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Wertvolle Folianten, bedeutungsvolle Schwarten, Orte magischen und profanen Wissens; die Aventurische Bibliothek widmet sich einem Thema, das für Durchschnittsaventurier*innen nur am Rande von Bedeutung ist – für die Spieler*innen und ihre Charaktere dafür umso mehr. Das Produkt verspricht viel, doch einiges bleibt leider auf der Strecke.

“Die Kultur der Menschheit besitzt nichts Ehrwürdigeres als das Buch, nichts Wunderbareres und nichts, das wichtiger wäre.” – Gerhart Hauptmann

Einleitung – das Versprechen

Wohl kaum ein anderer Ort ist so magisch wie eine Bibliothek. Diese Lagerhallen mundanen, wie magischen Wissens, verströmen ihren eigenen Zauber, welcher auch in unserer profanisierten Welt spürbar ist. Bibliotheken verheißen Wissen, verlangen jedoch die mühselige Arbeit der Recherche, um an das Objekt der Begierde zu gelangen. Wenn man so will, kann man die Suche nach einem bestimmten Werk als eigene Queste auffassen. Bibliotheken sind heutzutage einer der letzten Orte, an denen man ohne Konsumationspflicht existieren darf (und sollten schon deswegen erhalten bleiben).

© Dork Storm Press
© Dork Storm Press

Bibliotheken haben einen eigenen Charakter, jede für sich. Je nach Schwerpunkt der Sammlung entwickelt sich ein eigener L-Raum (das gesammelte Wissen der Bücher biegt den Raum und die Zeit und schafft Wege in neue Realitäten), wie die Unsichtbare Universität von Ankh-Morpork bewiesen hat („Ugh!“, wie ihr Bibliothekar dazu sagen würde.) Nicht umsonst und ohne Grund sind mittlerweile eigene (Solo-)Rollenspiele rund um den Erhalt von Bibliotheken erschienen. Auch Hollywood hat die Relevanz öffentlicher Bibliotheken schon längst aufgenommen.

Der Band Aventurische Bibliothek verspricht nun einen fundierten Einblick in die Welt der Bibliotheken des Schwarzen Auges. Über zweihundert Bücher sollen vorgestellt und detailliert besprochen werden. Neben dieser gewaltigen Aufgabe verspricht der Rückentext noch eine Einführung in die Hilfswissenschaften rund um die Bibliotheken – die Produktion von Papier, Tinte und Text, letztere mittels einer Übersicht über berühmte aventurische Autor*innen, lebend wie verstorben und dazwischen. Abschließend soll man als Leser*in genügend Zufallstabellen zur Erwürfelung eigener Werke zur Hand bekommen.

Positives

„Bücher. Bücher, Bücher, Bücher. Alte Bücher, neue Bücher, teure Bücher, billige Bücher, Bücher in Schaufenstern, Regalen, Karren, Säcken, wahllos auf einen Haufen geworfen oder penibel hinter Glas aufgereiht. Zu waghalsigen Türmen gestapelt, auf dem Trottoir ausgelegt, zu Paketen verschnürt, auf Marmorsäulen präsentiert, in dunklen Holzschränken hinter Gitter gesperrt. Bücher in Leder und Leinen, in Fell oder Seide gebunden, mit Beschlägen aus Kupfer und Eisen, Silber und Gold. In einigen Schaufenstern lagen welche, die über und über mit Diamanten besetzt waren.“ – Walter Moers, Die Stadt der Träumenden Bücher

Der Band beginnt vielversprechend. Nach der einführenden Erläuterung, wie das Fluff-Crunch-System des Schwarzen Auges, die Einteilung in spielrelevante Regeln und spielrelevanten Hintergrund aufgebaut ist, werden grundlegende Begriffe des Bibliothekswesens erklärt. Das allein ist schon toll – nicht jedem*r sind Begriffe wie Schnitt, Exlibris, Grammatur, Leporello, Marginalie und Opazität geläufig, und gerade hier ist es schön, ein wenig Fachvokabular zu finden. Die Formate von Büchern werden beschrieben (da es in Aventurien leider keine Nimmervollen Beutel gibt, haben Magier mit ihren Büchersammlungen ein großes Problem mit dem Transport ihrer besten Stücke).

Die Übersicht über die inneraventurischen Publikationen, Bücher wie Periodika, ist umfangreich, detailliert und umfasst viele Spezialgebiete. Vom Liebesroman über Hinweise zur Gartenpflege, Beschwörung von Dämonen oder wie man Bier trinkt, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Die detaillierten Büchervorstellungen umfassen Daten wie ihr erstes Erscheinungsjahr, den Umfang ihrer Publikation (also, wie wahrscheinlich es ist, heute von dem Titel noch eine Abschrift zu finden). Aber auch der Grad ihrer Komplexität und Legalität, in welchen Sprachen sie erschienen sind und noch weitere Besonderheiten werden behandelt. Abgerundet werden die meisten Beispiele mit kurzen Zitaten aus ihrem Text. Bei dem ein oder anderen Werk findet sich auch eine Illustration zur besseren Darstellung. Diesen kleinen Illustrationen merkt man stark an, dass sie am Computer erstellt wurden.

Ebenfalls anschaulich, ausführlich und übersichtlich ist die Auflistung aventurischer Schriftsteller*innen, welche alle möglichen Felder der Literatur beackert haben. Hier werden lebende wie tote, berühmte und im Vergessen werden befindliche Literat*innen bedacht. Der Großteil der besprochenen Autor*innen stammt aus dem Mittelreich und den angrenzenden Ländern.

Peinliches

„»Seht, Bruder William«, erklärte der Abt, »um das große und heilige Werk zu verrichten, das diese Mauern krönt«, und bei diesen Worten wies er durch das Fenster auf den massigen Bau des Aedificiums, dessen Türme sogar die Abteikirche überragten, »haben gottesfürchtige Männer jahrhundertelang arbeiten müssen, und während der ganzen Zeit haben sie eherne Regeln befolgt. Die Bibliothek ist nach einem Plan entstanden, der allen Beteiligten dunkel geblieben ist in all den Jahrhunderten, keiner der Mönche war und ist je befugt, ihn zu kennen. Allein der Bruder Bibliothekar weiß um das Geheimnis, er hat es von seinem Vorgänger erfahren und gibt es vor seinem Tode weiter an seinen Adlatus, damit, falls ein plötzlicher Tod ihn heimsucht, die Bruderschaft nicht dieses kostbaren Wissens beraubt wird.“ – Umberto Eco, Der Name der Rose

Für eine Spielhilfe mit dem Titel Aventurische Bibliothek sind in diesem Band erstaunlich wenige Informationen über das Innenleben einer Bibliothek vorhanden, sei sie historisch oder zeitgenössisch orientiert. Wie finde ich die Informationen, die ich benötige? Wie werden die Bücher überhaupt sortiert? Und was muss ich tun, um an die benötigten Informationen zu kommen, wenn sie im Giftschrank stehen und ich deswegen nicht offiziell an sie herankomme?

Welchem Ordnungssystem folgt die Bibliothek? Oder: Wie finde ich mein Buch?

Neben dem Mangel an Informationen über das Funktionieren und Aussehen von Bibliotheken, von Karten, die diese illustrieren, ganz zu schweigen, ist es schade, dass kaum Abenteuerideen zum Spiel in Bibliotheken und zum Einbinden von Charakteren in diese Abenteuer gestellt werden. Ihr habt eine*n Alchemisten*in in eurer Gruppe? Wunderbar, dieser Charakter hat vielleicht die passenden Möglichkeiten, den Zerfall eines kostbaren Buches und der noch viel wichtigeren Informationen darin, aufzuhalten. Ein*e Mörder*in geht in einer Bibliothek um? Ein klassischer Fall für die ganze Gruppe! Ein wichtiges gesellschaftliches Ereignis steht in der Bibliothek an und die Charaktere müssen unter Zeitdruck heimlich an ein Buch gelangen? Zeit für einen Heist!

Bibliotheken sind nicht nur Orte des Wissens, sondern auch des gesellschaftlichen Lebens. Gerade deswegen ist es schade, wenn sämtliche großen aventurischen Bibliotheken auf gerade einmal drei Seiten abgehandelt werden. Die Horte des Wissens von Aventurien, abgespeist mit je zwei bis drei Sätzen. Die gewaltige Magierakademie Al’Achami zu Fasar wird mit einem ganzen Satz beschrieben, ebenso Festum. Die Sammlungen der Universitäten von Vinsalt, Methumis und der Avestempel zu Fasar erhalten immerhin schon zwei ganze Sätze, um ihre Sammlungen, Geschichte, Probleme und Abenteueroptionen zu beschreiben. Aber wenn man schon eine ganze Seite zur Bewerbung seiner Vademeci macht, bleibt für Nebensächlichkeiten wenig Platz. Letzten Endes ist es schade – man merkt streckenweise, vor allem bei den Buchbeschreibungen, dass sich die Autor*innen Mühe gegeben haben, ein potenziell trockenes Thema interessant aufzubereiten, vermisst aber diese Mühe an so vielen wesentlichen Punkten.

Ulisses Spiele setzt seine Tradition peinlicher Wortspiele leider in der Aventurischen Bibliothek ungebrochen fort. Man sagt zwar, dass Imitation die höchste Form der Bewunderung ist, aber so wirklich mag sich der Sinn nicht erschließen, warum man bekannte und unbekanntere Werke der Popkultur unbedingt aventurisch verfremden muss (auch, wenn die freundliche Imitation eine Tradition des Schwarzen Auges ist). Positiv sei erwähnt, dass bekannte Titel wie „DUHN-Die Wüste plant“ (wie beleidige ich Frank Herbert und Walt Disney in einem Titel?), „Per Anhalter durch den Limbus“, „Der Echsenhammer“ und „De bello trollico“ beim ersten Lesen erheitern. Danach sind sie ähnlich lustig wie Tashas Kommentare in Tasha’s Cauldron of Everything oder Xanathars Weisheiten in Xanathar’s Guide to Everything – mehr bemüht als wirklich lustig. Immerhin hat jetzt auch Das Schwarze Auge endlich sein Monsterhandbuch (verfasst von niemand geringerem als Gargi Sohn des Gax), nachdem es so lange neidisch zu Dungeons & Dragons hinüberschielen musste und mit Prems Tierleben vorliebnehmen musste. Mit Kara ben Yngerymms „In den Schluchten der Trollzacken“ und „Durch das Land der Bergbarbaren“ taucht ein weiterer altbekannter aventurischer Klassiker wieder auf.

Noch weitaus hinterfragenswerter ist die (Wieder-)Aufnahme zweier Titel in den aventurischen Literaturkanon, welche nicht sein mussten. Das erste Werk ist ein alter Bekannter, welcher schon in älteren Editionen des Schwarzen Auges aufgetaucht ist: „Die 13 x 13 Tage von Elem“ sind eine aventurische Version von einem der wohl widerwärtigsten Bücher, welche jemals geschrieben worden sind. Dagegen nimmt sich der Tentakelporn von „Hörner und Tentakel“ eher harmlos aus („und immer wieder kommen sie mit den namengebenden Tentakeln in Berührung …“), man fragt sich trotzdem, warum die Redaktion des Bandes es für notwendig befunden hat, Tentakelporn in Aventurien einzuführen. Leider setzt hier Das Schwarze Auge seine Tendenz zum Fremdschämen (man erinnere sich hierbei an die „Wege der Vereinigungen“) ungebremst fort. Beide Werke hätte man einfach sein lassen, beziehungsweise vergessen können und die Spielhilfe wäre um wirklich nichts ärmer geworden.

Bücher finden, aber wo? © Ulisses Spiele

Kein aventurischer Regelergänzungsband kommt ohne optionale neue Sonderregeln und -fertigkeiten aus, auch dieser nicht. So kann man nun für gerade einmal zwei Abenteuerpunkte die Allgemeine Sonderfertigkeit „Archivar“ erwerben. Mit deren Hilfe kann man Recherchen in Bibliotheken in nur 80% der normalerweise benötigten Zeit durchführen … Für einen solch geringen Bonus lohnt sich selbst das Aufwenden von nur zwei Abenteuerpunkten kaum. Dass die Sonderfertigkeit „Kryptographie“ immerhin eine halbe Seite Regeltext benötigt, ist auch nicht schlimm.

Was fehlt

„Allein der Bibliothekar hat das Recht, sich im Labyrinth der Bücher zu bewegen, er allein weiß, wo die einzelnen Bände zu finden sind und wohin sie nach Gebrauch wieder eingestellt werden müssen, er allein ist verantwortlich für ihre sachgemäße Erhaltung. Die anderen Mönche arbeiten im Skriptorium und haben nur Einsicht in das Verzeichnis der Bücher. Aber ein Verzeichnis besagt oft wenig, und allein der Bibliothekar kann aus der Signatur eines Buches und aus dem Grad seiner Unzugänglichkeit ersehen, welche Art von Geheimnis, von Wahrheit oder von Lüge es enthält.“ – Umberto Eco, Der Name der Rose

Wie schon an etlichen Punkten dieser Rezension bemerkt, fehlt an zu vielen Punkten dieses Buches mehr Tiefgang. Wie kann ich in Büchersammlungen Abenteuer erleben und ausspielen? Wie kann das Medium Buch im Spiel mein Abenteuer bereichern und unterstützen? Wie sieht es in den einzelnen Bibliotheken Aventuriens eigentlich aus? Die Aventurische Bibliothek verlässt sich hier viel zu sehr darauf, dass die Spieler*innen ihre Sammlung der Spielhilfen über die Magierakademien aus der letzten Edition des Schwarzen Auges vervollständigt haben.

Erscheinungsbild

Die Aventurische Bibliothek beinhaltet eine große Bandbreite an unterschiedlichen Zeichenstilen. Das wunderschöne Cover eines alten Magiers und seines schwer bepackten Gehilfen erinnert ein wenig an Gemälde von Carl Spitzweg, welcher gerne Eigenbrötler in ihren Studierstuben gemalt hat. Der comichafte Stil der Illustrationen, welche keine Bücher präsentieren (die Lesekammer eines*r Magiers*in, ein Student bei der Recherche, ein triumphierender Schriftsteller) findet sich auch in den anderen Publikationen der fünften Edition des Schwarzen Auges. Unter letzterem Bild findet sich noch die Versionsbezeichnung der Illustration, was ein ärgerliches Versäumnis darstellt.

Die Zeichnungen der Bücher selbst folgen einem wesentlich digitaleren Stil. Die gezeigten Bücher wirken zum großen Teil sehr steril. Das ist bei neueren Publikationen und in Maßen eingesetzt kein Problem, aber ein paar verstaubte Folianten in einem etwas „rustikaleren“ Stil, hätte die Sammlung vielleicht etwas aufgelockert.

Die Seitenränder der Aventurischen Bibliothek werden durch ein Schuppenmuster geziert. Dieses Design lässt einen erahnen, das Buch wäre in Schlangen-, Echsen- oder Drachenleder gebunden. Man hat sich hier entschlossen, vom klassischen Pergament abzuweichen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ulisses Spiele
  • Autor*innen: Eevie Demirtel, Marie Mönkemeyer, Wolf-Ulrich Schnurr und Alex Spohr
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 160
  • ISBN: 978-3-96331-585-5
  • Preis: ab 29,35 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, Sphärenmeister, DriveThruRPG

 

Fazit

Letzten Endes stellt sich die Frage, für welche Art Leser*in dieses Werk verfasst wurde. Wer lediglich eine schnelle Übersicht über sehr viele inneraventurische Publikationen, Druckereien, Bibliotheken und Autor*innen sucht, wird sicher fündig werden und für eine ganze Weile Freude an der Aventurischen Bibliothek haben. Ebenso können sich die Freund*innen von mehr oder weniger kreativen Wortspielen auf den ein oder anderen Schmunzler gefasst machen. Wer allerdings ein wenig tiefer graben möchte und mehr als oberflächliche Details sucht, wird leider enttäuscht werden.

Der Katalog an Druckwerken und den damit verbundenen Hilfsbereichen ist umfangreich. Auch ist es sicher keine leichte Aufgabe, den mitunter trockenen Bereich staubiger Bibliotheken erfrischend aufzubereiten, damit das Interesse am gedruckten, geritzten, gekratzten, geätzten oder sogar geschriebenen Wort gedeihen und erblühen kann. Dennoch findet sich leider in diesem großen Konvolut an Informationen nicht besonders viel, wo man sagen möchte, „hier möchte ich weiterspielen“. Schade, eine in vielen Details verpasste Gelegenheit.

  • Eine umfangreiche Liste an aventurischen Büchern und Periodika.
  • Alte Bekannte tauchen wieder auf.
  • Eine breite Übersicht zur aventurischen Welt um das Medium Buch und Zeitschrift.
 

  • Die präsentierten Werke leiden mitunter am Zwang zum Wortwitz und „Originalität“.
  • Den aventurischen Bibliotheken selbst wird vergleichsweise wenig Raum gewährt. 
  • Eine breite Übersicht, die kaum das Seichte verlässt und in die Tiefe blicken lässt.

 

Artikelbilder: ©depositphotos | Andrey_Kuzmin | Elena Schweitzer (Titelbild) | © Ulisses Spiele
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Sabrina Plote
Das Produkt wurde privat finanziert.

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