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Eine finstere Verschwörung wirft ihre Schatten auf Baldur’s Gate. Die Metropole an der Schwertküste ist in Gefahr und selbst die Flammende Faust ist machtlos. Nur, wer bis an die Frontlinie des Blutkriegs zu gehen wagt und sich den Gefahren der Neun Höllen stellt, kann das Schlimmste verhindern.

Im September 2019 veröffentlichte Wizards Of The Coast den Abenteuerband Baldur’s Gate: Descent into Avernus. Ein knappes halbes Jahr später erschien das Buch auch in deutscher Sprache. Das Abenteuer gilt als Prequel zum Videospiel Baldur’s Gate 3 von Larian Studios, das im Oktober 2020 in den Early Access startete. Doch nicht nur für Videospiel-Fans dürfte der Abstieg nach Avernus interessant sein: Die Vergessenen Reiche erfreuen sich als viel bespielte Kampagnenwelt seit frühen D&D-Editionen großer Beliebtheit. Ein Besuch lohnt sich sowohl für Neulinge als auch Veteran*innen des größten Rollenspiels der Welt. Grund genug, den Abstieg nach Avernus einmal genauer in den Blick zu fassen. Hierbei wird sich auf milde Spoiler ausschließlich des ersten Kapitels beschränkt.

Von der Schwertküste nach Avernus

Die Tore von Baldur’s Gate sind geschlossen und etliche Flüchtlinge sammeln sich vor ihnen. Im benachbarten Königreich Elturgard ist etwas Furchtbares geschehen: Die Hauptstadt Elturel ist gefallen! Als wäre diese Kunde nicht erschütternd genug, wird auch noch der Großherzog von Baldur’s Gate, Ulder Rabenwacht, vermisst. Er befand sich zum Zeitpunkt des Untergangs auf politischer Mission in der nunmehr gefallenen Stadt. Beide Umstände entfachen Furcht in den Herzen der Bürger*innen von Baldur’s Gate. Droht ihrer Heimat dasselbe Schicksal wie Elturel?

Der Frieden im Inneren der Stadt kann nicht aufrechterhalten werden, denn einige Individuen versuchen, das Chaos für sich zu nutzen und die Lücke, die Rabenwacht hinterlassen hat, zu schließen. Die Söldnerarmee, die für Ruhe und Ordnung in Baldur’s Gate sorgt, die Flammende Faust, ist machtlos. Die Spieler*innencharaktere (SC) werden angeheuert, um ihr zur Hand zu gehen.

Mit der Aushilfstätigkeit ist es jedoch nicht getan. Bald schon gelangen die Spieler*innen auf die Spur einer Verschwörung, die bis in die Neun Höllen hinabreicht. Von der Metropole an der Schwertküste reist die Gruppe zur Festungsbibliothek Candlekeep und schließlich nach Avernus. Den Charakteren steht somit ein wahrhaftiger Höllenritt bevor, bei dem sie auf nur wenige freundliche Gesichter hoffen dürfen. Avernus ist vom Blutkrieg gezeichnet und präsentiert sich feindselig und fremdartig: So führen beispielsweise Krümmungen im Raum dazu, dass Distanzen variieren und sich verändern. Auch schmeckt der mitgeführte Proviant plötzlich nur noch nach Asche und es scheint, als wäre niemand, der hier heimisch ist, auch nur ansatzweise glücklich.

Im höllischen Ödland können Distanzen trügerisch sein. © Wizards of the Coast

Die Charaktere der Spielenden beginnen das Abenteuer auf Level 1 und haben, wenn streng nach Buch gespielt wird, am Ende das 13. Level erreicht. Die Spielleitung (SL) erhält klare Anweisungen, welches Level die Charaktere zu Beginn des jeweiligen Abschnitts mitbringen sollten. Dies ermöglicht eine adäquate Planung und beugt frustrierenden Spielmomenten aufgrund zu niedriger oder zu hoher Level vor.

Abenteuerführung und Informationsangebot

Der Abstieg nach Avernus besteht aus insgesamt fünf Kapiteln, die ihrerseits wieder in kleinere Abschnitte unterteilt sind. Diese werden zu Beginn eines jeden Kapitels vorgestellt. Ehe es dann an den tatsächlichen Inhalt geht, offeriert der Band hilfreiche Tipps zum Leiten des jeweiligen Handlungsabschnitts. Auch wird die SL in diesem Zuge mit Hintergrundinformationen versorgt. Gut vorbereitet kann sie sich mit den Gegebenheiten auseinandersetzen, mit denen die Spieler*innen später Kontakt haben werden.

Eine große Schwäche des Abenteuers bildet der forcierte Einstieg: So werden die SC beispielsweise direkt zu Beginn in Baldur’s Gate in den Dienst der Flammenden Faust gezwungen. Diese Art des Railroadings zeigt sich vermehrt im ersten Kapitel, das primär in der Stadt spielt, und lockert sich erst zum zweiten hin auf. Das ist insbesondere deshalb schade, weil eine Stadt wie Baldur’s Gate andere Möglichkeiten bieten kann. Inspiration hierfür ließe sich aus dem über 40 Seiten starken Stadtführer ziehen, der im Abenteuerband enthalten ist. Dieser bietet selbst Kenner*innen interessante Details zur Stadt an der Mündung des Chionthar. Darüber hinaus werden Modifikationen für einige Charakterhintergründe aus dem Spielerhandbuch vorgestellt, sodass diese enger mit dem Schauplatz Baldur’s Gate verknüpft sind. Auch wird ein neuer Hintergrund eingeführt: Gesichtsloser. Dieser beschreibt eine Person, die ihr altes Antlitz abgelegt hat und der Welt eine Fassade präsentiert.

Infernalische Kriegsmaschinen wie der hier gezeigte Dämonenschleifer laden zu Spritztouren ein. © Wizards of the Coast

Der umfangreichste Kampagnenabschnitt, das dritte Kapitel, spaltet sich in zwei Handlungsstränge auf. Es liegt in den Händen der Spieler*innen, welchen sie hiervon erleben möchten. Hinsichtlich Abenteueraufbau und Lore-Reichtum sind beide Stränge interessant, weswegen einige Spielleiter*innen sich online, beispielsweise auf Reddit, über die Möglichkeiten zum Kombinieren beider Optionen austauschen. Mit etwas Eigenarbeit kann die SL ihren Spieler*innen die Möglichkeit einräumen, hier gar nichts zu verpassen. Dies ist ein großer Pluspunkt am Abstieg nach Avernus: Er bietet Raum zur Individualisierung.

Sofern die Charaktere nicht gerade damit beschäftigt sind, im Stil von Mad Max durch das feurige Ödland zu rasen oder ihre Seele einbüßen, indem sie einen höllischen Vertrag unterzeichnen, können sie mit ihren Handlungen das Schicksal der Schwertküste, aber auch von Avernus prägen.

Neben dem Abenteuerband werden zum Spielen das Player’s Handbook (Spielerhandbuch), das Monster Manual (Monsterhandbuch) und der Dungeon Master’s Guide (Spielleiterhandbuch) benötigt.

Erscheinungsbild

D&D: Baldur’s Gate: Abstieg nach Avernus weist das Format 21,5 x 2 x 28,4 cm sowie 256 Seiten auf. Das Hardcover ist vollfarbig und mit einem stimmungsvollen Motiv versehen. Der Text ist verständlich geschrieben und wird durch Überschriften und Illustrationen ansprechend gestaltet. Hierbei präsentiert er sich Leser*innen zwar nicht vollkommen fehlerfrei, fasst dafür jedoch Informationen prägnant zusammen und überrascht beim Lesen mit einem hohen Unterhaltungswert. Störend wirkt, dass einige Eigennamen im englischen Original auftauchen (beispielsweise Candlekeep) und andere übersetzt wurden (wie die Taverne Elfgesang).

Das angebotene Bildmaterial ist hochwertig und ebenfalls vollfarbig. Es hilft, einen Eindruck von den Geschehnissen, Charakteren und Orten zu erhalten. Die überdies enthaltenen Zufallstabellen geben der SL nicht nur eine Hilfe an die Hand, sondern integrieren eine Randomisierung, die die Geschehnisse für alle Beteiligten zu einer einmaligen Erfahrung macht.

Ansprechende Illustrationen vermitteln einen Eindruck der bespielten Orte (hier: Baldur’s Gate). © Wizards of the Coast

Das enthaltene Kartenmaterial ist einem flüssigen Spiel zuträglich. Detaillierte Raumbeschreibungen und ausgearbeitete Kampfbegegnungen statten die SL mit allem aus, was sie benötigt, um am Spieltisch zu glänzen. Hinzu kommt, dass der Aufbau des Buches zeitaufwendiges Nachschlagen auf ein Minimum reduziert, da wichtige Informationen schnell aufzufinden sind. So werden beispielsweise magische Gegenstände oder Kreaturen übersichtlich in den Anhängen vorgestellt und der vorhandene Index erleichtert die Navigation innerhalb des Bandes. Auch die Flowcharts, die die einzelnen Kapitel übersichtlich zusammenfassen, erleichtern die Planung von Spielterminen. Sie geben Auskunft darüber, wie das Kapitel aufgebaut ist und welcher Abschnitt sich an welchen anschließt. Einer detaillierten Abenteuerplanung steht somit nichts im Wege.

Dem Band liegt eine doppelseitige Posterkarte bei, die entfaltet werden kann. Sie bildet auf der einen Seite oben abgebildete Karte von Avernus ab und auf der anderen ein weiteres Motiv, welches zur Vermeidung von Spoilern hier nicht näher beschrieben wird.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Gale Force 9/Ulisses Spiele
  • Autor*innen: Bill Benham, M. T. Black, Dan Dillon u. a.
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Englisch, Deutsch
  • Format: 21,5 x 2 x 28,4 cm
  • Seitenanzahl: 256 Seiten
  • ISBN: 9781945625381
  • Preis: 50,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, Sphärenmeister, idealo

 

Fazit

D&D: Baldur’s Gate: Abstieg nach Avernus mag einen schwachen Einstieg hinlegen, überzeugt allerdings mit einer Handlung, die sich spätestens ab dem zweiten Kapitel rasant entfaltet. Zur vollen Größe aufgebaut, offenbart sich den Spieler*innen ein Plot, der reich an Dynamik, Lore und atemberaubenden Szenen ist. Die Charaktere werden nicht nur Geschichte schreiben, sondern ganze Schicksale im Höllenfeuer neu formen.

Diese Illustration bildet den Einstieg ins erste Kapitel – und stellt einen wichtigen Nichtspieler*innencharakter (NSC) dar. © Wizards of the Coast
Diese Illustration bildet den Einstieg ins erste Kapitel – und stellt einen wichtigen Nichtspieler*innencharakter (NSC) dar. © Wizards of the Coast

Sowohl das Abenteuer als auch die Anhänge mit weiterführenden Informationen weisen aufgrund ihrer Struktur eine gute Lesbarkeit auf. Tabellen und vor allem hochwertige Illustrationen nehmen überdies eine Aufwertung des Gesamtbilds vor und wirken Textwänden entgegen.

Der im Band enthaltene Stadtführer für Baldur’s Gate ist mit vielen liebevollen Details zur Metropole an der Schwertküste angereichert und damit nicht nur für dieses Abenteuer interessant. Er kann seitens der SL auch für zukünftige Projekte genutzt werden, was auch für die angebotenen Informationen zu Avernus der Fall ist.

Ein starker Abenteuerband, der eingefleischte D&D5-Fans und Neulinge gleichermaßen durch Gestaltung und Inhalt abholt und auf einen wahrhaftigen Höllenritt schickt. Es geht abwärts!

 

  • Dynamisches, lore-reiches Abenteuer, das Platz für Individualisierung lässt
  • Umfangreiches Informationsangebot, vor allem zur Metropole Baldur’s Gate
  • Hochwertige Illustrationen und Übersichten
 

  • Schwacher Einstieg ins Abenteuer

 

 

Artikelbilder: © Wizards of the Coast LLC
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Susanne Stark
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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