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Cthulhu im Zweiten Weltkrieg – das ist die Welt von Achtung!Cthulhu. Spielende schlüpfen in die Rolle von alliierten Kämpfer*innen, die die Welt nicht nur vor Nazi-Kultist*innen sondern auch vor Kreaturen des Mythos beschützen müssen. Seit letztem Jahr gibt es diese düstere Spielwelt auch für das 2D20-System.

Seit etwas mehr als einem Jahr ist Achtung!Cthulhu 2D20 nun schon auf dem internationalen Markt. Es ist ein Pulp-Horror-Setting, das zuvor schon mit den Regeln von FATE und der 6. Edition von Call of Cthulhu zu haben war und das nun mit dem 2D20-Regelsystem von Modiphius kombiniert wurde, unter dem schon allerlei andere Rollenspiele erschienen sind. Wann es eine deutsche Übersetzung geben wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar.

Der folgende Ersteindruck basiert auf der Lektüre des Gamemaster’s Guide und Player’s Handbook sowie dem Erstellen von drei Charakteren mit den Teilzeitheld*innen Norbert, Marie und Alexa.

Der Mensch ist nicht die einzige intelligente Spezies in der Welt von H.P.Lovecraft

Die Spielwelt: Doppelt hält besser!

Die Charaktere in Achtung!Cthulhu 2D20 haben es nicht leicht. Zum einen leben sie in der Welt des H.P. Lovecraft, in der neben Menschen noch andere intelligente Spezies auf der Erde existieren, die stärker, älter und viel, viel bösartiger sind als der gemeine H. sapiens, und zudem noch außerirdische Gottheiten ihr Unwesen treiben. Zum anderen müssen die Held*innen auch noch die freie Welt im Kampf gegen Nazideutschland verteidigen. Beides ist, wie man sich leicht vorstellen kann, für die geistige wie körperliche Gesundheit eher schädlich. Das Player’s Handbook enthält eine Beschreibung des Settings, die allerdings knapp genug bleibt, um Spoiler zu vermeiden. Der größere Teil dieses Buches besteht aus den grundsätzlichen Würfel- und Kampfregeln sowie den Regeln zur Charaktererschaffung. Viel detailliertere Informationen über die gegnerischen wie auch die verbündeten Fraktionen im „Geheimen Krieg“ stehen im Gamemaster’s Guide.

Die Prämisse ist einfach: Da wurden die Szenarien klassischer Cthulhu-Spiele aus den 1920er in die 1940er Jahre und an die Fronten des Zweiten Weltkriegs verlegt und mit einem Schuss Dieselpunk garniert. Wer hier ein plumpes Pulp-Rollenspiel erwartet, in dem strahlende alliierte Held*innen links und rechts mit Tentakelmonstern verbündete Nazibatallione zerlegen, irrt sich: Das Setting ist in der Tat subtiler und erinnert im Ton mehr an Call of Cthulhu als Hollow Earth Expedition. Die Autor*innen des Systems haben ihre Geschichte-Hausaufgaben gemacht und orientieren sich in der Rahmenhandlung grob am tatsächlichen Verlauf des Krieges, ohne sich mit historischen Details übermäßig aufzuhalten – es sei hier verziehen, dass bei aller Aufmerksamkeit die berüchtigte Wewelsburg bei Paderborn von Westfalen nach Bayern verlegt wurde. Und auch der Cthulhu-Mythos ist fester Teil der Spielwelt: Orte wie Arkham und Innsmouth existieren ebenso wie das entsetzliche Plateau von Leng in den Traumlanden.

Dies bleibt allerdings den meisten Menschen verborgen: Normalerweise begegnen dem Mythos nur außergewöhnlich begabte, verrückte oder vom Unglück verfolgte Personen. Selbst ein Weltkrieg läuft im Allgemeinen auch ohne den Einfluss außerirdischer Götter. Jedoch gibt es darüber hinaus auch noch den „Geheimen Krieg“, der quasi unter der Oberfläche, beziehungsweise unter dem Deckmantel des normalen Kriegsgeschehens stattfindet. Und weil doppelt genäht immer besser hält, kämpfen die Charaktere nicht gegen eine, sondern gleich gegen zwei Fraktionen von Mythoswesen und zudem auch zwei verschiedene Gruppierungen von Kultist*innen auf der Seite von Nazideutschland.

Spoiler

Die Deep Ones, bekannt aus Lovecrafts The Shadow over Innsmouth, kämpfen vor allem gegen die Übernahme ihres unterseeischen Lebensraumes und ihrer heiligen Stätten, während die insektoiden Mi-Go die Erde selbst erobern würden. Auf der Seite der Nazis verfolgt der Kult der Schwarzen Sonne insgeheim das Ziel, den Alten Gott Yog-Sototh zu befreien, die „Nachtwölfe“ hingegen kämpfen mit atlantischer Technologie für Adolf Hitler – aber auch gegen die Schwarze Sonne, die, wenn sie ihr Ziel erreichte, das Ende der Welt einläuten würde.

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Auch die Alliierten setzen im Kampf gegen Mythoskreaturen magische Gegenstände ein – zum Beispiel verzauberte Dudelsäcke.

Dem Thema der Dopplung folgend gibt es denn auch zwei spielbare Fraktionen auf Seite der Alliierten: Die britische Section M, gegründet von einem exzentrischen Lord mit exorbitantem okkulten Wissen und nicht minder exorbitantem Vermögen, verteidigt das Vereinigte Königreich von 1939 an. Das amerikanische Department Majestic springt, widerwillig vom Oberkommando der US-Armee mitfinanziert, den britischen Verbündeten erst im späteren Verlauf des Krieges bei, dafür aber mit großer und sehr experimenteller Feuerkraft. Die SC sind dabei nicht an die Grenzen der Vorurteile der bespielten Zeit gebunden: Beide Sektionen setzen laut Beschreibung explizit Menschen aller Geschlechter, Hautfarben, Ethnien und Religionen ein – eine willkommene Abweichung von der rassistischen Weltsicht des H. P. Lovecraft.

Neben Soldat*innen und Widerstandskämpfer*innen brauchen sie auch Spezialist*innen mit Fähigkeiten, die mehr dem klassischen Cthulhu-Charakter entsprechen, etwa in der Archäologie. Die SC sind Angehörige von Spezialkommandos und damit zwangsweise keine strahlenden Pulp-Held*innen: Vielmehr wird von ihnen erwartet, dass sie tun, was eben getan werden muss, um den Krieg zu gewinnen, selbst wenn dies bedeutet, unkonventionelle und bisweilen auch moralisch fragwürdige Methoden anzuwenden.

Das System verwebt gekonnt historische Elemente mit Mythos-Klassikern sowie einigen bis heute beliebten Verschwörungsmythen über angebliche geheime Superwaffen des Zweiten Weltkriegs. Es ist detailreich, lässt der SL aber genug Platz, um eigene Ideen einzubringen.

Die Regeln

Das Haussystem von Modiphius wurde schon für diverse Rollenspielsettings verwendet. Es verbindet narrative Elemente mit festen Regelbestandteilen und ist dabei nicht mit Rechenübungen überfrachtet. Bei Achtung!Cthulhu2d20 stehen die Würfel- und Charaktererschaffungsregeln im Player’s Guide und werden im Gamemaster’s Guide nur noch einmal zusammenfassend wiederholt, was zu ärgerlichem Blättern führen kann, wenn man die beiden Teile des Regelwerks nur als physische Bücher besitzt. Auch bei zwei nebeneinanderliegenden PDFs ist es nicht gerade praktisch. Fairerweise muss dazu gesagt werden, dass der Gamemaster’s Guide allein schon nah an die 300 Seiten kommt, daher kann man dies wohl verzeihen.

Das System begünstigt das Überleben der Charaktere, auch wenn es nicht immer so scheint.

Eine Probe besteht – wenig überraschend – im Allgemeinen aus mindestens 2W20. Diese müssen einen Schwellenwert unterwürfeln, der sich aus den Werten des zur Probe passenden Attributs und der entsprechenden Fertigkeit des würfelnden SC errechnet. Jeder Wert, der den Schwellenwert erreicht oder darunter liegt, gilt als Erfolg. Eine gewürfelte 1 entspricht einem doppelten Erfolg. Im Falle, dass eine 20 gewürfelt wird, kommt dafür eine so genannte Komplikation hinzu – eine negative Konsequenz wie der Verlust einer wertvollen Ressource. Die SL legt fest, wie viele Erfolge gebraucht werden, um die Schwierigkeitsstufe zu erreichen. Hilfe durch andere Spielende und eine Spielmechanik namens Momentum können der würfelnden Person weitere W20 geben, sodass auch Proben mit einer Schwierigkeit von 3 oder höher zu schaffen sind.

Das Würfelsystem begünstigt allgemein den Erfolg der Held*innen, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint. Kollege Holger hat eine detaillierte Betrachtung zu den relativen Erfolgswahrscheinlichkeiten der SC im 2D20-System geschrieben. Angesichts des Settings von Achtung!Cthulhu ist es allerdings vielleicht sogar zu begrüßen, dass Begegnungen der Charaktere mit Mythoswesen oder durch dunkle Magie und außerirdische Wissenschaft aufgeputschten Fanatiker*innen nicht ständig im Total Party Kill enden. Ein bisschen Pulp bleibt also doch im System, auch wenn dies Cthulhu-Purist*innen wie Blasphemie vorkommen mag.

Charaktererschaffung

Die Charaktererschaffung in Achtung!Cthulhu 2D20 läuft schrittweise ab. Zuerst wählen Spielende den „Archetype“ ihres Charakters, also in etwa seine Klasse, seine Herkunft und dann den „Background“ (Hintergrund), also in etwa seine Lebensgeschichte beziehungsweise seinen Beruf vor dem Krieg. Dazu kommt noch eine „Characteristic“ (Eigenschaft), die den Charakter weiter personalisiert. Das kann eine körperliche Eigenheit sein, eine geistige Eigenheit wie „Bookworm“ (Bücherwurm) oder aber ein Detail der Vergangenheit des Charakters, wie eine Kindheit auf der Straße. Die einzelnen Schritte geben dem Charakter Boni auf Attribute und Fertigkeiten, Spezialisierungen, Talente, Equipment oder so genannte „Truths“ (Wahrheiten), die ihn näher beschreiben – dazu gehören etwa die Sprachen, die der Charakter spricht. Das Powerlevel des Charakters kann variieren, je nachdem, wie gut die einzelnen Schritte aufeinander abgestimmt sind. Wenn allerdings keine außergewöhnlichen hohen Werte erreicht werden, hat der Charakter dafür eine breitere Basis.

Der letzte Schritt enthält eine praktische Zusammenfassung, in der die Gesamtzahl der vergebenen Punkte noch einmal zusammengerechnet wird, sodass sichergestellt ist, dass nichts vergessen wurde. Das ist leider auch notwendig, weil das Auswählen von Talenten, Wahrheiten, Equipment und Spezialisierungen bei den verschiedenen Schritten von ständigem Blättern bzw. Scrollen gekennzeichnet ist, was die Charaktererschaffung bei aller Einfachheit doch etwas langwierig macht. Ein Abend dafür ist vor Spielbeginn zu empfehlen.

Für jeden Schritt gibt es außerdem eine W20-Würfeltabelle. Wer also keine Inspiration für den einen oder anderen Schritt hat, kann den Zufall entscheiden lassen. Natürlich kann man das Grundgerüst des Charakters so auch ganz auswürfeln. Das Ergebnis kann im Einzelfall etwas seltsam werden. In der Welt des Cthulhu-Mythos ist „seltsam“ allerdings kein Hinderungsgrund.

Die Charaktere müssen nicht unbedingt Soldat*innen sein.

Erscheinungsbild

Das Layout der beiden Teile des Grundregelwerks spiegelt die Stimmung der Spielwelt wider. Der Hintergrund ist in graubeiger Papieroptik gehalten, mit Highlights in kühlem Blau für den Gamemaster’s Guide und militärischem Khakigrün für den Player’s Guide. Beide Bücher sind verständlich gegliedert und besitzen ein übersichtliches Inhaltsverzeichnis, das aber leider im PDF nicht interaktiv verlinkt ist. Der Fließtext ist gut zu lesen und verständlich geschrieben, Zusatzinformationen stehen in Seitenkästen und übersichtlichen Tabellen.

Wie an den Rand gekritzelt zieren Zitate beide Bücher, bisweilen solche von Charakteren aus der Spielwelt, zum Teil aber auch historische Zitate, und immer wieder Exzerpte aus den Werken H.P. Lovecrafts. Etliche szenische Illustrationen verdichten das Ambiente zusätzlich. Es ist positiv anzumerken, dass die Illustrationen nicht mit Hakenkreuzen überfrachtet sind. Anstelle des tatsächlichen (und in Deutschland heute verbotenen) Symbols der „Schwarzen Sonne“ benutzt das System für die gleichnamige Kultist*innenfraktion ein eigenes Design.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Modiphius
  • Autor*in(nen): Richard August, Brad Bell, Richard L Gale, Benn Graybeaton, Bill Heron, John Houlihan, Mari Tokuda, Sam Webb
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF, Hardcover
  • Seitenanzahl: 271 (Gamemaster’s Guide), 191 (Player’s Guide)
  • ISBN: 978-1-912743-67-4, 978-912743-24-7
  • Preis: Gamemaster`s Guide: 27 USD (PDF), 41,82 EUR (Hardcover); Player`s Guide: 21 USD (PDF), 52 EUR (Hardcover)
  • Bezugsquelle:

 

Fazit

Die Spielwelt von Achtung!Cthulhu 2D20 ist, kurz zusammengefasst, die Welt des H.P. Lovecraft, aber zeitlich mitten im Zweiten Weltkrieg, an dem die SC auch in irgendeiner Form teilnehmen. Düsterer als das geht es wohl kaum. Glücklicherweise schafft es das System, dieses Setting in actionreiches Pulp-Rollenspiel umzusetzen, ohne, dass es völlig ins Lächerliche à la Captain America kippt. Die Bösewichte von Achtung!Cthulhu 2D20 sind angemessen gruselig, die Held*innen nicht zu strahlend für das düstere Ambiente.

Die Welt muss nicht nur vor irdischem Bösen beschützt werden.
Die Welt muss nicht nur vor irdischem Bösen beschützt werden.

Beim ersten Durchlesen scheint das System eine gute Balance zwischen Pulp und Horror sowie zwischen Geschichte und Mythos zu halten. Die Spielwelt ist detailreich beschrieben und der Spielleitung werden jede Menge Ressourcen für eine eigene Kampagne an die Hand gegeben, ohne diese aber allzu sehr zu micromanagen. Ob diese dann mehr Inspiration von bis heute beliebten Verschwörungsmythen (Nazi-UFOs über Neuschwabenland!), echten historischen Ereignissen oder den Geschichten H.P. Lovecrafts und klassischeren Cthulhu-Rollenspielen nimmt, bleibt der SL überlassen: alles ist in dieser Spielwelt möglich.

Das Regelwerk des Modiphius-Haussystems 2D20 ist gut auf die Spielwelt adaptiert und verständlich mit Hilfe zahlreicher Tabellen beschrieben. Die Charaktererschaffung ist als Schritt-für-Schritt-System logisch aufgebaut. Ein Wermutstropfen ist, dass viel hin- und her geblättert werden muss. Im Allgemeinen sind beide Bücher aber gut gegliedert und ihr Geld für Cthulhu-Fans, die eine pulp-inspirierte Kampagne im Schatten des Zweiten Weltkriegs leiten möchten, auf jeden Fall wert. Spielende brauchen indes nur den Player’s Guide, in dem alle Regeln und eine spoilerfreie Beschreibung der Spielwelt enthalten sind.

Ein Spieltest dieses Systems ist geplant und wird voraussichtlich im Juli veröffentlicht.

 

 

  • Mischung aus Pulp und Horror
  • Verständliches Regelwerk
  • Dichte und detailreiche Spielwelt
 

  • Viel Blättern bzw. Scrollen

 

 

Artikelbilder: © Modiphius
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Giovanna Pirillo
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

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