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Everyone’s a critic. Und das hat auch seine Richtigkeit, denn jede*r sollte die eigene Meinung sagen dürfen, solang man im Rahmen des Gesetzes bleibt. Dennoch sind Userreviews ein zweischneidiges Schwert, denn nicht jede*r gibt sich Mühe neutral zu sein. Teilzeithelden hat die Problematik mal genauer unter die Lupe genommen.

Nirgendwo sind Userreviews so unterhaltsam wie auf Amazon. Wir alle kennen den Dauerbrenner: „Guter Ventilator, tut genau das, was er sollte, nicht zu laut, verbraucht wenig Strom, Lieferung war pünktlich. Das Blau, das ich mir ausgesucht habe, ist aber etwas zu hell. 1/5 Sternen.“ Darüber können wir alle gemeinsam lachen, denn die Absurdität des Ganzen ist für die allermeisten greifbar. Warum aber hier als absurd gilt, was anderswo begrüßt und gefeiert wird, das erschließt sich mir nicht. Pseudoaktivistische Phänomene wie Reviewbombings sind die dunkle Seite einer Meinungskultur, die zu Selbstreflexion manchmal kaum in der Lage zu sein scheint.

Authentische Nutzer*innenerfahrung?

Egal, ob es um Videospiele, Filme oder Haushaltsgegenstände geht, ein Qualitätscheck schadet selten. Nicht umsonst gibt es Stiftungen, die sich mit nichts anderem als Bewertungen beschäftigen oder für jede Rubrik von kaufbaren Leistungen und Waren eigene Kritiker*innen und Fachleute, die mit Argusaugen jedes Detail durchleuchten. Gerade wenn man online kauft, hat man oft das Problem haptischer Entfernung. Das Fühl-, Riech- und Schmeckinternet lässt leider noch auf sich warten und Userreviews haben hier einen vermeintlichen Vorteil: Authentizität.

Weder sind die User*innen von großen Konzernen abhängig, noch müssen sie mit genau den Produkten, die sie gerade bewerten, Werbegelder einnehmen. Hierbei gibt es nur das große Problem, dass Nutzer*innen eben nicht neutral sind. Wir alle haben vorgefasste Meinungen, unfassbar viel ist subjektiv. Als Kritiker*in versucht man diese vorgefassten Meinungen beiseitezuschieben, im Positiven wie im Negativen. Ein Bewertungsprozess dauert lang und ist anstrengend, außerdem gibt es fast immer andere Kolleg*innen, die am Ende nochmal einen Blick darauf werfen und die Bewertung kritisch hinterfragen. Zum Glück!

© Blizzard

Die Sache mit der Subjektivität

Uns wird es niemals möglich sein, eine zu 100% präzise und sachliche Bewertung abzugeben. Die Note, die man vergibt, wird idealerweise den Geschmack der meisten Leute treffen, aber was man an Positivem und Negativem übersieht oder hervorhebt, das ist am Ende des Tages eine subjektive Entscheidung. Es ist daher wichtig mit Subjektivität und der eigenen Fehlbarkeit offen umzugehen. Zumindest in der Videospielbranche ist unter Kritiker*innen der Satzbaustein „Als Fan der Serie[…]“ gefühlt in der Kurzwahl. Abgesehen davon, dass man eine Verbindung zu den Leser*innen aufbaut, ist es allerdings auch ein ganz offenes Geständnis: Ich bin Fan. Ich bin fehlbar und was ich hier sage, muss nicht für alle stimmen.

Dennoch geht jeder Kritik aber ein langer, manchmal ermüdender Prozess voraus. Meine – aller Mühe zum Trotz – nach wie vor subjektive Bewertung von Warcraft III: Reforged hat mich Tage gekostet, die ich sonst nicht brauche, gerade weil ich viel gegenprüfen und die rosarote Brille absetzen musste. Ich habe kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich ein riesiger Fan der Welten von Blizzard bin. Diesen Aufwand allerdings kann ich kaum von einem gewöhnlichen Userreview erwarten. Er ist auch meist gar nicht nötig. Ein Putzmittel, das tut, was es soll, wird sich bei 4/5 oder 5/5 Sternen einpendeln. Was aber, wenn das Objekt hochgradig emotional aufgeladen ist?

© Sony Interactive
© Sony Interactive

Der Fall Last of Us Part II

Je mehr Menschen etwas mit einem Thema verbinden, desto aufgewühlter sind sie, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Eines der jüngeren Beispiele ist The Last of Us Part II. Der erste Teil der Serie hat rund um den Globus Spieler*innen begeistert. Eine packende Story und solides Gameplay haben für goldene Bewertungen bei den allermeisten Kritiker*innen gesorgt und vielen Spieler*innen Freude bereitet. Dementsprechend heiß wurde der zweite Teil erwartet. Wie die Story dann weitergeführt wurde, das hat die Spielergemeinschaft gespalten. Einigen hat die Story gefallen, anderen nicht. Das ist auch völlig normal, denn „Gefallen“ ist subjektiv.

Im Fahrwasser der zu erwartenden Unzufriedenen kamen dann die mittlerweile obligatorischen „Aktivist*innenen“, die ein Problem mit den diverseren Elementen der Story hatten, wie beispielsweise der Beziehung von Ellie und Dina. Es ist ein mittlerweile ermüdend gewohnter Prozess, dass die Neue Rechte valide Kritik mit etwa homophober und rassistischer Ideologie verbindet, um verunsicherte User*innen zu radikalisieren. In diesem ungesunden Pool aus Enttäuschung und fragwürdigem Weltbild entstand dann ein Strom unangemessen schlechter Bewertungen, die eine mehr als ungünstige Eigendynamik entwickelten. Verehrtes Publikum: Reviewbombing. Die außerordentlich positiven Kritiker*innenbewertungen wurden unterwandert von Strömen an ungerechtfertigt schlechten und absolut subjektiven Userreviews, die ein völlig falsches Bild von der Qualität des Spiels vermittelt haben. Ich verteidige die Gamercommunity mit Leidenschaft und sehr gerne. Aber selbst ich sehe nicht den Sinn darin, diesen im Windschatten von engstirnigen Idiot*innen praktizierten Enttäuschungsaktivismus zu verteidigen.

Unfairness und Scheinkritik

Was hier zu beobachten war, passiert immer öfter. Last of Us II war für mich persönlich aber der traurige Höhepunkt dieses ziemlich bedauernswerten Phänomens. Ein Spiel, das im Spielgeschehen völlig solide war und wieder eine spannende, anregende Story erzählt hat, wurde bestraft, weil ein paar Leuten Einzelheiten nicht gefallen. Subjektive Einzelheiten, für die das Spiel nicht einmal die Verantwortung trägt. Es ist wie mit dem Ventilator, der eingangs beschrieben wurde: „Handwerklich sehr gutes Spiel, spannende Story, die ich aber irgendwie nicht mag, weil ich mir anderes gewünscht hätte. 1/10“

Sehr gerne aufgeführt werden dann vermeintliche Plotlöcher. Da werden dann Handlungsstränge als unrealistisch hingestellt, weil Beteiligte sich „objektiv“ falsch verhalten. Der Punkt ist aber: Die Weltgeschichte ist voll von Menschen, die irrationale, subjektive und sogar völlig falsche Entscheidungen getroffen haben und das auf allerhöchster Ebene. Es gibt ganze Episoden der Geschichte, in denen millionenfaches, zutiefst fragwürdiges Handeln zu schrecklichen Szenen geführt hat. Dafür muss man nicht einmal ins persönliche Kleinklein gehen. Dass solche Sachen in den oft überschaubaren Plots von Videospielen, Filmen oder Büchern geschehen, ist nicht nur realistisch, sondern erwartbar. Spannende Geschichten entstehen erst durch Fehler, und Abenteuer sind das Ergebnis mangelhafter Planung.

© BioWare
© BioWare

Das Minenfeld „Fandom“

Das ist auch von der Erwartung abhängig, die ich an ein Produkt stelle. Denn Fan zu sein schützt mich keinesfalls davor, ein Produkt entgegen aller Vernunft nicht zu mögen. Als 2011 Dragon Age II auf den Markt gekommen ist, hat das Spiel immerhin solide Wertungen bei den Kritiker*innen abgeholt, auch wenn die Negativaspekte fast überall betont wurden. Spielerisch und technisch war das Spiel sehr in Ordnung, die Story unterhaltsam. Aber es gab auch massenweise Schlauchlevel und alles in allem weniger Tiefgang als beim Vorgänger. Man hat dem Spiel die sehr kurze Entwicklungszeit angemerkt. Ich war wenig begeistert.

Die Userreviews auf Metacritic sind katastrophal und das ist für mich sogar halbwegs nachvollziehbar. Wer Dragon Age: Origins gespielt hat und mit der Erwartung eines zweiten Teiles an das Spiel getreten ist, konnte eigentlich nur enttäuscht werden. Fast jedes „recht gute“ Rollenspiel würde allerdings im Vergleich zu Origins gnadenlos den Kürzeren ziehen. Ein zweiter Teil muss, um in den Augen der Stammspielerschaft zu bestehen, schon deutlich besser als der Vorgänger sein. Mass Effect 2 etwa hat seinen Vorgänger in den Schatten gestellt. Was dann mit den Userreviews im Finale der Trilogie passiert ist, wird sich hier jede*r denken können, von Andromeda einmal ganz zu schweigen.

Nachvollziehbar, aber dennoch falsch

Dass diese schlechten Bewertungen enttäuschter Fans nachvollziehbar sind, macht sie allerdings nicht besser und erst recht nicht weniger subjektiv. Mass Effect 3 war trotz des bei Release schwachen Endes ein sehr, sehr gutes Spiel, für das 6/10 eine völlig unangemessene Bewertung ist. Es hat dann über Updates glücklicherweise aber noch einige Optionen für das Spielende spendiert bekommen. Andromeda hingegen hatte massive Schwächen, was die Aufmachung angeht, und eine Story, die noch als solide durchgeht, technisch war es allerdings absolut unbrauchbar. Hier haben sich die Bewertungen mittlerweile sogar angeglichen. Anfangs gab es jedoch ein dermaßen absurdes Reviewbombing, dass sich namhafte Spieleseiten sogar haben mitreißen lassen.

Selten führen die unbegeisterten Nutzer*innen in diesen Bewertungen etwa bei Kritik an der Handlung wirklich mangelhafte Erzählstrukturen auf. Das Wort „Plotloch“ zum Beispiel wird gnadenlos überstrapaziert und ist längst nicht mehr reserviert für offenkundige Widersprüche in Ereignissen, die eine Handlung als Ganzes zum Entgleisen bringen (können). Was viele auch übersehen: Wie gut die Aussetzung der Ungläubigkeit funktioniert, die maßgeblich für die Glaubwürdigkeit einer Geschichte ist, ist auch subjektiv. Gefällt mir ein phantastisches Konstrukt insgesamt, dann bin ich gerne bereit, es zu „glauben“, auch wenn es unrealistisch ist. Fühle ich mich mit einer Story subjektiv unwohl, dann können mir auch völlig alltägliche Szenen falsch vorkommen.

© Disney
© Disney

Star Wars und Game of Thrones

Das Ganze beschränkt sich nicht auf Videospiele. Überall, wo es leidenschaftliche Fans gibt, gibt es leidenschaftliche Meinungen. Der Diskurs ist aber im Verhältnis mittlerweile so dermaßen gestört, dass man über manche Sachen, die völlig subjektiv sind, kaum noch sachlich reden kann. Ich fühle mich manchmal in Diskussionen wie ein bunter Hund, weil ich an der letzten Staffel Game of Thrones Spaß hatte und die neue Star-Wars-Trilogie unterhaltsam fand. Der Punkt ist: Die meisten handfesten Kritikpunkte kann ich nachvollziehen und verstehen, teile sie sogar zu großen Teilen.

Ich sage nicht einmal, dass sie die große Filmkunst sind und ich fand die Vorgänger ohne jede Frage subjektiv besser. Aber isoliert betrachtet hatte ich im Kino und vor dem Fernseher mit beidem Spaß und wäre ich Kritiker, würde ich wahrscheinlich eine solide Bewertung geben, ohne dabei die Schwächen ungenannt zu lassen. In den Augen eines enttäuschten Fans kann das bisweilen schon ausreichen, um der personifizierte Antichrist zu sein. Ich möchte ja nicht mal, dass alle immer (m)einer Meinung sind. Das wäre einerseits langweilig und andererseits ist mir bewusst, dass das kaum möglich ist. Am Ende des Tages habe ich in diesem Text ja bis dato nicht umsonst 14-mal das Wort „subjektiv“ benutzt.

Fazit

Liebe Leser*innen, danke, dass ihr mir bis hierhin zugehört habt. Was würde ich mir also wünschen? Geht umsichtig mit der Macht um, die anonyme Bewertungen mit sich bringen. Es ist eine große Errungenschaft, für die sehr viele Leute lange gekämpft haben, dass wir heute unsere Meinung jederzeit sagen dürfen, ohne zensiert zu werden. Das zu nutzen, um damit unserer Enttäuschung Ausdruck zu verleihen, ist völlig legitim. Aber bevor ihr das Ganze anonym ins Internet stellt, gilt idealerweise das Gleiche, das eigentlich immer gelten sollte: Bleibt fair. Selbstreflexion ist ein hohes Gut. Diskutiert über Dinge, lasst andere Meinungen zu und erkennt, wann eine Frage subjektiv ist. „Agree to disagree“ ist manchmal besser als zielloser Streit um Nichtigkeiten.

Artikelbilder: © wie gekennzeichnet
Titelbild: depositphotos.com © violetkaipa
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Maximilian Düngen

2 Kommentare

  1. Ich glaube, eine Fortsetzung isoliert zu betrachten, ist der falsche Weg, denn das Label, unter dem ein Produkt vermarktet wird, ist ja ein relevanter Teil des Produkts. Serien-Teile kann man nicht als Einzel-Produkt bewerten, sondern nur als Teil der Serie. Eine schnulzige „Frauenroman“-Liebesschnulze als neuer Game of Thrones-Roman würde vermutlich viele negative Reviews bekommen, auch wenn es eine ganz hervorragende Liebesschnulze wäre – denn sie wäre falsch gelabelt. Der Käufer bekommt nicht das, was ihm der Hersteller suggeriert hat.
    Ob die Story nun doof ist oder toll, bei Mass Effect – Andromeda bekommt der Kunde weder eine superinteressante Welt mit kreativ ausgearbeiteten Alienrassen, die diese bevölkern, noch eine epische Geschichte, die sogar Nicht-Gamer wie mich an den Rechner zieht, weil die Welt und Geschichte so begeistert – sondern lieblos eindimensionale Gut-Böse-Alienrassen, und davon genau 2, wo sich viele vielleicht gerade darauf gefreut hatten, eine neue Welt mit neuen Geschichten und vielen genauso kreativen Völkern wie in den Vorgängern zu erkunden. Das Spiel hält nicht, was das Label „Mass Effect“ verspricht. Und das muss in Reviews m.E. genauso bewertet werden wie die Qualität des Spiels generell.

    Was „Ich finde die Story doof“ angeht, gebe ich dir natürlich Recht – ein Spiel abzuwerten, weil man sich einen anderen Verlauf der Geschichte gewünscht hätte, hilft niemandem weiter und ist keine sinnvolle Art, den Frust über die anders gewünschte Story abzulassen. Ich hätte auch anderen Enden von Game of Thrones interessanter gefunden, aber meine meine Enttäuschung über die letzte Staffel ist in anderen Punkten begründet …

  2. Wenn Userreviews nur eine Aussage darüber treffen sollen ob man sich für die investierte Zeit/das Geld unterhalten gefühlt hat, kann man Userreviews auch komplett abschaffen. Mich interessieren keine Amazonreviews „Top Produkt, guter Preis, gerne wieder“. Mich interessieren leidenschaftliche Fans die manche Produkte bis ins Detail sezieren, nur mit diesem Detailgrad kann ich doch ansatzweise etwas darüber wissen ob diese Meinung sich stellenweise mit meiner eigenen decken würde!

    Und mal unter uns, egal von welchem Medium wir sprechen, sei es Kino, Musik oder Videospiele. Überall herrscht eine Flut an ideenlosen Projekten. Ob es nun der drölfte Remaster ist, der fünfte Ableger von einem noch so tollen hippen Genre oder sonstwas. Wirklich interessante Sachen sind absolut rar.

    Achja, dass ist narürlich auch nur meine persönliche Meinung, weil ich mir nicht anmasse auch nur zu erahnen wie eine objektive Einschätzung aussehen würde. :)

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