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Im 2004 erschienenen Roman Dark Wars: The Tale of Meiji Dracula lässt Hideyuki Kikuchi (Vampire Hunter D), als Vorgeschichte zu Stokers „Dracula“, den Vampir ins Japan der 1880er reisen. Dort, vor dem schwelenden Konflikt zwischen der westlich orientierten Regierung und althergebrachten Traditionen, verfolgt Dracula seine ganz eigene Mission.

Dracula vs. Samurai.

Vampire und Japan: beides schon immer sehr beliebte Themen unter Nerds. Die im Westen lange Zeit wahrscheinlich bekannteste Mischung von beidem war die Castlevania-Videospielreihe aus Japan, die mittlerweile sogar eine Netflix-Serie erhielt. Aber auch Castlevania war stark beeinflusst von einer Buchreihe, die, bis auf zwei als Kult-Klassiker geltende Anime-Filme, im Westen weitgehend unbekannt ist: Vampire Hunter D von Hideyuki Kikuchi. Nachdem Vampire Hunter D in der weit entfernten, postapokalyptischen Zukunft spielt, wandte Kikuchi sich 2004 dem Größten der Vampire zu und schrieb Dark Wars: The Tale of Meiji Dracula. Hier bringt Kikuchi alles zusammen, was die Genres hergeben: Samurai, Yakuza, Judo, Bushido, und natürlich Graf Dracula höchst selbst. Doch kann das Buch überzeugen oder bleibt es nur eine wild zusammengeworfene Mischung?

Story

Die Hauptfigur des Romans ist Daigo Minazuki, ein junger Schwertkämpfer aus einer verarmten Samurai-Familie, dessen Vater im Krieg starb. Sein bester Freund ist der Judo-Kämpfer Saigō Shirō, der historisch tatsächlich existiert hat. Als die beiden mit Akane, einer Tochter von Daigos Meister, in eine leerstehende Villa eindringen, um sich ein berühmtes Gemälde anzuschauen, werden sie jedoch vom neuen Mieter überrascht: Dem gerade angekommenen Grafen Dracula. Danach taucht Dracula immer wieder im Leben der drei auf, ob bei ihnen zu Hause oder im Dojo. Zu Daigo scheint er jedoch eine besondere Verbindung zu haben…

Die eigentliche Handlung des Romans ist vorhersehbar, selbst der große Twist wird kurz zuvor relativ deutlich angekündigt. Die Charaktere und viele Elemente der Story sind klare Abwandlungen aus Bram Stokers Roman: Draculas Immobilienmakler spielt wieder eine Rolle und Aspekte von Harker, Seward, Morris und Holmwood verteilen sich auf Daigo und Shirō. Der ‚Tomboy’ Akane und ihre traditionelle, zurückhaltende Schwester Chizuru entsprechen Lucy Westenra und Mina Harker, während die Van Helsing-Rolle von Shiros Sensei, Kanō Jigorō, erfüllt wird. Einige Punkte, wie zum Beispiel Dracula als Weltreisender, passen jedoch nicht wirklich als Vorgeschichte zu Bram Stokers Dracula.

Unser Held Daigo.

In der ersten Hälfte des Buches sind vor allem die Einbindung historischer Elemente und das Spiel mit diesen interessant. Kanō Jigorō war zum Beispiel auch in Wirklichkeit der Gründer der Kampfsportart Judo und Meister des echten Shirō. Mit Vorwissen über die Epoche gibt es noch mehr wiederzuerkennen, vom Außenminister Inoue Karoru, der europäische Bälle im eigens dafür gebauten Rokumeikan-Pavillon abhält, bis zum ständigen Konflikt zwischen moderner Verwestlichung und konservativer japanischer Tradition. Falls man sich nicht gut mit dieser Epoche auskennt, bleibt aber nur ein etwas formelhafter Plot, der sich auf einige sehr weithergeholte Zufälle verlässt. Zum Beispiel weiß Kanō zufällig alles über Vampire, weil er „westliche Medizin“ studiert hat und ein damaliger Mitstudent ausgerechnet von osteuropäischer Folklore besessen war. Weil die Hauptfiguren Kampfkünstler sind, bewegt sich das Buch auch in Richtung von Karate- und Samurai-Filmen. Daher sind leider einige fremdenfeindliche und Machismo-Elemente enthalten, wenn etwa zum x-ten Mal darüber sinniert wird, wie durch die „Ausländer“ Japans Kultur verkommt, oder genretypisch alle „echten Männer“ Training und Kampf allem anderem vorziehen.

Zum Finale hin tritt das Historische in den Hintergrund und das Buch ähnelt mehr einem actionlastigen Anime. Etwas erinnert es an eine japanische Variante des Dracula-Films Die 7 goldenen Vampire, einem in China spielenden Kung-Fu-Horrorfilm der Hammer-Studios von 1974. Im Nachwort erwähnt Kikuchi sogar, dass ein anderer Hammer-Film, Dracula braucht frisches Blut, ihn dazu brachte, Dracula als tragische, aber auch ehrenhafte Figur zu sehen.

Dark Wars’ Dracula scheint allgemein stark durch Christopher Lee, den ikonischen Dracula-Darsteller der Hammer-Filme, beeinflusst zu sein. Wie Lee, alle überragend und in dunkle Umhänge gehüllt, dominiert er jeden Raum mit seiner hypnotischen Aura und rotglühenden Augen, lässt Männer erschauern und Frauen zu sich strömen. Als Adeliger und Soldat teilt er hier seinen samuraiartigen Ehrenkodex und sein Männlichkeitsbild mit den japanischen Kampfkünstlern, was wiederum an Kikuchis Vampire Hunter D erinnert, indem Dracula auch als ehrenhaft dargestellt wird.

Spoiler – zum Ende des Buchs

Das Ende des Buchs enttäuscht leider, da es abrupt aufhört und der eigentliche Endkampf nur angekündigt bleibt. Laut Nachwort ist das Ende zwar absichtlich offengehalten, befriedigender macht es das aber trotzdem nicht.

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Schreibstil

Der Schreibstil ist sehr geradlinig und klar, manchmal etwas simpel, aber durchgehend gut lesbar. Das Buch ist in der dritten Person geschrieben und folgt wechselnd Daigos, Shirōs und Chizurus Perspektive. Viele japanischen Begriffe und Orte werden in Fußnoten erklärt, manche wie die Anredesuffixe jedoch nicht. Es reicht um dem Plot zu folgen, ohne Vorwissen gehen einige Implikationen jedoch verloren. An einer Stelle gibt es einen klaren Übersetzungsfehler: Der reale Franzose Pierre Loti, aus dessen Reisebericht über Japan zitiert wird, wird „Roti“ genannt.

Hier hat die Übersetzung gepatzt.

Der Autor

Hideyuki Kikuchi ist ein bekannter japanischer Horror-Autor, der neben auch als Anime verfilmten Kult-Klassikern wie Wicked City und Demon City Shinjuku vor allem durch Vampire Hunter D bekannt ist. In dieser seit 1983 laufenden Buchreihe geht es um den Dhampir „D“, der im Jahre 10.000 auf einer post-apokalyptischen Erde Monster, Vampire und seinen Vater Dracula jagt. Eine Verbindung zwischen Dark Wars und Vampire Hunter D besteht offiziell jedoch nicht.

Erscheinungsbild

Dark Wars ist in der englischen Übersetzung 2008 von Del Rey veröffentlicht worden und, typisch amerikanisch, auf dünnem Papier gedruckt. Es scheint aber kein Text durch die Seiten und die Buchstaben sind groß gedruckt und klar lesbar. Das Coverbild von Katsuya Terada (ua. Cutie Honey, Devilman, Blood: The Last Vampire) ist ansprechend, mit einem bedrohlichen Dracula, der über den Helden thront. Die Pose mit der bewusstlosen Frau in Armen und der Totenkopf-Mond sind zwar sehr klischeehaft, passen aber zum Hammer-Film B-Movie-Flair des Romans. Im Inneren gibt es ein paar schwarz-weiße Bilder, auch von Katsuya gezeichnet, die im selben realistischen Manga-Stil Helden und Monster wiedergeben.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Del Rey Books
  • Autor: Hideyuki Kikuchi
  • Erscheinungsdatum: 2008
  • Sprache: Englisch (Aus dem Japanischen übersetzt von Mini Eda)
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 272
  • ISBN: 978-0345498816
  • Preis: Gebraucht gewöhnlich um die 10 EUR
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon, Gebrauchtmarkt

 

Bonus/Downloadcontent

Am Ende des Buchs stehen ein Nachwort des Autors und ein Glossar japanischer Begriffe. Im Nachwort verrät Kikuchi noch einmal, dass ihn besonders die Dracula-Filmreihe der Hammer Studios mit Christopher Lee inspiriert haben, und geht kurz auf das historische Setting ein. Das Glossar erklärt einige japanische Begriffe, die im Text nicht übersetzt wurden, vor allem japanische Maßeinheiten. Andere japanische Sonderheiten, wie die bereits erwähnten Anrede-suffixe, fehlen jedoch. Je nach Interesse und Vorwissen ersetzt das Glossar also leider kein Nachschlagen.

Fazit

Solange man Dark Wars als Hommage an den, manchmal auch trashigen, Stil der Hammer-Filme versteht, ist das Buch durchaus unterhaltsam und bietet coole Kämpfe, Vampir-Action und B-Movie-Flair. Das Setting ist voller Spannung und Spannungen, und Dracula funktioniert für Japan als „böser europäischer Invasor“ genauso gut wie für England als „böser osteuropäischer Invasor“. In Dark Wars hat er darüber hinaus eine interessante Seite als Ehrenmann, der versucht sich ritterliche Tugenden und Prinzipien aus Lebzeiten zu bewahren.

In Japan haben Vampire auch mit Dolchen ihr Kreuz.

Der Plot bewegt sich schnell und hat keine Längen. Dafür bleibt er vorhersehbar, die Charaktere flach, und es gibt einige sehr unwahrscheinliche Geschehnisse. Einige interessante Ideen gehen dadurch einfach unter, zum Beispiel nehmen die nicht-christlichen Japaner*innen einfach so hin, dass Vampire von Kruzifixen verletzt werden. In einer Szene kann eine Vampirin jedoch nicht aufstehen, weil ein japanischer „heiliger Dolch“ auf ihr liegt. Solche kultur- und religionsübergreifenden Aspekte werden aber zugunsten typisch japanischer Beschwerden über Ausländer und Martial-Arts-Machismo vernachlässigt.

Wer sich daran nicht stört, oder es durch Animes schon gewohnt ist, und dem Plot nachsehen kann, dass er mehr Style als Sein ist, findet in Dark Wars aber von B-Popcorn-Filmen inspirierte unterhaltsame Action-Horror-Kost. Das Buch wird leider nicht mehr gedruckt, ist aber regelmäßig gebraucht für um die 10 EUR zu finden, die es für Interessierte durchaus Wert ist.

  • Ungewöhnliches Japan-Setting für Dracula
  • Coole B-Movie Atmosphäre
 

  • Vorhersehbarer Plot
  • Weit hergeholte Zufälle
  • Probleme mit dem Ende

 

Artikelbilder: © Del Rey Books
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Nina Horbelt
Fotografien: Paul Menkel
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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