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Zwei Morde, ein Diebstahl und Orkengold – die besten Zutaten für ein gutes Abenteuer! Und dennoch lässt diese Publikation in der Fangemeinde bereits die Wellen höher als gewöhnlich schlagen. Warum das so ist, und was noch alles im neuen Heldenwerk steckt, hat sich unser Autor Torben genauer angeschaut.

Rache ist Blutwurst

– Erich Maria Remarque

Zunächst ergeht hier der Hinweis, dass es mir unmöglich war, einen spoilerfreien Text zu schreiben. Des Weiteren entschuldige ich mich schon im Vorwege, falls die eingebrachten Argumente und Meinungen zu diesem Abenteuer Unmut erzeugen sollten. Diese Rezension basiert auf den persönlichen und emotionalen Eindrücken, die unsere Rollenspielgruppe beim Spielen des Abenteuers durchlebt hat.

Neulich am Spieltisch (vor dem Abenteuer):

Spieler 1: Wir haben Andergast und Nostria ja nun im Süden hinter uns gelassen, dann wäre es doch nur logisch, wenn wir als Nächstes in Thorwal und Umgebung spielen, oder?

Spieler 2: Gibt es denn dazu schon DSA5-Publikationen?

Spieler 3: Ich glaube nicht, bislang nur zu Nostergast, dem Bornland, und ein paar anderen Regionen.

Meister: Das neue Heldenwerk spielt in thorwalscher Region. Ist laut Klappentext ein Detektivabenteuer.

Spieler 2: Ich hab‘ mir den auch durchgelesen, da geht es um einen Kindsmörder. Ich weiß nicht, ob ich das spielen möchte. Ist schon ziemlich krass.

Spieler 3: Ist doch ein Grund mehr, es zu spielen. Mörder fangen und langsam, qualvoll hinrichten!

Meister: Ich bereite das mal vor, und dann setzen wir uns nächste Woche zusammen und rücken dem Mörder zu Leibe.

Neulich am Spieltisch (nach dem Abenteuer):

Spieler 1: Ernsthaft jetzt? Das steht da so drin? Das ist die Lösungsidee?

Spieler 2: Wer hat sich denn sowas ausgedacht? Thorwalsches Recht in allen Ehren, aber das kommt mir doch etwas übertrieben vor.

Meister: Ja, ich hatte nach unserem Gespräch letztens auch nicht damit gerechnet, dass ich euch dazu bekomme, dem Plot zu folgen. Aber mit ein bisschen Umbauarbeit hat es dann ja doch mehr oder weniger geklappt.

Was genau verbirgt das Heldenwerk #10 – Rache ist Stockfisch für düstere Geheimnisse? Warum führt es an unserem Spieltisch zu emotionalen Auseinandersetzungen und Gesprächen über moralische Bedenklichkeit? Gehen wir der Sache auf den Grund.

Inhalt

In einem kleinen Fischernest im südlichen Thorwal sind eine Mutter und ihr Säugling erschlagen worden. Ja, ein Säuglingsmord. Und an dieser Stelle begannen bereits die ersten Diskussionen in unserer Rollenspielrunde; aber auch in den Kommentaren anderer Rezensionen kann man die eine oder andere Meinung zu diesem Abenteuereinstieg lesen.

Bin ich vielleicht zu zartbesaitet? Wünsche ich mir ein Blümchen-Aventurien, das so nicht geplant ist? Sollte ich vielleicht mal ein paar Staffeln Game of Thrones gucken, um beim Gewaltniveau in der Mainstream-Fantasy des Jahres 2017 anzukommen? Bin das wirklich nur ich, der einen Plot um zerstückelte Säuglingsleichen komplett unpassend für ein an Einsteiger gerichtetes, einen Spielabend füllendes Heldenwerk findet?

, schreibt Ackerknecht als Gastrezensent bei Nandurion.

 

Unrecht hat er damit nicht, beschließt meine Gruppe, und findet diesen Einstieg moralisch bedenklich. Ich selbst bin zwiegespalten, da wir auch schon in den Schwarzen Landen gespielt haben, und da ging es nicht weniger unmoralisch zu.

Aber zurück zum Wesentlichen, zum Inhalt des Abenteuers. Der Lebensgefährte der Toten ist verschwunden. Für die Meisten ist der Fall sonnenklar: Ulfhilda (die Tote) hat ihren Sohn erschlagen, aus Zorn darüber hat Halgrim (ihr Lebensgefährte) Ulfhilda erschlagen. Da Ulfhilda die Tochter eines verbannten Walfängers ist, ist ihr alles zuzutrauen, und Halgrim hat ganz im Sinne der Gemeinschaft gehandelt. Nur Ulfhildas Schwester Swafrieda glaubt nicht daran. Sie ist sich sicher, dass der Hetmannssohn Ysten etwas zu verheimlichen hat, und Halgrim soll seine gerechte Strafe erhalten. Also macht sie sich auf eigene Faust auf, um Rache zu üben. Dass die verstrickte Situation ein böses Ende nimmt, ist abzusehen, zumal ihr auch der wütende Hetmann auf den Fersen ist, der einen Ersatz für sein Fischerboot haben möchte. Swafrieda hat darin nämlich ihre Schwester und das Kind zur See bestattet.

Das Abenteuer ist in drei Kapitel unterteilt und setzt erst mit der Seebestattung der Toten ein. Den Kindsmord und auch den Totschlag der Mutter erfahren die Helden nur aus Berichten, sodass sie eine gewisse Distanz zu der Gräueltat wahren können. In einem Kommentar schreibt die Autorin Gudrun Schürer zum Thema Kindsmord:

Offensichtlich habe ich damit – unbeabsichtigt – einen Nerv getroffen. Sehr bedauerlich, zumal der Mord nicht das Thema des Abenteuers ist, sondern vor Augen führen soll, dass es sich die Dorfbewohner lieber in ihren selbstgerechten Vorurteilen bequem machen, statt einem abscheulichen Verbrechen nachzugehen.

So ist der Plot schnell erklärt, denn die Helden müssen als Detektive zunächst das Geschehene rekonstruieren, was nicht schwerfällt. Um die Helden auf Kurs zu halten, sind nützliche Hilfestellungen unter der Überschrift „Wenn die Helden nicht so wollen, wie sie sollen“ beschrieben. Der Handlungsstrang ist so gewählt, dass sich das Abenteuer an dieser Stelle sehr frei gestalten lässt, allerdings sind die Helden gezwungen, Swafrieda nach Vedvarnheim zu befördern, damit sie später von dort fliehen kann.

Die Beschreibung der Protagonisten fällt zwar sehr kurz aus, dafür haben sie allerdings gut ausgewählte Motivationen und steuern dem Abenteuer eine emotionale Tiefe und Substanz bei.

Swafrieda (Schwester der Toten)

Sie möchte Gerechtigkeit für ihre Tote Schwester und deren Kind. Aus Trotz und Wut begeht sie ein Verbrechen und stiehlt das Fischerboot des Hetmanns. Letztlich ist sie die tragische Rolle, denn sie hat einen herben Verlust hinnehmen müssen, und ob ihrer Herkunft findet sie kein Gehör.

Frikk (Hetmann)

Er ist die lange Hand des Gesetzes, wenngleich er hier als Kläger auftritt, denn ihm wurde ein Boot gestohlen und versenkt. Er will in erster Linie seinen Verlust ersetzt haben.

Ysten (Sohn des Hetmanns)

Er hatte eine Affäre mit Ulfhilda, und das Kind stammte von ihm. Er ist damit Auslöser des Streites, der zum Tode der beiden geführt hat.

Halgrim (Lebensgefährte der Toten)

Als er von einer Geschäftsreise nach Hause kommt und erkennt, dass das Neugeborene nicht von ihm stammt, stellt er seine Frau zur Rede. Im Streit kommt es zu Handgreiflichkeiten, und seine Frau stürzt und verletzt sich tödlich. Den Säugling bringt er um und verlässt daraufhin den Ort des Verbrechens, um seinem Geschäftspartner nachzueilen.

Mit dem ersten Kapitel und der Untersuchung des Tatortes endet das Detektivabenteuer im weitesten Sinne. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Verfolgung der flüchtigen Swafrieda und des Mörders Halgrim und wird somit eher zum Railroad-Abenteuer. Durch den begrenzten Platz des Heldenwerks benötigt dieses Kapitel zudem einiges an Ausarbeitung, wie zum Beispiel Zufallsbegegnungen. Die Protagonisten können aber sehr gut genutzt werden, um die Reise mit kommunikativen und rollenspielerischen Szenen auszuschmücken.

Haben die Helden schließlich die Flüchtigen eingeholt, beginnt das kuriose Spiel von Recht und Gerechtigkeit – und die Helden sind mittendrin. Auch die abgedruckten Informationen zur thorwalschen Rechtsprechung halfen hier nur wenig, um meiner Gruppe den vorgeschlagenen Lösungsweg näherzubringen. Während die rechtschaffenen Helden Halgrims Kopf oder zumindest eine Strafe fordern und damit Swafrieda unterstützten, will dieser sich von der Schuld freikaufen.

Curima kommentiert diese Situation, zu Ackerknechts Rezension, sehr treffend:

Ich hätte als Spielerin vermutlich kein Problem mit der grundsätzlichen Idee, dass der Kindsmord stattgefunden hat und man den Täter sucht. Nur dass das dann nicht damit endet, selbigen zur Strecke zu bringen und der Gerichtsbarkeit zuzuführen (oder einfach umzubringen), sondern man mit ihm gemeinsame Sache machen soll (und dabei das Klauen des Fischerbootes anscheinend gleich schwerwiegend sein soll wie ein Mord an einem Säugling) – DAS würde auch vermutlich keiner meiner SC mitmachen.

Auch in unserer Rollenspielgruppe wollten die Helden den Handel mit Halgrim (Orkengold stehlen, sich freikaufen, Swafriedas Schuld abbezahlen) partout nicht eingehen, und der hilfreich gedachte Hinweis im Abenteuer „Auf Kurs gebracht“, welcher die Helden unter Zugzwang stellen soll, um trotzdem das dritte Kapitel zu bestreiten, erschien mir sehr gekünstelt. Mit einigen Anpassungen jedoch (der Jarl lässt Halgrim hinrichten, und dieser bittet in den letzten Worten um die Rettung eines Prospektors aus einem Orklager, in dem es auch wertvolle Metalle geben soll) lässt sich das Abenteuer bis zum Ende spielen.

Kapitel drei behandelt inhaltlich, wie sicherlich bereits vermutet, den Überfall oder die Infiltration des Orklagers, die Befreiung eines Prospektors, und die Inbesitznahme des Orkengoldes. Aus  Letzterem kann auch Swafriedas Schuld beglichen werden, sodass es mehr oder weniger zu einem Happy End kommt.

Das Orklager und der Überfall auf dasselbe sind sehr gut beschrieben und bieten diverse Möglichkeiten des Vorgehens. Vom Alveranskommando bis hin zur dreisten Täuschung sind alle Wege offen. Ein Lageplan und die Beschreibungen bieten zudem eine gute Grundlage für die Planung und Vorbereitung des Überfalls am Spieltisch.

Erscheinungsbild

Das Erscheinungsbild des Heldenwerk #10 bietet auf den ersten Blick bereits den Hinweis, dass das Abenteuer in thorwalsche Gefilde führt. Der lustige Name „Rache ist Stockfisch“ hinterlässt allerdings einen witzigeren Eindruck, als das mit Mord, Totschlag und Rache gespickte Abenteuer am Ende bietet. Am Format, an Schriftgröße und Schriftart ist nichts auszusetzen, da diese sehr leserlich sind, und auch das Hervorheben besonderer Informationen ist auf dem gewohnten, guten Standard der derzeitigen Publikationen. Die verwendeten Illustrationen diverser Künstler/-innen passen gut in das Setting, wenngleich die 12jährige Swafrieda sehr erwachsen wirkt und eher an Cara Delevingne im Pelz-Look, denn an eine Köhlerstochter erinnert.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ulisses Spiele GmbH
  • Autor(en): Gudrun Schürer
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch
  • Format: DIN A4
  • Seitenanzahl: 16 Seiten
  • Preis: ~3,00 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Ulisses Ebooks

 

Bonus/Downloadcontent

Es ist kein Bonus- oder Downloadcontent enthalten.

Fazit

Das Heldenwerk-Abenteuer Rache ist Stockfisch ist ein sehr schönes und spannendes Detektiv-, Reise- und Wildnisabenteuer. Die Protagonisten und Antagonisten sind durch ihre individuelle Sichtweise essentiell für die Spielatmosphäre und bringen die nötige, emotionale Tiefe in das Abenteuer hinein. Die Konstellation der verschiedenen Parteien zueinander, und die Verstrickung der Helden in eben diese, machen das Abenteuer zu einem kurzweiligen Erlebnis. Die Rahmenhandlung ist recht simpel gehalten, was dem fehlenden Platz der Publikation geschuldet ist, dies tut dem Spielspaß aber keinen Abbruch. Als Spielleiter bedarf es, ebenfalls wegen des beschränkten Raumes, einiger kleiner Nachbesserungen, und eine Absprache mit der eigenen Gruppe zu den Themen Moral, Recht und Gesetz ist durchaus im Vorfeld sinnvoll.

Als Einsteigerabenteuer bietet sich Rache ist Stockfisch nur dann an, wenn die Heldengruppe sehr offen mit Recht und Gesetz umgeht (kein Schwarz-Weiß-Denken) und keine klare Feind-Definition erwartet.

Artikelbild: Mia Steingräber, Marc Margierlsky und Petra Rudolf für Ulisses Spiele GmbH 2017
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

1 Kommentar

  1. Sehr gute Rezension.
    Und gut, dass sie auf einem Spielerlebnis beruht. (Rezensionen anderer Webseiten beruhen leider oft auf der reinen Lektüre des Abenteuers.)

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