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Sechs Menschen ohne Erinnerung auf einem Boot in Richtung Apokalypse, um sie herum ein namenloses Grauen: Mit Ein Fluss so rot und schwarz beschreitet Bestseller-Autor Anthony Ryan neue Wege. Kann der in einer dystopischen Realität angesiedelte Thriller ebenso überzeugen wie seine High-Fantasy-Romane?

Ein Soldat, eine Polarforscherin, ein Polizist, eine Wissenschaftlerin, ein Historiker und eine Ärztin reisen gen London, um einer Bedrohung zu begegnen: Was klingt wie der Anfang einer Achtung! Ctulhu – Kampagne, entwickelt sich rasant zu etwas ganz anderem. Denn während den sechsen rasch klar wird, welcher Berufstätigkeit sie bisher nachgegangen sind, fehlen alle weiteren persönlichen Erinnerungen. Weder wissen sie ihren Namen und ihre Herkunft, noch was sie auf dieses Boot gebracht hat. Die Tätowierungen mit den Namen berühmter Schriftsteller*innen sorgen zumindest dafür, dass sich die einander fremden Menschen mit Namen ansprechen können.

Eines ist klar: Sie scheinen auf einer gefährlichen Mission zu sein, schließlich haben sie noch einen Toten an Bord. Dass sie einer Fremdbestimmung unterliegen, bemerken sie schnell, denn das Militärboot fährt scheinbar autonom und schließlich gibt es da noch ein Satellitentelefon, durch das sie von einer ihnen unbekannten Person Anweisungen erhalten.

Der rote Nebel, der sie umgibt, tut sein Übriges, ihnen die Misere, in der sie sich befinden, zu verdeutlichen. Als aus diesem dann noch undefinierbare, scheinbar körperlose Schreie und Stimmen erklingen, wissen die Hauptperson Huxley und seine Leidensgenoss*innen, dass eine Aufgabe vor ihnen liegt, die ihnen alles abverlangen wird.

Nachdem der Autor mit seinen High-Fantasy-Romanen meist begeisterte, aber zuletzt mit Der Paria auch etwas enttäuschte, stellt sich die Frage, ob es ihm mit diesem Genrewechsel gelingt, seiner Bibliographie ein weiteres Highlight hinzuzufügen.

Triggerwarnungen

Amnesie, Tod, Selbstmord, Mord, Extrem dargestellte Gewalt

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Auf der Fahrt in ein ungewisses Ende

Anthony Ryan wirft in Ein Fluss so rot und schwarz seine Lesenden direkt ins Geschehen. Gemeinsam mit dem Protagonisten Huxley erwachen sie auf dem Boot und haben jederzeit genau seinen Kenntnisstand. Während der rote Nebel immer dichter wird, lichtet sich der sprichwörtliche Nebel für die unwissende Besatzung des fremdgesteuerten Militärbootes nach und nach. Auch das Grauen konkretisiert sich und konfrontiert sowohl die Lesenden als auch Huxley und Konsorten mit ursprünglichen Ängsten, die dem Menschsein innewohnen. Das ausgestorbene London ist symptomatisch für den Untergang, dessen Nachwehen die sechs Spezialist*innen in ihren jeweiligen Gebieten erleben.

Dabei streift der Autor grundlegende aktuelle Themen. Das Offensichtlichste ist der Umgang mit Seuchen, die drohen, komplette Bevölkerungen zu befallen. Bis zu welchem Punkt kann eine Bevölkerung geschützt werden? Welche Maßnahmen können die Apokalypse verhindern und an welchem Punkt müssen Menschen sich selbst in Eigenverantwortung überlassen werden? Auch auf die Fähigkeit der Erinnerung und der mit ihr einhergehenden Auswirkungen auf das Überleben geht Ein Fluss so rot und schwarz ein, stellt sie doch aufgrund ihres Fehlens den Ausgangspunkt der Geschichte dar und wird auch im weiteren Verlauf eine Rolle spielen.

An der Eigenverantwortung setzt Ryan auch an, indem er die Geschichte mit einem strengen Fokus auf die Besatzung des Bootes und deren Erleben des Ungewissen setzt. Lesende stellen sich unweigerlich die Frage, ob sie ähnlich reagieren würden, ausgesetzt in einem postapokalyptischen Szenario, ohne Erinnerung an die Vergangenheit und ohne Kenntnis der näheren Zukunft. Es ist spannend, zu erleben, wie die jeweiligen Charaktere mit der Fremdbestimmung, die ihr Handeln zu einem großen Anteil anweist, umgehen. Ihnen ist jederzeit bewusst, dass ihre Gegenseite mehr Informationen als sie besitzt und doch sind sie zum Handeln gezwungen.

Die Geschichte hat ihren Reiz dadurch, dass es sowohl die Protagonist*innen als auch die Lesenden ständig nach weiteren Informationen dürstet. Häppchenweise werden diese präsentiert, aber niemals routinemäßig. Unterschiedliche Aufgaben und Anforderungen bilden Ankerpunkte, die die Charaktere bestehen müssen, um auf ihrer Reise, sowohl zum Ziel ihrer Mission als auch zur Vervollständigung ihres Hintergrundwissens, weiterzukommen. Ständiges Grundrauschen bildet dabei das Grauen, das auf Unachtsamkeiten und Sentimentalitäten der ungewöhnlichen Crew lauert.

Drastische Schilderungen und Grusel, der aus der Tiefe kommt

All diese teilweise philosophischen Fragestellungen und Themen, die die Endzeit-Thematik von Ein Fluss so rot und schwarz wie beiläufig begleiten, dürfen nicht über etwas Entscheidendes hinwegtäuschen: Der Roman ist stark handlungsgetrieben, teilweise gruselig und oft brutal. Wie in seinen High-Fantasy-Welten auch, schildert Ryan Kämpfe und deren Auswirkungen drastisch und ausführlich. Die Übersetzung von Sara Riffel fängt diese Schilderungen, wie auch die gesamte Stimmung des Buches, sehr gekonnt ein.

Der einzige Kritikpunkt, der an dem Buch anzubringen ist, steht mit den Kämpfen in Verbindung: Die Auseinandersetzungen, die die Charaktere auf ihrer Mission meistern müssen, sind leider wenig variantenreich. Die Gegner*innen, und der Umgang mit ihnen, ähneln sich teilweise stark.

Erfreulich ist hingegen, dass sich der Schwerpunkt der Erzählung mit der Erweiterung des Kenntnisstands von Huxley verschiebt. Während anfangs die Perspektive mehr auf das Boot und die einzelnen Besetzungsmitglieder sowie deren Funktion für die Mission gerichtet ist, gilt das Augenmerk im Verlauf mehr und mehr den externen Faktoren. Dies macht die Handlung glaubwürdig und nachvollziehbar.

Die unfreiwilligen Missionsteilnehmer*innen wirken durch die Bank wenig nahbar. Dies rührt vor allem daher, dass keine*r von ihnen aufgrund der Amnesie über eine Hintergrundgeschichte verfügt. Ihr Charakter wird durch ihre Handlungen bestimmt, wodurch manche sympathischer sind andere. Dies gereicht der Geschichte jedoch nicht zum Nachteil, vielmehr passt es sehr gut zur Grundstimmung des Buches.

Da Huxley als personaler Erzähler fungiert, finden Lesende schnell Anknüpfungspunkte zu ihm und es passiert fast unweigerlich, dass sie dadurch mit ihm mitfiebern. Jeder der anderen Charaktere ist ebenso wie Huxley auf seine*ihre Weise eng mit den Geschehnissen des Buches verknüpft, weswegen an dieser Stelle davon abgesehen wird, die einzelnen Personen der Mission näher vorzustellen.

Grusel- oder sogar Horrorelemente werden, wie die Kampfszenen ebenfalls, im Verlauf des Buches zahlreicher und drastischer. Sie sind ebenfalls sehr plastisch beschrieben und jagen den Lesenden an manchen Stellen eine Gänsehaut über den Rücken. Der Nebel und der titelgebende Fluss sorgen an sich schon für eine permanente unheimliche Stimmung und das, was die Protagonist*innen erwartet, tut sein Übriges für den einen oder anderen Schreckmoment.

Der Autor

Anthony Ryan, der 1970 in Schottland geboren wurde und heute in London lebt, ist der Verfasser zahlreicher Bestseller-Buchreihen im High-Fantasy-Bereich. Neben diesen veröffentlicht er Science-Fiction-Novellen im Selbstverlag. Der studierte Mediävist arbeitet hauptberuflich als Autor.

Erscheinungsbild

Das Cover von Ein Fluss so rot und schwarz fängt die Stimmung und Zielsetzung des Romans gekonnt ein, zeigt eine schwarze Silhouette von London auf düster-rotem Grund. Schwarz überwiegt in der Gestaltung und das ist, obwohl das Buch anders als das knallrote englische Original daherkommt, sehr stimmig.

Mit seinen 272 Seiten ist es im Vergleich zu sonstigen Büchern des Autors sehr kurz gehalten. Für die gewählte Geschichte in Verbindung mit der handlungsgetriebenen Erzählweise ist die Länge aber vollkommen ausreichend.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Tropen
  • Autor: Anthony Ryan
  • Erscheinungsdatum: 14.10.2023
  • Sprache: Deutsch (Aus dem Englischen übersetzt von Sara Riffel)
  • Format: Gebundenes Buch
  • Seitenanzahl: 272
  • ISBN: 978-3-608-50179-7
  • Preis: 22,00 EUR (Print) + 17,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Ein Mann wacht ohne Erinnerung zusammen mit sechs anderen, ihm unbekannten Menschen auf einem Militärboot auf. Schnell wird klar, dass sie über unterschiedliche berufliche Hintergründe verfügen und sich auf einer Mission befinden, die über die Zukunft der Menschheit entscheiden könnte. Denn das Boot wird von einer unbekannten Kraft fremdgesteuert und befindet sich auf Kurs in ein postapokalyptisches London, umgeben von einem roten Nebel, hinter dem Schreie und mysteriöse Geräusche zu hören sind. Auf ihrem Weg merken sie zügig, dass weiteres Grauen lauert.

Bestseller-Autor Anthony Ryan schlägt mit Ein Fluss so rot und schwarz eine für ihn neue literarische Richtung ein und meistert die Herausforderung. Die handlungsgetriebene Geschichte überzeugt sowohl mit wohldosiertem Horror als auch mit brachialer Gewalt. Obwohl die Grundthematik bekannt vorkommt, schafft er es, auch durch die interessante Schilderung der Bootsbesatzung, diese lesenswert darzustellen. Eine dystopische Reise mit einem berührenden Ende: Es lohnt sich, gemeinsam mit Huxley und der restlichen Crew die Mission mitzuerleben.

  • Handlungsgetriebene Erzählweise
  • Spannende Ausgangslage
  • Gut geschilderter Horror und Grusel

  • Etwas blasse Hauptfiguren

 

Artikelbilder : © Tropen / Klett-Cotta, depositphotos © vittore
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Hendrik Pfeifer
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