Pathfinder: Kingmaker schickt uns als Söldneranführer in die Gestohlenen Lande des Pathfinder-Universums. Das CRPG verzichtet dabei stilecht darauf uns an die Hand zu nehmen und belohnt uns für unsere Mühe mit einer gelungenen Story. Dennoch wurde der Release von lauter Community-Kritik begleitet. Zurecht?
Mit etwa 900.000 USD schaffte es das Entwicklerstudio Owlcat Games, ihr angesetztes Crowdfunding-Ziel um beinahe das Doppelte zu übertreffen. Das Rollenspiel, das auf dem gleichnamigen Regelwerk basiert, kann dabei mit einer vielschichtigen Story überzeugen, hat aber einen ansehnlichen Schwierigkeitsgrad. Vergleiche zu Baldur‘s Gate oder dem jüngeren Divinity: Original Sin II sind durchaus naheliegend. Pathfinder: Kingmaker hat allerdings einige Alleinstellungsmerkmale, die es zu deutlich mehr machen als dem x-ten Aufguss eines digitalisierten Pen&Paper-Standardplots mit D20-Regeln. Als Beispiel sei hier etwa der Fokus auf Begleitergeschichten genannt oder das stimmig umgesetzte Verwalten unserer eigenen Baronie, die zentrales Storyelement und nicht nur schnödes Beiwerk ist.
Inhaltsverzeichnis
Eine freie Story, die funktioniert
Unsere Geschichte entfaltet sich in Golarion, der Welt des Pathfinder-Universums, genauer gesagt in der freien Stadt Restov, dem Herkunftsort der Aldori-Schwertfürsten. Jamandi Aldori hat dort einige Abenteurer und Söldner zusammengerufen, um unter ihnen den zukünftigen Herrscher der benachbarten Gestohlenen Lande zu finden. Die Sache hat natürlich einen Haken: Besagter Landstrich ist ein vor Trollen und anderen Monstern überquellender Wald, der momentan fest in Banditenhand ist. Es wird also ein Baron mit ganz besonderen Fähigkeiten gesucht, der es schafft, aus dieser grünen Hölle ein funktionierendes Lehen zu machen. Bei einigen Pathfinder-Veteranen wird es spätestens jetzt klingeln, denn Grundlage des Spiels sind natürlich die Königsmacher-Abenteuer.
Die Geschichte, die sich dabei vor uns entfaltet, weiß unter dem Strich sehr zu überzeugen. An manchen Stellen erinnert uns die Story an Pillars of Eternity, das einen – wir sagen: Gott sei Dank – anhaltenden CRPG-Hype eingeläutet hat. Dabei kann man keinem dieser neuen Spiele vorwerfen, es würde beim anderen abschreiben. Dass wir etwa Landesherr und Entdecker eines unerschlossenen Landstrichs sind, war beim 2015 von Paradox Interactive veröffentlichten Pillars of Eternity noch Beiwerk, in Pathfinder: Kingmaker ist es Hauptbestandteil der Story. Wer jetzt bedeutungslose Farmquests á la Dragon Age: Inquisition befürchtet oder ein zweites Mass Effect: Andromeda erwartet, der darf beruhigt sein. Der Maßstab des Abenteuers ist so gewählt, dass wir uns nicht seltsam dabei fühlen, als Landesherr den verschwundenen Sohn einer Vasallin zu suchen. Das Spiel verzichtet außerdem fast völlig darauf, uns mit generischen Sammelquests zu bewerfen. Hinter dem verschwundenen Burschen etwa steckt ein für uns absolut relevanter Storyteil, den die Macher des Spiels geschickt mit diesem Einzelschicksal verwoben haben. Wirklich lobenswert.
Inkonsequent konsequent
Dennoch gibt es auf der weitestgehend frei begehbaren Karte viel zu entdecken, wir fühlen uns meist nicht in ein Storykorsett gezwängt. Umso ärgerlicher allerdings die Situationen, in denen wir das Gefühl haben, dass uns das Spiel doch einmal mit aller Gewalt in Richtung eines Ergebnisses zu drängen versucht. Ein Beispiel: Aufgrund geschickten Vorgehens haben wir es geschafft, unsere Baronie zu stabilisieren. Die Werte Stabilität, Loyalität und Gemeinschaft sind unsere am besten ausgebauten Eigenschaften. Dennoch randalieren unsere Vasallen und proben den Aufstand, weil es im Verlauf der Story so vorgesehen ist.
Generell bleibt das Spiel sich selbst gegenüber manchmal eher inkonsequent. Eine Dame bittet uns etwa, ihr gestohlenes Erbstück wiederzufinden, mit dem sie den Brückenzoll einer Räuberbande bezahlen will. Dass wir besagte Räuberbande bereits erledigt haben und die Brücke frei begehbar ist, berücksichtigt das Spiel leider nicht. Dass wir auch nach einer abgeschlossenen Aufgabe noch alte Storyabschnitte erleben dürfen, ist natürlich löblich. Warum sollte man die großartigen Dialoge auch verschwenden? Dass hier jedoch oft abgeschlossene Entwicklungen ignoriert werden, ist erstaunlich undurchdacht für ein Spiel, das die Konsequenz des eigenen Handelns anscheinend nur dann großschreibt, wenn es uns vor ein Problem stellen darf.
Die Verwaltung unseres Königreichs geht uns ansonsten gut von der Hand, indem wir verschiedene Probleme und Projekte durch unsere Ratgeber lösen lassen. Hier erlaubt uns das Spiel unsere Begleiter und wichtige NSC in Amt und Würden zu heben. Probleme erscheinen dabei spontan und müssen zeitnah gelöst werden. Leider bleibt es uns verwehrt, manche Ereignisse rechtzeitig zu behandeln, da wir unsere Ratgeber nicht von ihnen zugewiesenen Projekten abziehen können. Ärgerlich! Wenn das Spiel von uns Flexibilität erwartet, hätte man auch gerne die Möglichkeit, flexibel zu reagieren. Andererseits sind es genau diese aufkommenden Probleme, die uns schöne Szenen bereiten. Gerade das Gefühl, nicht immer alles perfekt lösen zu können, sorgt schnell für ein entspannteres Erleben der Story. Man kann sich zurücklehnen und das Geschehen genießen ohne sich dauernd fragen zu müssen: „Hätte ich das besser machen können?“.
Schlechtes Balancing? Eher nicht.
Der Kampf ist kleinteilig und hart, wie wir es aus alten wie neuen CRPG kennen. Wenn wir konstantes Würfelpech haben oder die Punkte in der ausnehmend langen Charaktererstellung nicht vernünftig verteilen, dann haut es uns schnell aus den Latschen. Zwar erklärt das Spiel mittels einer umfassenden und massiv sperrigen Enzyklopädie jedes Detail haarklein, aber wirklich hilfreich ist
das für Neulinge kaum. Vorkenntnisse in Dungeons & Dragons, Pathfinder oder einem alten Bioware-Klassiker sind dabei massiv hilfreich. Das Spiel bleibt nah an seiner Vorlage und bietet uns viele Möglichkeiten. Gerade zu Beginn sollte lobend erwähnt werden, dass uns nicht nur die Basis-Klassen zur Verfügung stehen. Auch speziellere Karrierepfade wie der Inquisitor oder der Magus haben es dankenswerterweise ins Spiel geschafft. Abstriche muss man aber leider bei den für D20-Systeme oft so bezeichnenden hochspezialisierten Prestigeklassen machen. Gerade einmal sechs Stück können wir wählen und für viele Grundklassen gibt es dabei keine erstrebenswerte Aufstiegschance.
Wer als Genreneuling in Anbetracht komplizierter Charakterentwicklung und des schweren Kampfsystems Angst hat, die Geschichte nicht genießen zu dürfen, der darf beruhigt durchatmen. Der Schwierigkeitsgrad lässt sich mit Hilfe zahlloser Regler geradezu maßschneidern. Schalten wir die Kampf-KI ein, schrauben die Stärke der Gegner herunter und aktivieren automatisches Leveln, so schaffen wir jeden Kampf ohne große Planung mühelos, auch ohne Vorkenntnisse. Kritik hat das Spiel vor dem Hintergrund seines vermeintlich hohen Schwierigkeitsgrades auch dafür erhalten, dass wir direkt zu Beginn unserer Reise mit einem Zeitlimit konfrontiert werden. Halten wir uns allerdings vor Augen, wie anpassbar die Spielschwierigkeit ist, ist diese Kritik haltlos. Niemand ist gezwungen, das Spiel schwerer zu spielen, als es die eigenen Fähigkeiten zulassen. Die Anfangsquest mit einem Zeitlimit von 90 Tagen lässt sich selbst bei ausufernden Ausflügen ohne Weiteres innerhalb von 60 Tagen schaffen.
Kleinere Schwächen, aber starker Gesamtauftritt
Generell setzt das Spiel diese Zeitlimits als Spannungselement gerne ein und sie funktionieren durchaus gut. Ärgerlich allerdings ist, dass das Spiel oftmals Zeitlimits setzt, ohne uns als Spieler darüber zu informieren. Während sonst bei anderen Quests dieser Art etwa der hilfreiche Vermerk „Scheitert in 243 Tagen und 6 Stunden“ zu finden ist, ist plötzlich eine der Begleiterquests nicht mehr durchspielbar, weil ein unsichtbarer Timer abgelaufen ist. Dass das Spiel den Spieler nicht an die Hand nimmt und wir oftmals nach Hinweisen zur Aufgabenlösung aktiv suchen müssen, ist toll und macht Spaß. Dass uns das Spiel aktiv in Sicherheit wiegt, um uns dann dergestalt reinzulegen, ist hingegen nervig und unnötig. Dass die Quests, gerade wenn es Begleiteraufgaben sind, so gut geschrieben sind, macht es nur doppelt ärgerlich, sie zu verpassen.
Die Grafik ist schön, die erschaffenen Szenerien sind durchaus einen Blick wert. Das Spiel wählt dabei eher den Ansatz einer 3D-Engine, wie es auch Divinity: Original Sin II wagt, und verzichtet auf die „handgemalten“ Hintergründe eines Pillars of Eternity. Hier gewinnt das Spiel allerdings keine Preise. Der Detailreichtum bleibt unter dem Strich doch hinter den direkten Konkurrenten zurück. Es gibt weniger zu entdecken und weniger atemberaubende Effekte, was aber zugegebenermaßen auch an dem etwas zurückhaltenderen Ansatz des Spiels liegen könnte. Dennoch bleibt ein sehr anschauliches Gesamtpaket. Der Sound des Spiels ist durchweg gut. Der Soundtrack passt wunderbar in das Setting. Die vertonten Dialoge haben fähige und passende Sprecher, auch wenn wir diese nur auf Englisch genießen dürfen. Bei der schriftlichen, oftmals etwas ideenlosen Übersetzung fallen allerdings Probleme auf, die vermeidbar gewesen wäre. Dass etwa die „Stolen Lands“ als „Gestohlene Lande“ übersetzt werden, obwohl sie in den Ulisses-Lizenzwerken bereits „Raublande“ heißen, ist ein Manko, das für Fans des Franchise durchaus nervig sein kann. Für diejenigen, die der englischen Sprache mächtig sind, empfiehlt sich hier die Originalversion.
Die harten Fakten:
- Entwicklerstudio: Owlcat Games
- Publisher: Deep Silver
- Plattform: PC
- Mindestanforderungen: 64-Bit-Betriebssystem, Intel Celeron 1037U @ 1,8 GHz, 4 GB RAM, Intel HD Graphics 3000, 30 GB verfügbarer Speicherplatz
- Genre: Rollenspiel
- Releasedatum: 25. September 2018
- Spielstunden: 50
- Spieleranzahl: Singleplayer
- Altersfreigabe: USK 12, PEGI 16
- Preis: 39,99 EUR
- Bezugsquelle: Amazon
Fazit
Pathfinder: Kingmaker macht Spaß. Es bietet uns für knapp 40 EUR locker 50 Stunden feinste CRPG-Unterhaltung, ohne uns dabei mit generischem Questfutter zu versorgen. Und dabei dreht sich die gesamte Kampagne rund um die Schaffung der eigenen Heimat. Dass wir das erleben dürfen, ohne dass das Ganze eher mildes Aufbau-Beiwerk ist oder alles, was wir tun, eher als irrelevanter Fremdkörper wirkt, ist einfach grandios. Ähnlich wie wir es aus The Witcher III kennen, hat beinahe jede Quest eine schöne Geschichte, die es zu erleben gilt. Die tiefgreifende Charakterentwicklung und das großartige Regelgerüst funktionieren ohne Probleme. Ist uns ein Kampf auch im vierten Anlauf zu schwer, schrauben wir eben die Schwierigkeit herunter – alles kein Problem.
Das perfekte Gesamtpaket für wenig Geld also? Leider nein, denn das Spiel hat auch durchaus Schwächen. Konsequenz funktioniert hier oft nur einseitig, nämlich zu Ungunsten des Spielers, was manchen Rückschlag aufgesetzt wirken lässt. Die fehlenden Timer bei manchen Quests oder zweideutige Aufgabenbeschreibungen, gerade wenn uns ohnehin Questmarker fehlen, fallen schon nicht mehr in die Kategorie „Schwer“, sondern gehen eher als Designfehler durch. Von den „nur“ vier Daumen sollte man sich dabei aber nicht abschrecken lassen, es steht unter dem Strich immer noch ein ausnehmend spannendes, spaßiges und vergleichsweise günstiges Spiel.
Artikelbild: Owlcat Games, Screenshots: Stephan Köhli, Bearbeitung von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.
Was ist denn ein crpg?
EDIT: google hilft, aber eine kleine Erklärung hätte nicht geschadet.