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Seit der dritten Edition von Dungeons & Dragons begeisterte die Welt Eberron zahlreiche Rollenspieler*innen mit ihren Wundern. Jetzt ist nach langem Warten ein Quellenbuch erschienen, mit dem das Setting nach den Regeln der fünften Edition bespielt werden kann. Die Blitzbahn steht bereit, um euch auf eine Rundreise durch Eberron mitzunehmen.

Wer eine Zeit lang Dungeons & Dragons spielt, stellt fest, dass sich nicht alle Abenteuer innerhalb derselben Welt abspielen. Neben den unzähligen eigenen Welten, die von Spielgruppen im Laufe der Zeit erschaffen worden sind, existieren mehrere offizielle Kampagnensettings, die in der Vergangenheit mit eigenen Quellenbüchern vorgestellt wurden.

Zu diesen Welten gehört Eberron, 2002 erschaffen von Keith Baker im Rahmen eines Wettbewerbs und zwei Jahre später als Settingband veröffentlicht. In dieser ersten Version nutzte das Setting die Regeln der Edition 3.5 von Dungeons & Dragons. Eine Umsetzung im Rahmen der nicht unumstrittenen vierten Edition des Rollenspiels folgte.

Die Welt von Eberron bietet diverse ungewöhnliche Schauplätze.

In der fünften und aktuellen Edition des wohl bekanntesten Tischrollenspiels wurde Eberron zunächst eher in Randnotizen erwähnt. Der Fokus der Edition liegt eindeutig auf den Forgotten Realms, wenn auch mit dem Guildmaster’s Guide to Ravnica bereits ein Settingband erschienen ist, der eine andere Welt beschreibt. Eberron wurde später mit dem Wayfinder’s Guide to Eberron bedacht, einer reinen PDF-Veröffentlichung, die im Laufe der Zeit immer wieder aktualisiert wurde.

Offensichtlich konnte der Testballon, den dieses PDF darstellte, hoch genug steigen, denn mittlerweile liegt mit Eberron – Rising from the Last War ein gedrucktes Hardcover vor, das der einzigartigen Kampagnenwelt gewidmet ist. Wir haben uns die Gelegenheit, den Quellenband unter die Lupe zu nehmen, selbstverständlich nicht entgehen lassen. Lest weiter und seht, was wir in Erfahrung bringen konnten!

Inhalt

So wie die meisten Bücher seiner Art lässt sich auch Eberron – Rising from the Last War in drei Bereiche unterteilen. Der Quellenband enthält Texte, die sich in erster Linie an Leser*innen richten, die Charaktere in der Welt von Eberron verkörpern möchten, sowie solche, die künftige Spielleiter*innen unterstützen, deren Kampagnen in der beschriebenen Welt spielen sollen. Der dritte Bereich, die generelle Beschreibung der Welt, richtet sich an alle Leser*innen.

Für alle: Die Welt von Eberron

Schon im Einleitungstext des Quellenbands wird deutlich vermittelt, auf welche Weise sich Eberron von anderen bekannten Fantasywelten für Dungeons & Dragons unterscheidet. Keith Baker, der ursprüngliche Erfinder des Settings, wollte stets bekannte Versatzstücke von D&D, also ikonische Kreaturen, die Gesinnungen, das Magiesystem sowie Völker und Charakterklassen, beibehalten. Diese vertrauten Inhalte sind Teil der Welt von Eberron, wurden aber häufig derart abgeändert, dass das Gefühl von etwas Neuem entsteht.

Der Fokus der Beschreibung der Spielwelt liegt auf dem Kontinent Khorvaire. Als eine der vier großen Landmassen von Eberron blickt Khorvaire auf eine reichhaltige Historie zurück. Besonders das Königreich Galifar, das lange fast den kompletten Erdteil beherrschte, drückte der Geschichte seinen Stempel auf.

Zum Zeitpunkt des Spiels ist Galifar allerdings selbst Teil der Geschichte geworden, denn in Folge einer Thronfolgestreitigkeit hat der Letzte Krieg, ein Bürgerkrieg, der mehr als ein Jahrhundert andauerte, das Reich zersplittern lassen. Eine geheimnisvolle magische Katastrophe, die einen kompletten Landstrich in ein magisches Ödland verwandelte, beendete den Letzten Krieg. Mit der hastigen Unterzeichnung der Friedensverträge vor zwei Jahren sind zwölf Nationen entstanden, zwischen denen ein fragiles Machtgleichgewicht entstanden ist.

Die politisch aufgeladene Situation wird durch die Drachenmalhäuser noch verkompliziert. Diese Wirtschaftsdynastien tragen aufgrund einer rätselhaften Prophezeiung besonderes Potenzial in ihrer Blutlinie, das sich in Form der Drachenmale manifestiert und den Träger*innen dieser Male magische Fähigkeiten verleiht. Dreizehn solcher Häuser dominieren je nach magischer Veranlagung verschiedene Wirtschaftszweige, ausgeschlossen von der feudalen Macht des Adels und neutral im Konflikt der Nationen, aber nichtsdestotrotz über alle Maßen einflussreich.

Das Ergebnis dieser Grundlagen ist eine sehr ungewöhnliche Fantasywelt, bei der all jene, die das Genre für einseitig halten, einen Blick riskieren sollten. Der typisch mittelalterliche Feudalismus ist kurz davor, von der Idee der Nation überwunden zu werden, der alteingesessene Adel verliert gegenüber einer magisch bevorteilten, wirtschaftlich starken Bürgerschaft an Bedeutung. Die Nachwehen des Krieges verleiten die Machtgruppen von Khorvaire zu Intrigen als Mittel zum Machterhalt.

Erfindungen wie die magische Blitzbahn haben das Transportwesen revolutioniert.

Besonders auffällig ist dabei die ungewöhnliche Form, in der Magie als Teil der Welt funktioniert. Die Idee, Magie bremse den technologischen Fortschritt aus, ist in der Welt von Eberron ins Gegenteil verkehrt worden. Magie selbst stellt den Motor des Fortschritts dar und hat auf Khorvaire für eine flächendeckende Revolutionierung von Transportwesen, Produktion, medizinischer Versorgung, Kommunikation, freiem Pressewesen und Lebensstandards geführt.

Alle Informationen zu den diversen Bestandteilen der Spielwelt werden interessierten Leser*innen ansprechend und praktisch präsentiert. Der Quellenband setzt auf kurze, aber informative Texte, die für die Nutzung im Spiel geschrieben sind. Reine Stimmungstexte sind Mangelware. Die fiktiven Zeitungsartikel, die immer wieder zur Auflockerung eingestreut werden, sind beispielsweise fast immer kleine Aufhänger für eigene Abenteuerideen und dienen nicht bloß der Atmosphäre.

Besondere Aufmerksamkeit wird dabei Sharn zuteil, einer Stadt, der der Quellenband ein eigenes Kapitel widmet. Die als Stadt der Türme bekannte Metropole bietet Unmengen von Orten und ansässigen Fraktionen und kann problemlos als Schauplatz einer kompletten Kampagne herhalten. Die Tatsache, dass die Bauwerke der Stadt auf magische Weise in die Höhe gebaut wurden, gibt dem Ort ein sehr eigenes Flair.

Sharn stellt die größte Metropole von Khorvaire dar.

Für Spieler*innen: Die Abenteurer von Eberron

Wer die Beschreibung der Spielwelt gelesen und Lust bekommen hat, einen aus Eberron stammenden Charakter zu erschaffen, wird von Eberron – Rising from the Last War mit umfassenden Charakteroptionen versorgt. Neben Informationen zur Rolle der bekannten Völker aus dem Player’s Handbook in Eberron werden Regeln angeboten, um Drachenmalträger aus diesen Völkern zu verkörpern. Außerdem werden im Quellenband vier gänzlich neue, spielbare Völker vorgestellt:

  • Die künstlich erschaffenen Warforged sind auch als Spielercharaktere wählbar.

    Changelings sind in der Lage, ihre Gestalt zu wechseln und so stets neue Identitäten zu verkörpern.

  • Kalashtar sind mit einer Wesenheit von der Ebene der Träume verbunden und verfügen dadurch über telepathische Fähigkeiten.

  • Shifter stammen von Lykanthropen ab und sind deshalb in der Lage, zeitweilig tierische Merkmale zu entwickeln.

  • Warforged sind als lebende Konstrukte während des Letzten Krieges erschaffen worden und suchen jetzt ihren Platz in der Welt.

Spieler*innen, die ihren Charakter mit einem der Drachenmalhäuser verbinden möchten, bekommen dazu Gelegenheit, indem sie den neuen Hintergrund House Agent wählen. Dadurch werden für den Charakter diverse Verbindungen und Ressourcen verfügbar, aber er ist auch in seiner Loyalität gebunden. Wer lieber einen unabhängigen Charakter möchte, kann diesen mit einem Aberrant Dragonmark, einem einzigartigen, abnormalen Drachenmal versehen, das individuelle Fähigkeiten verleiht.

Nach diesen umfangreichen Charakteroptionen folgt eine Premiere in der fünften Edition von Dungeons & Dragons. Mit dem Artificer wird erstmalig seit Erscheinen des Player’s Handbook eine gänzlich neue Charakterklasse vorgestellt. Dabei handelt es sich um einen Handwerker, der seine Erzeugnisse durch Magie veredelt und so die Speerspitze von Eberrons arkaner Industrie darstellt.

Die Klasse ist vielseitig gestaltet und erlaubt es einem Charakter, zum Experten für magische Gegenstände zu werden. Im Quellenband sind bereits drei mögliche Spezialisierungen enthalten: Alchemists verwenden diverse Reagenzien, um sich und ihre Gefährten zu unterstützen, Artillerists bauen magische Schusswaffen, um zerstörerische Kräfte zu entfesseln, und War Smiths nutzen einen Konstruktgefährten, um ihre Fähigkeiten auf Schlachtfeldern zum Einsatz zu bringen.

Das Drachenmalhaus Cannith bringt viele Artificer hervor.

Den Abschluss des Kapitels zur Charaktererschaffung in Eberron bietet eine Reihe von Beispielen für mögliche Group Patrons einer Spielgruppe. Diese Personen oder Gruppierungen können als Auftraggeber und Verbündete der Charaktere dienen. Mit jedem Beispiel wird erläutert, wie eine passende Gruppe aus Charakteren zusammengestellt werden kann und welche Abenteuer, Freunde und Gegenspieler eine solche Gruppe erwarten können.

Aufgrund des Settings sind einige eher ungewöhnliche Gruppenkonzepte in der Liste der Beispiele enthalten. So können die Charaktere etwa für eine Zeitung, eine Universität oder für eines der Drachenmalhäuser arbeiten. Allen Beispielen wie auch dem kompletten Kapitel zur Charaktererschaffung ist gemein, dass sie sehr praktische Tipps bieten, um Charaktere zu erschaffen, die von Anfang an Teil der Spielwelt von Eberron sind.

Für Spielleiter*innen: Die Abenteuer von Eberron

Auch Spielleiter*innen, die die Welt von Eberron zum Schauplatz ihrer Kampagne machen möchten, werden vom Quellenband nicht enttäuscht. Mehrere Kapitel richten sich an all jene, die hinter dem Sichtschirm Platz nehmen. Dabei liegt der Fokus vor allem darauf, bei der Erstellung von Abenteuern zu helfen, die zum Stil der Spielwelt passen.

Kreaturen wie der Warforged Titan können in eigenen Abenteuern eingesetzt werden.

Eberron – Rising from the Last War bietet Informationen zu diversen Fraktionen, die als Antagonisten einer Kampagne auftreten können. Neben passenden Kreaturen und NSC finden interessierte Leser*innen auch spielfertige Bodenpläne und Beschreibungen für typische Orte, an denen Charaktere mit einer Fraktion in Kontakt kommen können.

Die Beschreibung der einzelnen Fraktionen von Eberron, Khorvaire und Sharn vermitteln auch ein Bild von der Tonalität und den Themen möglicher Abenteuer. Sie liefern Beispiele für die moralische Ambivalenz, die Eberron an vielen Stellen auszeichnet. Viele der beschriebenen Gruppierungen sind nicht per Definition gut oder böse, sondern können je nach Situation in beide Kategorien oder auch dazwischen eingeordnet werden.

Neben diesen zum Teil sehr konkreten Hinweisen werden Spielleiter*innen aber auch mit diversen Tipps versorgt, die in allen Abenteuern dabei helfen, die untypische Fantasywelt darzustellen. Eine Beschreibung der verschiedenen Ebenen der Welt vermittelt einen Einblick in Eberrons Kosmologie. Außerdem sind neben neuen magischen Gegenständen Beschreibungen und Ideen im Kapitel enthalten, die helfen, das Reisen in den ungewöhnlichen Transportmitteln der Welt in Szene zu setzen.

Wer nach den diversen Texten, die immer wieder von Bodenplänen und Tabellen voller praktischer Details aufgelockert werden, noch ein expliziteres Beispiel für Abenteuer in der Welt von Eberron sucht, wird ebenfalls fündig. Mit Forgotten Relics bietet der Quellenband ein spielfertiges kurzes Abenteuer an, das für Charaktere der ersten Stufe geeignet ist. Diese müssen sich mit Sharns krimineller Unterwelt auseinandersetzen, bevor sie hoffen dürfen, die zweite Stufe zu erreichen.

Khorvaire hält jede Menge Abenteuer bereit.

Erscheinungsbild

Ähnlich wie beim Inhalt weiß auch die Optik von Eberron – Rising from the Last War zu überzeugen. Diverse vollfarbige Illustrationen in ansprechender Qualität vermitteln die Atmosphäre der ungewöhnlichen Fantasywelt. Wer die Eberron-Produkte früherer Editionen im Gedächtnis hat, wird an einigen Stellen Artwork wiedererkennen, der Großteil der Bilder ist aber eigens für den Quellenband erstellt worden.

Neben den Illustrationen wissen auch die Texte zu gefallen. Die einzelnen Abschnitte sind angenehm kurz geschrieben und werden immer wieder durch eingestreute Tabellen und Textkästen aufgebrochen. Leider ist der Druck wie bei vielen Büchern der fünften Edition von Dungeons & Dragons stellenweise unscharf.

Auch wenn ein Index fehlt, kann zumindest das sehr umfangreiche Inhaltsverzeichnis lobend erwähnt werden. Außerdem ist, wie bei Dungeons & Dragons mittlerweile gewohnt, ein humorvoller Disclaimer enthalten. Sollte sich euer Exemplar des Bandes unversehens in eine Kartoffel verwandeln, sagt nicht, ihr wärt nicht gewarnt worden.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Wizards of the Coast
  • Autor(en): Jeremy Crawford, James Wyatt, Keith Baker
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN: 978-0-7869-6689-9
  • Preis: 46,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Wer das Artwork von Eberron – Rising from the Last War mag, findet auf der Homepage des Verlags vier Wallpapers mit entsprechenden Illustrationen zum Download.

Fazit

Die Welt von Eberron bleibt auch in ihrer neuesten Inkarnation ihren Grundsätzen treu. Noch immer finden sich alle Versatzstücke, die Dungeons & Dragons ausmachen, im Setting, aber der Stil und die Gestaltung der Kampagnenwelt bricht bewusst mit den Konventionen dessen, was gerne als „typisch D&D“ wahrgenommen wird. Auf die Leser*innen des Quellenbands Eberron – Rising from the Last War warten vielseitige und -schichtige Kulturen, magische Industrialisierung und ein gerade erst ausgestandener Weltkrieg.

Auf über 300 Seiten wird eine umfassende Sammlung an Informationen und Materialien geboten, die für eine eigene Kampagne auf Khorvaire und den anderen Kontinenten der Welt verwendet werden können. Neben einer komprimierten, aber nützlichen Beschreibung der Länder von Eberron erhalten Spieler*innen diverse neue Charakteroptionen. Alle Spielleiter*innen bekommen eine Menge Hinweise und spielfertige Inhalte zur Gestaltung eigener Abenteuer an die Hand.

Wer sich schon in der Vergangenheit für die ungewöhnliche Kampagnenwelt begeistern konnte und nach den Regeln der fünften Edition spielt, kann bedenkenlos zugreifen. Und auch allen Rollenspieler*innen, die Eberron bisher noch nicht kennengelernt haben, bietet der Quellenband einen großartigen Einstieg in eine Spielwelt, die aus vertrauten Elementen etwas völlig Neues macht und Raum für unzählige Abenteuer bietet.

Es bleibt lediglich zu hoffen, dass Wizards of the Coast es nicht bei diesem einen Band zur Welt belassen wird. Schließlich mag der Letzte Krieg vorüber sein, aber die Abenteuer in Eberron haben gerade erst begonnen!

 

Artikelbilder: Wizards of the Coast, Fotografien: Felix Hensell, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur

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