Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Im Süden Aventuriens stehen die Zeichen auf Krieg. Das Reich der Kemi, eine ansonsten eher beschauliche und gern übersehene Ecke Aventuriens, wird im beginnenden Rabenkrieg zum Zankapfel mehrerer Intrigen sowie offen ausgetragener Konflikte. Werden die Held*innen im Konflikt zwischen Al’Anfa und den Kemi aufgerieben oder werden sie dieses Abenteuer überstehen?

Einleitung – Willkommen im Süden!

Es sind seit den Ereignissen des Khômkrieges und der Kampagne Rabenblut inner- wie auch außeraventurisch nun schon etliche Jahre ins Land gegangen. Die Schlachten und Kämpfe des Khômkrieges haben die Perle beziehungsweise Pestbeule des Südens, Al’Anfa, schwer in Mitleidenschaft gezogen. Im Kampagnenband Rabenblut konnte man die Nachwirkungen des Khômkrieges – vor allem auf die zweitgrößte Stadt Aventuriens –  selbst nachspielen. Auch konnte man eventuell ein eigenes Grandenhaus erobern und den Aufstieg von Generalissimus Oderin du Metuant zum Alleinherrscher der Stadt erleben, mit allen dazu gehörigen Problemen.

Das ist in Aventurien nun sieben Jahre her. Nach dieser doch nicht kurzen Zeitspanne ist es endlich Zeit für Veränderungen im tiefen Süden Aventuriens, welche hoffentlich einen dauerhaften Einfluss auf die Verhältnisse dieser Region haben werden. Generalissimus du Metuant plant nichts Geringeres als das Herausbrechen des Kemireiches aus der Goldenen Allianz und die Einsetzung einer (boron-)gefälligen Mirhamionette in Gestalt der Schwester der zurzeit amtierenden Königin. Die Charaktere sollen nun als geheime Agent*innen Al’Anfas in der Spezialeinheit Rabenkralle wesentlich zum Erfolg dieser Unternehmung beitragen. Diese wird sich nach Hoffnung der schwarzen Perle gar nicht erst zum aventurienweiten Krieg ausweiten. Wenn alles gut geht, kann Al’Anfa mittels eines schnellen Feldzuges die fremdenfeindliche Sekte der Corvikaner unterstützen und der Schwester der Königin, Rhônda IX. Setepen, zum Thron verhelfen. Ihr gegenüber steht die rechtmäßige Herrscherin der Kemi, Nisut Ela XV. Setepen.

Während der al’anfanischen Vorbereitungen ist der Bürgerkrieg in Kemi schon in vollem Gange. Die Held*innen werden ausgeschickt, um eine wichtige Kommandounternehmung in der Hafenstadt Qinsay an der Nordküste von Kemi durchzuführen.

Wir sehen jetzt schon, dass diese Kampagne vielversprechend beginnt:

  • Wieder ein großer Konflikt zwischen Schwarzer und Goldener Allianz.
  • Die Charaktere stehen auf der Seite des Aggressors (können theoretisch laut dem Band aber auch als Doppelagent*innen auf der Seite der Verteidiger*innen tätig sein). Damit kann man sehr graue Gruppen spielen.
  • Durch die vielfältigen Aufgaben im Dschungel und den Siedlungen ist eine große Bandbreite an Klassen und Charakteren erwünscht.
  • Die Gruppen können mit einer sehr „aventurischen“ Stimmung zusammengesetzt sein – statt der generischen Elfen und Zwerge kommen hier auch gerne Charaktere aus Meridiana mit einem typisch südaventurischen Flair zum Zug.
  • Die Aussicht, bei einer sehr großen Umwälzung des aventurischen Südens dabei sein zu können, dürfte wohl niemanden kalt lassen.

Die Zusammenstellung der Gruppe und die Handlung

Wie bereits erwähnt, werden die Charaktere eine Reihe an unterschiedlichen Hindernissen in der Zivilisation und abseits davon zu überwinden haben.

Falls die Gruppe das Abenteuer und später die Kampagne auf der Seite der Schwarzen Perle erleben möchte, ist eine positive Einstellung zu Al’Anfa und der Boronkirche sicher gerne gesehen. Da die Charaktere Teil einer al’anfanischen Eliteeinheit sind, ist man bei absoluten Söldner*innenseelen zumindest in Erklärungsnot, warum ausgerechnet sie die Aufgabe übernehmen sollen.

Mit vollen Segeln ins Abenteuer

Naturcharaktere werden ebenso wie handwerklich begabte Held*innen ihr Rampenlicht erhalten, gilt es doch unter anderem, eine Hafenkette zu sabotieren. Es ist sehr schön, dass auch nichtkämpferische Held*innen ihre Aufgabengebiete bekommen können.

Neben den Charakteren der Spieler*innen werden auch noch einige weitere Mitglieder der Eliteeinheit Rabenkralle vorgestellt. Unter den vorgestellten NSC finden wir illustre Charaktere wie eine Korgeweihte, einen Schiffsmagier, eine Kundschafterin der Waldmenschen, einen nur durch eine Verwechslung zur Gruppe beorderten Armbrustschützen und einen ehemaligen Gladiator, der seine besten Jahre hinter sich hat. Das Zusammentreffen der SC mit dieser bunten Truppe, das Training mit dieser und die Eingewöhnung in die militärischen Strukturen der Schwarzen Perle umfasst das erste Drittel des Abenteuerbandes. Die später in der Kampagne wichtig werdenden NSC, welche dann die Antagonist*innen der Held*innen darstellen, werden bereits hier vorgestellt. Schließlich möchte man keinen Deus-Ex-Machina Effekt haben.

Die Überfahrt und das Vordringen im Dschungel bilden den Mittelteil des Abenteuers. Die Charaktere haben die Aufgabe, die Hafenkette der Stadt Qinsay herunterzulassen oder zu beschädigen. So kann ihre Flotte rasch den Hafen einnehmen und anlanden, gleichzeitig mit zwei weiteren Landeunternehmungen an der Nordküste. Wenn die Held*innen diese Aufgabe schnell genug bewältigen, kann die Schwarze Allianz den Krieg mit einem wichtigen Tempovorteil starten.

Qinsay selbst ist zwar ein eher kleiner Hafen, ist dafür aber ebenso wie seine Bewohner*innen ausführlich beschrieben. Neben zwei Dutzend nicht ganz so wichtigen NSC und den zu ihnen gehörigen Örtlichkeiten in der Siedlung werden auch noch der diensthabende Gouverneur der Stadtfestung wie sein Leibmagier näher beschrieben. Letzterer wird vor allem dann relevant, wenn die Held*innen mit magischen Mitteln vorgehen wollen und die Spielleitung ein wenig magische Defensive benötigt.

Besonders hilfreich für die Spielleitung dürften die an mehreren Orten im Band verstreuten Hinweise sein, wie man das Abenteuer noch retten kann, obwohl die Held*innen an dem ein oder anderen Punkt nicht ganz glücklich entschieden oder gewürfelt haben. Das hilft, eventuelle Sackgassen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Oder es kann eine Inspiration für die Spielleitung sein, das ein oder andere Hindernis noch auftreten zu lassen, wenn es den Charakteren gar zu leicht gefallen ist, ihr Ziel – das Herunterlassen der Hafenkette – zu erreichen. Mit diesem Sieg endet das Abenteuer auch schon. Man sieht, das Modul ist nicht allzu lang.

Erscheinungsbild

Die Bilder im Band sind durchgehend in dem sattbunten Comicstil gehalten, welcher auch die meisten anderen Bücher aus der fünften Edition von DSA prägt. Hier gibt es keine Überraschungen, und wer diesen Stil mag, wird Gefallen an den Illustrationen finden. 

Der Band enthält zwei Karten, eine Überblickskarte des Kemireiches und eine detailliertere Karte der Stadt Qinsay. Eine Karte der Reise durch den Dschungel, um sich nach Qinsay einzuschleichen, wäre noch schön gewesen, ist aber nicht unbedingt notwendig. Eine Detailkarte der zu infiltrierenden Hafenfestung fehlt leider. Das ist schade, da dieser Heist einen wichtigen Abschnitt der Handlung darstellt.

Schade ist auch, dass im Band zwar immer wieder betont wird, wie wichtig die Klosterinsel Laguana für den Glauben der Kemi ist, sich dieser Ort aber nicht auf der Überblickskarte befindet. Dafür ist die Übersichtskarte grob genug, um als Handout den Spieler*innen überlassen zu werden. Manchmal ist weniger auch mehr.

Karte des Abenteuerschauplatzes Kemi

Umfang

Der Großteil der näher beschriebenen NSC umfasst Charaktere auf der Seite Al’Anfas, aber auch der erwähnte Gouverneur von Qinsay und sein Leibmagier sowie einige weitere weniger wichtige Charaktere auf Seiten der Verteidiger*innen erhalten eine umfangreiche Beschreibung ihrer Spielwerte und Motivationen. Da der Band der erste einer längeren Kampagne ist, befinden sich hier auch Charaktere, deren Relevanz erst später im Plot ersichtlich wird (denn wie so oft stolpert die Schwarze Perle vor allem über die eigenen Füße). Hier kann man sich definitiv nicht beschweren.

Auch generische Begegnungen wie Waldmenschenstammeskrieger*innen, Vogelspinnen, Schlangen, Sumpfegel und Kaimane (obwohl für ein latent ägyptisch angehauchtes Setting wie Kemi Gaviale angemessener gewesen wären) wollen überwunden werden. Auch hier ist der Umfang ausführlich.

Etwas seltsam mutet ein eingeschobener Abschnitt über neue Vorteile wie das Spezialmanöver „Angriff auf ungeschützte Stellen“, die Sonderfertigkeit „Wasserlebewesen“ oder eine Regelklarstellung zur „Körperkraft schwacher Wesen“ an. Zumindest wirken sie so speziell, dass man die betreffende Regel einfach den zugehörigen Kreaturen hätte zuordnen können.

Mit vier zu bespielenden Szenen (Al’Anfa, Überfahrt, Dschungel, Qinsay) ist der Band nicht allzu dick geraten. Eine gut organisierte Spielrunde sollte dieses Abenteuer in einem längeren Abend durchspielen können, wenn sie konzentriert spielt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ulisses Spiele
  • Autoren: Armin Abele und David Schmidt
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover, PDF
  • Seitenanzahl: 64
  • ISBN: 978-3-96331-099-7
  • Preis: ab 14,95 EUR (Softcover), 9,16 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, Sphärenmeister, DriveThruRPG

 

Fazit

Der Auftakt zur Kampagne Der Rabenkrieg hat etliche vielversprechende Stellen und dürfte zumindest einen spannenden Abend garantieren. Etwas „gemütlichere“ Runden können aber durchaus zwei oder drei Spielsitzungen daraus machen, wenn sie alle vorgestellten Charaktere näher kennenlernen möchten.

Durch die Aufgaben, die den Charakteren gestellt werden, kommen kämpferische, naturkundige wie infiltrierende Charaktere voll auf ihre Kosten. So dürfte fast jede Klasse zumindest einmal während des Abenteuers im Rampenlicht stehen können.

Die Autoren des Abenteuers betonen in gleich mehreren Abschnitten des Bandes, dass die Charaktere die schmutzigen Seiten des Krieges mitbekommen – sie werden Unschuldigen Schaden zufügen und miterleben, wie Qinsay dank ihrer Taten fällt und geplündert wird, mit allen dazugehörenden hässlichen Folgen. Wie sehr man dies „ausschmücken“ möchte, bleibt jeder Spielleitung selbst überlassen, aber es ist gut, dass darauf hingewiesen wird, dass Krieg wenig Ruhmreiches zu bieten hat.

 

  • Hilfreiche Tipps für unerfahrene Spielleitungen
  • Die hässlichen Seiten des Krieges werden nicht ignoriert
  • Fast alle Klassen können zum Zug kommen
 

  • Lediglich vier „Szenen“
  • Qinsay fällt, egal ob die Held*innen scheitern oder nicht. Railroading.

 

Artikelbilder: © Ulisses Spiele
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Maximilian Düngen
Das Produkt wurde privat finanziert.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein