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Was kriegen wir, wenn wir Blood Rage, Quacksalber von Quedlinburg sowie Heaven & Ale gut durchmixen und bunt anmalen? Wonderland’s War ist voll von verrücken Ideen, die erstaunlich stimmig zusammenpassen; zählt als ehemaliger Kickstarter aber immer noch zu den Geheimtipps. Folgt dem weißen Kaninchen in unseren Artikel.

Die Eisner-Brüder haben mit Spielen wie Grimms Wälder und Tidal Blades gezeigt, dass sie kreative und gute Spiele können, die vor allem phantastisch aussehen und über hervorragende Inserts verfügen. Welche Kräutertees sie allerdings zu sich genommen haben, als sie Wonderland’s War konzipierten, können wir nur erahnen.

Eine Tee-Party braucht einen großen Tisch.
Eine Tee-Party braucht einen großen Tisch.

Man nehme einen Area Control-Mechanismus, wie in Blood Rage, bei dem der Kampf mittels Bag Building wie in Quacksalber von Quedlinburg ausgetragen wird. Zur Vorbereitung der Runden werden Karten und Kräfte in einem komplett verfügbaren Auslagenrondell verteilt wie bei Heaven & Ale. Dann malen wir das Ganze quietschbunt an. Klingt verrückt? Ist es auch und funktioniert dabei erstaunlich gut, trotz der nicht unbeachtlichen Spielzeit für das eher seichte Thema.

​Spielablauf

Zwei Phasen kennt das Spiel, die abwechselnd über drei Runden abgehandelt werden. Zunächst treffen wir uns gemütlich am Tee-Tisch, an dem unsere Charaktere von Sitzplatz zu Sitzplatz wandern, um die dort ausliegende Karte aufzunehmen. Durch diese platzieren wir Einheiten in die fünf Gebiete, erhalten Chips für unseren Beutel, sowie unterstützende Charaktere, Aufträge und Sonderfähigkeiten.

Alle verrückt hier: Die spielbaren Charaktere.
Alle verrückt hier: Die spielbaren Charaktere.

Wir, das sind Alice, die Herzkönigin, der verrückte Hutmacher, die Grinsekatze und der Jabberwock – und wir alle wollen das Wunderland beherrschen. Denn nach der Tee-Runde wird an den fünf Orten bitterlich ausgefochten, wer wo wie viele Siegpunkte erhält und Schlösser platzieren darf. Hier bedienen wir uns der besagten Quacksalber-Mechanik. Wir greifen gleichzeitig in unsere jeweiligen Beutel, in denen sich Chips unterschiedlicher Stärke (und Sonderfähigkeiten) befinden, und rücken entsprechend auf der Kampfstärke-Leiste vor. Wenn wir jedoch einen Wahnsinns-Chip ziehen, müssen wir unsere vorher platzierten Einheiten reduzieren. Mussten wir die letzte entfernen, scheiden wir automatisch aus. Wer zuletzt übrig bleibt gewinnt. Wir können aber auch jederzeit aussteigen und auf einen zweiten Platz für ein paar Punkte hoffen. Nur wer am Ende noch Einheiten besitzt darf Chips dauerhaft aus dem Beutel entfernen und verbauen, um damit Fähigkeiten freizuschalten.

Diese Chips hinterlassen keine fettigen Fingerabdrücke auf den Karten.
Diese Chips hinterlassen keine fettigen Fingerabdrücke auf den Karten.

In der Tee-Phase können wir unseren Beutel (Chip-Beutel, nicht Tee-Beutel) mit spannenden Extra-Chips anreichern, die aus Quedlinburg bekannte Effekte haben, wie das Nachziehen und Aussuchen aus mehreren Chips, mehr Punkte durch Kombinationen und dergleichen. Hier gibt es vier unterschiedliche Setups, aus denen wir zu Spielbeginn wählen, welche Fähigkeiten unsere Karten-Soldaten und Flamingos haben sollen. Wir dürfen so weit um den Tisch, wie wir wollen, zur nächsten attraktiven Karte vorrücken. Nur wenn wir wieder an den Kopf der Tafel zurückkehren, erhalten wir böse Wahnsinns-Splitter. Diese sind nicht nur Minus-Punkte, denn wer am Ende einer Runde am meisten davon hat, muss noch einen Wahnsinns-Chip mehr in den eigenen Vorrat legen.

Unsere eigene Figur wird auch in die Kämpfe platziert und bringt ihre Kampfstärke und charakterspezifische, freigespielte Sonderfähigkeiten mit ein – die Grinsekatze kann beispielsweise einen fremden Meeple zum Überlaufen bewegen. Aber auch beliebte andere Figuren aus dem Wunderland (wie der Märzhasen oder der Zimmermann) können wir mit der richtigen Karte für unsere Sache gewinnen, um ihre Sonderfähigkeit im eingesetzten Gebiet zu nutzen.

Eine Tasse Tee – oder doch lieber neue Fähigkeiten freispielen?
Eine Tasse Tee – oder doch lieber neue Fähigkeiten freispielen?

Dafür, dass wir nur jeweils vier Karten nehmen und deren Effekte ausführen, um anschließend in fünf Gebieten ein paar Chips zu ziehen, sind wir zu fünft mit gut drei Stunden Spielzeit mit einem Spiel konfrontiert, das auf den ersten Blick Familientauglichkeit vortäuscht, um sich dann doch als Schwergewicht zu entpuppen, bei dem aber fast keine Downtime aufkommt und sicher keine Langeweile. Trotz der Komplexität sind die Grundmechaniken schnell erklärt, wenn sich auch die strategischen Möglichkeiten erst während der ersten ein bis zwei Spiele so richtig entfalten.

Es ist wichtig, Ziele zu haben – hier lang, dort lang?
Es ist wichtig, Ziele zu haben – hier lang, dort lang?

Die vier vorgeschlagenen Chip-Setups spielen sich unterschiedlich befriedigend. Mit D wird das Spiel deutlich aggressiver. A und C haben unsere Gruppen mehr überzeugt als die B-Variante. Gemixt haben wir noch nicht, was aber mit den einzelnen Karten durchaus möglich wäre. Bereits die Wunderland-Kreaturen, ihre Artefakt-Chips und die Ziele, die mit konkreten Aufträgen und Endbedingungen viele Punkte versprechen, bringen viel Variabilität.

Die verschiedenen Superkräfte der Aushilfs-Sportgeräte.
Die verschiedenen Superkräfte der Aushilfs-Sportgeräte.

Ein besonderer Clou ist aber eine simple Idee: Bei vielen Area Control/Majority oder 4X-Games sind oft die Kämpfe, an denen man nicht beteiligt ist, ziemlich langweilig. Bei Wonderland’s War können wir jedoch insgeheim darauf wetten, welcher Charakter den Sieg nach Hause trägt. Wir riskieren, noch einen Wahnsinnssplitter in Kauf zu nehmen, können aber bei richtigem Tipp einen der begehrten Chips aus der Auslage ergattern.

In Summe bleibt, dass immer was los ist im Wunderland – nur Vorsicht, das Spiel lädt dazu ein, die eigene Rolle auszuspielen, „ab mit dem Kopf“ zu rufen oder Flamingo-Kricket-Schläger-Geräusche nachzumachen, sowie etwaige andere Albernheiten.

​Ausstattung

Zunächst müssen wir unterscheiden zwischen der Retail- und der Deluxe-Version mit den optionalen Premium-Chips.

Ordentliches Chaos: Der Insert-Turmbau.
Ordentliches Chaos: Der Insert-Turmbau.

Das Artwork bei beiden ist wild und in quietsch-dunkel-bunten Farben gehalten. Hier merkt man, dass sich Manny Trembley, der auch für alles rund um Dice Throne verantwortlich zeichnet, sich richtig austoben durfte. Die gleiche Liebe für Details zieht sich jedoch auch durch die Komponenten. Holt man die große Schachtel heraus, ist sie selbst ein ebensolcher Hingucker wie die aufgeräumten Inserts darin.

Anmalen oder zusammenstecken – alles eine Frage des Geldes.
Anmalen oder zusammenstecken – alles eine Frage des Geldes.

Die Basis-Version hat Standees mit dem exzellenten Artwork, die zumindest unbemalten Miniaturen in nicht viel nachstehen. Leider sind diese wie auch die Papp-Chips zusätzlich in der Deluxe-Version enthalten, was nicht dem nachhaltigsten Ansatz folgt. Die personalisierten Beutel und charakterspezifischen Unterstützungs-Meeple und Schlösser der Deluxe-Ausgabe sind hübsch, aber am Ende doch fast überproduziert. Auf die Premium-Chips würde ich jedoch nicht verzichten wollen. Diese bieten vor allem einen Mehrwert, weil die regulären schnell abgegriffen werden können. Hierfür gibt es aber – ähnlich wie bei den Quacksalbern – die Option, die Papp-Marker in Münz-Cases (25 mm) zu legen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Druid City Games, Skybound Tabletop
  • Autor*in(nen): Tim Eisner, Ben Eisner, Ian Moss
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Englisch
  • Spieldauer: 25 Minuten pro Person
  • Spieler*innen-Anzahl: 2 3 4 5
  • Alter: 13+
  • Preis: ca. 65 EUR (Standard-Edition), 150+ EUR (Deluxe Edition, aktuell nur auf dem Sekundärmarkt)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

​Bonus/Downloadcontent

Da Skybound Tabeltop und Druid City Games ihre Kooperation beendet haben, finden wir die englischsprachigen Regeln aktuell nur bei BoardGameGeek.

Dafür finden wir hier aber auch eine komplette Deutsche Fan-Übersetzung der Spielmaterialien (Fraktionstableaus und Karten) vom freiwilligen Übersetzungs-Enthusiasten Oliver Brettschneider.

​Fazit

Alle Wege sind meine Wege und führen in den Wahnsinn.
Alle Wege sind meine Wege und führen in den Wahnsinn.

Auf der Achse Strategie – Glück sehe ich mich klar auf der nicht-zufälligen Seite. Ich mag vor allem komplexere Spiele, aber Die Quacksalber von Quedlinburg zählt zu den Nicht-Legacy-/Kampagnen-Spielen, die in den letzten Jahren am häufigsten auf unserem Tisch landeten. Obwohl Fortuna mir meist einfach nicht hold ist, so kann ich es kaum erwarten, neue Kombinationen an Zutaten-Chips auszuprobieren, auch wenn diese am Ende wieder ganz tief unten in meinem Beutel festsitzen werden.

Wonderland’s War greift perfekt dieses Gefühl von „der nächste wird bestimmt der richtige sein“ auf, welches uns sonst vielleicht nur beim Tindern ereilt (meist mit ähnlichem Ergebnis). Doch hier ist dieser Mechanismus das abschließende, krönende Element, was in den Kämpfen auflöst, was bereits vorher in der Tee-Phase angelegt wurde. Während wir um den Tisch wettlaufen, um uns die besten Karten gegenseitig wegzuschnappen, droht stets die Chance auf bessere Karten, wenn ich gegen ein wenig Wahnsinn den Tisch neu decke.

Mit wem wollt ihr in den Krieg ziehen?
Mit wem wollt ihr in den Krieg ziehen?

Die bestrafenden Elemente des Spiels liegen großteils in unserer eigenen Hand – umgekehrt erhalte ich mit vier kleinen Karten aber eine Menge an Effekten. Ich habe immer das Gefühl, weiterzukommen und neue Möglichkeiten auszuloten. Zwischendurch wird eben gekämpft, was sich aber nie aggressiv anfühlt, sondern eher wie ein kleines Wettrennen. Hier greift dann die einfachste, aber vielleicht beste Mechanik, um nicht wie in anderen Spielen komplett desinteressiert zum Smartphone zu greifen, wenn grün gegen rot um Kamtschatka kämpft: Das Wetten auf die Gewinn-Fraktion, um auf einen Zusatz-Chip zu hoffen, aber dann vielleicht doch nur noch mehr Wahnsinn zu erhalten, sorgt dafür, dass es einfach nicht langweilig wird.

Von der Optik wie auch dadurch, dass wir drei Mal Karten erhalten, um dann in einer zweiten Phase das Glück entscheiden zu lassen, ist das Spiel Unicorn Fever nicht unverwandt – macht aber einfach alles besser.

  • Unterschiedlichste Mechaniken greifen perfekt ineinander
  • Wettmechanik macht auch unbeteiligte Kämpfe spannend
  • Großer Wiederspielwert aufgrund unterschiedlicher Chip-Setups
 

  • Viele Komponenten bescheren recht lange Auf- und Abbauzeit

 

Artikelbilder: © Druid City Games, Skybound Tabletop
Layout und Satz: Kai Frederic Engelmann
Lektorat: Rick Davids
Fotografien: Daniel Hoffmann
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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