Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Mit dem jüngst erschienenen Werk Tasha’s Cauldron of Everything gewährt die bekannteste Hexe aus Dungeons and Dragons Einblick in ihre Werkstätte. Neue Optionen für Charakterklassen, Fertigkeiten, Gruppenpatrone, Sidekicks und Zauber bieten eine riesige Auswahl an Möglichkeiten für jede Dungeons and Dragons-Spielgruppe. Der Blick in den Kessel erfolgt auf eigene Gefahr.

Tasha – eine Vorstellung

Am Anfang eine kleine Vorstellung. Tasha, auch bekannt unter dem Namen Iggwilv, ist ein alter Dungeons and Dragons-Charakter aus der Welt Greyhawk. Sie debütierte  im Jahre 1982 im Abenteuer The Lost Caverns of Tsojcanth und wurde von Gary Gygax höchstselbst kreiert. Mehr Dungeons and Dragons-Urgestein geht eigentlich nicht. Sogar der alte Strahd von Zarovich erblickte erst ein Jahr später die Dunkelheit der Welt. Jüngeren Spieler*innen dürfte sie vor allem als die Namensgeberin des Zauberspruchs „Tashas Hideous Laughter“ bekannt sein, einer niedrigstufigen Verzauberung. Dieser Spruch war schon in den ersten Editionen ihr Markenzeichen. Obwohl eine derart alte Hexe, fand sie erst ab Mitte der 2000er häufiger Verwendung in Publikationen für Dungeons and Dragons.

Hexe Tasha gewährt uns einen Einblick in ihre Geheimnisse. © Wizards of the Coast

Tasha’s Cauldron of Everything versteht sich als eine ausschließlich optionale Spielergänzung für Dungeons and Dragons, analog zu Xanathar’s Guide to Everything. Ähnlich dem vieläugigen fliegenden Mobster aus der Stadt Waterdeep erleben wir hier die titelgebende Antiheldin, welche uns erzählend durch einen Band voller Optionen führt und kommentierend begleitet.

Die Einleitung des Buches stellt klar, dass sämtliche Regeln in diesem Band rein optional sind. Die Spielgruppe sollte sich daher idealerweise vor der Verwendung des Buches einigen, welche Aspekte aus Tasha’s Cauldron of Everything man in sein Spiel integrieren möchte. Nach dieser Feststellung beginnt das Buch mit einer Wiederholung der zehn wichtigsten Regeln für Dungeons and Dragons: beispielsweise, dass die Spielleitung die Deutungshoheit über die Regeln des Spiels hat, um den Spielfluss bei einem so komplexen Spielsystem gewähren zu können. Oder, dass sich Advantage und Disadvantage gegenseitig aufheben. Das ist zwar ganz nett, aber ob es bei einem Produkt für fortgeschrittene Spieler*innen notwendig ist, daran erinnert zu werden, Spaß zu haben, sei sehr bezweifelt.

Charakteroptionen

Sehr von der Spieler*innenschaft erwartet, gibt Tasha’s Cauldron of Everything nun endlich die Option, einen Charakter vollkommen unabhängig von Stereotypen zu bauen. Bislang bekam jede Rasse in Dungeons and Dragons einen fixen Bonus auf gewisse Attribute: So waren Zwerge immer stämmiger, Elfen immer gewandter und und so weiter. Nun ist es möglich, unabhängig von der eigentlichen Rasse einen Bonus auf ein selbst gewähltes Attribut zu geben. Die fast freie Auswahl von Fertigkeiten und weiteren Möglichkeiten wie beispielsweise Dunkelsicht runden das Ganze ab.

Zwar war es bereits im Player‘s Handbook möglich, einen fetten Elfen, einen schlaksigen Zwerg, einen charmanten Ork oder einen kräftigen Gnom durch entsprechende Belegung der Attribute zu kreieren. Spieler*innen, die ihren Charakter gerne noch freier bauen möchten, werden an diesen Neuerungen sicher ihre Freude haben.

Artificer

Ein Artificer – die neu vorgestellte Klasse in Tasha’s Cauldron of Everything © Wizards of the Coast

Mit dem Artefaktbauer kommt eine komplett neue Charakterklasse ins Spiel. Bereits auf dem ersten Bild dieses Kapitels sieht man eine Artificer samt Eldritch Cannon, die an einen Ausflug zu Shadowrun erinnert. Artificer sind Magieanwender, die aber auch, wie der Name schon sagt, eigene Gebräue und Waffen sowie sentiente Kreaturen erschaffen können.

Die Artificer können sich – so wie die anderen Charakterklassen auch – ab Level 3 spezialisieren. Alchemist*innen, Rüstungsmacher*innen, Artillerist*innen und Schlachtenschmied*innen können auf ihren Spezialgebieten die Gruppen mit magischen Elixieren, aufs Maß angefertigten Rüstungen, großen Kanonen oder selbst erschaffenen Kreaturen aus Stahl unterstützen. Dabei müssen diese Charaktere keinesfalls in einer unterstützenden Rolle verharren. Mit ihrer interessanten Mischung aus Zaubersprüchen und technischer Versatilität sind sie in jeder Situation mit dem richtigen Werkzeug bei der Sache. Die Möglichkeit, unterstützende Homunculi zu bauen, ist dabei ein willkommener Bonus.

Weitere Klassenoptionen

Neben dem*der Artificer werden jeder Grundklasse aus dem Player‘s Handbook zwei weitere Klassenoptionen auf einem fortgeschrittenen Level spendiert. Diese umfassen:

Barbar*in: die Pfade der Bestie und der Wilden Magie

Bard*in: die Schulen der Erschaffung und der Eloquenz

Kleriker*in: die Domänen der Ordnung, des Friedens und des Zwielichts

Druid*in: die Zirkel der Sporen, der Sterne und des Wildfeuers

Kämpfer*in: die Archetypen der Psi-Kämpfer*innen, der Runenkämpfer*in sowie mehrere Optionen für eine*n Schlachtenmeister*in

Mönch*in: die Wege der Gnade und des astralen Selbst

Paladin: die heiligen Eide der Glorie und der Wächter

Ranger: die Archetypen der Feenwanderer*innen und der Schwarmbeschützer*innen

Rogue: die Archetypen des Phantoms und des Seelenmessers

Zauberer*in: die Herkünfte des anormalen Geistes und der Uhrwerksseele

Warlock: die Patrone der tiefen See und Dschinns

Magier*in: die Orden des Klingensingens und der Schreiber*innen

Diese Aufzählung reicht natürlich nicht aus, um all die neuen Optionen des Bandes gebührend abzubilden. Jede Klasse erhält neue Feats, Zaubersprüche oder andere Möglichkeiten, um den eigenen Charakter genau an die persönlichen Wünsche anzupassen. Allein mit dem Ausprobieren von ein paar der hier erwähnten interessanten Charakterkonzepte wird man eine lange Zeit verbringen.

Für diejenigen Spieler*innen, die ihre Charaktere zum Beispiel zu Köch*innen,  Telekinet*innen, oder Giftmischer*innen ausbilden möchten, finden sich entsprechende Optionen am Ende dieses Kapitels.

Gruppenpatrone

Patronin Tasha empfängt ihre Gäste © Wizards of the Coast

Was bislang nur dem*der Warlock vorbehalten blieb, ist nun für die gesamte Gruppe möglich – sich einer höheren Macht zu verschreiben. Dieses Kapitel stellt eine Fülle an Vorschlägen dar, wie die Gruppe an Aufträge einer mächtigen Institution gelangen, diese ausführen und gegebenenfalls von ihnen profitieren kann. Diese Entitäten umfassen – nicht unbedingt magische – Akademien, Große Alte, die Aristokratie, ein kriminelles Syndikat, eine Gilde, das Militär, religiöse Orden oder ein anderer Souverän. Für jede der erwähnten Fraktionen werden etliche Listen zur Verfügung gestellt, welche Anregung für Abenteuer und Komplikationen, aber auch mögliche Belohnungen bieten. Gerade unerprobte Spielleitungen können sich hier Ideen holen.

Das Kapitel schließt mit einem kurzen Exkurs darüber, wie die Gruppe selbst die Seiten wechseln und selbst zum Patron werden könnte. Gerade für erfahrene Gruppen ist es sicher eine erfrischende Erfahrung, selbst junge Held*innen unter die Fittiche zu nehmen und auszubilden. Anfangsschwierigkeiten und Potential für spätere Abenteueraufhänger wie Entführungen, Abfall vom rechten Weg und Streitigkeiten natürlich inklusive.

Magisches Allerlei

Dieses Kapitel umfasst eine Sammlung neuer und erweiterter Sprüche, unter anderem das Beschwören von verschiedenen Arten von Geistern und Konstrukten, Psi-Attacken und mehreren Sprüchen mit Tashas Namen.

Ein besonders interessanter Abschnitt ist die Möglichkeit, seine Zaubersprüche mit unterschiedlichen Effekten zu modifizieren – so zum Beispiel ein magisches Geschoss in Form von grünen Hühnern zu verschießen oder sich eine ganz persönliche Zauberform auszusuchen, in welcher die eigenen Zauber erschaffen werden. Diese Liste umfasst allerdings nur Vorschläge und keinen harten Regelcrunch.

An den neuen verfügbaren magischen Gegenständen seien insbesondere die magischen Tätowierungen erwähnt, welche sich Charaktere stechen lassen können. Dieser Körperschmuck hat schützende Wirkung, je nach Art der Zeichnung. Die fast schon obligatorischen Amulette, Kessel, Stäbe, Konstrukte und Folianten runden das Kapitel ab. Eine Besonderheit dieses Bandes ist elementare Scherben, welche je nach ihrem Element unterschiedliche Effekte auslösen.

Magic Missile in Hühner Form? Nun gibt es Regeln für das modifizieren von Spells © Wizards of the Coast

Werkzeuge der Spielleitung

Das Kapitel beginnt mit der Idee einer Sitzung 0, in welcher die Wünsche, Grenzen und Besonderheiten der neuen Spielrunde abgesteckt werden. Es wird darauf hingewiesen, dass es hilfreich sein kann, die jeweiligen Erwartungen an das Spiel zu äußern und auch mögliche persönliche Limits anzusprechen, bevor mit dem Spiel begonnen wird. Diese Hinweise sind sicher gut, allerdings in einem Buch für fortgeschrittene Spieler*innen sicher schlechter aufgehoben als im Player‘s Handbook.

Sidekicks

Ebenfalls von Fans von Dungeons and Dragons heiß erwartet finden sich in Tasha’s Cauldron of Everything Regeln für Begleiter, welche mit der Gruppe mitleveln können. Diese als Sidekicks bezeichneten Gruppenbegleiter*innen sind nicht willenlos, aber dennoch prinzipiell loyal zur Spieler*innengruppe. Sie kommen in den Varianten Experte*in, Spruchweber*in und Krieger*in vor. Passend zu jeder Spezialisierung gibt es Optionen, den Sidekick auf die Bedürfnisse der Gruppe zuzuschneiden. Es ist prinzipiell möglich, dass die Spielleitung die komplette Kontrolle über das Agieren des Sidekicks übernimmt, es wird aber explizit die Möglichkeit eingeräumt, dass ein*e Spieler*in den Sidekick spielt, insbesondere, wenn es sich um jemanden handelt, welche*r gerne einen etwas einfacheren Charakter spielen möchte.

Ein paar mögliche Sidekicks © Wizards of the Coast

Monster und die Umwelt

Diese Kapitel umfassen unterschiedliche Listen, mit welchen die Spielleitung die Motivation von Monstern und spezielle Umweltbedingungen auswürfeln kann. Dies umfasst auch so exotische Umgebungen wie Spiegelwelten, infizierte Welten oder Welten mit wilder Magie.

Puzzles

Ob dieser Zauberer eine Lösung für das Puzzle findet? © Wizards of the Coast

Tasha’s Cauldron of Everything schließt mit einem Kapitel ab, das Puzzles und Rätseln für die Spieler*innen und ihre Charaktere gewidmet ist. Dabei werden echte Puzzles, Bilderrätsel und andere Knobeleien wie beispielsweise Buchstabensalate behandelt, die man als Spielleitung in petto haben sollte. Von allgemeinen Konzepten eines Rätsels für die Spieler*innengruppe wird zu konkreten Beispielen am Spieltisch übergegangen. Die Rätsel sind dann jeweils in leicht, mittel und schwer eingeteilt, um besser entscheiden zu können, ob das konkrete Rätsel für das Spiel geeignet ist. Dabei können besonders die schweren ziemlich knackig werden. Aber auch die leichten Rätsel könnten Spielrunden, welche Rätsel nicht gewohnt sind, vor ein schwieriges Problem stellen.

Netterweise wird bei jedem Rätsel eine Möglichkeit für Wissens- und Ideenwürfe angegeben, um Spieler*innen, welche nicht weiterkommen, eine kleine Hilfestellung zu geben. Das dürfte die Spielbarkeit deutlich erhöhen.

Bildmaterial

Die Illustrationen sind durchgehend in gewohnt hochwertiger Qualität und bieten Inspiration für eigene Abenteuer. Man findet in diesem Band sowohl Spielhilfen, besonders für die Rätsel am Ende des Buches, als auch stimmungsvolle Charakterbilder – darunter wohl den süßesten Goblin überhaupt als Sidekick.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Wizards of the Coast
  • Autor(en): Lead Designer Jeremy Crawford
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 192
  • ISBN: 978-0-7869-6702-5
  • Preis: ca. 45 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, Sphärenmeister

 

Fazit

Tasha’s Cauldron of Everything ist eine faszinierende Sammlung aus Hinweisen und Optionen, um das eigene Erlebnis am Spieltisch zu verbessern. Obwohl nicht komplett neu geschrieben, enthält es doch bereits publizierte Informationen aus dem Sword Coast Adventurer’s Guide, dem Guildmaster’s Guide to Ravnica, Eberron: Risign from the Last War sowie den Mythic Odysseys of Theros. Eine Zusammenfassung muss allerdings nichts Schlechtes sein.

Auf der anderen Seite steht die Tatsache, dass ein großer Teil der präsentierten Optionen eben genau das sind – lediglich Optionen. Während manche Spielleitungen und Spieler*innen sicher viel aus den angebotenen Listen und Möglichkeiten für ihr Spiel gewinnen können, kann es insbesondere für erfahrenere Leser*innen zu viel an Zufallstabellen, Willkürlichkeiten und „Alles ist möglich“ sein.

Für den geforderten Preis von knapp 45 Euro kann man aber durchaus einen Blick in diesen Folianten werfen.

 

Artikelbilder: © Wizards of the Coast
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Alexa Kasparek

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein