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In Belaad ist der Kampf um Gelehrte ausgebrochen, die entweder dem Volk zu mehr Macht oder dem Hof zu mehr Ruhm verhelfen sollen. Doch da kommt eine dritte Partei dazu, die versucht genau dies zu verhindern und die gelehrten Personen zu ermorden. Wer wird die Macht für sich beanspruchen können?

Das Volk (links/grün), der Orden (mitte/rot) und der Hof (rechts/blau).

Das Abendland und die Geschichten aus tausendundeiner Nacht locken mit orientalischen Geheimnissen und dem Reiz des Unbekannten. In meiner Kindheit waren meine Favoriten unter anderem die Zeichentrick-Serie Sindbad der Seefahrer oder der Comic Asterix im Morgenland. Nicht umsonst finden wir in der Literatur, Filmen und selbst im Rollenspielumfeld immer wieder Anklänge an dieses mystische Setting.

In der fiktiven Stadt Belaad ist der Konflikt zwischen dem Proletariat und der herrschenden Klasse losgetreten worden. Auf dem Rücken von realen geschichtsträchtigen islamischen Gelehrten wird der Kampf um Macht, Mord und Intrigen ausgetragen. Dass man dabei sogar noch eine ganze Menge über Wissenschaft und Geschichte lernen kann, macht das Spiel umso reizvoller.

Triggerwarnungen

Auftragsmord

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Spielablauf

Der Spielaufbau von Belaad unterscheidet sich nach der Anzahl an Spielenden. Bei gerader Anzahl werden die beiden Parteien der Hof und das Volk aufgebaut, bei einer ungeraden Anzahl noch zusätzlich der Orden. Die maximal drei Parteien bestehen aus bis zu fünf großen Spieltableaus, die jeweils nebeneinander aufgebaut werden. Abhängig von der Personenanzahl wird entweder der Hof gegenüber dem Volk aufgebaut oder im Viereck der Orden dazwischen. Die Seite gegenüber dem Orden wird dann für die Kartenauslage verwendet.

Das Spiel lässt sich theoretisch mit bis zu sechs Personen spielen. Bei mehr als drei Personen werden Teams gebildet, die allerdings nicht zusammensitzen dürfen, sondern immer durch eine andere Partei getrennt sein müssen. In Verbindung mit dem Aufbau ist es unabdingbar, dass nicht jede*r vor dem eigenen Spieltableau sitzt. In den Testrunden war der größte Spielspaß bei zwei oder drei Personen gegeben. Alle anderen Aufbauten wirkten konstruiert.

Die Gelehrten sind die Objekte der Begierde.

Von den drei asymmetrischen Parteien verfolgen zumindest der Hof und das Volk dasselbe Ziel. Sie wollen aus der Auslage Gelehrte anwerben und am Ende über Punkte den Sieg erringen. Dazu haben sie vier Generationen Zeit. Der Orden versucht, genau das zu verhindern und ermordet eine gewisse Anzahl von Gelehrten. Gelingt ihm das zuerst, haben die beiden erstgenannten Parteien verloren und der Orden hat sofort gewonnen.

Der Ablauf der Züge ist dabei äußert einfach. Alle haben vier Aktionskarten auf der Hand, was auch zugleich das erlaubte Maximum an Handkarten darstellt. Im ersten Schritt spielt man eine Aktionskarte aus und handelt diese komplett ab. Die Karte wird anschließend auf einen gemeinsamen Ablagestapel geworfen. Im zweiten Schritt zieht man eine neue Karte aus drei möglichen offen ausliegenden Aktionsstapeln nach.

Eine Auswahl an Aktionskarten mit Hauptaktion (oben) und Nebenaktion (unten).

Jede Aktionskarte weist oben immer eine Haupt- und unten eine Nebenaktion auf. Die Hauptaktion steht frei zur Verfügung, während für die Nebenaktion in der Regel Siegelmarker abgeben werden müssen. Welche Aktionsart man spielt – eine oder beide – ist komplett dem Spielenden überlassen, genau wie die Reihenfolge. In der Regel triggert man mit den Aktionen eine der ausliegenden Spieltableaus. Jede Partei hat ein Tableau, um sich Gold aus dem Vorrat zu nehmen, anderen Spielenden Münzen zu stehlen, aus einem Sack Spielsteine (im Regelheft als „Getreue“ bezeichnet) zu ziehen oder einen Kampf mit der Person links von sich zu beginnen. Hof und Volk haben dazu noch ein Tableau, um Gelehrte anzuwerben.

Auf jedem Spieltableau gibt es freie Plätze für dazu passende Spielsteine (zum Beispiel Schwertsteine für Kampf, Münzsteine für Geld). Je mehr ein Tableau mit den passenden Steinen ausgefüllt ist, desto mehr bekommt man für die Aktion. Ein vollausgefülltes Diebestableau erlaubt es, ebendiese Anzahl an Goldmünzen von einem Mitspielenden zu stehlen. Zum einen ist es also wichtig, seine Tableaus mit den Spielsteinen aufzubauen, zum anderen aber auch, die Tableau-Aktionen auszuführen. Hier entsteht ein schöner erster Kniff zwischen Ausbau und aktiver Siegvorbereitung.

Die Anzahl der Spielsteine auf einem Tableau bestimmt die Stärke.

Zudem hat jedes Tableau im unteren Bereich noch eine Sonderfähigkeit, die durch orange Spielsteine aus dem Beutel freigeschaltet und dann sofort einmal genutzt werden kann. Die Sonderfähigkeiten sind je Partei unterschiedlich und erhöhen den Wiederspielanreiz aufgrund der sich verändernden Strategie. Das Volk beispielsweise kann damit Gelehrte erwerben oder die Kampfkraft dauerhaft erhöhen. Der Hof wiederum kommt schnell an Gold, Siegel und Schwerter. Schwerter lassen sich unter anderem auch gegen manche Gelehrte eintauschen, sie schützen aber auch vor Angriffen. Hat man alle orangefarbenen Spielsteine auf den eigenen Tableaus voll besetzt, werden diese am Ende des Zuges abgeräumt und die Sonderfähigkeiten können erneut ausgelöst werden. Wer also die Fähigkeiten der eigenen Partei öfter nutzen will, muss den Ausbau, in der Hoffnung, die richtigen Spielsteine zu ziehen, vorantreiben.

Die Person in Spielreihenfolge lässt sich durch eine Tableau-Aktion angreifen. Das Kampfsystem erinnert dabei etwas an Gloomhaven. Zunächst ermitteln alle den aktuellen Kampfwert auf Basis des entsprechenden Spieltableaus. Die Person mit dem niedrigsten Wert zieht so lange Karten von einem gemeinsamen Angriffsstapel, bis der Angriffswert höher ist. Die Karten weisen einen Wert von -2 bis +5 Punkten auf. Jederzeit kann man aufgeben oder solange weiterziehen, bis eine Totenkopf-Karte gezogen wird. Mit dieser hat man sofort verloren oder kann sie mit einem Schwertmarker neutralisieren. In dem Fall geht der Kampf wie beschrieben weiter.

Verliert man durch eine Totenkopf-Karte, darf die siegreiche Partei ein Spieltableau der gegnerischen Partei auswählen, das alle Spielsteine verliert. Gewinnt die verteidigende Person regulär den Kampf, erhält sie ein Schwert. Gewinnt die angreifende Partei, erhält sie die oberste Kampfkarte und legt sie verdeckt vor sich ab. Diese zählt in der Endabrechnung zu den Siegpunkten und kann zwischen ein und vier Punkten bringen. Wenn alle Parteien im Spiel sind, ist es etwas gewöhnungsbedürftig, dass nicht jede*r gegen jede*n kämpfen kann. Es bleibt immer ein unschönes Gefühl von nicht vollendeter Rache übrig.

Das Kampfsystem erinnert aufgrund des Stapels etwas an Gloomhaven.

In den ersten Testrunden wurden die Kämpfe wegen des großen Glücksfaktors recht zügig außenvorgelassen. Es hat sich aber gezeigt, dass gepflegtes Kämpfen (und natürlich Gewinnen) gerade am Ende durch die versteckten Siegpunkte oftmals den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage für Volk und Hof ausmacht.

Durch die dritte Partei – den Orden – kommt eine ganz neue Dynamik hinzu. Dem Orden genügen vier Tableaus, da er ohne Tableau für das Anheuern von Gelehrten auskommt. Das Tableau Ordensführer erlaubt als Sonderfähigkeit, für vier Münzen eine gelehrte Person zu ermorden. Diese theoretische Bedrohung müssen Volk und Hof aktiv im Auge behalten und sich dabei gegenseitig unterstützen. Gelangt der Orden an zu viel Geld oder gelingt es, die Spielsteine in den Sonderfähigkeiten zu schnell ausfüllen, wird die Partei das Spiel vorzeitig für sich entscheiden. Der Orden treibt damit die anderen Parteien an und das Spiel fühlt sich schneller an.

Es gibt noch interessante Möglichkeiten, sich durch Verkettungen der Aktionen Vorteile oder sogar kleine Engines aufzubauen. Insgesamt fordern wir Fortuna beim Kartenziehen, bei den ausgelegten Gelehrten und natürlich erst recht beim Bag Building der Spielsteine heraus. Es fühlt sich trotzdem kaum glückslastig an, da viele Aktionen und Kombinationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Oftmals kann man gar nicht schnell genug wieder an die Reihe gelangen, um die nächsten Pläne in die Tat umzusetzen.

Auch die Endabrechnung gilt es im bereits Vorfeld zu planen, um am Ende die richtigen Ressourcen zur Verfügung oder die passenden Gelehrten gesammelt zu haben. Die Gelehrtenkarten geben grundsätzlich immer ein bis vier sogenannte Wissenschaftspunkte. Oftmals bieten sie die Möglichkeit, weitere Punkte zu generieren, wenn man am Ende bestimmte Dinge wie Gold oder Siegel eintauschen kann. Manche Karten weisen noch ein Symbol auf, mit deren Hilfe ein Bonus für das richtige Set errungen werden kann. Letztlich werden noch die Siegpunkte aus den Kämpfen dazu addiert und wie üblich gewinnt die Person mit den meisten Punkten.

Ausstattung

Auf der Hülle prangt ein dunkel gekleideter Assassine in kämpferischer Pose. Klar, dass dazu erst einmal Assoziationen zu dem kürzlich erschienen Brettspiel zu Assassins Creed hochkommen. Die Kleidung strahlt bereits eine erste Aura des orientalischen Flairs aus.

Das gesamte Material ist mit viel Liebe zum Detail und mit hochwertigen Komponenten ausgestattet. Die großen Double-Layer Tableaus beispielsweise haben eine bemalte Rückseite, deren korrekte Anordnung eine brennende Wüstenstadt zeigt. Die 30 Gelehrten sind detailgetreu gezeichnet und werden in einem eigenen Begleitheft mit vollem Namen, Herkunft, Lebensdaten und kurzer biografischer Beschreibung erläutert. Mariam al-Asturlabi war beispielsweise eine der wenigen Frauen, die nachweislich im 10. Jahrhundert in der Wissenschaft tätig waren. Abu al-Qasim hat eine 30-bändige Enzyklopädie über Medizin verfasst, die in ganz Europa über mehrere Jahrhunderte eine maßgebliche Wissensquelle darstellte. Ein eigenes Heft mit über 30 Seiten Flavour-Text wirkt schon fast übertrieben, zeigt aber die Liebe zu den historischen Fakten.

Im Karton liegt ein Begleitheft, das die wissenschaftliche Bedeutung der Gelehrten wiedergibt.

Marker (Gold und Siegel) wie auch die schönen Schwerter sind aus dicker Pappe gefertigt. Die Spielsteine sind aus Holz, beidseitig bedruckt und werden in einem ebenfalls bedruckten Stoffbeutel aufbewahrt. Für bis zu sechs Spielende sind entsprechende Spielhilfen vorhanden und sogar für den Orden gibt es noch eine zusätzliche Hilfekarte für deren Besonderheiten. Die Ikonografie von den Würfeln über die Karten hin zu den Spieltableaus ist eindeutig und mit hohem Wiedererkennungswert versehen.

Die unterschiedlichen Spielsteine für den Ausbau der eigenen Tableaus.

Die Anleitung ist sehr ausführlich und gut strukturiert aufgebaut, sodass keine Fragen oder anschließendes Stöbern in Foren notwendig sein sollten. Etwas verwirrend sind zu Anfang die Begriffe Gelehrte und Getreue. Als Getreuen werden die Spielsteine bezeichnet. In der englischen Version werden diese durchgängig als Token bezeichnet, was bei der Übersetzung zu weniger Verwirrung geführt hätte.

Die ganzen Materialien sind komplett in einem Plastikinlay zu verstauen. Einem schnellen Spielaufbau und -abbau steht nichts im Wege.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Corax Games (Islima Games)
  • Autor*in(nen): Ehsan Nazarzadeh
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 30 bis 60 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 2 3 4 5 6
  • Alter: ab 10 Jahren
  • Preis: ca. 49,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Corax Games bietet die Regeln leider nicht zum Download an. Ein deutschsprachiges, stimmungsvolles Video kann einen ersten Vorgeschmack bieten. Die englischen Regeln lassen sich zumindest auf BoardGameGeek herunterladen.

Auf der Webseite des Original-Verlags Islima Games können zusätzlich Promo-Karten oder eine Spielmatte erworben werden.

Fazit

Das neue Spiel von Corax Games kam ohne den sonst oft begleitetenden Brettspiel-Community-Hype in unseren Testspielrunden an – niemand, der schon mal davon gehört oder gelesen hatte. Das Cover-Artwork schaffte es sogleich, dass die Erwartungen bereits beim Auspacken anstiegen. Sie wurden mehr als erfüllt.

Der Meuchelmörder des Assassinen-Ordens.

Im Kern bauen die Spielenden ihre Tableaus aus und nutzen dafür einen Bag-Building-Mechanismus. Gerade durch die asymmetrischen Tableaus ist es schön, sich in die eigene Taktik hineinzudenken, aber auch die gegnerischen Strategien zu überblicken. Die unterschiedlichen Parteien bieten einen interessanten Anreiz und erhöhen den Wiederspielwert.

Sehr interessant ist der Umstand, dass bei einer ungeraden oder geraden Anzahl an Spielenden unterschiedliche Konfliktparteien mit teilweise unterschiedlichen Zielen ins Spiel gebracht werden. Hätte man auf der Verpackung eine maximale Anzahl an Spielenden von zwei bis drei Personen veranschlagt, wäre dies marketingtechnisch und damit von den Absatzzahlen wahrscheinlich schwieriger, aber inhaltlich dem Spiel deutlich gerechter geworden. Für die Bewertung unserer Rezension haben wir uns auf das Spiel mit zwei oder drei Spielenden konzentriert.

Belaad lässt sich locker und leicht in einer neuen Runde lernen und spielen, aber den eigentlichen Reiz entfacht es, wenn man es öfter auf den Tisch bringt. Bei der relativ kurzen Spielzeit von knapp einer Stunde ein realistischer Gedanke – dann taucht man immer weiter in die Mechaniken und Kombinationsmöglichkeiten ein. Bis zum Schluss bleibt noch alles möglich und auch die dritte Partei mit einem anderen Auftrag zu spielen entfacht noch einmal mehr das orientalische Feuer.

Corax Games hat ein schnelles, gutes und wirklich qualitativ hochwertiges Spiel für die Brettspiel-Community auf den deutschsprachigen Markt gebracht. Für mich persönlich eine unerwartete und extrem positive Überraschung in diesem Jahr und damit vergeben wir gerne fünf von fünf Daumen!

 

  • Ungewöhnliches Setting und Spiel
  • Ausbalancierte asymmetrische Parteien
  • Hervorragendes Artwork und Material
 

  • Für vier bis sechs Spielende eher nicht zu empfehlen
  • Kampfsystem erlaubt nur, immer dieselbe Person anzugreifen

 

 

Artikelbilder: © Corax Games
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Alexa Kasparek
Fotografien: Horst Brückner

Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.
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