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Warum nicht mal ausgetretene Pfade beim Rollenspielen verlassen und nicht mal in ein antikes Setting fliehen? Wenn es da noch Drachen gibt, kann ja eigentlich nichts schiefgehen. Wir haben die Sandalen geschnürt, die Dungeons & Dragons-Regelwerke zurechtgelegt und stellen uns für euch furchtbaren Gegnern.

Warum nicht selbst als Minotaur auf Abenteuerreise gehen?

Auch in einer riesigen Welt wie der Schwertküste von Dungeons & Dragons (D&D) hat man irgendwann gefühlt alles erlebt. In all den Jahren hat man viele Orte gesehen, unzählige Bösewichte bekämpft und mehr als einmal alle gerettet. Warum nicht mal ein Abenteuer jenseits der ausgetretenen Pfade suchen? Mit Odyssey of the Dragonlords kombiniert Modiphius D&D 5e mit einem antiken Setting.

Der Band umfasst dabei neben einigen kompakten Hintergrundinformationen zur Spielwelt vor allem ein Abenteuer mit fast 300 Seiten Umfang. Abgerundet wird dies schlussendlich durch Regeln zur Heldenerschaffung inklusive neuer Rassen und Archetypen. Man bekommt hier an erster Stelle somit ein umfangreiches Abenteuer und nur an zweiter Stelle einen Setting-Band. All das soll euch vorgestellt werden, um zum Ende sinnvoll entscheiden zu können, für wen sich die Investition in das Abenteuer lohnt.

Willkommen in Thylea – Der Hintergrund der Welt

Der mystische Kontinent Thylea ist der Ort für einen guten Teil der Handlung des eigentlichen Abenteuers. Dieser befindet sich in einer nicht näher definierten Entfernung zu den bekannten Gebieten, wie beispielsweise der Schwertküste. Dabei ist er so weit entfernt, dass eine Intervention von Gruppierungen von dort nicht möglich ist, es aber gleichzeitig noch umsetzbar ist, Thylea-fremde Charaktere zu spielen.

Thylea ist dabei von einem uralten Konflikt geprägt. Einst das Land von Zentauren, Zyklopen und Feen, fassten die Völker von Menschen, Zwergen und Elfen hier nur langsam Fuß. Ausgeliefert waren diese dabei zwei Titanen: Sydon, der Herr der Stürme, und seine Schwester-Frau Lutheria, Herrin der Träume. Beide verlangten stete Opfer und andauernde Unterwerfung. Doch eines Tages kamen die sogenannten Dragonlords nach Thylea und führten, von den Rücken ihrer geflügelten Bestien, den Kampf gegen die Titanen und ihre Streiter. Der Konflikt war so allumfassend, dass er fast die Welt zerstörte und die Drachen selbst nach und nach den Tod fanden.

Thylea ist ein weitläufiges Land mit unterschiedlichsten Gebieten

Im Moment der schlimmsten Niederlage stiegen fünf Götter aus den Himmeln herab, um die Sterblichen zu unterstützen. Trotz allem konnte der Konflikt keinen Sieger hervorbringen und endete mit einem Eid des Friedens zwischen Göttern und Titanen, der 500 Jahre bestehen sollte. Doch diese Zeitspanne kommt nun zu einem Ende und das Orakel von Thylea hat den Untergang des kompletten Kontinents vorhergesagt, wenn sich nicht eine Gruppe Auserwählter dieser Gefahr in den Weg stellt.

Der Hintergrund ist hierbei kompakt, erfüllt aber definitiv seinen Zweck. Es werden Land, Leute und Götter vorgestellt, sodass man sich danach recht sicher in diesem Setting bewegen kann. Gleichzeitig bleibt so viel Freiheit, dass man sich nicht stoisch an zu eng gestrickte Hintergründe halten muss.

The Odyssey of the Dragonlords – Das eigentliche Abenteuer

Wenig überraschend sind die Spielercharaktere jene Gruppe von Auserwählten aus der Prophezeiung des Orakels, die sich dieser Aufgabe stellen sollen. Das Abenteuer erstreckt sich dabei nicht nur über den gesamten Kontinent, sondern auch quasi über die komplette Levelspanne der aktuellen D&D-Edition. So startet man klassisch auf Level 1 und kann, so man sich das ganze Abenteuer vornimmt, inklusive Epilog, ohne Probleme Level 17 oder 18 erreichen.

Den Einstieg bietet dabei die Jagd nach einem seltsam veränderten Eber, der Weiler und Farmen verwüstet: ein klassischer Einstieg im Stil der Aufgaben des Herakles. Dieser sehr deutliche griechische Charme ist jedoch nicht das ganze Abenteuer hindurch gegeben.

Die unterschiedlichen Teile des Abenteuers bieten eher klassische D&D-Kost in einem pseudoantiken Gewand. Wer hier eine Geschichtsstunde oder eine ernste Aufarbeitung der Ilias erwartet, wird wahrscheinlich am Ende enttäuscht sein. Stattdessen wechseln sich soziale Auseinandersetzungen und klassischer Dungeon-Crawl regelmäßig ab. Das Ganze ist dabei klar auf ein heroisches Fantasy-Setting ausgelegt. Wer eher bodenständige Charakterkonzeptionen mag, die nicht so viel Aufmerksamkeit in der Welt bekommen, wird sich hier potenziell nicht wohlfühlen.

Verwunsche Orte harren der Entdeckung
Verwunsche Orte harren der Entdeckung

Und das ist auch keineswegs etwas Schlechtes, denn das Abenteuer funktioniert in sich ausgezeichnet und macht genau das, was es soll. Schnell können sich die Charaktere wie die Helden der Geschichte fühlen, von denen viel abhängt, die sich aber nicht in einem luftleeren Raum bewegen.

Trotz dem doch recht schnell ansteigenden Ausrüstungsniveau kann man sich nicht unbesiegbar fühlen, sind die Gegner doch an vielen Stellen recht knackig konzipiert. Für unerfahrenere Gruppen, die nicht vollends das Potential all ihrer Fähigkeiten ausschöpfen, könnte es sich anbieten, den einen oder anderen Kampf daher zu modifizieren. Vor allem in den klassisch gefährlichen Spielerlevels von 1 bis 4 ist hier durchaus Fingerspitzengefühl gefragt, wenn man nicht den Tod der kompletten Gruppe riskieren möchte.

Das Abenteuer ist außerdem, auch wenn die Weltkarte dies nicht erscheinen lässt, relativ gradlinig. Eine echte Auswahl zwischen unterschiedlichen Zielen gibt es nur sehr begrenzt. Auch das ist nicht schlimm; man sollte hier mit den eigenen Spielerinnen und Spielern ehrlich umgehen. Dieses geradlinige Setting funktioniert jedoch ausgezeichnet, denn die Geschichte verliert sich nicht in ausufernden Nebenmissionen, die nichts mehr mit der Haupthandlung zu tun haben, sondern behält stets den Hauptstrang klar vor Augen.

Kein Abenteuer ohne Gegenstände, die es zu finden gilt.

Spannend ist an vielen Stellen, wie Figuren und deren Abhängigkeiten untereinander dargestellt werden. Die Spielwelt wirkt dadurch deutlich lebendiger, wobei die Charaktere nahezu immer im Fokus der Agierenden bleiben. Unter normalen Umständen könnte dieser Umstand, die Fixierung auf die Helden als Erlöser-Figuren, schnell abgegriffen werden. Im Zuge eines prophezeiten antiken Settings funktioniert dies jedoch ausgezeichnet. Der Handlungsverlauf bleibt dabei über nahezu den gesamten Zeitraum spannend und hat wenigstens eine kleine Wendung parat.

Das Abenteuer bietet dabei sehr solide Kost, die sich auch nicht hinter offiziellen Abenteuern von Wizards of the Coast verstecken muss. Untermalt wird das Ganze von den zusätzlichen Optionen für die Charaktererstellung.

Auf ins Abenteuer – Neue Heldenoptionen

Um dem Setting gerecht zu werden, bietet Odyssey of the Dragonlords einige neue Auswahloptionen: Bei den Rassen können die Spielerinnen und Spieler aus den klassischen Fantasy-Wesen der griechischen Mythologie wählen. Zentauren sind dabei genauso möglich wie Sartyrn, Minotauren oder sogar Medusen. Neben einer sinnvollen Anpassung, damit diese in das normale Stärkelevel der Gruppe passen, sind alle Rassen dabei, auch wenn ihre Monsteräquivalente innerhalb des Abenteuers größer sind, nur mittelgroß. Das erspart viel unangenehmes Gerechne und macht Designentscheidungen innerhalb eigens eingefügter Stellen deutlich leichter.

Die große Entscheidung jedes Heldendaseins ist ja oft die Wahl des Archetypen, und Odyssey of the Dragonlords bietet hier für jede der Standardklassen eine neue Option. Warum nicht einen Barbaren auf den Pfad des Herkules schicken und gleichzeitig Monster festhalten, während man sie verprügelt? Oder als Schurke im Sinne von Odysseus agieren und den Gegner überraschen? Die neuen Archetypen fügen sich dabei gut ein und wirken vernünftig balanciert. Ohne das Spielgefühl dauerhaft zu verändern, lassen sie die Charaktere doch noch mehr wie griechische Helden wirken – ein durchaus positiver Aspekt.

Der Hoplit ist einer der neuen Archetypen

Darüber hinaus wählt man zu Beginn des Abenteuers einen epischen Pfad für den eigenen Charakter. Dieser lässt einen aus acht unterschiedlichen Möglichkeiten wählen und verknüpft den eigenen Charakter bedeutend mit der Haupthandlung. So ist potenziell von einem Tag auf den anderen die Familie des Charakters fort und niemand kann sich daran erinnern, dass sie je gelebt hat. Oder aber der Charakter verspürt seit seiner Jugend das Gefühl, dass es immer wieder Leute auf ihn abgesehen haben. Auch für Charaktere außerhalb des Settings, die angespült wurden, existiert ein solcher Pfad. Im Laufe der Geschichte entwickeln sich diese Verknüpfungspunkte immer weiter, da einzelne Charaktere auf das Ganze reagieren und dementsprechend handeln. So wird man angenehm in den Hauptstrang hineingezogen. Empfehlenswert ist es dabei, jeden Pfad nur einmal zu wählen, damit das Spielerlebnis für alle noch intensiver wird. Bei einer Auswahl aus acht Pfaden sollte bei den meisten Gruppengrößen eine Verdopplung auch vermieden werden können.

Zuletzt sammeln die Charaktere neben Erfahrungspunkten und Ausrüstung auch Berühmtheit innerhalb des Abenteuers. Diese verändert in vielen Fällen, wie einzelne Persönlichkeiten auf die Charaktere reagieren. Dies ist ein schöner weiterer Faktor, der das heroische Setting betont. Abschließend finden sich noch ein paar Ausrüstungsoptionen, die aber primär kosmetischer Natur sind. Bronzerüstungen funktionieren beispielsweise genauso wie die Stahlgegenstücke aus den vergessenen Reichen. Insgesamt wird das griechisch-heroische Setting hier gut aufgegriffen und den Charakteren die Möglichkeit gegeben, sich selbst gut im Abenteuer wiederzufinden.

Was ist denn da drin? – Erscheinungsbild und Online-Version

Uns liegt zur Rezension eine PDF-Version des Regelwerkes vor, weswegen hierbei nicht auf Druck oder Farbstärke eingegangen werden kann. Das Abenteuerbuch ist aber grundsätzlich ordentlich aufgebaut, der Satz übersichtlich formatiert, das Werk ohne merkliche Verschreiber. In den meisten Fällen findet man auch schnell wieder, was man sucht. Nur bei den epischen Pfaden ist ab und an Geblätter angesagt, da die Aufzählung der Informationen, die die Spieler erhalten, sich zentral an einer Stelle des Buchs befinden und in den entsprechenden Spielszenen auf diese verwiesen wird. Dies ist aber so selten, dass es kaum ins Gewicht fällt. Ansonsten gibt es hier am Aufbau nichts Ernstes zu mäkeln.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Modiphius
  • Autor(en): James Ohlen, Jesse Sky, Drew Karpyshyn
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF/Hardcover
  • Seitenanzahl: 482
  • ISBN: 978-1912743407
  • Preis: PDF: Ca. 25 USD, Buch 39,99 USD
  • Bezugsquelle: Fachhandel, DriveThruRPG, Amazon, idealo

 

Downloadcontent/Roll20

Wer sich anschauen möchte, ob das Setting einem zusagt, kann das Spielerhandbuch für Odyssey of the Dragonlords kostenlos über drivethrurpg beziehen. Dort finden sich Informationen zum Hintergrund und alles, was die Spielerinnen und Spieler zur Charaktererstellung benötigen.

Über die uns gestellte PDF-Version hinaus haben wir uns noch die roll20-Version des Abenteuers angeschaut. Diese ist ebenfalls ordentlich gelungen, krankt aber ein wenig daran, dass das Abenteuer nicht von Wizards of the Coast selbst veröffentlicht wurde. So finden sich darin zwar die Werte für nahezu alle Monster, aber es wurden nicht für alle Monster Tokens mit entsprechenden Bildern eingefügt. Das Problem ist zwar zu lösen, erfordert auf die Masse gerechnet aber schon ein ganzes Stück Arbeit.

Willkommen in der Antike? – Ein Fazit

Zugegeben, Odyssey of the Dragonlords ist nicht vollends perfekt geworden. Es versprüht zwar antiken griechischen Charme, kann diesen aber nur in Teilen des Abenteuers aufrechterhalten. Was man hier jedoch geboten bekommt, ist ein geradliniges Abenteuer, dass einen auf eine epische Reise mitnimmt, in der die Charaktere wirklich Helden sein dürfen und sollen, ganz im Sinne eines antiken Heldenepos. Getragen wird die Geschichte durch toll gestaltete Kämpfe, abwechslungsreiche Dungeons und eigentlich alles, was das D&D-Herz begehrt.

Die neuen Möglichkeiten für Spielerinnen und Spieler ziehen einen dabei tiefer in die Geschichte und verbinden die Gruppe schnell zu einer Einheit, damit sich nicht x Individualisten dem finsteren Sydon stellen müssen, sondern wahre Auserwählte.

Wer daher ein neues Setting mit einigen Kniffen ausprobieren möchte, das aber gleichzeitig der Grundkonzeption vieler D&D-Abenteuer treu bleibt, ist bei Odyssey of the Dragonlords genau richtig aufgehoben.

Artikelbilder: © Modiphius
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt

4 Kommentare

  1. Hallo, weiß man schon, ob es dafür wohl eine deutsche Übersetzung geben wird?
    In diesem Fall könnte es von Vorteil sein, dass es kein offizielles Produkt ist, da sich WotC da wohl etwas anstellt mit Übersetzungen.

      • Ja, das stimmt schon. Aber wie ich mal gehört habe, fahren Wizards ja auch eine seltsame Übersetzungspolitik: Es gibt Produkte wie die regulären Regelbücher und einige große Abenteuer/Kampagnenbände wie Strahd, ToA, etc. und dann gibt es, immer noch offiziell von Wizards veröffentlichte, Bände wir Ravnica, Wildemount etc., für die sie aus irgendwelchen Gründen gar keine Übersetzungslizenz vergeben. Sollte ihr eigener Quellenband ebenfalls unter diese zweite Kategorie fallen (keine Ahnung, wonach sie das unterscheiden), fände ich es für einen deutschen Verlag (aber auch generell, denn ich hätte auf OotD deutlich mehr Lust als auf Wizards Produkt, tue mich mit Englischsprachigen Produkten jedoch immer schwerer) durchaus clever, dieses Buch zu übersetzen. Immerhin gab es das für Sandy Petersens Cthulhu für 5E und Herr der Ringe für 5E ja z.B. auch schon mal.
        Und ich bin doch sicher nicht der einzige, der gern eine epische, an die Antike angelehnte Kampagne spielen möchte! :-)

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