneln sich viele Spielansätze: Wir sind Held*innen! Und wie beweisen wir uns am besten? Wir bekämpfen das Böse! Monster und Übeltäter*innen in Brettspielen können verschieden aussehen. Mal terrorisieren sie eine Stadt oder eine ganze Welt, ein andermal sind sie menschlich, jagen „nur“ uns persönlich und wir müssen um unser Leben kämpfen. Das Böse hat viele Gesichter.

Nicht in jedem Spiel wird dabei ein ernster Umgang mit dem Gut-Böse-Dilemma oder dem komplexen Umgang mit Moral gewählt; manchmal wird auch nur ein interessanter Aufhänger für die Herausforderungen geschaffen. In anderen Spielen dagegen schlüpfen wir selbst in die Rolle der Bösen und handeln alles andere als gemeinnützig.

Wir haben uns für euch angeschaut, wie unterschiedlich die Rolle des Bösen in Spielen eingesetzt werden kann.

Wir sind die Guten und müssen das Böse besiegen

In Horrified sind wir Monsterjäger.

In Horrified von Ravensburger sind die Bösen ebenso zahlreich wie legendär, denn es sind keine geringeren Monster als Dracula, Frankensteins Monster oder der Wolfsmensch, in Aussehen und Stil entsprechend der Ästhetik von Filmen aus den 1930er bis 1950er Jahren. Wir treten kooperativ gegen diese Kreaturen an und reisen durch das leidgeplagte Dorf, sammeln Gegenstände und sprechen uns ab, um das Böse zur Strecke zu bringen.

Auch in Der weiße Hai, ebenfalls von Ravensburger, haben wir eine gewaltige Spielfilmgröße zum Feind. In zwei verschiedenen Spielabschnitten geht es darum, ob Mensch oder Monster siegen wird. Hierbei wird der Hai jedoch von einer*einem Mitspielenden übernommen, während die anderen kooperativ zusammenspielen, um gemeinsam gegen den gefährlichen Meeresbewohner siegreich zu sein … ach ja, und zu überleben. Somit übernimmt zwangsläufig jemand am Spieltisch die böse Rolle, wozu wir im späteren Verlauf des Textes noch kommen.

Filmreif: Der weiße Hai.

Ähnlich starke, überlegene Gegner erwarten uns auch in anderen Brettspielen. Im beliebten Deckbau-Spiel Aeon’s End von Frosted Games sind wir die einzige Hoffnung für das Reich Gravehold, der letzten Siedlung der Menschen. Um uns herum sind Horden von Dämonen, denen wir uns als magisch begabte Held*innen entgegenstellen, bevor die Stadt zerstört wird. Für die nötige Abwechslung von Partie zu Partie sorgt eine ganze Reihe verschiedener Monster, Fledermausdämonen, gehörnter „Hassgeburten“ oder riesiger Gottesanbeterinnen.

In Aeon’s End sind wir die einzige Hoffnung für die letzte Siedlung der Menschen.

Die bösen Gegner*innen müssen jedoch nicht zwangsläufig fantastische Monster mit Zähnen und Klauen sein. Manches Mal sind sie auch ganz und gar menschlich, zumindest vom Wesen her. Das kooperative Brettspiel Black Orchestra hat einen sehr ernsten, politischen Hintergrund, denn wir müssen keinen geringeren als Adolf Hitler persönlich ermorden. Dazu übernehmen wir jeweils eine historische Figur zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, wie beispielsweise Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die alle das gleiche Ziel haben. Wir müssen geheim agieren: Jede unserer Bewegungen erweckt Misstrauen bei der Gestapo und unsere Attentatspläne sind nur erfolgreich, wenn sie lange genug unentdeckt bleiben.

Wir sind die Guten und müssen uns gegen das Böse verteidigen

Zombicide Invader schickt uns auf abwechslungsreiche Missionen.

Während das Böse oder die Bekämpfung der Bösen in einigen Brettspielen das Spielziel festlegt, gibt es aber auch Spiele, wo diese eher das Hindernis darstellen. Das Genre der Dungeon Crawler arbeitet häufig damit: Wir sind Held*innen und haben Quests oder Aufgaben zu erfüllen, werden aber von Monstern oder anderen Gegner*innen dabei behindert.

Die Reihe Zombicide, wie beispielsweise auch der Science-Fiction-Ableger Zombicide Invader, schickt uns auf abwechslungsreiche Missionen wie etwa Waffen oder Gegenstände zu sichern oder einen definierten Treffpunkt auf der Karte zu erreichen. Das wäre gar nicht so schwierig, wären da nicht die infizierten Zombie-Aliens, die uns natürlich nicht in Ruhe lassen!

Auch das Dungeon-Crawler-Schwergewicht Gloomhaven hat mit fast 100 verschiedenen Szenarien einiges an Zielen und Schätzen zu bieten, sowie 34 unterschiedliche Monster und Gegner*innen, damit uns im Kellergewölbe nicht zu langweilig wird. Gesteuert werden diese in Gloomhaven übrigens komplett würfellos und ohne Spielleiter*in durch einen innovativen Umgang mit verschiedenen Kartentexten, die Schaden in Kämpfen festlegen.

Und auch phantasiereiche Abenteuerspiele, die sogar für jüngere Zielgruppen geeignet sind, wie Herr der Träume von Plaid Hat Games bleiben dieser Linie treu. Die Ziele sind oft „familienfreundlicher“, also gilt es, etwa ein kleines Mädchen oder ein Stofftier zu retten, aber auch hier stellen sich uns Gegner in den Weg, die uns behindern wollen.

Ebenfalls für jüngere Zielgruppen geeignet: Maus und Mystik.

Ein ähnlich kinderfreundliches Beispiel ist Maus und Mystik von Asmodee. Die böse Stiefmutter (die in so vielen märchenhaften Erzählungen als Antagonistin herhält) des Prinzen regiert unbarmherzig das Land. Um daran etwas zu ändern, macht sich jener mit seinen Gefolgsleuten in Mäusegestalt auf den gefahrvollen Weg durch die Burg. Als Maus ist die Umgebung viel bedrohlicher als in der Gestalt eines Menschen und selbst Kakerlaken können zu tödlichen Feinden werden!

Die Liste von Dungeon Crawlern lässt sich weiter fortsetzen: Mit den Mechanismen der Kerkerentdeckung und des Kampfes arbeiten auch Villen des Wahnsinns, Nemesis, Betrayal at House on the Hill, und, und und …

Immer diese doofen, „guten“ Held*innen!

Bei der Vielzahl an Spielen dieser Formel gibt es aber auch Beispiele, bei denen der Spieß umgedreht wird. In Dungeon Lords managen wir unseren eigenen Dungeon, müssen Räume bauen und Monster anheuern. So weit so gut, doch immer wieder kommen diese nervigen, guten Held*innen dazwischen, um Schätze und Erfahrungspunkte zu jagen und alles kaputt zu machen. Das lassen wir uns nicht gefallen! Wir bauen Fallen, schicken Monster und tun alles, um die plündernden Eindringlinge wieder hinauszuschmeißen. Hierbei handelt es sich also um ein Spiel, bei dem deutlich wird, dass die Beurteilung von Gut und Böse sehr häufig vom eigenen Standpunkt abhängt.

Auch andere Spiele, wie das sich gerade in der Entstehung befindliche Dungeon Decorators, schlagen in diese Kerbe und gehen humoristisch mit Kerkermanagement um. Wir verdingen uns dort dekorativ für die „bösen“ Klient*innen, damit der Dungeon schöner wird!

Nicht immer jedoch können wir uns aktiv zur Wehr setzen. Manchmal besteht die Aufgabe eines Brettspiels lediglich darin, am Leben zu bleiben, wie in den Slasher-Horrorfilm-inspirierten Spielen Nyctophobia von Pandasaurus Games oder Last Friday von HeidelBär Games, in denen unbedarfte Teenager von einem Mörder gejagt werden. Die Rolle des Mörders wird jeweils von einer Person übernommen, während alle anderen die potenziellen Opfer spielen. Diese müssen zum Sieg des Spiels entweder entkommen oder, in Last Friday, dem Mörder zuvorkommen und ihn selbst in einem Akt von Notwehr zur Strecke bringen.

Wir sind das Böse und bekämpfen das Gute

Mord und Raub GmbH: Die blutige Herberge.

Es gibt einige Brettspiele, in denen das Spielziel ganz klar darin besteht, das Gesetz zu brechen, so etwa in Die blutige Herberge von Pearl Games. Der Name ist Programm: Wir betreiben eine zwielichtige Gastwirtschaft und geben uns nicht nur mit unseren normalen Einnahmen zufrieden. Wenn die Gäste nachts in den Zimmern schlafen, bringen wir sie um, rauben sie aus und vergraben ihre Leichen, damit wir nicht bei gelegentlichen Polizeikontrollen auffallen. Und ganz nebenbei stiften wir auch andere nicht spielbare Charaktere zu Straftaten an: Wir bestechen Handlanger*innen, die uns beim Umbringen oder Beerdigen helfen. Ein großartiges Spiel, jedoch ist der morbide Humor nicht für jeden geeignet.

Auch in Alcatraz – Verrat hinter Gittern brechen wir das Gesetz und begeben uns auf fragwürdige Abwege. Statt brav unsere Strafe abzusitzen, ist es unser Ziel, aus dem Gefängnis Alcatraz auszubrechen. Dazu arbeiten wir zwar gemeinsam und hinter dem Rücken der aufmerksamen Sicherheitskräfte, werden jedoch eine*n Spieler*in schlussendlich zurücklassen. Und da diese undankbare Rolle keiner einnehmen möchte, bestimmen Verrat und Misstrauen das Spielgeschehen. Dies ist eine Atmosphäre, die das Genre der Social-Deduction-Spiele besonders gut einfängt: Ein oder mehrere Mitspieler*innen arbeiten nicht kooperativ mit den anderen zusammen. Wer genau, ist aber lange nicht klar und dies gilt es herauszufinden.

Spiele wie Dark Moon leben von der erzeugten paranoiden Atmosphäre.

Was im Klassiker Werwölfe funktioniert, klappt auch wunderbar mit mehr Spielmechanik, was Dark Moon oder The Thing: Infection at Outpost 31 zeigen. Infizierte Außerirdische mit bösartiger Gesinnung sind jeweils mitten unter uns, aber äußerlich nicht zu erkennen. Freund*in von Feind*in zu unterscheiden ist in der Praxis gar nicht mal so leicht.

In anderen Brettspielen ist das Bösesein schon so integriert in die Spielmechanik, dass es sich nicht mehr schlecht, sondern ganz normal anfühlt, so wie in Räuber der Nordsee von Schwerkraft, in dem wir eine Mannschaft aufbauen und als plündernde und brandschatzende Wikinger ein Dorf nach dem anderen ausnehmen. Schlechtes Gewissen? Fehlanzeige!

Ach, was sind wir böse, da kann man nur noch das Gesicht zu einer schaurigen Miene verziehen und böse lachen. Mwahahaha! – Tatsächlich ist dies auch der Titel eines Kartenspiels, in dem wir kein geringeres Ziel haben als die Herrschaft über die ganze Welt zu erreichen. Als irre Wissenschaftler*innen bauen wir eine Höllenmaschine, um damit Städte zu bedrohen und zur Kapitulation zu zwingen.

In Villainous von Ravensburger konkurrieren wir zusammen mit anderen Schurk*innen darum, wer eigentlich am bösesten in der Disney-Märchenwelt ist. Dabei können wir in die Rollen von Größen wie Käpt’n Hook, Dschafar oder Ursula schlüpfen und müssen Held*innen besiegen sowie unsere eigene Macht verstärken. Auch die anderen Bösewicht*innen haben dunkle Pläne, also müssen wir diese durchkreuzen. Wer ist schlussendlich am bösesten?

In vielen dieser Spiele übernehmen die Spielenden keine gute sondern eben eine böse Rolle, indem sie selbstsüchtig und rücksichtslos agieren und mehr oder weniger aktiv gegen die „gute“ Spielmechanik kämpfen, wie etwa die Sicherheitskräfte in Alcatraz – Verrat hinter Gittern oder die Polizeikontrollen in Die blutige Herberge.

Wir tun Buße in Vindication.

Nicht immer gehen wir jedoch wahnsinnig, skrupellos oder gesetzesbrechend vor, um unsere Ziele zu erreichen. Im strategischen Fantasiespiel Vindication streben wir nach der spielnamensgebenden Rehabilitation. Wir haben unsere Zeiten von Betrug, Gier und Selbstsucht bereits hinter uns gebracht und wollen gewissermaßen einen Neuanfang wagen, um unsere alte Ehre wieder zurückzugewinnen. Wir müssen dazu die Welt bereisen, neue Verbündete überzeugen, an unserer Seite zu kämpfen und zahlreiche Aufgaben erledigen. Sind wir erfolgreich, wird aus unserer Rolle als wortwörtlich so bezeichneter „erbärmlicher Abschaum“ wieder ein respektiertes menschliches Wesen.

Wiederum in anderen Spielen sind wir zwar nicht erklärtermaßen die Bösen, üben mitunter aber dennoch menschlich zweifelhafte Praktiken aus, um im Spiel Ruhm, Wohlstand und den Sieg zu erringen – wie im Klassiker Puerto Rico, in dem wir Rohstoffe anbauen und weiterverarbeiten, jedoch nicht selbst, sondern mithilfe von „Kolonist*innen“, deren Freiwilligkeit der Arbeitsleistung fragwürdig ist. Sicher, im Spiel sind es nur unbelebte Meeples, dennoch steckt eine ganz gewisse Grundhaltung von weißem Überlegenheitsdenken dahinter, das während und nach dem Spiel hinterfragt werden sollte.

In The King’s Dilemma spüren wir, wie schwer es ist, zu regieren.

Und manchmal sind wir von Anfang an in der schwierigen Rolle, selbst zu entscheiden, wie wir uns verhalten und immer wieder zu reflektieren, ob wir gut oder böse handeln – so zum Beispiel in The King’s Dilemma von HeidelBär Games, in welchem wir als Berater*innen des Königs von einem Dilemma ins nächste rauschen und uns die Konsequenzen unserer Entscheidungen durch das Legacy-Prinzip mitunter auch noch lange begleiten.

Abschließende Worte

Nicht jedes Spiel macht sich übermäßig viele Gedanken über die „ideologischen Hintergründe“ des Bösen, manchmal sind die Monster und Gegner*innen auch einfach nur der Aufhänger für schöne Strategiespiele, denn es wäre ja keine Herausforderung, wenn alles in Butter ist.

Bei anderen Spielen hingegen zeigt sich, dass das Gute und das Böse gar nicht immer so einfach auseinanderhalten sind. In Brettspielen ebenso wie in Filmen fällt auf, dass sich die Guten oftmals genau der gleichen Mittel bedienen wie die Bösen; Gewalt und Mord sind an der Tagesordnung und die eigenen Motive werden nicht immer hinterfragt. Was ist noch Selbstverteidigung, was ist schon ein absichtlicher Angriff, um uns selbst Vorteile zu verschaffen oder uns als strahlende Held*innen zu profilieren? Spiele lassen uns fühlen, dass die Beurteilung von Gut und Böse, von freundlich und feindlich oftmals weniger von den absoluten Handlungen, sondern der eigenen Position abhängen.

Vielleicht ist es gerade deswegen gut, in Brettspielen mal eine andere Perspektive als die eigene einnehmen zu können. Nirgendwo anders als in Spielen kann man neue Emotionen auf sicherem Terrain erproben, mit moralischen Ideen experimentieren und trotzdem jederzeit wieder „aussteigen“. So lassen sich Dinge ausprobieren, die man sich in Realität nicht trauen würde und die vielleicht auch denken lassen: „Ich bin froh, dass das nur ein Spiel ist!“.

Und mal ganz ehrlich: Ein klein wenig fies und gemein zu sein macht schon auch Laune, oder?

 

Artikelbilder: © BrianAJackson | depositphotos.com, die jeweiligen Verlage
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Alexa Kasparek

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