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Wenn dir Call of Cthulhu zu lebensbejahend, Recon zu friedfertig und Ratten! zu heroisch ist, dann findest du vielleicht in Warhammer Fantasy 2nd Edition ein passendes Rollenspiel für dich. Der Urvater des Genres Grimdark wird hier näher vorgestellt. Ob als Rattenfänger*in oder Flagellant*in, pass auf die Dinge im Dunkeln auf…

Zu Beginn war es Grimdark…

Warhammer Fantasy 2nd Edition ist ein absoluter Klassiker des Low-Fantasy-Genres. Neben Platzhirschen wie Dungeons and Dragons, Pathfinder, Das Schwarze Auge und unzähligen weiteren Vertretern des Genres Fantasy bediente Warhammer immer eine besondere Sparte. Diejenigen Spieler*innen, die es gerne düster, gefährlich und dreckig hatten, fanden in diesem Franchise eine sichere Heimat. Hier spielt man keine überlebensgroßen Held*innen, sondern ganz normale Menschen (und Zwerge, Elfen und Halblinge), die über sich hinaus wachsen (aber nicht mutieren!) müssen.

Ein Klassiker.

Egal, ob man gegen hinterhältige Elfen, brummige Zwerge, fanatische Skaven oder noch Schlimmeres zu Felde zieht, Warhammer zeigt im Gegensatz zu „saubereren“ Systemen eine grundlegend erfrischende Menge an Grausamkeit und Zynismus. Während man in anderen Systemen für Ruhm und Glorie kämpft, ist es in Warhammer schon ein Erfolg, den Tag einfach nur überlebt zu haben. Schließlich hat man nicht dieselben übermenschlichen Fähigkeiten wie in anderen Systemen, kämpft aber ebenso gegen Horden an Gegnern wie Orks, Tiermenschen und Dämonen. Warum die zweite Edition dieses tollen Spieles heute noch absolut empfehlenswert ist, kannst du in diesem Artikel lesen.

Warhammer Fantasy ist mittlerweile in seiner vierten Edition spielbar. Während die ersten beiden Versionen einander sehr stark glichen, versuchte die wenig geliebte dritte Edition einen Ansatz, der das Spiel mit speziellen Würfeln und einer Menge an Pappmarkern eher an ein Brettspielerlebnis heranführen sollte. Die aktuelle vierte Edition, die Kollege Fuchs an anderer Stelle bereits besprochen hat, machte einen Sprung rückwärts nach vorne und gleicht wieder etwas mehr den beiden älteren Ausgaben des Spiels. Die Zwerge unter uns werden mit Sicherheit zustimmend grummeln.

Die Alte Welt und darüber hinaus

Die Welt von Warhammer, deren Landmassen grob an eine Weltkarte unserer Erde angelehnt sind, ist ein Sammelsurium historischer und Fantasytropen aus den 80ern. Je weiter man vom zentralen Imperium der Menschen wegreist, desto exotischer wird es. Die Welt steht am Abgrund – ständig droht die Gefahr, von dunklen Mächten aus einem Interdimensionstor verschlungen zu werden, das dimensionsreisende höhere Wesen zurückgelassen haben.

Zentraler Ort der meisten Kampagnen ist das Imperium, eine lose an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation angelehnte Konföderation hauptsächlich von Menschen bewohnter Kurfürstentümer. Neben Menschen unterschiedlicher Kulturen gibt es auch noch Halblinge, Zwerge und Elfen sowie eine überaus bunte Schar an Monstern, denen die Charaktere begegnen können (und werden). Neben den offensichtlichen Bedrohungen aus dem Norden ist bei Warhammer vor allem die ständige Gefahr im Inneren ein Thema – Mutationen, Wahnsinn und Verzweiflung in einer dem Untergang geweihten Welt. Man sieht also, für die Spieler*innen ist immer etwas zu tun. Und für die Spielleitungen gibt es immer eine Fülle an „Bedrohungen der Woche“, die man den Spieler*innen entgegen werfen kann.

Durch die ständige Bedrohung aus dem Norden (das Chaos) werden auch zusammengewürfelte Gruppen leichter erklärbar („warum genau noch mal hängen ein Adliger, eine Diebin, ein Lumpensammler und eine Ritterin gemeinsam in den Abwasserkanälen ab?“), die sich durch die zufällige Erstellung der Charaktere zumeist ergeben.

Neben dem „Standardsetting“ des Imperiums gibt es noch etliche Erweiterungen für Abenteuer in anderen Gebieten. In Realm of the Ice Queen kann man in Kislev, dem russisch/polnisch angehauchten Grenzgebiet zum Reich des Chaos, sein Glück versuchen. In Karak Azgal, einer verlorenen und wieder neu besiedelten Zwergenfestung, können die Freund*innen des gepflegten Hack-and-Slay in einem gewaltigen Megadungeon voll auf ihre Kosten kommen. Reiche des Chaos beschert interessierten Spielleitungen und ihren Spieler*innen mehrere (!) W1000-Tabellen, mit denen man genüsslich die neuesten merk- und denkwürdigen Mutationen seiner Charaktere auswürfeln kann. Neben diesen drei Beispielen gibt es für fast jede Gegend der Warhammer-Welt einen eigenen Ergänzungsband. Das schiere Ausmaß an Erweiterungen, die für dieses Spiel erschienen sind, ist bemerkenswert.

Das Spielsystem 

Warhammer 2nd Edition ist grundsätzlich ein W100-System. Mit zwei zehnseitigen Würfeln sind die allermeisten Würfe schon erledigt. Man möchte hohe Werte und niedrige Würfe haben. Man würfelt entweder gegen einen durch die Spielleitung festgelegten Wert oder macht einen vergleichenden Wurf, bei dem beide Konfliktparteien möglichst niedrig würfeln wollen und hoffen, möglichst viele Zehnerstellen unter ihrem Wert zu landen.

Grundsätzlich steht jeder Charakter in einer „Karriere“, einem Schema, in welchem er*sie sich steigern kann. Jede Karriere unterscheidet sich darin, in welchen Fertigkeiten und Attributen man sich verbessern kann. Es gibt einige dutzend Grund- und Ausbaukarrieren, und viele kann man nur dann beginnen, wenn man konkrete Vorkarrieren und -bedingungen abgeschlossen hat beziehungsweise besitzt.

(Keine) Held*innen – die Charaktererschaffung

Zu Beginn des Abenteuers wählt man seinen Charakter aus vier Rassen (Menschen, Elfen, Halblinge und Zwerge) sowie sein Geschlecht. Ein Großteil der Entscheidungen beim Charakterbau ist für den*die Spieler*in damit auch schon erledigt, denn fast alles weitere, bis auf ein paar „wähle zwischen diesen beiden Fertigkeiten“-Entscheidungen, überlässt das Spiel im weiteren Verlauf der Erstellung dem Zufall der Würfeltabelle. Hier kann man auf so illustre Karrieren wie beispielsweise Rattenfänger*in, Flagellant*in oder Trollslayer*in stoßen, wobei manche Karrieren, wie der*die Trollslayer*in, nur manchen Rassen vorbehalten sind (und das Regelbuch in diesem Falle warnt, dass der Charakter unweigerlich irgendwann sterben wird). Die meisten Karrieren können jedoch von allen gewählt werden.

Eine Karriere als Rattenfänger*in. Nicht jede*r Held*in startet mit dem Silberlöffel im Mund.

Körperliche Merkmale werden zwar zufällig ausgewürfelt, haben aber keine regeltechnischen Auswirkungen auf das Spiel. Ebenso verhält es sich mit Namen, Sternzeichen, Familienstand und Geburtsort des Charakters. Hier vertraut Warhammer ganz auf die Spieler*innen, die selbst etwas aus ihren Herkunftsangaben, Verwandtschaftsverhältnissen und körperlichen Merkmalen machen können. Im Vergleich zur aktuellen fünften Edition von Dungeons and Dragons, in welcher die Herkunft fixe Boni und Ausrüstung verleiht, ist das ein angenehm freies Konzept.

Man erhält für überwundene Aufgaben und erschlagene Feinde wie in so vielen anderen Rollenspielen Erfahrungspunkte, welche den Charakter stärker, besser und toller machen. So weit so klassisch. Nachdem man alle möglichen Aufstiege innerhalb seiner aktuellen Karriere abgeschlossen hat, ist es schließlich an der Zeit, eine Folgekarriere zu wählen. Je nach Karriere ist das allerdings fest vorgegeben und fix. Dies ist eine sehr restriktive Herangehensweise, die  Spieler*innen etwas zu eng reglementiert vorkommen könnte.

Die Autoren von Warhammer haben natürlich verstanden, dass dieses System in seiner reinen Form sehr einschränkend sein kann und haben deswegen für die Erstellung der Charaktere die Regel „Shallyas Gnade“ eingeführt. Diese gewährt, dass beim Auswürfeln der Grundwerte immerhin ein Wert auf den Durchschnitt gesetzt werden darf. Des weiteren erlaubt eine optionale Regel, dass man auch mit den doppelten Kosten an Erfahrungspunkten auf eine Grundkarriere wechseln kann, die so eigentlich nicht vorgesehen ist. Wenigstens das. Um eine Folgekarriere beginnen zu dürfen, muss man seine eigene Karriere abgeschlossen haben und die Ausrüstungsgegenstände der angestrebten Folgekarriere bereits besitzen: möchte man beispielsweise Pat*in werden, benötigt man eine Verbrecherorganisation unter seiner Kontrolle. Ein*e Kapitän*in benötigt klarerweise ein Schiff, während ein*e Kämp*in mit einer ausgewählten Waffensammlung vergleichsweise günstig zu Buche schlägt.

In Warhammer misst man die Erfahrung seines Charakters nicht in erreichten Leveln, sondern in abgeschlossenen Karrieren. Für ein System, dass so tödlich ist und potentiell kurze Charakterleben vorsieht, ist „Karriere“ vielleicht ein etwas seltsam gewähltes Wort. Dennoch ist es definitiv interessant, anhand dieser Karrieren den Fortschritt seines Charakters zu planen und das macht Warhammer neben etlichen anderen Faktoren zu etwas Besonderem.

Kämpfe und Magie

Warhammer Fantasy 2nd Edition hat zu einem sehr großen Teil die Vorlagen aus dem Tabletop-System Warhammer Fantasy Battles und seinem Rollenspielvorgänger übernommen. Das klassische Profil aus Primär- und Sekundärfertigkeiten verrät einem auf einen Blick, in welchen Aspekten der Charakter wie gut geschult ist.

Das System stellt den Spieler*innen frei, inwieweit sie die Regeln „verfeinern“ möchten – so kann man entweder einen abstrakten Wert für die gesamte Rüstung eines Charakters nehmen oder jedes einzelne Körperteil für sich berechnen. Das haben zwar viele andere Systeme auch so gehandhabt, ist aber dennoch eine angenehme Sache.

Heilung ist langsam und Kampfschaden schnell tödlich. Wenn ein Kampf schief geht, muss man recht schnell auf „kritische Treffer“ würfeln, welche schon mal einen Arm oder ein Auge kosten können. Die Alte Welt ist voller ehemaliger Charaktere mit Prothesen. Grundsätzlich hat im Kampf jeder Charakter die Wahl zwischen mehreren Aktionen, die entweder eine ganze oder halbe Aktion verbrauchen. Um einen Gegner zu treffen, würfelt man unter den Wert seines Kampfgeschickes. Dieser kann dann eventuell parieren oder ausweichen, um Schaden zu verhindern. Entstehender Schaden berechnet sich aus einem Schadenswurf, dem Bonus für die Waffe und einem Bonus für die Stärke des angreifenden Charakters. Davon werden noch der Widerstandsbonus und die Rüstung des getroffenen Charakters abgezogen. So einfach, so brutal und schnell.

Als eine große Besonderheit des Systems ist die Magie zu nennen. Während sich andere Systeme mit Kinkerlitzchen wie Mana, Energiepunkten oder Spruchslots aufhalten, um ihre Magier*innen unter Kontrolle zu halten, gibt Warhammer seinen Spieler*innen eine ungewohnte Freiheit mit: du kannst so viele Sprüche wirken, wie du magst. Aber bei jedem Spruch gibt es die Möglichkeit, dass die Chaosmächte in die Realität ein neues Loch reißen und sie in deine Realität eindringen. Warhammer lässt die Frage zu: Wie viel Risiko bist du bereit, für Macht einzugehen? Je nach gewürfeltem Ergebnis kann das Resultat etwas Harmloses wie faulige Winde oder absterbendes Gras sein, aber auch das Auftreten eines großen Dämons mitten in deinem Magiezirkel. Du wurdest gewarnt!

Die harten Fakten:

  • Verlag: Feder & Schwert
  • Autor*in(nen): Chris Pramas
  • Erscheinungsjahr: 2005
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 283
  • ISBN: 978-3-937255-45-3
  • Preis:  ca 55 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon

 

Fazit

Warhammer Fantasy 2nd Edition ist eine faszinierende Mischung aus restriktivem Charakterbau bei gleichzeitig vielen spielerischen Freiheiten. Das Überwinden von Hindernissen auf dem Weg zu dem, was man eigentlich möchte, ist ein Grundthema des Spiels. Bei einem zugleich relativ schlankem Regelwerk gibt es eine Fülle an Hintergrund- und Ergänzungsmaterial, aus der auch eine frische Spielrunde viel Spaß ziehen kann.

Die Alte Welt von Warhammer hat nicht umsonst einen festen Platz im nostalgischen Herzen vieler Spieler*innen und bietet viel Platz für unterschiedliche Spielgruppen und ihre Bedürfnisse. Und zwischen der offiziellen Geschichtsschreibung und dem Erleben der Gruppe gibt es sehr viel Spielraum. Seien es Intrigen- oder Entdeckerplots, grausame Kämpfe in den Abwasserkanälen Middenheims oder auf dem Schlachtfeld gegen die Horden des Chaos, jede*r Spieler*in findet in der Alten Welt etwas, wofür es sich zu kämpfen und sterben lohnt.

Für Sigmar!

  • Sehr starker Nostalgiefaktor
  • Man kann in der Alten Welt von Warhammer Fantasy spielen
  • Düster, gefährlich, unkonventionelles Magiesystem
 

  • Sehr starke Zufallsabhängigkeit beim Erstellen des Charakters

 

Artikelbilder: © Feder & Schwert
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat:  Susanne Stark
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

 

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