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Mit Mythic Odysseys of Theros wagt sich Wizards of the Coast nach dem Guildmasters‘ Guide to Ravnica zum zweiten Mal an die Aufgabe, eine ihrer bekannten und beliebten Welten in das Regelsystem von Dungeons and Dragons zu übertragen. Ob und wie ihnen das mit Theros gelungen ist, erfährst du hier.

Mythic Odysseys of Theros ist – nach dem bereits von Johannes Weyrauch besprochenen Band  Guildmasters‘ Guide to Ravnica eine weitere Reise in eine der Welten des Sammelkartenspiels Magic: The Gathering. Dieses seit 1993 existierende Spiel hat schon eine Unmenge an fantastischen und dystopischen Welten geschaffen – das an Barovia aus dem Fluch des Strahd erinnernde Innistrad voller Vampire und Werwölfe, das von Pirat*innen und Meervolk bewohnte Südamerikasetting Ixalan, das märchenhafte Eldraine, das aus Metall bestehende Mirrodin und noch etliche weitere.

Mit Mythic Odysseys of Theros liegt uns ein Kampagnenband zu einer Welt vor, die sehr stark an das historische antike Griechenland angelehnt ist. Fans der griechischen Sagenwelt werden ihre Freude daran haben, die vielen Anspielungen daran zu finden. Theros selbst ist erstmals 2013 erschienen und damit eine relativ neue Welt aus dem Kanon von Magic: The Gathering. Erst 2020 hat diese Welt im Sammelkartenspiel eine Neuauflage erlebt. Dabei ist diese Welt natürlich nicht das erste Setting, dass Odysseen bei Dungeons and Dragons bespielt. Mit Odyssey of the Dragonlord hat Markus Kastell hat bereits eine andere Welt mit der Odyssee als Konzept besprochen.

Was macht eine*n Held*in aus? Talente und persönliche Questen

Die alte Frage, was eine*n Held*in eigentlich ausmacht, wird in Mythic Odysseys of Theros kurz beantwortet – die Spieler*innen selbst(verständlich) und ihre gespielten Charaktere.

Spieler*innen können sich bei der Generierung ihrer Charaktere zwischen mehreren neuen Rassen wie Tritonen/Meervolk, Satyren und Leoniden/Katzenmenschen entscheiden. Aber auch aus Ravnica bekannte Spezies wie Minotauren und Zentauren sind wieder dabei, ebenso die Menschen. Jeder Charakter startet mit einem übernatürlichen „Geschenk“ wie beispielsweise „ambossgeschmiedet“, „heroisches Schicksal“, „Orakel“ oder auch „Ikonoklast“ für Spieler*innen, die lieber ihr eigenes Schicksal unabhängig von oder gegen die Gottheiten bestimmen möchten. Diese Geschenke bieten ähnlich wie die Talente kleine Boni für das Abenteurerleben und können Aufhänger für spätere Abenteuer sein.

Mänade und Satyr mit Thyrsos. Penthesilea-Maler, ca. 460 v. Chr. © Bibi Saint-Pol @ Creative Commons

Für die Klassen Paladin und Bard*in gibt es mit dem Schwur der Glorie und dem Kolleg der Eloquenz jeweils eine Subklassenoption. Desweiteren gibt es den Hintergrund „Athlet“. Damit sind die neuen Generierungsoptionen, die der Band bietet, auch schon abgeschlossen. Leider muss gesagt werden, dass im Vergleich zum Guildmasters‘ Guide to Ravnica Theros ziemlich dürftige Optionen zur Ausgestaltung des eigenen Charakters bietet, auch wenn man die Beziehung zu den Gottheiten als Patron*innen hinzurechnet.

Leben und Tod in Theros

Mythic Odysseys of Theros legt einen besonderen Fokus auf die Heldenreise der Spielercharaktere und ihre Beziehung zu den Gottheiten dieser Welt, seien diese von wohlgesinnter oder feindlicher Natur. Während der Guildmasters‘ Guide to Ravnica die Existenz von Gött*innen in seiner Welt sehr konsequent ausblendet – und das in einem Setting, in welchem eine der zehn Gilden eine explizite Kirche ist -, wird hier sogar mit „Pietät“ ein eigener Wert eingeführt, um den Weg der Charaktere mit zu verfolgen. Mit dem Gewinn und Verlust von Pietät kann gemessen werden, inwieweit der Charakter in der Gunst seiner Gottheit steht, welche dafür spezielle Boni gewährt.

Auf das mundane Leben der Menschen, Satyrn, Zentauren, Meerwesen, Minotauren, Katzenmenschen – alles spielbare Rassen in Theros – wird dafür weniger detailliert eingegangen. Es werden mehrere Poleis beschrieben, welche an gewisse Stereotype wie Athen, Sparta und eine friedliche Amazonenburg angelehnt sind. Eine schöne Neuinterpretation aus der klassischen Sagenwelt ist die Minotaurenpolis, welche sich in einem Labyrinth befindet.

Mystische Plätze finden sich überall in Theros.

Die Nach- bzw. Unterwelt von Theros ist detailreich beschrieben und bietet mit gleich mehreren Totenreichen viel Platz für Abenteuer im Jenseits, aus welchem tapfere Charaktere auch wieder entkommen können.

Das Kartenmaterial in Mythic Odysseys of Theros bietet sowohl eine Übersichtskarte als auch kleinere, detailliertere Karten zu Dungeons und anderen Abenteuerschauplätzen wie einer göttlichen Schmiede, einer Agora oder einem verlassenen Tempel. Während die Übersichtskarte mit lediglich einer gewundenen Küstenlinie, etwas Hinterland und einem einzigen Archipel sehr überschaubar und damit zweckdienlich ist, bieten dafür die kleineren Karten sehr viel mehr Potential für Spielspaß – so kann man den verlassenen Tempel beispielsweise ganz unterschiedlich erleben, je nachdem, ob man ihn lebend oder tot betritt.

Man findet beim Blättern immer wieder kleinere Textkästen mit Mythen, welche den Hintergrund dieser Welt näher erläutern. Diese Mythen sind mal stärker, mal schwächer an die bekannten Geschichten aus dem hellenischen Sagenkreis angelehnt. So findet man die DND-Variante des  trojanischen Krieges ebenso wieder wie das Konzept der durch göttlichen Willen gebundenen Titanen, aber auch eigene Erzählungen, die mehr Licht auf diese Welt werfen.

Das wasserreiche Theros bietet genug Gelegenheiten für nautische Abenteuer.

Magie in Theros

In Mythic Odysseys of Theros spielt die aus dem Sammelkartenspiel Magic: The Gathering bekannte Magie und ihre Farbenlehre kaum bis gar keine Rolle. Während sich die aus den fünf magischen Energien zusammengestellten Arten von Magie im Guildmasters‘ Guide to Ravnica noch in den aus jeweils zwei Farben und ihrer jeweils dazu gehörenden Philosophie kombinierten Gilden niederschlugen, stellen hier die Gottheiten von Theros das Alleinstellungsmerkmal dar. Bei diesen Wesenheiten treten die Farben aus Magic: The Gathering in den Hinter- und die altbekannte Gesinnungstabelle aus Dungeons and Dragons in den Vordergrund. Man muss also absolut kein Magic: The Gathering gespielt haben, um in diesem Setting durchblicken zu können. Ein klein wenig Kenntnis griechischer Sagen reicht vollkommen aus, um sich zurecht zu finden.

Die Gottheiten – das Pantheon von Theros

Insgesamt werden in Mythic Odysseys of Theros fünfzehn göttliche Wesen vorgestellt, alle mit unterschiedlichem Charakter und Vorlieben bezüglich ihrer Champions. Wir finden hier neben den  klassischen Archetypen des Sonnengottes, des Gottes der Toten, der Göttin der Weisheit und einem Schmiedegott auch exotische Konzepte wie das Schicksal, vor welchem auch die restlichen Gottheiten widerwillig, aber nichtsdestotrotz, Respekt zeigen, einem Minotaurengott etc.

Die Gottheiten machen einen zentralen Bestandteil des Buches aus.

Diese Gottheiten sind dazu gedacht, mit den Charakteren der Kampagne zu interagieren und helfend oder störend einzugreifen. Sehr praktisch für Spielleiter*innen sind auch bei jeder Gottheit die Möglichkeiten aufgelistet, das Wesen entweder als Pro- oder Antagonist*in aufzubauen. Nicht fehlen dürfen auch die unterschiedlichen Vorlieben der Gottheiten, welche bestimmen, welche heldenhaften Taten Pietät verleihen oder auch wegnehmen können.

Etliche göttliche Wesen haben eigene Artefakte, hauptsächlich Waffen, die sie ihren loyalen Anhänger*innen zur Verfügung stellen können. Wer eine solche Waffe vernichten will, findet zu jedem Artefakt eine Beschreibung, wie es entweiht oder vernichtet werden kann. Damit lassen sich sehr leicht interessante Plots um diese Artefakte erstellen.

Legendäre Monster

Medusa auf dem Schild der Athene im Parthenon © Bibi Saint-Pol @ Creative Commons

Am Ende des Bandes finden sich – als Endgegner einer langen Kampagne würdig – drei legendäre namhafte Kreaturen, die den Charakteren alles abverlangen werden, um sie zu überwinden. In dieser Menagerie finden sich eine zur Spinne gewandelte und darob wahnsinnig gewordene Nymphe, eine die Statuen ihrer versteinerten Opfer sammelnde Medusa und ein Kraken mit der Vorliebe, ganze an der Küste liegende Städte zu verschlingen. Jede dieser Kreaturen bietet eigene Herausforderungen, die es zu überwinden gilt, und sie haben interessante Anknüpfungspunkte in ihrem Hintergrund, so dass der*die Spielleiter*in sie sehr angenehm in die laufende Kampagne integrieren kann.

Leider wurde hier in einem Punkt eine große Chance vertan. Diese mächtigen Kreaturen kann man auch als „mythische Herausforderung“ spielen, sie also als Spielleiter*in noch einmal herausfordernder machen. Und zwar, indem man ihre Lebenspunkte erhöht. Diese recht inspirationslose Herangehensweise ist eine verpasste Chance, diesen legendären Begegnungen noch das besondere Etwas zu verleihen und man hätte sie sich sparen können.

Der Spielband zur Welt Theros.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Wizards of the Coast LLC
  • Autor(en): Lead Designers F. Wesley Schneider & James Wyatt
  • Erscheinungsjahr: Juni 2020
  • Sprache: Englisch/Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 256
  • ISBN: 978-0-7869-6701-8
  • Preis: 39,31 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, Sphärenmeisters Spiele

 

Fazit – singe mir, Muse …

Mythic Odysseys of Theros ist eine großartige Fundgrube für alle Spielleiter*innen und Spieler*innen, die gerne ein Setting mit einem starken Fokus auf Gottheiten, Mythen und Sagen erkunden möchten. Die Welt ist groß und bunt genug, um lange Zeit Abenteuer in ihr zu erleben. Die Gottheiten von Theros bieten ein interessantes Potential, um epische Kampagnen zu spielen. Und es macht sicher Spaß, einmal exotischere Gruppenkonstellationen wie eine reine Satyrengruppe auf der Suche nach den besten Feiern oder ein Rudel Leoniden mit der Sehnsucht nach der Rache an einer Gottheit oder eine Gruppe Tritonen, die nach Schätzen ihres untergegangenen Reiches suchen, zu bespielen.

Spieler*innen, die Religion nicht leiden können, haben mit der Klasse Ikonoklast zwar einen eigenen Hintergrund spendiert bekommen, dürften aber wegen dem starken Fokus auf eben diesen weniger Freude an Theros haben. Die dürftige Übersichtskarte, die geringe Bandbreite an regeltechnischen Generierungsoptionen für Charaktere und die eher uninspirierten mythischen Fertigkeiten der Endbosse sind die Minuspunkte dieses Bandes.

Am Ende dieser Rezension kann dem Band trotz der angesprochenen, durchaus vorhandenen Mängel nur eine klare Kaufempfehlung ausgesprochen werden. Das mythische und hellenische Fantasysetting im DND-Regelsystem, die Fülle an Ideen für Kampagnen und die Möglichkeit, den Grad an Epik wirklich aufzudrehen, sind mehr als Grund genug, der Welt Theros eine Chance am Spieltisch zu gewähren. Und es spricht nichts dagegen, als Weltenwanderer*in mal einen Abstecher vom sonnigen und ländlichen Theros ins regnerische und städtische Ravnica zu wagen …

 

Artikelbilder: © Wizards of the coast, © lunfengzhegilmanshin | depositphotos.com, © TripleMedia, © Bibi Saint-Pol @ Creative Commons
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Lukas Heinen

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