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Die Diskussion um die Geschichte von The Last of Us Part II hat hohe Wellen geschlagen. Schien es anfangs nur um homophobe Tendenzen zu gehen, weitet sich die Kritik inzwischen auf die komplette Story aus. In Petitionen wird vom Entwickler eine Änderung des Spiels gefordert. Ich wage eine kleine Aufarbeitung.

Über Geschmack lässt sich streiten. Seit es das Internet gibt, wird dies mit wachsender Begeisterung praktiziert. Die Veröffentlichung von The Last of Us Part II wurde von vielen sehnlich erwartet, hofften sie doch auf eine Fortsetzung der rührenden Geschichte um Joel und Ellie. Mit Erscheinen des Titels wurde jedoch klar: Dies ist keine simple Fortsetzung der Road-Movie-Idylle aus Teil 1. Naughty Dog nutzte die Chance, um eine epische Geschichte zu erzählen, der eine tiefere Moral zugrunde liegt.

Doch dies kam bei den Spieler*innen nicht so gut an wie erhofft. Von blankem Hass gegen die Charaktere oder sogar die Entwickler über einem Shitstorm gegen die Entwickler bis hin zu einer Petition an diese, die Story solle bitte komplett neu erzählt werden, wurde aus allen Rohren gefeuert.

Es geht in diesem Artikel dabei nicht um die anfangs hauptsächlich homophob motivierten Dislikes und Aktionen, sondern um Kommentare, Reaktionen und Anfeindungen, die sich auf Ereignisse rund um die Rachegeschichte beziehen.

Jetzt, wo der Pulverdampf sich etwas gelegt hat und die Gemüter hoffentlich etwas abgekühlt sind, wage ich eine Interpretation der Story und ihrer Kernaussagen, sowie der Verständnisprobleme einiger Konsument*innen.

Achtung. Dieser Text behandelt die Story von The Last of Us Part II. Die komplette Story. Dementsprechend ist dieser Text unter Umständen ein einziger Spoiler. Wenn Du das Spiel noch spielen willst – spiele es erst, und komme danach zurück, wenn Du die Story selbst erlebt hast. 

Die Guten und die Bösen, die Rollen sind verteilt

The Last of Us Part II spielt genau wie Teil 1 in einer Welt, in der durch den weltweiten Ausbruch einer Pilzinfektion die meisten Menschen zu einer Art Zombie geworden sind, die nur noch durch diesen Pilz gesteuert werden. Die wenigen Überlebenden, die es noch gibt, versuchen, in einer postapokalyptischen, verfallenen Welt, den Infizierten zu entkommen und zu überleben. Die Protagonisten aus dem ersten Teil, der erwachsene Joel und die jugendliche Ellie, leben inzwischen in einer befestigten Stadt namens Jacksonville.

Die Geschichte punktet mit einem Einstieg wie aus dem Lehrbuch. Man spielt abwechselnd Ellie und ihre Bekannte Dina auf Patrouille für ihre Stadt sowie zwei unbekannte Personen, anfangs in den Untertiteln „Mann“ und „Frau“ genannt, die auf Spuren der Patrouille stoßen. Die beiden Geschichten laufen aufeinander zu. Die Spuren führen die beiden Unbekannten nach Jacksonville und die Geschichte zu dem Punkt, an dem Joel und sein Bruder, die ebenfalls auf Patrouille sind, die „Frau“ retten und erfahren, dass sie Abby heißt. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Welt noch in Ordnung.

Ein herber Verlust einer Identifikationsfigur

Und genau hier schlagen die Entwickler zu. Eine dritte Patrouille teilt Ellie und Dina mit, dass Joel und sein Bruder Tommy nicht am Checkpoint angekommen sind. Spieler*innen bekommen gezeigt: Abby weiß genau, wer Joel ist. Anscheinend war die Gruppe auf der Jagd nach ihm. Tommy wird bewusstlos geschlagen und Joel in die Mangel genommen, als Ellie dazukommt. Noch wird nicht gesagt, warum die Gruppe Joel sucht.

Und dann bringt Abby Joel um. Ein herber Verlust einer Identifikationsfigur.

Das erste Mal, dass dieser Erzähltrick derartige Wellen geschlagen hat, war in Hitchcocks Psycho: Auch hier verlieren die Zuschauer in der berühmten Duschszene schlagartig die Identifikationsfigur und sind gezwungen, sich komplett neu zu orientieren. Außerdem wird auf diesem Weg klar etabliert, wer in diesem Spiel gut und wer böse ist.

Es war nahezu abartig, diesen Moment in diversen Livestreams auf Twitch oder Youtube zu verfolgen. Die Kommentarspalten schäumten über vor Wut. Kommentator*innen schrieben Dinge von „gut, dass ich das Spiel noch nicht aufgemacht habe, das bringe ich morgen wieder zurück“ bis hin zu „Ich hoffe, Ellie findet die Hure und schneidet ihr die Haut in Streifen vom Leib!“. Wohlgemerkt: wegen des virtuellen Todes einer virtuellen Figur. Das grenzt schon ziemlich an Realitätsverlust. Und das war erst der Anfang.

The Last of Us™ Part II © Naughty Dog
The Last of Us™ Part II © Naughty Dog

Das Drehbuch hält mit Sicherheit kein Happy-End bereit

Das weitere Spiel beschäftigt sich damit, wie Ellie und Dina nach den Mördern von Joel suchen. Die beiden Charaktere sind dabei wesentlich nüchterner als die immer noch mitlaufenden Rachewünsche in den Chats. Gut, dass es im Spiel nicht vorgesehen ist, die verschiedenen Folter- und Todesarten, die hier vorgeschlagen und virtuell bejubelt werden, umzusetzen. Das Spiel wäre sofort auf dem Index gelandet, wenn nicht sogar beschlagnahmt worden. Aber in Chats sind das ja nur Meinungsäußerungen. Viele Meinungsäußerungen, die den Stream teilweise noch für Stunden begleiten. Unterbrochen nur von gelegentlichen Trollen, die Dinge schreiben wie „Ich war ‚ne Stunde nicht da, was habe ich verpasst, wo ist Joel?“, und damit den Chat erneut anheizen.

Für Spieler*innen und Kommentator*innen wird zu diesem Zeitpunkt klar: Wir spielen einen Rachefeldzug. Das ist nichts Ungewöhnliches, Rache ist der Aufhänger für viele Romane, Filme und Computerspiele. In einem Making-Of zum Film The Crow gibt es einen interessanten Satz: „Eric übt Rache, und das ziemlich drastisch. Aber für den Zuschauer ist diese Gewalt gerechtfertigt, und darum kann er sie genießen“. Hier setzt auch Naughty Dog an, indem die Geschichte in den nächsten Stunden als Racheerzählung weiterläuft. Und dabei schon unmerklich immer weiter ausufert.

Viele der Kommentator*innen hatte sich wahrscheinlich eine Fortsetzung der „Familienidylle“ aus dem ersten Teil gewünscht. Wenn man aber das Ende von Teil 1 nüchtern betrachtet, wird schnell klar: So kann es eigentlich nicht weitergehen. In dem Moment, wo auf dieses Ende eine Fortsetzung folgt, muss Joel für seine Taten in Teil 1 zur Verantwortung gezogen werden. Alles andere wäre schlechtes Erzählhandwerk.

Das Fadenkreuz im Bildschirm und dann ein heller Knall

Den Vorwurf, Sneaken, Snipen und generell Töten mache Spaß, mussten sich Shooter-Fans schon immer anhören. So fällt auch nicht weiter auf, dass es bei The Last of Us Part II einen enormen Bodycount gibt.

Ich rede hier nicht von eliminierten Infizierten. Diese sind, technisch gesehen, schon so gut wie tot. Ich rede hier von anderen Überlebenden.

Die Menschheit steht am Abgrund. Es gibt nur noch wenige Versprengte. Und von denen bringt Ellie alleine an Tag zwei in Hillcrest über 40 um. Das ist, aufs ganze Spiel betrachtet, ein Bodycount, der eines 80er-Action-Filmes würdig ist – und einige davon sicher übertrifft.

Dabei wird Ellies Grundhaltung immer aggressiver. Während sie anfangs ihre lautlosen Kills noch mit „Psssst“ oder „Bitte sei still“ kommentiert, wird es später zu „Arschloch“ oder „Fick Dich“. Außerdem freut sie sich selbst immer mehr über ihre Kills.

The Last of Us™ Part II © Naughty Dog
The Last of Us™ Part II © Naughty Dog

Nur streng geschminkte Ahnungen vom wirklichen Verfall

Hellhörig werden viele erst, als Hunde auftauchen. Auch hier überschlagen sich in den Livestreams die Kommentare: „Alles, nur nicht die Hunde“, „Oh nein, bitte keine Hunde umbringen“, „Wie können die das zulassen?“ Und, mein Favorit: „Menschen sind ja ok, aber keine Hunde!“.

Interessanterweise scheinen sich die Kommentator*innen einig zu sein, dass nicht der jeweilige Streamer die Hunde umbringt. Nein, Naughty Dog bringt diese Hunde um. Jeden einzelnen. Und auch das wird den Entwicklern angelastet.

Spieler*innen haben die Möglichkeit, auf das Töten von Hunden komplett zu verzichten. Es gibt mehr als eine Option, wie man die anderweitig loswird. Gut, dadurch wird das Spiel schwerer – aber man kann halt nicht alles haben.

Es ist allerdings nicht möglich, das Spiel durchzuspielen, ohne dass ein bestimmter Hund getötet wird. Dies passiert in einer Zwischensequenz und scheint beiläufig zu sein, wird aber später noch einmal wichtig.

Hassgeimpft im Wüstensand, im Herzen schon das Gift

Wer auf die vollständige Story achtet, und auch die Hinweise und Zettel liest, bekommt schon früh ein Foreshadowing (epische Vorausdeutung) der Dinge, die noch passieren werden. Denn das Spiel erzählt nicht nur eine Rachegeschichte – es erzählt viele. Und in jeder einzelnen hat die Rache am Ende nichts Gutes gebracht.

Zwei Beispiele, noch aus dem ersten Drittel des Spiels, während Ellie Abby jagt. Erinnert Ihr Euch an den Kerl, von dem Ihr den Bogen kriegt? Habt Ihr die Story um den noch vor Augen?

Die WLF (Washington Liberation Front) tötet ein Mädchen namens Sophia. Boris, vermutlich der Vater, will Rache. Sein Dorf beschließt jedoch, sich nicht mit der WLF anzulegen, um nicht noch mehr Leute zu verlieren. Die Haupt-Sprecher gegen Boris‘ Anliegen sind vier Leute, die er fortan als Verräter betrachtet. Er schlägt sie nacheinander bewusstlos, um sie in eine Garage voller Sporen zu bringen, damit sie dort infiziert werden und eines grausamen Todes sterben.

Sein Plan geht auf, diese Garage haben wir zuvor gefunden und die vier Infizierten darin erledigt. Auch Boris ging nicht glücklich aus der Aktion hervor: Er wurde bei der Aktion gebissen und war selbst infiziert. Letztendlich bringt Ellie ihn um.

Dies ist einer der vielen Hinweise auf die Kernaussage des Spieles: Rache und blinder Hass bringen niemandem etwas.

Dies ist einer der vielen Hinweise auf die Kernaussage des Spieles: Rache und blinder Hass bringen niemandem etwas. Den meisten bleibt allerdings nur im Gedächtnis: „Ah, da kriegt man den Bogen“. Dass diese fünf Infizierten eine Backstory haben, wird gerne übersehen. Das waren Überlebende, die sich durch blinde Rachsucht gegeneinander gewandt, irrationale Entscheidungen getroffen und am Ende alles verloren haben.

Zweites Beispiel: Nur kurze Zeit später sterben vier WLF-Deserteure, die Ellie für eine WLF-Soldatin halten und in blinder Wut ohne Vorwarnung angreifen – dadurch alle sinnlos sterben, obwohl man eigentlich einen gemeinsamen Feind hatte.

Selbst, wenn man sich die Sammelkarten anschaut, erzählen viele davon unsinnige Rachemotive bzw. deren Auswirkungen.

Bis kein Mensch mehr am Leben bleibt und dann erst Frieden ist

Es kommt, wie es kommen muss, zu einem Showdown zwischen Ellie und Abby. Hier erlangt Abby die Oberhand und könnte Ellie jetzt töten. Grund genug hat sie dafür, was sie auch deutlich sagt: „Wir haben Dich am Leben gelassen, und Du hast es verschwendet. Und du hast meine Freunde getötet!“

Trotzdem gelingt Ellie am Ende der Szene die Flucht und der Ausgang des Spiels ist weiterhin offen.

The Last of Us™ Part II © Naughty Dog
The Last of Us™ Part II © Naughty Dog

Schlimmer als ein Alptraum, Tote werden nicht mehr wach

Im zweiten Drittel des Spieles spielen wir Abby. Das ist der nächste große Schock für viele Spieler*innen. Es sieht erst nach einer kurzen Sequenz aus, aber spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem man die ersten Upgrades findet, wird klar: Dies ist ein vollwertig spielbarer Charakter mit eigenen Fertigkeitslinien.

Und dieser Charakter bekommt eine Chance, die ganze Geschichte aus ihrer Sicht zu erzählen. So erfahren wir beispielsweise, dass Abbys Vater der leitende Arzt in dem Firefly-Krankenhaus war, aus dem Joel Ellie gerettet hat.

Dadurch ist Joel allein dafür verantwortlich, dass a) Abbys Vater jetzt tot ist (genau wie das restliche Personal) und b) kein Heilmittel erforscht werden konnte. Und das ist für Abby ein verdammt guter Grund für einen Rachefeldzug.

Und wir erleben wir ihre Reaktion auf den Tod von Freunden. Freunde, die von Ellie getötet wurden.

Wir spielen aber nicht diesen Rachefeldzug, wir spielen Abbys Leben, während Ellie sie jagt. Wir erfahren, dass sie sich mit Owen überworfen hat, weil die Gedanken an die Rache ihr ganzes Leben überschattet haben. Wir lernen das Leben in der WLF kennen, und wir werfen in einer Rückblende Dinge für ihren Lieblingshund. Genau. Dies ist exakt der Hund, den Ellie vorher in der Zwischensequenz erschossen hat.

Und wir erleben wir ihre Reaktion auf den Tod von Freunden. Freunde, die von Ellie getötet wurden.

Die Bauern sind zuerst vom Feld bei dieser Art von Schach

Die Reaktionen von Livestream-Kommentator*innen auf die Tatsache, dass man Abby spielt, spricht hier wieder Bände. Varianten von „Bei mir würde die dauernd sterben, nur aus Prinzip“ oder „Wie viele verschiedene grausame Tode sind möglich?“ beherrschen zumindest am Anfang die Diskussion, tauchen aber auch später noch vereinzelt auf. Von der komplett zweiten Sichtweise, aus der heraus die Rache an Joel berechtigt war und Ellie die Aggressorin darstellt, wollen viele Kommentator*innen nichts wissen.

Aber Naughty Dog will, dass man diese zweite Sicht bekommt. Und wenn man sich als Spieler*in darauf einlässt, beginnt man tatsächlich, die Aktionen von Ellie zu hinterfragen. Abbys Kampagne muss so lang sein, damit man sich auch in diesen Charakter einfühlt.

Der Hass auf Abby hält sich allerdings hartnäckig, und so kriegen wenige mit, dass Abby sich inzwischen gewandelt hat. Sie hilft selbstlos Aussteigern der Seraphiten, einer Gruppierung religiöser Fanatiker. Dies tut sie unter hohem Risiko und bringt damit sogar die WLF gegen sich auf. Aber sie gewinnt neue Freunde, und erstmalig hat ihr Leben wieder einen Sinn.

Der Hass auf Abby hält sich allerdings hartnäckig, und so kriegen wenige mit, dass Abby sich inzwischen gewandelt hat

Natürlich führt auch Abbys Kampagne zu der Begegnung mit Ellie – nur diesmal aus Abbys Sicht. Ellie ist davongekommen, und Abby verfolgt sie tiefer ins Gebäude. Der vermeintlich finale Kampf zwischen Ellie und Abby wird als Abby gespielt – ein geschickter Schachzug von Naughty Dog. Würde man hier wieder Ellie spielen, wäre das Ziel des Kampfes nicht so hinterfragt worden. Ellie will niemand töten, Abby dagegen stirbt nach Meinung der Kommentator*innen gar nicht oft genug.

Es ist ein Kampf auf Leben und Tod, aber nachdem Abbys neuer Freund eingreift und das Blatt sich gegen Ellie wendet, lässt Abby sie, auf Zureden ihres neuen Begleiters, zum zweiten Mal gehen.

Ellie hat in diesem Moment auch keine Lust mehr auf den Rachekreislauf. In dem Gefecht sind weitere Freunde von ihr gestorben. Stattdessen folgt das, was ein schönes Happy End für das Spiel hätte sein können: Eine lange Szene des idyllischen Lebens von Ellie und Dina mit Dinas Baby auf der Farm, von der sie schon immer geträumt hat.

The Last of Us™ Part II © Naughty Dog
The Last of Us™ Part II © Naughty Dog

Kein Krieg ist heilig, kein Krieg ist gerecht

Dies wäre zwar ein schöner Abschluss für die Geschichte geworden, aber er hätte die eigentliche Aussage völlig verfehlt.

So kommt es, wie es kommen muss: Tommy erscheint und überredet Ellie, ihre Rache doch noch zu vollenden. Anfangs gegen ihren Willen, dann nur noch gegen den Willen Dinas. Dina droht ihr sogar offen an, dass sie nicht in dem Haus auf Ellie warten wird – wenn Ellie geht, wird Dina sie verlassen.

Natürlich geht Ellie los. In vielen Livestreams kommt es zu einem interessanten Effekt: Fast keine*r der spielenden Streamer*innen will das. Fast alle sind der Meinung, dass Ellie bei Dina bleiben soll, und dass Abby Größe gezeigt hat. Der Rachefeldzug soll hier enden.

Damit hat Naughty Dog genau das erreicht, was sie erreichen wollten. Die anfangs noch glorifizierte Rache wird jetzt als unnötig und schlecht angesehen. Aber es gibt noch ein erzählerisches Problem: Man kann die Geschichte nicht so in der Luft enden lassen.

Aber es gibt noch ein erzählerisches Problem: Man kann die Geschichte nicht so in der Luft enden lassen.

Deshalb macht Ellie sich also auf, um in Kalifornien nach Abby zu suchen. Auch hier spielt man wieder kurz Abby, nur um zu sehen, dass sie ihrem Ziel, mit ihrem neuen Begleiter versprengte Fireflys zu erreichen, tatsächlich näherkommt. Aufmerksamen Beobachtern fällt sogar auf, dass sie dafür Owens Boot benutzt, und damit am Ende seinen Traum in die Tat umsetzt, nachdem dieser leider nicht mehr dazu gekommen ist.

Allerdings werden die beiden von einer noch nicht bekannten Gruppierung gefangen genommen, der Verbleib ist unklar.

Ellie findet Abbys Spuren und wird ebenfalls von dieser Gruppierung gefunden, nachdem sie in eine derer Fallen stolpert. Hier liefert das Spiel endlich wieder ein klares Feindbild, welches im Folgenden auch bewusst ausgebaut wird. Interessant dabei: Die Leute halten sich Infizierte. Ob als Wachhunde oder zum Zeitvertreib, wird nicht ganz klar. Aber mindestens einer ist dabei, der die Infizierten auch aus Spaß quält – und manche*r Spieler*innen fühlen an der Stelle sogar Mitleid mit den Infizierten.

Manche*r Spieler*innen fühlen an der Stelle sogar Mitleid mit den Infizierten.

Auf jeden Fall kann Ellie bei ihrer Suche nach Abby wieder eine Blutspur hinterlassen. Naughty Dog spendiert hier sogar ein schallgedämpfte Schnellfeuerwaffe. Ellies Gedanken kreisen dabei nur um eines: Wenn diese Leute Abby zuerst umgebracht haben, dann können sie was erleben. Ich frage mich nur, was, denn tot sind die meisten von ihnen eh, nachdem Ellie da durchmarschiert ist.

Erst in letzter Sekunde zeigt Ellie Einsicht.

Ellie findet Abby am Ende halb verhungert und deutlich abgemagert. Dies ist wahrscheinlich nicht nur eine Folge der Gefangenschaft, schon bei der Anfangsszene des dritten Teils hat Abby deutlich weniger Muskelmasse. Ihre Rache ist beendet, und sie hat jetzt neue Aufgaben – darum hat sie wohl ihr Training schleifen lassen.

Ellie rettet Abby vor dem sicheren Tod, und das erste, was Abby macht, ist, ihren Begleiter loszuschneiden. Erst danach fängt Ellie den Kampf mit Abby aufs Neue an, den Abby nur sehr widerwillig aufnimmt, als sie sich verteidigen muss. Auch viele Spieler*innen haben gar kein Interesse mehr daran, Abby zu töten, nachdem sie sie näher kennengelernt haben.

Erst in letzter Sekunde zeigt Ellie Einsicht und lässt Abby und ihren Begleiter ziehen.

Im Teufelskreis der Waffen wird gestorben und gerächt

Erneut bewahrheitet sich: Durch den blinden Rachewahn verliert man am Ende alles.

Denn Ellie hat alles verloren. Dina und ihr Kind, Ellies Familienidylle, sind weg. Dina ist gegangen, wie sie es angedroht hat. Dies ist eine Parallele zu Owen, der sich ebenfalls von Abby abgewandt hat, als diese nur noch von Rachegedanken zerfressen war. Die Szene mit Owen und Abby im Aquarium ist dabei eine Analogie auf die Szene mit Ellie und Tommy auf der Farm im ersten Teil.

Und es gibt noch mehr Parallelen. Beispielsweise war Dina lange Zeit der einzige Halt für Ellie, wodurch sie die gleiche Rolle einnahm wie Abbys Begleiter Lev für Abby: Die Stimme der Vernunft, auf die man viel öfter hören sollte.

Abby hat Lev gerettet und aufgenommen, wie Joel am Anfang von Teil 1 Ellie gerettet und aufgenommen hat. Damit ist Abby am Ende von Teil 2 quasi der neue Joel. Es bleibt abzuwarten, ob sie für Lev genauso weit gehen würde wie Joel am Ende des ersten Teils für Ellie.

Ellie dagegen hat noch mehr verloren: Ihre letzte Erinnerung an Joel war das Lied, das er für sie geschrieben hat, und welches sie oft auf der Gitarre gespielt hat. Auch das ist Ihr jetzt genommen, da sie bei ihrem letzten Kampf zwei Finger verloren hat, sodass sie dieses Lied nicht mehr spielen kann. Auch hierfür gab es ein Foreshadowing: Im Spiel fällt zu einem früheren Zeitpunkt der sarkastisch gemeinte Satz „Werde wohl die meisten meiner Finger behalten“.

The Last of Us™ Part II © Naughty Dog
The Last of Us™ Part II © Naughty Dog

Rache führt immer nur zu Gewalt und Verlust, nie zu etwas Gutem. Naughty Dog hat es geschafft, diese Aussage in ein Spiel zu gießen. Von diesem Standpunkt betrachtet ist die Story nahezu meisterhaft erzählt – auch wenn der Inhalt der Story vielen nicht gefällt.

Am Ende bleibt die Frage, ob Ellie das verstanden hat. Und es bleibt die Frage, ob die Livestream-Kommentator*innen das verstehen.

 

Und jetzt entschuldigt mich bitte. Ich muss noch eine Petition schreiben.
An Reclam.
Ihr wisst schon.
Wegen Faust.
Weil Gretchen stirbt.

 

Neben dieser Story-Analyse haben wir natürlich auch eine Rezension von The Last of Us Part II für euch.

Artikelbilder: © Naughty Dog
Screenshots: Yola Tödt
Überschriften: Zitate aus dem Lied Kein Krieg der Gruppe Pur
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids

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