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Karten sind aus Pen-and-Paper-Spielrunden nicht wegzudenken. Sie zeigen uns, wo wir stehen und was wir bereits entdeckt haben. Sie halten unsere Erfolge und unsere Fehlschläge fest und geben uns Möglichkeiten, das Spiel noch mehr zu genießen. In diesem Artikel erfährst du mehr über das Spiel mit Karten.

Noch bevor sich ein wohlbekannter englischer Altphilologe daran setzte, eine Karte zu seinem Magnum Opus zu zeichnen, welches später einer der Urtexte der Fantasyliteratur werden sollte, waren Karten mit phantastischen Elementen aus dem Gepäck von Reisenden nicht wegzudenken. Seitdem der Mensch reist, möchte und muss er wissen, was ihn auf seiner Reise erwartet. Ebenso helfen uns Karten am Spieltisch, einen Überblick über das Spielgeschehen zu bekommen, Spielenden ebenso wie Spielleitungen. Das ist umso wichtiger, da für die Spielenden jedes Medium wichtig ist, sich in die bespielte Welt vertiefen zu können. Sie benötigen die Beschreibungen der Spielleitung, um spielen zu können – umso schöner ist es, wenn sie eine weitere, vielleicht sogar haptische Möglichkeit bekommen, um ihre Charaktere spielen zu können.

Ich kann nicht zeichnen! Und drucken will ich auch nicht!

Viele Rollenspieler*innen behaupten, nicht zeichnen zu können und keine künstlerische Ader zu haben. Und in vielen Fällen mag das stimmen. Trotzdem sollte jede*r, der*die sich auch nur entfernt für das Thema Karten interessieren kann, sich am Niederkritzeln von Informationen versuchen. Schließlich gilt für das Zeichnen „Strichmännchen zeichnen kann jeder“, und Karten sind da um vieles simpler. Und man kann sich sicher sein, dass jede neue Karte ein bisschen schöner als die vorangegangene sein wird.

Wenn man partout nicht mit dem Stift selbst zu Werk gehen möchte, gibt es mittlerweile eine große Auswahl an elektronischen Zeichenprogrammen und Karteneditoren, von denen manche per Zufall eine Stadt, einen Dungeon oder sogar ein Land auswürfeln. Solche zufallsbasierten oder selbst vorbereiteten Karten kann man als Spielleitung zu Beginn auch leer lassen, bis sich die Spielenden mit dieser Gegend beschäftigen. Schließlich macht es wenig Sinn, einen Hintergrund für einen Ort zu entwickeln, der niemals bespielt werden wird.

Eine weitere Möglichkeit, eine schöne Karte anzufertigen, ist das Benutzen einer vorgefertigten Karte mit leeren Hexfeldern, die nach und nach aufgefüllt werden können. Diese etwas restriktive Herangehensweise zeigt auf einen Blick, welche Felder noch aufgedeckt werden können und geben somit Spielenden und Spielleitung eine gewisse Sicherheit, was noch wo aufzudecken ist. Vorgefertigte Hexfeldkarten finden sich entweder frei im Netz oder werden vom nächsten Rollenspielladen in abwaschbarer Form verkauft, wenn man gerne öfter auf ihnen zeichnet. 

Das Zeichnen von Karten kann sogar als ein eigenes Spiel gespielt werden. In How to Host a Dungeon zeichnen und erleben wir die Lebenszyklen eines klassischen Fantasydungeons. Und in The Quiet Year erleben wir sogar eine eigene Rollenspielkampagne, während wir das Erlebte zeichnen.

Auch wenn es mittlerweile eine Fülle an digitalen Helfern gibt – habe den Mut, selbst zum Stift zu greifen. Du wirst überrascht sein, welche Ergebnisse du aufs Papier bringen wirst. Und schlimmstenfalls kann man immer noch Hexfelder mit Geländemarkierungen und Begegnungen ausfüllen.

Karten in- und außerhalb der Spielwelt

Für wen sind die Karten gedacht – die Spielenden oder ihre Charaktere?

Die überwiegende Anzahl aller publizierten Karten fürs Rollenspiel wird in die erste Kategorie fallen. Karten aus der Sicht der Charaktere haben dafür ihren ganz eigenen innerweltlichen Charme. Egal, ob man ein cyberpunkiges, postapokalyptisches oder ein klassisches Fantasysetting bespielt, jede Spielrunde profitiert von Kartenmaterial. Dabei muss es nicht immer die Spielleitung sein, die sich um das Beschaffen von Karten kümmert. Zwar wird sie es in den meisten Fällen sein, da auch sie sich mit der Welt am meisten in der Vorarbeit zur Spielrunde beschäftigt haben wird. Es spricht nichts gegen eine*n Spieler*in mit Neigung zur Kartografie, dessen*deren Charakter eine innerweltliche Karte anfertigt. Besonders in Dungeons ist es sehr reizvoll, die Charaktere beziehungsweise die Spielenden selbst die Karte zeichnen zu lassen. Für gewisse Charakterklassen wie Reisende und Entdecker*innen kann die Erstellung einer Karte der bespielten Welt (oder, noch schöner, die Anfertigung eines ganzen Atlanten) ein interessantes Ziel für den bespielten Charakter sein.

Verunglückte Strichmännchen? In diesem Fall ein Übersichtsplan einer Bunkeranlage im postapokalyptischen Ödland.

Karten im Pen-and-Paper-Rollenspiel können so banal oder so kreativ angelegt sein, wie du möchtest. Eine klassische Nord-Süd-Ausrichtung, umgedrehte „V“s als Berge und Mischungen aus Kreisen und Dreiecken als Wälder? Wunderbar, damit lässt sich schon viel anfangen. Karten, die von den Charakteren gefunden werden, müssen diesen klassischen Normen allerdings keinesfalls folgen. Denn fremde Völker und Kulturen können von unserem Verständnis ganz verschiedene Traditionen der Kartengestaltung aufweisen. So sind aventurische Karten traditionell gen Praios, nach Süden, ausgerichtet, ebenso kann eine heliozentrische Kultur ihre Karten gen Osten oder wo auch immer in deiner Welt die Sonne auf- oder untergeht, ausrichten.

Egal, ob du als Spielleitung Karten selbst zeichnest oder aus bereits publizierten Quellen heranziehst: denke immer daran, inwiefern diese Karte dir und deinen Spielenden, beziehungsweise ihren Charakteren, hilft. Karten sollten kein lästiges Beiwerk, sondern einen Mehrwert für eure Spielrunde darstellen.

Was wollen wir von einer Karte im Spiel?

  • Zeigen, was ist – die Karte ist eine Spielhilfe für die Spielenden und Spielleitung.
  • Zeigen, was sein kann – die Bemerkung „Here be Dragons“ kann man als Einladung verstehen.
  • Zeigen, was geschehen ist – die Veränderungen, welche durch die Held*innen und Spielende geschehen sind, sollten eine Marke auf der Karte hinterlassen.

Mut zum Unbekannten

In einer Kampagne, in welcher es um das Thema Entdeckungen geht, wird man ohne eine Karte kaum auskommen. Diese Karten müssen keinesfalls bereits definiert sein. Viel mehr Spaß macht es, wenn die Charaktere die von ihnen bereisten Länder nach und nach aufdecken und ihrer Karte hinzufügen dürfen. Die Gruppenkarte wird somit zu einem Protokoll des bereits Erlebten.

Wenn sich partout niemand finden sollte, bleibt diese Arbeit leider bei der Spielleitung hängen. Das muss allerdings nicht in zu viel Arbeit ausarten. Manchmal reichen ein paar Striche, um einen Spielfortschritt festzuhalten. Gerade am Anfang einer Kampagne, wo die Spielenden noch nicht allzu viel gesehen haben, kann man klein anfangen.

Eine Karte zu Kampagnenbeginn – die Helden sind auf Land gestoßen.

Von diesen bescheidenen Anfängen kann man, je nach Kampagnenfortschritt, die Karte alle paar Spielrunden erweitern beziehungsweise neu zeichnen. Karten sind auch eine wunderbare Gelegenheit, die Spielenden zu motivieren, sich mit ihrer Spielwelt intensiver zu beschäftigen. Wenn die Charaktere aus welchem Grund auch immer Land besitzen oder auf eine andere Art und Weise ein Revier ihr eigen nennen, werden sie sicher wissen wollen, wie ihr Besitz aussieht – die perfekte Gelegenheit für eine kleine Karte der Umgebung. 

Dieselbe Kampagne, zwei Outgamejahre später.

Eigener Besitz ist eine interessante Möglichkeit, Aktionsmöglichkeiten in die Hände der Spielenden zu legen – leg ihnen eine Karte vor und frage sie: „Was soll hier geschehen? Wie soll sich das, was ihr hier seht, verändern?“ Je nachdem, wie sie antworten, können sich die Karte, die darin lebenden Nichtspielercharaktere und Angebote für neue Handlungen darauf abstimmen. Natürlich soll sich die Geschichte immer noch um die Held*innen drehen, aber die Orte auf der Karte können mit der Zeit ruhig ein wenig eigenen Charakter entwickeln.

Gerade Orte, die auf die Charaktere abgestimmt sind, machen Spaß: ein medizinisch ausgerichteter Charakter möchte in einer gottverlassenen Siedlung ohne ärztliches Personal mitten im Nirgendwo ein Lazarett aufbauen. Ein technisch versierter Charakter möchte dagegen eine Schmiede/eine Werkstatt einrichten. Wenn sich das in den Plänen eurer Siedlungen niederschlägt, sind die Spielenden umso interessierter an diesem Sandkasten. Und das soll schließlich das Ziel der unterstützenden Karten sein.

Was bedeuten der Totenschädel und der Drache? Markierungen auf einer Karte

Auch sehr einfache Karten dienen der Übersicht.

Ingame-Karten, welche die Charaktere aus welchen Gründen auch immer erhalten haben, können eine hervorragende Möglichkeit sein, ihnen neue Motivation für Abenteuer zu geben. Diese geheimnisvollen Minen in den Bergen im Norden? Das Lager eines wandernden Stammes, der sich im Westen unserer Stadt niedergelassen hat? Die Ruinen in den Sümpfen im Süden? Wie es bereits Kollege Norbert im Artikel über Legacy-Mechaniken beschrieben hat, leben die Charaktere nicht in einer sterilen Welt, die ohne ihr Zutun stehen bleibt. Im Gegenteil, die Geschehnisse in der bespielten Welt haben ihrerseits Spuren in der Umgebung hinterlassen, sei es in der Form von Ruinen, alten Schlachtfeldern, verlassene Ortschaften oder Markierungen auf einer Karte, von denen niemand mehr weiß, was eigentlich dort zu finden ist. Kaum ein Charakter kann einer Markierung wie „Here be Dragons“ oder „Verbotene Lande“ oder einem „X“ widerstehen.

Um es zu wiederholen: die Geschichte kann auch ohne das direkte Zutun der Charaktere arbeiten. Das bedeutet, dass sie mitunter nicht die einzigen in dieser Welt sind, welche Spuren auf der Karte hinterlassen haben und auf ihr agieren können. Vielleicht suchen sie, genau wie konkurrierende Helden*innengruppen, nach demselben Schatz und eine der Gruppen hat eine falsche Karte? Vielleicht entdecken die Charaktere bei einer Gruppe NSC eine Karte mit einem wichtigen neuen Detail, welches sie noch nicht kennen? So gut wie jedes bedeutende Ereignis kann auf euren Karten eine Spur hinterlassen. Übertreibt es dabei nicht, es soll schließlich immer noch um das Spiel an sich gehen.

Eine besonders interessante Variante, eine Karte in das Spiel einzubinden, ist, den Spielenden beim Aufbau einer Siedlung möglichst freie Hand zu geben. „Hier habt ihr die Bauplätze. Wo soll was stehen?“ wird hoffentlich nur wenige komplett kalt lassen. Das Computerrollenspiel Pathfinder Kingmaker hat dieses Prinzip zu einem Kernelement seines Spiels gemacht: nach dem üblichen Gequeste müssen die Spielenden ein eigenes Königreich aufbauen. Die zuvor lediglich durchreisten Gegenden gehören auf einmal den Held*innen, was einen ganz neuen Blick auf ihre Umgebung gestattet.

Was können wir hier tun? Beschränkungen und Freiheiten mit einer Karte

Keine Sorge. Wir haben genug Papier.“ – Der französische Gouverneur Neufrankreichs, als ein Kundschafter ihm mitteilte, dass das ihm zur Präsentation seiner Entdeckungen gereichte Papier nicht groß genug sei.

Wie weit soll eine Karte reichen?

Die Sandbox. Jeder Ort ein mögliches Abenteuer. Lass deine Spielenden die Richtung bestimmen.

Grundsätzlich kann man in jeder Spielwelt, die eine Kugel ist, beliebig weit in eine Richtung reisen. Demzufolge können auch die Karten jener Welt theoretisch beliebig groß werden. Dennoch bietet es sich aus praktischen Gründen an, irgendwann unsichtbare oder deutlich sichtbare Grenzen zu setzen. Wenn sich die Spielenden zu weit vom Hauptort des Plots wegbewegen möchten, kann man diesem Umstand mit zwei Möglichkeiten begegnen: Der Weg ins Draußen wird aufgrund der Umstände (Berge, die Entfernung zu einer Versorgungsbasis, gefährliche Feinde) zu beschwerlich, oder der Plot bewegt sich mit und es gibt eine neue Karte mit neuem Spielinhalt.

Jeder mag Expansions!

Eine neue Karte ist auch eine hervorragende Möglichkeit, „frisch“ anzufangen und neue Ideen in eure Spielumgebung hinein zu bringen. Neue Biome, neue Gefahren, neue Schätze locken, beinhalten aber die Gefahr, dass der Reiz des Neuen schnell verfliegt. Dies kann gut dadurch aufgelockert werden, dass sowohl auf einer „Erweiterungs“-Karte, als auch der „Hauptkarte“ wichtige Dinge geschehen, die die Charaktere im Auge behalten müssen. Das Ziel ist hierbei nicht, dass die Spielenden gehetzt den Überblick verlieren. Vielmehr geht es darum, dass sie merken, dass die bespielte Welt sich weiterdreht, auch wenn der Fokus gerade an einem anderen Punkt liegt. Das trägt wesentlich zur Glaubwürdigkeit eurer Welt bei.

Idealerweise sollte die Spielrunde mit ihrem Kartenmaterial ihre Unternehmungen sinnvoll planen können. Das soll nicht bedeuten, dass nichts Unvorhergesehenes dabei geschehen darf: wir sollten nicht vergessen, dass Karten, besonders in Settings ohne digitale und elektronische Unterstützung, sehr ungenau sein können. Nicht umsonst ist Kartograf*in ein eigener, nicht einfach zu erlernender Beruf, heute wie in jeder anderen Zeit. Leute, die akkurate Karten zeichnen können, sind gesuchte Spezialist*innen, und das sollte in den meisten Settings durchscheinen dürfen. Sogar in Spielwelten wie Shadowrun, in der die Charaktere theoretisch alles nur denkbare Kartenmaterial der Welt live per Internet zuschalten können, können sie sich in einer Umgebung vorfinden, die einfach noch nicht kartografisch erfasst worden ist.

Das bedeutet auch, dass das Treffen mit einem*r Kartenhändler*in, der*die an einem Tausch oder Verkauf interessiert ist, eine schöne Questbelohnung sein kann. Natürlich mit einer Geld-zurück-Garantie, falls der eingezeichnete Drachenhort noch bewohnt sein sollte.

Was ist hier eigentlich passiert? Karten als Relikte der Vergangenheit

Ebenfalls eine sehr interessante Variante der Karte sind Relikte aus einer vergangenen Epoche. Jede höher entwickelte Kultur hat ein Interesse daran, ihre Kommunikations- und Transportsysteme sowie ihre anderweitige Infrastruktur zu erfassen. Nicht umsonst handelt es sich bei den ältesten Schriftgütern der meisten Kulturen um Aufzeichnungen zur Steuererfassung. Wenn die Charaktere in den Schatten längst untergegangener Reiche wandeln, kann man als Spielleitung dieses Gefühl darstellen. Dass schon etwas vor den Charakteren da war, mit alten Wegmarkierungen auf überwucherten Straßen, Plänen in den Ruinen versunkener Städte oder einer verwitterten Zollhütte. Informationen aus so alten Karten müssen dabei nicht einmal unnütz sein, denn schließlich sind die Kultstätten (Tempel, Sportarenen und Bankhäuser) der einen Zivilisation, die Dungeons voller Beute der nächst oder übernächst folgenden Zivilisation.

Es macht Spaß, sich auszumalen, was sich in der bespielten Gegend vor zehn, hundert, tausend Jahren ereignet haben könnte und wie sich diese Ereignisse in der heutigen Umgebung niedergeschlagen haben. Idealerweise bekommst du als Spielleitung ein besseres Gefühl dafür, was deine Spielenden alles entdecken können.

Fazit – das X markiert den Punkt

Habe den Mut, egal ob als Spielleitung oder als Spielende*r, deine Spielrunde mit einer gezeichneten Karte zu ergänzen. Du wirst überrascht sein, wie viel immersiver euer Spiel wird. Und gerade in Zeiten weltweiter Pandemien, die uns immer noch zu einem distanzierten Spiel zwingt, sind solche Hilfsmittel umso willkommener.

Karten sind ein essenzieller Bestandteil vieler Rollenspielrunden. Das Aufdecken von unbekanntem Territorium reizt die eigene Neugier. Wenn deine Spielenden fragen „Was ist hinter dem nächsten Hügel? Wie sieht es unter dem Wald aus? Können wir diesen Fluss überqueren?“, dann ist das ein gutes Anzeichen dafür, dass eine schöne Karte eine sinnvolle Ergänzung eurer Spielrunde ist. Wie ein weiser Halbling schon wusste: „Die Straße schreitet fort und fort…“.

Wohin wird dich deine Karte führen?

 

Artikelbilder: © VadimVasenin | depositphotos.com, Johannes Haslhofer
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Sabrina Plote

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