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Waterdeep, die ikonische Metropole an der Schwertküste, ist Fans der Forgotten Realms schon seit langem ein Begriff. Grund genug, der prächtigen Stadt ein eigenes Abenteuer zu widmen, das ihre vielfältigen Facetten zum Glänzen bringen kann und den Spielercharakteren ungeahnte Reichtümer in Aussicht stellt. Doch Reichtum ruft stets Neider auf den Plan …

Waterdeep. Die prächtige Stadt. Schon der Name bewirkt bei vielen RollenspielerInnen ein Abtauchen in die Abenteuer vergangener Tage. Zahllose Spielercharaktere, die die Forgotten Realms erkundeten, landeten früher oder später in dieser einzigartigen Stadt, dieser kosmopolitischen Metropole, erbaut über dem Undermountain, dem größten Dungeon der Spielwelt.

Da die Stadt also offensichtlich aus der bekanntesten Spielwelt von Dungeons & Dragons nicht wegzudenken ist, wird sie auch in der fünften Edition des Rollenspiels mit einem eigenen Buch bedacht.

Die besten Abenteuer beginnen in Tavernen

Dabei handelt es sich aber weniger um den typischen Quellenband, sondern um ein umfangreiches Abenteuer samt ausgiebiger Ortsbeschreibung, das die Stadt in Szene setzt. Wer Waterdeep: Dragon Heist (auf Deutsch als Waterdeep: Drachenraub bei Ulisses Spiele erschienen) gespielt hat, kennt danach die Stadt mit all ihren guten und schlechten Seiten.

Wir sind auf ein Bier in die Taverne „Yawning Portal“ eingekehrt und haben es uns mit den Geschichten aus Waterdeep gemütlich gemacht. Setzt euch und hört, was wir in Erfahrung bringen konnten. Euch erwartet ein Abenteuer voller Gold, Drachen, Irrungen und Wirrungen in der außergewöhnlichsten Stadt der Vergessenen Reiche.

Inhalt – Jagd auf den Schatz von Waterdeep

Es beginnt so klassisch, wie ein Abenteuer beginnen kann. Die Charaktere sind in einer Taverne eingekehrt und genießen einen geselligen Abend, als plötzlich die Situation für kurze Zeit eskaliert. Man greift beherzt ein und findet sich kurz darauf an einem Tisch mit einem potenziellen Auftraggeber wieder.

Im Falle von Waterdeep: Dragon Heist ist dieser Auftraggeber kein Geringerer als Volothamp Geddarm, kurz Volo, seines Zeichens Autor des berühmten Buches Volo’s Guide to Monsters. Wer sich etwas mit der fünften Edition von Dungeons & Dragons auskennt, weiß, dass eben jenes Buch in Form eines Quellenbandes veröffentlicht wurde. Und im Disclaimer des besagten Quellenbandes wird ausdrücklich davor gewarnt, Aufträge anzunehmen, die von Volo ausgelobt werden.

Tatsächlich ist die eigentliche Aufgabe, die der exzentrische Autor den Charakteren stellt, gar nicht das Problem. Ein verschwundener Freund muss gefunden werden, und schon werden die Abenteurer ihre Belohnung erhalten. Aber die Belohnung für die getane Arbeit stellt eine Überraschung und im späteren Verlauf den Auftakt zum eigentlichen Abenteuer dar.

Nachwuchshelden brauchen Hilfe.

Und dieses Abenteuer hat es in sich, geht es doch immerhin um nicht weniger als 500.000 Drachen. All diejenigen, die den Anteil der geflügelten Feuerspeier schon in Hoard of the Dragon Queen als bedenklich hoch eingestuft haben, können aber aufatmen. Die Bewohner von Waterdeep nennen auch die einheimische Goldmünze einen „Drachen“.

Eine halbe Million Goldmünzen lockt also die jungen Abenteurer. Leider ist das Versteck der begehrten Reichtümer ein gut gehütetes Geheimnis, und nur ein besonderes Artefakt kann den Weg zu einem Hort weisen, der für so manchen Charakter die Fahrkarte in den vorgezogenen Ruhestand bedeuten könnte.

Das zweite Problem neben der Suche nach dem Artefakt stellen diverse Mitbewerber dar, die ebenfalls Verwendung für die begehrten Goldmünzen hätten und entsprechend mitmischen. Es entspinnt sich also ein Wettrennen quer durch die Stadt, in dessen Verlauf jede Seite mal die Oberhand gewinnen kann und mal das Nachsehen hat. Wer am Ende gewinnt und wer als betrogener Betrüger dasteht, muss jede Spielrunde selbst herausfinden.

Innerhalb der Handlung des Abenteuers werden die Charaktere von der ersten bis zur fünften, eventuell sechsten Stufe aufsteigen. Betrachtet man die über 220 Seiten des Bandes erscheint diese mögliche Charakterentwicklung etwas wenig. Princes of the Apokalypse etwa bietet bei ähnlicher Seitenzahl eine Kampagne bis auf die 15. Stufe.

Die Greifenkavallerie von Waterdeep.

Grund dafür ist unter anderem eine recht ausführliche Beschreibung der Stadt Waterdeep, die an das Abenteuer anschließt. Immerhin stellt die Metropole den Schauplatz des gesamten Abenteuers dar und wird auch im Verlauf der Handlung zur neuen Heimat der Gruppe. Angenehm also, dass eine Übersicht über die Stadtviertel, die Regierungsform, Gepflogenheiten, Gesetze und Gebräuche gleich mitgeliefert wird, die auch über das Abenteuer hinaus zum Einsatz kommen kann.

Der überraschend große Umfang für eine eher kurze Kampagne ist aber vor allem der Tatsache geschuldet, dass Waterdeep: Dragon Heist einen ungewöhnlichen Weg geht, indem es sehr viel Material anbietet, das für das eigentliche Spiel nicht gebraucht wird. Was zuerst nach Verschwendung klingt, entpuppt sich als größte Stärke des Produkts. Denn durch diese Menge an Materialien kann das Abenteuer von der Spielleitung sehr genau auf den Stil der Gruppe angepasst werden.

Diese Anpassung erfolgt in der Wahl der Hauptantagonisten. Vier Fraktionen stehen zur Verfügung, die jeweils mit eigener Agenda, Anführern, Mitteln und Methoden sowie einem komplett ausgearbeiteten Hauptquartier präsentiert werden. Im Abenteuer können alle Fraktionen auftauchen, aber die gewählte Hauptfraktion wird stets tonangebend sein und im Finale eine tragende Rolle spielen.

Schlimme Schurken schleichen durch die Straßen.

Bis zu einem bestimmten Punkt in der Handlung kann die Wahl problemlos neu getroffen werden, später wird dies eher schwierig. Grund dafür ist die Tonalität des Abenteuers, die sich entscheidend ändert, je nachdem, mit welchen Gegenspielern es die Charaktere zu tun bekommen. In der folgenden Spoilerbox haben wir grundlegende Informationen zu den möglichen Antagonisten zusammengetragen.

Alle SpielleiterInnen, die Interesse an den ungewöhnlichen Strukturen des Abenteuers haben, bekommen auf diese Weise bereits einen ersten Eindruck, was sie erwartet. Alle potenziellen SpielerInnen sind hingegen gut beraten, sich die Überraschungen des Abenteuers nicht mit einem Klick zu verderben.

Die vier möglichen Antagonisten

Xanathar

Xanathar ist ein Betrachter, der in Waterdeep ein kriminelles Syndikat unterhält. Er ist, typisch für seine Spezies, extrem megalomanisch veranlagt und zutiefst paranoid. Er begehrt das versteckte Gold vor allem aus persönlicher Hab- und Machtgier.

Wenn Xanathar als Hauptantagonist gewählt wird, werden die Charaktere es häufig mit monströsen Gegnern zu tun bekommen, die vom verrückten Betrachter entsandt worden sind. Das Abenteuer wird außerdem stellenweise sehr komisch werden, da Xanathar eine sehr skurrile, bewusst überzeichnete Persönlichkeit darstellt. So wird er beispielsweise leicht erpressbar, wenn es den Charakteren gelingt, seinen über alles geliebten Goldfisch zu entführen.

Die Eheleute Cassalanter

Die Cassalanters gehören zum Adel von Waterdeep und haben in der Vergangenheit einen finsteren Pakt mit Asmodeus, dem Fürsten der Neun Höllen geschlossen, um ihre schwindende wirtschaftliche Macht wiederherzustellen. In der Folge hat sich eines ihrer Kinder in einen Teufel verwandelt, zwei weiteren droht ein ähnliches Schicksal. Die Eheleute wollen das Gold nutzen, um die Seelen ihrer Kinder freizukaufen.

Wenn die Cassalanters Hauptantagonisten des Abenteuers sind, bekommt das Abenteuer eine sehr fatalistische Note. Um die unschuldigen Kinder der Familie zu retten, sind nämlich nicht nur eine große Menge Gold vonnöten, sondern auch ein Opfer von einhundert ebenfalls unschuldigen Seelen. Die Charaktere sehen sich also am Ende einer Entscheidung gegenüber, die ihr Gewissen belasten wird, egal, was sie tun.

Jarlaxle Baenre

Der aus einschlägigen Romanen bekannte Dunkelelf mischt ebenfalls in der Jagd auf den Schatzhort mit. Er würde das Gold gerne erbeuten, um der Stadt Luskan, deren geheimer Herrscher er ist, eine Mitgliedschaft in der Lord’s Alliance, einem Fürstenbündnis der Forgotten Realms, zu erkaufen. Anders als die anderen potenziellen Gegenspieler wird Jarlaxle weniger versuchen, die Charaktere zu behindern, sondern sie eher manipulieren, um ihnen am Ende den Schatz unter der Nase wegzuschnappen.

Wird Jarlaxle als Hauptantagonist gewählt, verwandelt sich das Abenteuer stimmungstechnisch in eine Gangsterkomödie, wie sie Guy Ritchie kaum besser hätte verfilmen können. Die Gegner sind zwar kriminell, aber selten wirklich böse, Allianzen werden so schnell gebrochen, wie sie entstanden sind. Das Ende der Geschichte ist schwer vorhersehbar, denn Jarlaxle kann problemlos einen Sieg oder zumindest ein Unentschieden erringen, ohne dass die Spielwelt aus den Fugen gerät.

Manshoon

Ein Klon des bösen Magiers, der KennerInnen der Forgotten Realms sicher bekannt ist, streckt seine Finger nach dem Goldschatz aus, um damit die Kontrolle über die Stadt zu erlangen. Gleichzeitig möchte er auch die Zhentarim, ein kriminelles Netzwerk, das er einst beherrschte, zurückerobern. Als machtgieriger, skrupelloser Zauberer ist er vermutlich unter den vier möglichen Antagonisten am ehesten ein Archetyp.

Da Manshoon sich ungern der Öffentlichkeit preisgeben will, wird er aus dem Verborgenen heraus agieren und bevorzugt humanoide Handlanger gegen die Charaktere einsetzen. Diese Geheimniskrämerei macht ihn letztendlich auch zu einem ungewöhnlichen Schurken, denn ihm ist am besten beizukommen, indem die Gruppe ihn enttarnt und die Behörden von Waterdeep einschaltet. Eine abenteurertypische direkte Konfrontation hingegen verläuft vermutlich fatal.

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Welche Wahl die Spielleitung am Ende auch trifft, die SpielerInnen erwartet ein turbulentes Abenteuer, das sie quer durch Waterdeep führt und ihnen so manche Eigenheit der Metropole vorführt. Eingefleischte Fans von D&D werden bedient, und auch jene, die dem System bisher nicht viel abgewinnen konnten, bekommen ein Abenteuer geboten, das rundum überzeugt. Denn selbst die, die niemals vorhaben, das eigentliche Abenteuer zu spielen oder zu leiten, können aus der Lektüre von Waterdeep: Dragon Heist noch einiges über die Gestaltung und den Aufbau kreativer Abenteuer lernen.

Der Tag der Wunder.

Das Buch quillt schier über vor Ideen, so sehr, dass man das Abenteuer eigentlich mindestens viermal spielen müsste, um auch nur im Ansatz alle enthaltenen Inhalte verwenden und erleben zu können. Tatsächlich ist dank der sehr unterschiedlichen Gegenspieler der Wiederspielwert überraschend hoch, sodass einem mehrmaligen Spielen oder Leiten wenig im Wege steht. Denn Spaß wird man sicherlich jedes Mal mit Waterdeep: Dragon Heist haben.

Wer über den Spaß hinaus auf die Kosten schaut, muss eventuell schlucken, immerhin kann für den Preis des Buches so manches Grundregelwerk erstanden werden. Die große Menge an Inhalten, die auch über das eigentliche Abenteuer hinaus Verwendung finden können, rechtfertigt die Ausgaben aber. Immerhin bietet das Buch neben dem mehrfach einsetzbaren Abenteuer eine komplette Stadtbeschreibung sowie eine vollfarbige Faltkarte der Stadt Waterdeep.

Erscheinungsbild

Sommer in der prächtigen Stadt.

Schon beim ersten Durchblättern des Buches fallen die gelungenen Illustrationen von Waterdeep: Dragon Heist ins Auge. Zusätzlich zu den Bildern, die zwischen den Texten eingestreut wurden, finden sich an sieben Stellen großformatige Illustrationen, die eine ganze Doppelseite einnehmen. Allen Bildern und auch der heraustrennbaren Karte ist gemein, dass sie die Stadt und damit das Abenteuer auf vielfältige Weise und in allen Jahreszeiten präsentieren.

Neben den Illustrationen ist auch das restliche Layout mehr als zufriedenstellend. Lediglich eine leichte Unschärfe des Drucks ärgert auf einigen Seiten. Dieses Problem ist mir schon bei mehreren Produkten der fünften Edition von Dungeons & Dragons aufgefallen, weshalb leider davon auszugehen ist, dass auch andere Exemplare betroffen sein dürften.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Wizards of the Coast
  • Autor(en): Christopher Perkins, James J. Haeck, James Introcaso, Adam Lee, Matt Sernett
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover, Letter Format
  • Seitenanzahl: 224
  • ISBN: 978-0-7869-6625-7
  • Preis: 49,95 USD (Hardcover)
  • Bezugsquelle: Amazon, Sphärenmeister

 

Fazit

Wer nach einem typischen Abenteuer für Dungeons & Dragons sucht, wird mit Waterdeep: Dragon Heist eine angenehme Überraschung erleben. Das Abenteuer bewegt sich zwar durchgehend innerhalb der Konventionen des Regelwerks und der Forgotten Realms, geht gleichzeitig aber seinen ganz eigenen Weg. Damit bedient es sowohl eingefleischte Fans als auch diejenigen SpielerInnen, die Dungeons & Dragons bisher noch nicht viel abgewinnen konnten.

Mit gleich vier möglichen Antagonisten und der damit einhergehenden Veränderung der Tonalität kann das Abenteuer problemlos an den bevorzugten Spielstil angepasst werden und bietet Stimmung von Slapstick bis zu ernstem Drama. Außerdem besteht durch die variablen Gegenspieler ein überraschend hoher Wiederspielwert.

Und wenn im Nachgang noch immer Bedarf an Abenteuern in Waterdeep besteht, hilft die mitgelieferte Stadtbeschreibung weiter. Zusammen mit der beiliegenden Karte der Stadt lässt sich der Charme der ungewöhnlichen Metropole in eigene Abenteuer übertragen. Dieser umfangreiche Zusatzinhalt rechtfertigt einmal mehr den Preis, der für eine Kurzkampagne hoch ausfällt, aber für eine so gelungene Sammlung toller Ideen angemessen ist.

Wer also ein Abenteuer sucht, das sich wunderbar in die Welt von Dungeons & Dragons einfügt, aber auch ganz und gar ungewöhnlich ist, Waterdeep: Dragon Heist ist in jedem Fall Pflichtlektüre für euch!

 

Artikelbilder: © Wizards of the Coast, Fotografien: © Felix Hensell, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Das Produkt wurde privat erworben.

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