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Amina al-Sirafi hat ihr Leben als berühmt-berüchtigte Piratin an den Nagel gehängt und sich mit ihrer Tochter zurückgezogen. Die Sehnsucht nach dem weiten Ozean ist geblieben: Als ein lukrativer Auftrag, der zudem noch eine persönliche Schuld begleichen würde, winkt, begibt Amina sich auf ein letztes Abenteuer, nicht ahnend, was sie erwartet.

Eingebettet in den mittelalterlichen Orient präsentiert Shannon Chakraborty mit Die Abenteuer der Amina al-Sirafi eine faszinierende Pirat*innengeschichte. Ihre titelgebende Protagonistin hat sich mehr schlecht als recht mit ihrem Dasein als Pirat*innenkapitänin (Nakhudha), die sich zur Ruhe gesetzt hat, arrangiert. Sie genießt die kleinen Freuden des Alltags mit ihrer Tochter und hält sich vor anderen Menschen verborgen. Doch als Kapitänin, die auf einige Held*innentaten zurückblicken kann, ist ihr Name bis in die höchsten Kreise bekannt, und so steht eines Tages eine reiche Frau vor ihrer Tür. Ihr potenzieller Auftrag: Die Enkelin finden und wieder zu ihrer Familie zurückbringen.

Nach einigen Überlegungen willigt die Piratin ein, nicht zuletzt wegen der enormen Summe, die ihr im Erfolgsfall versprochen wird. Schon während der Vorbereitungen für diesen Auftrag schwant ihr nichts Gutes – als jedoch angedroht wird, dass jedes Zögern ihrerseits Konsequenzen für ihre Lieben haben würde, willigt sie ein.

Sie trommelt nach und nach die wichtigsten Personen ihrer alten Mannschaft zusammen, und kann endlich auf ihr geliebtes Schiff, die Maraswati, zurückkehren. Neben dem Maat Tibu, in dessen Obhut Aminas geliebtes Schiff übergeben wurde, und der Giftmischerin Dalila muss die Kapitänin schließlich noch Majed, den Navigator, überzeugen, sein Piratenleben wieder aufzunehmen. Alte Wunden und Unausgesprochenes begleiten die wiedervereinigte Mannschaft.

Als die Crew in See sticht, wird schnell klar, dass es hier nicht nur um eine kleine Familienkrise geht. Ganz im Gegenteil: Die Fahrt, die vor den Pirat*innen, liegt, wird ihnen alles abverlangen: Magie, Monster, unberechenbare Wasser und nicht zuletzt der mutmaßliche Entführer der jungen Dunya erschweren den Auftrag und trachten ihnen nach dem Leben. Der Entführer, der fränkische Falco Palamenestra, verfolgt eigene Ziele, und diese haben es in sich. Schafft es Amina al-Sirafi, ihre Mission zu beenden, oder zumindest nicht im kompletten Desaster enden zu lassen?

Triggerwarnungen

Mord, Gewalt, Entführung

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Story

Die von Amina al-Sirafi selbst geschilderte Geschichte ihrer (zumindest dem aktuellen Stand nach) letzten Fahrt als aktive Piratin zieht die Lesenden von Beginn an ihren Sog: Trotz oder gerade wegen ihrer Ecken und Kanten wirkt die mittelalte Frau sehr glaubwürdig. Shannon Chakraborty gelingt es, in Die Abenteuer der Piratin Amina al-Sirafi auch die Nebencharaktere geschickt einzubinden.

Im Zuge der Rekrutierung und des weiteren Verlaufs der Rettungsfahrt für die entführte Dunya lernen Lesende diese in stimmigen Situationen kennen. Und durch Aminas Augen bekommen die Leser*innen bereits gemachte Erfahrungen, Verstrickungen und Hintergrundgeschichten gleich mitgeliefert. Schön ist an dieser Stelle, dass Chakraborty vermeidet, in Stereotype abzugleiten. Vielmehr sind die Besatzung und weitere Charaktere erfreulich divers ausgestaltet, ohne das typische Pirat*innengehabe missen zu lassen. Denn natürlich lässt der Roman nichts aus, was zum echten Pirat*innenroman gehört: Seemannsgarn, Schatzkarten und fesselnde Schwertkämpfe.

Vom Grunde her ist die Story einfach angelegt: Amina al-Sirafi wird aus dem Ruhestand reaktiviert, muss ihre alte Mannschaft zusammentrommeln und ihre Aufgabe erfüllen. Doch was sich in diesem phantastischen Seeräuber*innenroman daraus entfaltet, verspricht ein Lesevergnügen allererster Güte: Es werden interessante Charaktere eingebunden, vielfältige spannende Schauplätze präsentiert, Reflexionen über das Leben auf See und darüber, was Kamerad*innenschaft bedeutet, Raum gegeben sowie eine große Bandbreite an Widersacher*innen im Rahmen eines stark handlungsgetriebenen Romans geboten.

Denn das Phantastische, das trotz des realweltlichen Schauplatzes im mittelalterlichen Orient, auf mannigfaltige Weise seinen Raum bekommt, stellt den Dreh- und Angelpunkt des Romans dar. Mächtige Artefakte, die vermögen, den Lauf der Geschichte zu verändern, werden ebenso innovativ in die Geschichte um die vermeintliche Rettungsfahrt eingebunden wie auch die gefährlichen Seeungeheuer, die in den Tiefen des Indischen Ozeans lauern. Nicht zuletzt erfahren Lesende erst nach und nach die Verbindungen der Pirat*innenkapitänin höchstselbst zum Übernatürlichen.

Schreibstil

Das für phantastische Romane (und auch für Brettspiele) ungewöhnliche Setting im mittelalterlichen Orient und die Fahrt über den Indischen Ozean erweist sich als Glücksgriff: Die reichhaltige Geschichte der Region für Lesende greifbar zu machen, gelingt Chakraborty. Sie fesselt Lesende ab der ersten Seite und hält sich nicht mit Klischees auf. Amina al-Sirafi kennt die Rolle der Frau in dieser Welt und findet doch ihren Platz darin, der sich über gängige Vorstellungen über diese Zeit hinwegsetzt. Amina al-Sirafi ist nicht mehr jung, sie ist Mutter, erfahren und reich an Lebenswissen, was sie zu einer unüblichen Protagonistin macht, die aufgrund dieser Merkmale umso mehr in ihren Bann zieht.

Generell sind die Frauen und ihre Rollen, so verschieden sie auch sein mögen, derart konzipiert und beschrieben, dass unweigerlich das Interesse geweckt wird, mehr über diese Zeit zu erfahren. Auch das Zusammenleben zwischen den Religionen wird thematisiert: Dalila beispielsweise, enge Vertraute von Amina al-Sirafi, ist eine Christin. Chakraborty schafft es, diesen Umstand und das damit zusammenhängende Konfliktpotenzial stets im Hintergrund zu halten und nur an denjenigen Stellen des Romans zu inszenieren, an denen sie natürlicherweise in den Vordergrund rücken müssen.

Von Anfang an ist klar, dass die ist Geschichte rückblickend von der Nakhudha erzählt werden wird, denn das, was einem Vorwort gleicht, wird von einem Schreiber formuliert, der erläutert, warum er es für das beste hält, die Geschichte der legendären Frau, von ihr selbst erzählen zu lassen. Für Lesende die denkbar beste Entscheidung, denn auf diese Weise werden Die Abenteuer der Piratin Amina al-Sirafi lebendig, sie schäumen förmlich über vor Lebendigkeit.

Ausnehmend gut gelingt es der Übersetzerin Kerstin Fricke, die Schilderungen dieser faszinierenden Welt, der Küsten des Indischen Ozeans und Aminas Erleben ihres wiederaufgenommenen Seeräuberinnendaseins in all ihren Facetten einzufangen.

Der*die Autor*in

Die in ihrer Jugendzeit zum Islam konvertierte und im US-amerikanischen New Jersey lebende Bestseller-Autorin Shannon Chakraborty stellt islamische Geschichte und Mythologie in den Mittelpunkt ihrer Bücher. Inspiriert auch durch einen Aufenthalt in Kairo fließen diese Themen, mit einem Twist ins Phantastische, in ihre Bücher ein. Neben Die Abenteuer der Piratin Amina al-Sirafi ist die Autorin (Pronomen sie/ihr) vor allem durch die Daevabad-Trilogie bekannt und mit diesen für verschiedenste Preise nominiert. Mehr Informationen über Shannon Chakraborty finden sich auf ihrer englischsprachen Homepage.

Erscheinungsbild

Die Gestaltung des Paperbacks erinnert an ein altes, arabisches Buch, das sowohl vom Buchrücken als auch von Vorder- und Rückseite her aus einem Guss erscheint. Thematisch zu Zeit und Ort der Handlung passend ist jeweils ein Ornament aufgedruckt, das in Verbindung mit der arabisch anmutenden Schrift und maritimen Motiven die Stimmung und Inhalt perfekt transportiert.

Während sich auf der Rückseite eine ausführliche Inhaltsangabe findet, ist auf dem Klappentext ein Teil des fiktiven Vorworts, das bereits in die Handlung des Pirat*innenabenteuers einführt, aufgedruckt. Auf diese Weise erhalten Lesende eine gute Hilfsstellung bei der Kaufentscheidung. 

Die harten Fakten:

  • Verlag: Panini
  • Autorin: Shannon Chakraborty
  • Erscheinungsdatum: 31.10.2023
  • Sprache: Deutsch (Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Kerstin Fricke)
  • Format: Paperback
  • Seitenanzahl: 576
  • ISBN: 978-3-8332-4396-7
  • Preis: 19,00 EUR (Print) + 13,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon (deutsch und englisch), idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Wie bereits erwähnt, weckt die Lektüre von Die Abenteuer der Piratin Amina al-Sirafi große Lust, sich mit dem großflächigen Bereich, in dem die Handlung spielt, zu befassen. Shannon Chakraborty begegnet dem, indem sie im Nachgang zum Roman auf sechs Seiten zum einen ihre eigene Faszination für diesen Raum und diese Zeit begründet und zum anderen ein großes Spektrum an Lesetipps gibt, die sich mit vielerlei Aspekten der Geschichte befassen.

Zu Anfang des Buches findet sich eine Karte, die alle Orte, die die Aminas Schiff Maraswati anläuft, abbildet und die visuell sehr ansprechend einer mittelalterlichen Karte nachempfunden ist.

Fazit

Dieses Buch ist ein Glücksfall für alle Lesenden. Von der Vielschichtigkeit der Gesellschaft im Raum des Indischen Ozeans, über eine Protagonistin, die zur Abwechslung in Vergleich zu vielen aktuellen Romanen der Phantastik mal lebenserfahren, reflektiert und Mutter ist, bis hin zu den typischen Elementen eines klassischen Pirat*innenromans bietet dieser Roman ein ganzes Füllhorn an Lesevergnügen. Dass auch die Phantastik in verschiedenen Spielarten, wie beispielsweise Dschinns, Seeungeheuer und sogar fremde Welten, eine große Rolle spielt, macht das Werk quasi unumgänglich für geschichtsinteressante Fantasy-Fans.

Optisch ein Leckerbissen und ergänzt um interessante Lektüretipps, um sich dieser Region im Mittelalter zu widmen, krönen das Ganze. Eine absolute Leseempfehlung.

  • Spannendes Setting
  • Starkes Storytelling
  • Ungewöhnliche Protagonistin
 

  • Leider (bislang) ein Einzelband

 

Artikelbilder: © Panini Verlags GmbH
Titelbild: © depositphotos Autor: nejron
Layout und Satz: Andreas Hübner
Lektorat: Hendrik Pfeifer

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