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Rollenspiel bietet uns die Möglichkeit, (fast) alles an Rollen zu spielen. Allzu oft entscheiden sich Spieler*innen jedoch für Charaktere, die auf den ersten Blick nicht so genau zusammenpassen zu scheinen – warum sollte sich beispielsweise ein*e Adlige*r mit einem*r Rattenfänger*in als Weggenosse*in abgeben? In diesem Artikel erfährt man mehr. 

Einleitung

DM: „Guys, please, I want you to roleplay this. Remember, you’ve never met this guy before, the last guys you’ve met tried to kill you, and you’re standing in the ruins of an evil, cursed castle. Just act appropriately.
Player 1: „Hello. I am Magellan, a travelling mage. I noticed your group has no wizard.
Player 2: „You seem trustworthy. Would you care to join us in our noble quest?

The Gamers

In so mancher Rollenspielrunde ist die Gruppenzusammenführung denkbar simpel. Man geht einfach davon aus, dass sich die gespielten Charaktere schon lange und gut genug kennen, um gemeinsam auf Abenteuer auszuziehen. Dieser Ansatz ist wohl erprobt und sorgt für spaßige Spielzeit. Und selbst wenn ein einzelner Charakter neu hinzustößt, so lässt sich das Vertrauen der anderen schnell aufbauen, indem er jemanden aus der Gruppe bereits kennt.

Und dann gibt es die anderen Runden. In diesen ist die Zusammenführung der Gruppe etwas komplexer. Sei es, weil die Spieler*innen ihren Hintergrund genau ausspielen möchten, um den Charakter vor der eigentlichen Session Zero besser kennenzulernen. Vielleicht muss aber auch ein verstorbener Charakter ersetzt werden und es ist gerade kein passender neuer zur Hand. Dieser benötigt eine etwas detailliertere Ansammlung von Gründen, auch bekannt als Hintergrundgeschichte, warum er mit der Gruppe der gespielten Charaktere zusammentrifft und bei ihnen bleiben möchte. Gerade in länger existierenden Runden kann die Einführung eines neuen Charakters für Probleme sorgen. Speziell, wenn dieser eventuell schon in anderen Runden gespielt wurde und deswegen eigene Macken und Vorlieben entwickelt hat.

Manchmal wacht man mit seltsamen neuen Freund*innen auf … © Depositphotos | Kagenmi

Ein anderer Fall von Inkompatibilität liegt vor, wenn den Spieler*innen und somit ihren Charakteren ein gemeinsamer Fokus fehlt, das große Ganze, auf das sie hinarbeiten können oder wollen. Ein Mangel an Gemeinsamkeiten und ein daher nicht vorhandenes Gruppenziel ist hier noch schädlicher für den langfristigen Spielspaß als gelegentliche Animositäten zwischen Spieler*innen und ihren Charakteren. Letzteres zeugt zumindest davon, dass die Leute am Spieltisch das gemeinsame Spiel genießen und deswegen zusammen sein wollen. Wenn auch kein „hohes Rollenspiel“ (was auch immer das sein mag) zustande kommt, zumindest hat die Spielrunde Freude bereitet.

In all diesen Fällen kann es deswegen von Nutzen sein, wenn man als Spielleitung schon den ein oder anderen Gedanken daran verwendet hat, wie man eine Gruppe neu zusammenschmieden kann. Bedenkt bei all diesen Ideen und Vorschlägen, dass sich nicht alles rein aus der inneren Logik der Spielwelt ergeben muss, damit ihr zu einer gemeinsamen Spielgruppe kommt. Oder, anders ausgedrückt, die Spieler*innen werden bei so manchen Ideen gewiss ein Auge zudrücken, wenn man dafür gemeinsam Pen-and-Paper spielen kann. Lasst ab und an die Fünfe gerade sein.

„Ihr trefft euch also alle in einem Kerker …“

Spielleiter, gegen Ende des Spielabends: „Ihr werdet schließlich von der Stadtwache in den Kerker des Wachhauses geworfen. Sie schließen die Türe hinter euch. Was tut ihr?“
Spieler: „Ah, endlich geht das Abenteuer los!“

Meine Spielrunde, als wir das letzte Mal in Vvardenfell gespielt haben.

Wohl keine andere (Computer)rollenspielreihe als Bethesdas The Elder Scrolls hat das Stereotyp des im Gefängnis beginnenden Abenteuers so zum Exzess verwendet, dass es schon seit über einem Jahrzehnt zum Meme geworden ist. Und warum auch nicht? Ein gemeinsamer Ausbruch ist ein tolles gemeinsames Ziel für willkürlich zusammengewürfelte Runden, die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben.

Spannend wird es hier erst, wenn die Charaktere ihr Ziel, nämlich den erfolgreichen Ausbruch, erreicht haben. Ist das Spiel nicht auf das Szenario des Ausbruchs beschränkt, steht man hier wieder vor dem Problem, warum die Charaktere miteinander weiter abhängen sollen, die außerweltiche Motivation der Spieler*innen einmal außen vor gelassen.

Hier kommen wir nur gemeinsam wieder raus. © Depositphotos | Ranid

Idealerweise findet sich während des Ausbruchs (der durchaus einen ganzen Spielabend oder auch länger dauern kann, wenn das Gefängnis nur groß genug ist) ein oder mehrere Gründe, warum die Charaktere nach dieser Unternehmung weiter zusammen bleiben möchten. Vielleicht haben sie ein wichtiges Geheimnis mitbekommen, das ihnen helfen beziehungsweise schaden kann? Eventuell ist ihnen nach dem Ausbruch immer noch die Wache auf den Fersen und sie müssen gemeinsam kämpfen, um frei zu bleiben? Haben sie mit dem Ausbruch wirklich ihre Ketten abstreifen können?

Vielleicht ist auch genug Vertrauen zwischen den Charakteren aufgebaut worden, damit sie Verbündete geworden sind, die sich nicht mehr im Stich lassen wollen. Es ist aber auch legitim, wenn das Verhältnis rein auf Professionalität beruht und sie nur wegen der Beute gemeinsam auf Abenteuer ziehen wollen.

Man sieht schon, dieser Ansatz birgt einige Optionen, aber auch Gefahren für das Zusammenspiel in einer Gruppe mit diversen Charakterhintergründen. Je kürzer das Abenteuer angesetzt ist, desto leichter ist diese Möglichkeit vermittelbar.

Verurteilt zum Kanaldienst

Eine Variante von „Ihr müsst gemeinsam ausbrechen“: In diesem Szenario ist die Rechtsprechung etwas progressiver in der Verurteilung ihrer Verurteilten eingestellt und die Charaktere wurden zum Dienst an der Gemeinde verurteilt, bedeutet Dreck im Kanal schippen beziehungsweise bewachen.

Wie „frei“ sich die Charaktere hier bewegen können, hängt natürlich von dem Grund ihrer Verurteilung ab. Da es kaum Spaß machen dürfte, Kettensträflinge zu spielen, wäre es hier ratsam, die Charaktere unter einer eher laxen Aufsicht der Obrigkeit zu haben, derer sie schnell entfliehen können. Und während des „freiwilligen Dienstes für die Gemeinde“ könnten sie ein Geheimnis entdecken, das nicht für die Augen der Charaktere bestimmt war. Wir wissen schließlich alle, dass Skaven nicht existieren …

Eine weitere Variante dieses Themas der zwangsweise gepressten Abenteurergruppe wäre die Welt Falkovnia in Van Richten’s Guide to Ravenloft. Diese Welt ist dem Untergang geweiht. Die untoten Legionen haben de facto gewonnen, die Menschen kämpfen nur mehr gegen das Wann, nicht das Ob ihrer endgültigen Niederlage. In einer solchen Situation werden alle zu Held*innen. Zwangsläufig, denn alle werden zur Miliz eingezogen und müssen gegen die Zombies kämpfen. Die kompromisslos düstere Ausgangssituation mag für viele Rollenspieler*innen abschreckend sein, aber so gnadenlos muss man als Spielleitung seine Runden auch nicht anlegen (und sollte es, außer für ganz spezielle Spieler*innen, auch nicht tun). Feindlicher Druck von außen, sei es die Belagerung einer Stadt, ein Krieg mit all seinen großen und kleinen Konflikten, aber auch Naturkatastrophen wie die allzu rasch steigende See in einem Atlantissetting (besonders aktuell in unserer Gegenwart der Klimakatastrophe) zwingen auch Menschen und andere Wesen zur Kooperation, die ansonsten keinen Grund dazu gehabt hätten.

Das Gasthaus am Ende der Welt

Wir haben bereits die externe Gefahr als Motivation für Gruppenzusammenhalt behandelt. Aber nicht nur Druck von außen, sondern auch eine eingeschränktere Welt für die Charaktere kann zum gemeinsamen Handeln zwingen. Ein eingeschneites Gasthaus mitten im Wald kann eine wunderbare Kulisse für eng abgesteckte Abenteuer werden. Wenn die Held*innen wegen der Kälte keinen Schritt raus aus der Tür wagen wollen, im Haus selbst aber ein*e Mörder*in umgeht, wird es für Spieler*innen wie Charaktere schnell spannend.

In einer einsamen Berghütte im Winter schrumpft die Welt ganz automatisch auf die anwesenden Charaktere. © Depositphotos | VladisChern

Und plötzlich kamen zwei Typen mit Uzis ins Zimmer …

Nach der alten Rollenspielmaxime „wenn es langweilig zu werden droht, lass zwei Typen mit Uzis in den Raum stürmen“ kann jede gesellschaftliche Veranstaltung, welche die Charaktere besuchen, zu einem zusammenschweißenden Ereignis werden. Während bei einem gesellschaftlichen Empfang zunächst jeder Charakter seine eigenen Ziele verfolgt, wird die Situation auf einmal eine ganz andere, wenn die Gesellschaft angegriffen wird, die Charaktere gemeinsam eines Verbrechens angeklagt werden oder sie zufälligerweise gemeinsam eine inkriminierende Situation mitbekommen – die Möglichkeiten gerade beim Spiel mit dem sozialen Stand sind mannigfaltig. Besonders, wenn in dem Beispiel mit der Anklage eines Verbrechens einer der Charaktere tatsächlich der*die Schuldige sein sollte …

Gerade bei Szenarien mit unmittelbarer Bedrohung sollte man sich besondere Gedanken um den*die Antagonisten*in machen. Die Charaktere sind die Held*innen des Spiels – warum eigentlich? Warum wurden sie in diese Situation hineingezogen? Was hat der*die Antagonist*in davon, gegen die Charaktere vorzugehen? Oder sind die Charaktere, wie bei so manchem Shadowrun, nur Ablenkung für die wahre Haupthandlung?

Wichtig ist bei all diesen Beispielen, dass sich der Zusammenhalt der Gruppe schneller entwickeln muss, als die bei bereits fertig konzipierten und erstellten Gruppen der Fall ist. Seid euch bewusst, dass es leider immer vorkommen kann, dass Charaktere (oder auch ihre Spieler*innen, wenn jemand neu dazu stößt), nicht zusammen passen wollen. Das kann passieren und wird auch immer wieder mal vorkommen. Daran ist in den meisten Fällen niemand schuld. Ein soziales Spiel wie Pen-and-Paper funktioniert nun mal nicht mit jeder Person.

Fazit

Manches Mal benötigt man etwas Druck von außen, um die Charaktere zu einer funktionierenden Gruppe zusammenzuschweißen. Die Spannung, eine akute gemeinsame Bedrohung abwehren zu müssen, sorgt für eine unmittelbare Zusammenarbeit. Die Kunst ist es dann, dieses Momentum in ein langfristiges Vertrauen und Miteinander zu übertragen.

Was nehmen die Charaktere aus ihren gemeinsamen Erlebnissen während dieser unmittelbaren Bedrohung wahr beziehungsweise mit? Was hat sich für die Charaktere durch ihre Taten geändert? Wie haben sich ihre Situation und ihre Ansichten geändert, wenn überhaupt? Haben die Charaktere zusammen eine Entwicklung erlebt, auf welcher ein gemeinsames Fundament möglich ist, und sei es nur, dass sie Freund*innen geworden sind? Zusammen durchgestandene Gefahren können ein großartiger Grund sein, warum man auch danach weiterhin zusammen abhängt. Vielleicht haben sie auch nur erkannt, dass sie sich nur auf einer professionellen Ebene aufeinander verlassen können. Und das wäre ja auch ein Grund, um auf gemeinsame Abenteuer auszuziehen.

Sicher ist eines: Nach solchen gemeinsamen Erlebnissen gibt es viele Gründe, um zusammen auf ein Abenteuer zu gehen. Viel Spaß dabei.

 

Artikelbild: © Depositphotos | antrey
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Denise Hollas

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