Der Wald erwacht und überall liegt Tau auf der Landschaft. Zeit, diesen zum Schrein des Lebens zu bringen, um so die Gunst der Göttin zu ernten. Dafür benötigt ihr die Hilfe allerlei putziger Pilzwesen, die ihr nach und nach eurem Deck hinzufügt.
Seit Dominion im Jahr 2008 das Genre der Deckbauspiele begründete, ist es zum festen Bestandteil der Szene geworden. Nachdem in den frühen Jahren der Mechanismus meist für sich allein stand – wie in Ascension oder Thunderstone – gehen neuere Spiele dazu über, ihn zum Teil von etwas Größerem zu machen. Die verlorenen Ruinen von Arnak und Dune Imperium sind gute Beispiele hierfür.
Die meisten der genannten Spiele sind von mittlerer bis hoher Komplexität und stammen aus Verlagen, die zwar innerhalb der Szene eine große Bedeutung haben, dem Großteil der Muggle-Bevölkerung jedoch wenig sagen werden. Umso spannender, dass nun ein gigantischer Verlag wie Ravensburger sich dem Thema angenommen hat und mit Mycelia ein Spiel im Katalog hat, dass im Segment der Familienspiele eingeordnet werden kann.
Keine typischen Trigger
Inhaltsverzeichnis
Spielablauf
Grundprinzip
Die ein bis vier Spielenden in Mycelia übernehmen jeweils die Kontrolle über ein kleines eigenes Spielbrett. Dieses hat zwei zur Auswahl stehende Seiten – eine ist bei allen Brettern gleich, die Rückseiten der vier Bretter sind jeweils unterschiedlich. Dazu gibt es ein Startdeck aus den immer gleichen sechs Karten sowie 20 Tautropfen, die nach einem von acht vorgegebenen Mustern (zu Spielbeginn zufällig ausgewählt und für alle gleich) auf dem eigenen Brett verteilt werden.
In jedem Spielzug werden drei Karten vom eigenen Stapel/Deck gezogen und gespielt. Diese generieren entweder Blätter – die Währung des Spiels – oder erlauben es, Tautropfen zu bewegen oder direkt vom eigenen Brett zu entfernen. Mittels der Bewegung werden die Tautropfen näher zum eigenen Portal gebracht, über das sie ebenfalls entfernt werden können.
Mit den Blättern, die, anders als bei den meisten Deckbauspielen, auch über das Ende des Spielzugs erhalten bleiben, können aus einer zentralen Auslage neue Karten erworben werden. Diese werden oben auf den eigenen Zugstapel gelegt, sind also im nächsten Spielzug sofort nutzbar. Zusätzlich verfügen die Spielenden jeweils über zwei immer gleiche Fähigkeiten, die jeweils einmal pro Runde mit Blättern aktiviert werden können.
Die eine erlaubt es, die ausliegenden zu kaufenden Karten durch neue zu ersetzen, die andere, einen beliebigen Tautropfen ein Feld zu bewegen. Gerade diese zweite Fähigkeit wirkt zu Beginn des Spiels unnötig und teuer, aber in den Testspielen war sie in fast jedem Fall zum Ende des Spiels hin der einzig sichere Weg, den oder die letzten Tautropfen ins eigene Portal zu bekommen.
Nahezu alle Karten, die sich auf Tautropfen beziehen, haben Voraussetzungen, auf welche Felder sie angewendet werden können. Die Art/Farbe des Feldes und/oder wie viele Tropfen sich dort aktuell befinden, sind die Kriterien, auf die es in den meisten Fällen ankommt. Erfüllt man die Voraussetzungen, erlauben sie aber bisweilen sehr starke Spielzüge.
Vom eigenen Plan entfernte Tautropfen werden zum Schrein des Lebens gebracht. Dieser wird auf dem Spieltisch als Blickfang aufgestellt. Sind alle Felder dort befüllt, wird die darauf befindliche Scheibe einmal um 360° rotiert, wodurch die Tautropfen sowie ein Würfel unten wieder herausfallen. Der Würfel wird mit einem Plan verglichen und gibt vor, wo ein bis zwei neue Tautropfen auf den Plänen der Spielenden platziert werden müssen.
Mycelia endet, wenn jemand es schafft, allen Tau vom eigenen Spielplan zum Schrein zu bringen. Die aktuelle Runde wird zu Ende gespielt, damit alle Spielenden die gleiche Anzahl an Zügen hatten. Sollten es danach mehrere Leute geschafft haben, ihren Plan komplett zu leeren, zählen die übrig gebliebenen Blätter als Punkte um den Gleichstand aufzulösen.
Interaktion
Die Interaktion zwischen den Spielenden in Mycelia findet auf zwei Ebenen statt: Zum einen gibt es die zentrale Auslage, aus der neue Karten gekauft werden. Hier greifen alle auf die gleiche Auslage zurück und es kommt nicht selten vor, dass mehrere Spielende die gleiche Karte haben wollen. Wer schneller die Blätter dafür zusammenbekommt, oder einfach am richtigen Punkt in der Zugreihenfolge sitzt, kann sie den anderen wegschnappen. Oder aber jemand gibt das Blatt aus, um die Auslage durch neue Karten zu ersetzen und alle gehen leer aus. Dies ist der einzige mögliche Punkt der negativen bis destruktiven Interaktion.
Der andere Interaktionspunkt ist, dass es diverse Karten gibt, die den anderen Spielenden ebenfalls einen Bonus geben. Sogar bei den sechs Startkarten ist eine solche dabei, die den anderen jeweils ein Blatt gibt. Da in jedem Spielzug drei Karten gezogen werden, ist man bereits zu Beginn des Spiels an 50% der Spielzüge der anderen irgendwie beteiligt, was zu einer erhöhten Aufmerksamkeit außerhalb des eigenen Spielzuges führt.
Zugänglichkeit
Die Regeln von Mycelia sind eingänglich und leicht verständlich. Vom Verlag vorgegeben ist eine Altersangabe ab 9 Jahren. Kinder, die schon ein paar Brettspiele gewöhnt sind, können sicherlich auch schon mit 7 oder 8 Jahren Spaß an Mycelia haben. Das Spielmaterial kommt komplett ohne spielrelevante Texte aus, sondern verwendet stattdessen Symbole. Das ist gut, wenn man einmal die Systematik der Symbole verstanden hat. Leider gibt es aber kein Glossar der Karten, wo einzelne etwas komplexere Karten noch einmal erklärt werden.
Wiederspielbarkeit
Ein Deckbauspiel mit zufälliger zentraler Auslage bietet an sich schon eine hohe Varianz. Wann kommt welche Karte ins Spiel? Welche davon bekomme ich in der aktuellen Partie? Da wirkt es fast schon überflüssig, dass Mycelia mit acht unterschiedlichen Startaufstellungen und vier möglichen Karten für die paar Male, dass neue Tautropfen ins Spiel kommen, aufwartet.
Viel interessanter sind da die asymmetrischen Spielbretter, die optional verwendet werden können. Diese sorgen dafür, dass manche Karten für bestimmte Spielende deutlich besser sind als für andere – was für eine höhere Varianz und damit auch zu einem höheren Glücksanteil führt.
Insgesamt spielen sich Partien von Mycelia alle grob ähnlich, bieten aber genug Abwechslung, dass das Spiel auch nach einem halben Dutzend Partien für die Testgruppe noch nicht langweilig war.
Skalierbarkeit
Die einzelnen Spielzüge in Mycelia sind schnell und kurz, so dass auch bei vier Spielenden keine zu großen Pausen zwischen den eigenen Zügen sind. Aber wenn zu viele Leute auf die gleichen Karten der Auslage spekulieren, ist die eigene Chance, die wichtigen Karten zu bekommen, natürlich niedriger. Daher spielt es sich zu zweit oder dritt nicht nur schneller, sondern auch etwas zufriedenstellender als zu viert.
Mycelia kommt auch mit einem Solomodus daher. In diesem wird gegen den Automaten „Gwydion“ gespielt. Dieser Modus wurde von uns nicht getestet und geht daher nicht in die Wertung ein.
Erweiterter Spielmodus
Im normalen Modus ist Mycelia recht simpel gehalten. Auf der einen Seite macht dies das Spiel extrem zugänglich, auf der anderen fehlt ein zentrales Element vieler Deckbauspiele: Die Möglichkeit, die recht schwachen Startkarten loszuwerden. Diese, sowie weitere etwas komplexere Mechanismen, wie zusätzliche, pro Zug verwendbare Fähigkeiten, können dem Spiel mit der beiliegenden Erweiterung hinzugefügt werden.
Zu den 20 verschiedenen Karten des Grundspiels kommen dann 15 weitere Karten hinzu, die, wie auch die Grundspielkarten, jeweils zwei Mal vorhanden sind.
Kenner*innen von Deckbauspielen werden wissen, wie wichtig und mächtig die Möglichkeit ist, das eigene Deck auszudünnen. Und so wundert es nicht, dass von den Fünfzehn neuen Karten ganze sieben eine Möglichkeit dazu bieten – zwei davon einmalig, vier durch das Spielen der jeweiligen Karten, sowie eine, die eine pro Runde nutzbare Fähigkeit dazu verleiht. Das sind dann immerhin 20 % der gesamten Karten.
Dennoch ist die Auslage zufällig und die anderen Spielenden wollen diese Karten ebenfalls haben. In den Testpartien ist es mehrmals vorgekommen, dass einzelne Spielende den Großteil der in dieser Partie verfügbaren Effekte dieser Art auf sich vereinen konnten – was in jedem Fall dazu führte, dass die entsprechende Person das Spiel haushoch gewonnen hat. Insbesondere die Karte, die die wiederholbare Fähigkeit dazu verleiht, erschien zu stark – denn die Karte ist nicht teuer und hat zusätzlich auch noch gute Effekte, wenn sie gespielt wird.
Ausstattung
Bei Deckbauspielen müssen die Karten oft gemischt werden. Daher ist die Qualität der Karten von großer Bedeutung für die Langlebigkeit des Materials. Ravensburger hat sich hier nicht lumpen lassen und Karten von hoher Qualität verwendet. Das Artwork auf den Karten ist sehr gelungen und extrem niedlich. Den Flavortext hätte man sich jedoch sparen können.
Die Tautropfen sind aus Plastik und hübsch anzuschauen. Die Quelle des Lebens ein echter Hingucker – sieht toll aus, das Drehen wird gerade Kindern Spaß bereiten, wäre aber eigentlich auch simpler darstellbar gewesen.
Die Regeln sind verständlich geschrieben und schnell erklärt. Einziges Manko ist das Fehlen eines Glossars für die etwas komplexeren Karten. Hier muss man sich manchmal selbst zusammenreimen, wie genau diese funktionieren.
Die meisten Symbole auf den Karten sind gut erkennbar. Leider ist das Symbol des Käfers, welches aussagt, dass die Voraussetzungen auf der Karte nicht mindestens, sondern exakt erfüllt werden müssen, recht klein und kann schnell übersehen werden. Auch etwas schade: die verschiedenen Felder auf dem eigenen Spielbrett unterscheiden sich hauptsächlich farblich voneinander – der Rand hat zwar eine unterschiedliche Struktur, aber diese ist erst auf den zweiten Blick erkennbar.
Da als Farben Grün, Rot, Blau und Braun gewählt wurden, reicht schon eine Rot-Grün-Sehschwäche – von welcher immerhin fast 10% der männlichen Bevölkerung betroffen sind – dafür aus, Mycelia nur schwer spielen zu können.
- Verlag: Ravensburger
- Autor*in(nen): Daniel Greiner
- Illustrator*in(nen): Justin Chan, Matt Paquette & Co.
- Erscheinungsjahr: 2023
- Sprache: Deutsch
- Spieldauer: 30-45 Minuten
- Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4
- Alter: 9+
- Preis: ca. 25-28 EUR
- Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo
Bonus/Downloadcontent
Auf der Produktseite bei Ravensburger gibt es die Regeln zum Herunterladen, bei BoardGameGeek eine zweiseitige Zusammenfassung der Regeln.
Fazit
Mit Mycelia bringt Ravensburger den Deckbau in die Hände von Familien und Gelegenheitsspielenden. Spielerisch mag die Quelle des Lebens unnötig sein, aber als Hingucker taugt sie auf jeden Fall.
Die Regeln sind einfach und schnell erklärt. Das sehr gelungene Artwork bereichert das Spiel. Die Partien und einzelnen Züge sind kurz und ein gewisser Anteil am Spielzug der anderen erhöht die Aufmerksamkeit für diese Züge, so dass Downtime nie zum Problem wird.
Leider ist der erweiterte Spielmodus etwas glückslastig und bietet zwar mehr Tiefe als der normale Modus, aber nicht genug, dass Mycelia Spielende mit höherem Komplexitätsanspruch befriedigen würde. Da das aber nur eine zusätzliche Option ist, führt das hier nicht zur Abwertung. Das Grundspiel ist absolut solide, extrem zugänglich und damit für viele Familienspielabende geeignet. Die Option, die Komplexität zu erhöhen, auch wenn sie nicht perfekt ist, ist ein willkommener Mehrwert.
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Einfache Regeln
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Schnelle Spielzüge
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Gelungenes Artwork
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Fehlendes Kartenglossar
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Erweiterter Modus glückslastiger
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Bei Farbfehlsichtigkeit schlecht spielbar
Artikelbilder: © Ravensburger
Layout und Satz: Norbert Schlüter
Lektorat: Giovanna Pirillo
Fotografien: Holger Christiansen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.
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