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Phantastik ist ein Genre so übergreifend, dass eine Definition nicht ausreicht; Magie kann überall gefunden werden, im Wald ebenso gut wie in der Stadt. Doch was macht die Stadt als Setting so anziehend, dass ihr mit Urban Fantasy ein eigenes Genre gewidmet ist?

Immer wieder tauchen in Buchhandlungen Romane unter dem Genre „Urban Fantasy“ in den Regalen der Buchhandlungen auf und werden mit Begeisterung gekauft und gelesen. Diese unterscheiden sich von anderer Phantastik darin, dass es keinen erdachten Kontinent gibt wie in Andrzej Sapkowskis Hexer-Saga und die Handlung sich eher auf eine einzige (Groß-)Stadt konzentriert. Die fragliche Stadt wird dabei mit ihren Sehenswürdigkeiten und Merkmalen zum meist alleinigen Setting; hin und wieder wird sie verlassen, jedoch nie für lange Zeit. Ein weiteres Merkmal ist die Gesellschaft der phantastischen Charaktere, die parallel zu der der Menschen existiert; meist im Untergrund und in der Unterzahl.

Jedoch ist auch diese Unterscheidung nebulös, da es, wie immer in der Literatur, Fälle gibt, die sich keinem eindeutigen Genre zuordnen lassen. Zum Beispiel könnte man auch für Good Omens (verfasst von Sir Terry Pratchett und Neil Gaiman) Argumente vorbringen, warum es sich um Urban Fantasy handelt. Schließlich spielt der Roman im Großraum London. Dennoch wird er nicht (oder kaum) als Urban Fantasy beworben, wohl unter anderem aus folgenden Gründen: das Setting der Stadt spielt in diesem Fall keine große Rolle und die phantastischen Charaktere, die sich in London aufhalten, bilden dort aufgrund ihrer geringen Zahl nicht wirklich eine zweite Gesellschaft neben der der Menschen.

Mehr und mehr Autor*innen widmen sich der Phantastik in Städten und urbanen Gebieten. Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten: Städte, die sich auf der Landkarte finden lassen, und solche, die rein fiktiv sind. Letztere werden zwar nur in den wenigsten Definitionen zu Urban Fantasy erwähnt, einen Platz in diesem Artikel haben sie aber dennoch verdient.

Auf keiner Karte verzeichnet

© Knaur

Dass Autor*innen sich auch Städte ausdenken, sollte wenig überraschen. Immerhin gehört das, je nach Genre und Geschichte, irgendwie dazu. Allerdings scheint es keine große Schnittmenge von ausgedachten Städten als Setting und dem Label „Urban Fantasy“ zu geben. Der neueste Vertreter dieser Art ist Der Letzte Held von Sunder City von Luke Arnold. Die Handlung findet zwar in den Rückblenden teilweise auch außerhalb der namensgebenden Stadt statt, hauptsächlich konzentriert die Handlung sich aber genau dort. Im Hinblick auf das Merkmal der parallelen Gesellschaften sei hier erwähnt, dass ursprünglich die Menschen in der Unterzahl waren, ehe die Magie verschwand.

(Un-)Bekannte Städte

London und Leipzig sind nur die ersten Städte, die in den Sinn kommen, wenn man an Städte denkt, die in Urban Fantasy vertreten sind, aber lange nicht die einzigen. Auch New York ist eine beliebte Stadt, um Magisches und Nichtmagisches zu vereinen. Sowohl Benedict Jacka mit seiner Buchreihe über den Magier Alex Verus als auch Ben Aaronovitch, der die Geschichten des magischen Polizisten Peter Grant erzählt, haben sich unser London als Schauplatz ausgesucht. Die magische Gesellschaft existiert hier parallel zur nicht-magischen. Manchmal kreuzen sich die Wege, im Allgemeinen bleiben jedoch beide Gruppen für sich. Dasselbe gilt für Leipzig in Markus Heitz‘ Die Meisterin. In allen drei Fällen ist die magische beziehungsweise phantastische Gesellschaft jedoch deutlich kleiner (und versteckter) als die der Menschen.

Zwischen all den Geschichten, die sich durch magische und nicht-magische Probleme und Charaktere entspinnen, ist hier die Stadt mehr als nur ein Schauplatz; sie ist Teil des Casts. Auf die Spitze treibt dies wohl N. K. Jemisin mit The City We Became wo Großstädte tatsächlich Charaktere mit Persönlichkeit sind. Bekannte Gebäude, Plätze und Parks werden zur Bühne und können Teil der Symbolik und Metaphern werden, mit deren Hilfe die Geschichte erzählt wird. Die Lesenden erkennen Orte wieder; manche haben wir selbst besucht und von anderen nur gehört. Es hilft jedenfalls, die magische Welt in der uns bekannten zu verankern und glaubhaft zu machen.

Warum also Urban Fantasy?

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Das Anziehende an Urban Fantasy ist die Nähe zum alltäglichen Leben. Wenn ich darüber lese, dass in Hampstead Heath eine riesige Spinne in einem unterirdischen Höhlensystem leben soll, betrachte ich den Park mit anderen Augen, als wenn ich diese Vorstellung nicht hätte. Peter Grant wurde an der St.-Pauls-Kathedrale von einem Geist angesprochen. Warum sollte mir nicht dasselbe passieren, ganz unabhängig von der Frage, ob es Geister gibt oder nicht?

Urban Fantasy zeigt die Möglichkeit auf, das Magische und Phantastische im Alltag zu finden, wenn man nur die Augen dafür offen hält. Vielleicht ist der*die Dozent*in, der*die sich äußerlich einfach nicht zu verändern und alles über Shakespeare zu wissen scheint, ja doch ein Vampir, der in der frühen Neuzeit in England unterwegs war. Vielleicht hat der Typ mit dem beeindruckenden Bart ein paar Werwolfgene. Die Nachbarskatze, die manchmal unvermittelt auftaucht und beobachtet, kann auch keine normale Katze sein. Gestaltwandler oder Gefährte einer magisch begabten Person? Und die Freund*innen, die immer genau Bescheid wissen, wenn es mir nicht gut geht? Telepath*innen oder Magier*innen, ganz eindeutig.

Der Alltag kann für sich sehr grau und langweilig sein. Nimmt man noch die derzeitige Pandemie in die Gleichung auf, kann schnell eine bedrückende Stimmung entstehen. Umso wichtiger, hin und wieder das Magische und das Phantastische im Alltag zu finden; egal, ob es sich dabei um Sonnenaufgänge handelt oder um kleine Tagträume, lebhafte Magie aus dem Augenwinkel zu erhaschen. Wenn es nur in unserer Vorstellung existiert, bedeutet es noch lange nicht, dass das Lächeln, welches es uns aufs Gesicht zaubert, falsch sein muss. Urban Fantasy muss nicht für jede*n die Möglichkeit für dieses Lächeln bieten. Aber was spricht dagegen, es zu versuchen?

Es gibt noch andere Romane und Autor*innen, die man im Zusammenhang mit Urban Fantasy erwähnen kann. So viele sogar, dass die Liste deutlich zu lang werden würde. Falls ihr aber Romane kennt, die man sich in diesem Zusammenhang unbedingt anschauen sollte: ich bin für Leseimpulse offen.

 

Artikelbilder: © Depositphotos | chungking; © Clett-Kotta
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Susanne Stark

4 Kommentare

    • Hallo Amalia,
      Oh, sehr schön, in die Gruppe muss ich dann auf jeden Fall mal reinschauen. Danke für deinen Tipp :)
      Liebe Grüße

  1. Hallo Oliver,
    die Dresden Files wurden mir auch schon mehrfach empfohlen und der erste Band liegt auf meinem To-Read-Stapel. Ich bin sehr gespannt darauf.
    Liebe Grüße

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