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Warcraft III: Reforged soll das Spielerlebnis vom Strategiespiel-Klassiker von Grund auf überarbeiten und dieses verbessern. Dass Remastering auch große Klassiker modernisieren und sogar verbessern kann, hat uns beispielsweise Capcoms Neuauflage von Resident Evil 2 gezeigt. Konnte der Branchenriese Blizzard-Activision abliefern, obwohl kurz vor Release die Zeichen nicht gerade gut standen?

Dieser Spieltest war für mich seltsam und er wird etwas persönlicher als sonst, so viel direkt im Voraus. Ich verbinde viel mit dem Warcraft-Universum, habe große Teile von Kindheit und Jugend mit den verschiedenen Teilen der Reihe verbracht und seit dem Release unzählige Stunden in World of Warcraft verbraten. Ich habe die meisten Bücher und einige der Comics gelesen, schaue jedes Jahr die Blizzcon und habe den Film in der Premiere angesehen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich ein Vollblutfan bin. Als solcher ist das Thema für mich durchaus auch Herzensangelegenheit.

Neben dem originalen Reign of Chaos ist auch die Erweiterung Frozen Throne enthalten…

Wer bereits mit Interesse am Spiel in diesen Artikel gestartet ist und die mediale Aufarbeitung rund um Warcraft III: Reforged verfolgt hat, der wird um die schlechte Presse der letzten Tage nicht herumgekommen sein. Ist sie berechtigt? Ist das Spiel wirklich so schlecht, wie uns Metacritic und Co. weismachen wollen? So viel vorweg: Nein. Das Spiel macht Spaß. Ich habe mit Freude alle acht Kampagnen durchgespielt. Aber dennoch hat das Spiel Schwächen. Keine kleineren Fehler, die man als Fan verzeihen kann, sondern gewaltige, unübersehbare Macken. Diese hängen aber weniger mit dem Spiel selber zusammen als vielmehr mit einem gewaltigen Haufen gebrochener Versprechen.

… das uns unter anderem in die Scherbenwelt führt, die wir auch aus World of Warcraft kennen.

Remaster vs. Reforged

„Reforged“, zu Deutsch „Neu geschmiedet“, der gewählte Untertitel impliziert gewissermaßen einen Prozess, der ein Projekt vom Fundament her neu aufbaut, nach altbekannten Mustern, aber mit dem Wissen, das man erst 20 Jahre später hat. Und genau das hat uns Blizzard auf der Blizzcon 2018 (neben dem verschrienen Diablo: Hellfire) angekündigt. Damals war die Neuauflage der Lichtblick einer ansonsten bestenfalls mittelmäßigen Hausmesse. Das Spiel sollte kein einfacher Remaster werden, wie er (vor allem aufgrund koreanischen Feedbacks) bei StarCraft: Remastered abgeliefert wurde. Während der von vielen geliebte Mehrspielermodus weitgehend gleich bleiben würde, wurde – gerade Lore-Fans wie ich waren geradezu euphorisiert – uns eine von Grund auf neue Kampagne versprochen. Die sollte zwar im Gesamtverlauf gleichbleiben, aber technisch und künstlerisch auf den neuesten Stand gebracht werden.

Nicht bloß ein Remaster: Gerade storyrelevante Figuren haben nun einzigartige Einheitenmodelle.

Der künstlerische Ansatz sollte den moderneren Designs von World of Warcraft folgen, die alten – teilweise nicht mehr aufzufindenden – Synchronsprecher durch ihre aktuellen Nachfolger ersetzt werden, die etwas holprigen Zwischensequenzen sollten modernisiert werden. Aber damit nicht genug: Wichtige Nebencharaktere wie Jaina Prachtmeer würden endlich redlich verdiente Zeit auf den Bildschirmen rund um die Welt erhalten, Plotlücken gefüllt und Brücken zum MMORPG geschlagen werden, die aus heutiger Sicht einfach fehlen. Auf der Blizzcon 2019 dann die Enttäuschung: Mit Rücksicht auf die eingefleischten Fans würden die Storyüberarbeitungen weggelassen werden und die alten Synchronsprecher wollte man nun doch beibehalten. Irritierend an dieser Stelle: Letzteres gilt vor allem für das englische Original, denn im Deutschen wurden die Sprecher streckenweise ersetzt.

Die unantastbare Geschichte?

Aber will man denn die beiden Kampagnen von Warcraft III: Reign of Chaos und seiner Erweiterung Frozen Throne überhaupt verändern? Möchte man denn wirklich Hand an den Mythos  legen, der ganz grundlegend für fast jeden Plotfaden des storyreichen World of Warcraft ist? Die Antwort aus Sicht eines Fans kann da vielfältig sein. Die einen möchten ihre nostalgischen Erinnerungen aufrechterhalten. Und das ist sogar verständlich. Wenn allerdings jemand das Spiel unter der Prämisse bewirbt und ankündigt, dass wir eben keinen optischen Remaster, sondern eine grundlegend überarbeitete Neufassung bekommen, dann darf man da durchaus mehr erwarten.

In Warcraft III hat das Volk der Orcs erst richtige Tiefe erhalten.

Bitte nicht falsch verstehen: Die Geschichte ist klassisch und großartig. Sie macht nach wie vor Spaß, wahrscheinlich würde sie sogar als Text-Adventure noch zünden. Aber Warcraft III wurde in einer Zeit geschrieben, als die Warcraft-Lore erst grade an Tiefe gewann. Die Ursprungsgeschichte der Orcs wurde mit Leben befüllt, die länger zurücklegende Vergangenheit von Azeroth weiter beleuchtet, überall klafften noch gewaltige Lücken. Ein paar unbedachte Worte eines NSC hier und da und ganze Storypfade waren für immer in Stein gemeißelt, könnte man meinen. World of Warcraft hatte dankenswerterweise den Mut, sich von diesen steinernen Worten nicht immer einschränken zu lassen.

Warcraft III: Reforged wäre eine Chance gewesen, diese Lücken endlich zu füllen. Und man sieht hier und da noch Ansätze dessen, was das Team eigentlich abliefern wollte. In einigen Missionen findet man kleine Neuerungen und Details, die Szenen beleuchten, die es im Strategiespiel nie gab. In der Lore sind diese Ereignisse aber gesetzte und wichtige Schlüsselpunkte. An diesen Stellen glänzt Reforged. Diese Freude ist aber bittersüß, denn schnell wird klar, was alles möglich gewesen wäre. Potentiell wurde hier die Chance vergeben, die vielleicht epischste Strategiespielkampagne seit dem grandiosen StarCraft II zu schaffen.

Die Untoten sind einer der großen Antagonisten.

Wer am lautesten schreit, hat selten Recht

Manch einer würde sogar weiter gehen. Eine vergebene Chance klingt weniger hart als ein gebrochenes Versprechen. Es ergibt wenig Sinn, ein Projekt aufzustellen, das einer bestimmten Prämisse folgt und diese Grundprämisse dann aufgrund nostalgischer Fanbefürchtungen durch die rosarote Brille wieder einzureißen. Was ist mit all den Fans, die auf der 2018er Blizzcon vom neuaufgelegten Ausmerzen von Stratholme hellauf begeistert waren? Es ist gut, seinen Fans zuzuhören. Aber derart kampflos einzuknicken, ist einfach keine starke Vorstellung. Dass Blizzard die verkorkste Kommunikation um die Neuauflage so dermaßen um die Ohren fliegt, wundert an der Stelle wenig.

Ein Branchenriese und Veteran wie Blizzard kann sich einfach nicht hinter Fanfeedback verstecken. Man muss sie auch dann zur Verantwortung ziehen, wenn dieses falsch eingeschätzt wird. Aber auch hier gilt: Es hat nicht recht, wer am lautesten schreit. Metacritic-Wertungen von unter eins (von zehn) sind absolut unsachlich und nicht ernst zu nehmen. Hier spiegelt sich die Enttäuschung einer emotionalen Fanszene wieder, gepaart mit den üblichen Internettrollen. Ein Negativhype, der an Mass Effect: Andromeda oder Dragon Age II erinnert und dessen Ausmaße – wie meistens – die tatsächlichen Ausmaße des Kritisierbaren um Längen übersteigt.

Hatte das Rework wirklich nötig: Hochelfenhäuser.

Schönheit mit Macken

Wenden wir uns an dieser Stelle den „harten Fakten“ zu. Die Grafik wurde komplett überholt und die Spielgrafik ist tatsächlich sehr ansehnlich. Wenn wir uns vor Augen halten, dass die Basis des Spiels noch immer die alte Engine des Grundspiels ist, wurde hier Großes geleistet. Dass man die Umgebungen an die moderneren Designs des MMORPG angepasst hat, ist großartig. Hochelfenhäuser sehen nach dekadenter und mystischer Elfenarchitektur aus und nicht wie eine krumme Weihnachtsfeenbude mit Hörnern. Manchmal hat man sich vielleicht auch etwas arg mitreißen lassen. Während der neudesignte Uther wunderschön anzusehen ist, erinnert Arthas‘ neuer Hammer an einen Kühlschrank am Stock. Ein Stück weit ist das vielleicht auch Geschmackssache und seien wir ehrlich: Das Vorbild World of Warcraft gibt das Design auch streckenweise vor.

Mitreißende Zwischensequenzen wurden uns auf der Blizzcon 2018 versprochen…

Beim Reinzoomen wird ein Detailgrad bemerkbar, der mit Heroes of the Storm durchaus mithalten kann. Die alte Engine macht sich aber durchaus manchmal bemerkbar. Einerseits erleben wir flüssiges Gameplay trotz gewaltiger Effektschlacht, andererseits tauchen unvermittelte Ruckler beim Durchqueren eines leeren Waldes auf – das muss niemand verstehen. Apropos Effektgewitter: Diese hätten etwas mehr Liebe vertragen können und sehen streckenweise noch ziemlich altbacken aus. Darüber lässt sich aber gut hinwegsehen. Weniger gut hinwegsehen lässt sich hingegen über die starren Zwischensequenzen und furchtbaren Einheitenportraits. Wir begegnen immer wieder Mündern, die sich beim Sprechen nicht bewegen, Texturen, die matschig aussehen, und jede Figur ist so dermaßen überbeleuchtet, dass sie aussieht, als würde sie schweißnass direkt vor einem Scheinwerfer stehen. Das ist einfach handwerklicher Murks.

… erhalten haben wir leider nur halbgare Überarbeitungen.

Lieblosigkeit an allen Ecken und Enden

Und hier tut sich ein gewaltiger Kritikpunkt auf, der bei aller Fairness und viel gutem Willen kaum schönzureden ist: Lieblosigkeit. Die grafischen Überarbeitungen könnten unter dem Strich punkten, gar keine Frage. Es wäre wahnsinnig schön gewesen, die CGI-Trailer endlich mal ohne Körnung in moderner Fassung zu sehen. Die World of Warcraft-Trailer schaffen es jedes Mal, selbst Nicht-Fans Schauer über den Rücken zu jagen. Aber auf der Liste der realisierbaren Wünsche war das ohnehin recht weit hinten, auch wenn uns der überarbeitete Trailer von der Blizzcon 2018 da Hoffnungen gemacht hat.

Das Standardmodell einiger Helden – hier der Todesritter – ist im Gegensatz zum alten Warcraft III von der Kampagnenversion nicht zu unterscheiden…

Und hier zeigt sich ein Muster: Selbst wenn man die Storyänderungen mal beiseitelässt (was mir schwerfällt), hätte man die Zwischensequenzen modernisieren können. Der Kampagnentrailer der Blizzcon 2018 hat uns das ziemlich eindeutig versprochen. Die Grafik ist in der Vorschau von 2018 detailreicher als in der veröffentlichten Version, auch wenn sie immer noch recht schön anzuschauen ist. Genannte Zwischensequenzen sind aber leider einfach Kopien der Alten  – hier und da mal mit einer neuen Animation und mit Mündern, die sich bewegen. Dass diese (selbst in den genannten Portraits) bestenfalls mit viel Fantasie zum Gesagten passen, ist da fast schon das geringste Problem.

Ein Tiefschlag für Kreative und Engagierte

… dafür erhalten wir aber optionale Skins, wie wir sie aus StarCraft II kennen.

Noch schwerer wiegen aber andere, spielerische Änderungen. Dabei hat vor allem eine Entwicklung Spielerzorn auf sich gezogen. Spielkonzepte und Karten, die mittels des legendären Editors erstellt werden, sind in Zukunft geistiges Eigentum Blizzards. Letzteres wirkt auf den ersten Blick wie eine kluge wirtschaftliche Entscheidung. Sieht man aber genauer hin, fragt man sich, wer denn jetzt noch motiviert sein wird, wirklich kreativen Content zu entwickeln. Wäre es nicht klüger gewesen, die Kreativwerkstatt Warcraft III, die uns beispielsweise das Genre der Mobas beschert hat, als Chance zur Talentrekrutierung zu begreifen?

Spielerorganisierte Turniere (man denke an CreepJack oder die ESL Pro Tour) entfallen, eine Ladder fehlt, und die Möglichkeit, in alter Manier Clans zu bilden, ist ebenfalls verschwunden. Das sind Sachen, die einige Story-Fans weniger treffen mögen, aber dennoch verheerend sind. Wer zu letzterer Sorte zählt und gerade durchatmet, weil ihn diese Online-Features nicht treffen, der sollte sich nicht zu früh freuen. Was nämlich auch fehlt, sind spielergenerierte Einzelspieler-Kampagnen. Derer gab es in Warcraft III einen reichen Schatz spannender Geschichten, auf die wir in Zukunft verzichten müssen.

Eigene Spielkonzepte wie Turmverteidigungen sind in Zukunft geistiges Eigentum Blizzards.

Die Sache mit der Glaubwürdigkeit

Kombiniert man dann noch den Umstand, dass Blizzard erst Anfang November das Auslassen der Storykampagne angekündigt hat, dann knapp zwei Wochen vor dem Release diesen nochmal um einen Monat verschoben hat, zeichnet das ein leider düsteres Bild. Dass Blizzard, die Könige des „It’s done when it’s done“, die Jahre gebraucht haben, um auf den Communitywunsch nach Classicservern für World of Warcraft überhaupt zu reagieren, ein handwerklich mittelmäßiges Spiel abliefern, das durch das Einknicken vor einigen Schreihälsen zu einem Desaster wurde, lässt mich ratlos zurück. Es bleibt zu hoffen, dass Blizzard diesen Reinfall mit aller Energie behebt.

Grafisch ist das Spiel bei aller Kritik allerdings durchaus stimmig.

Die bisher von Blizzard angekündigten Änderungen sind bestenfalls Tropfen auf den heißen Stein. Dass man sich standhaft weigert, Spielerturniere wieder einzuführen und dabei auf „Custom Games“ verweist, geht völlig an der Spielerkritik vorbei. Bugfixes und die Überarbeitung der grafischen Unzulänglichkeiten wurden zwar versprochen, sind aber auch das Mindeste, das Fans erwarten dürfen. Lobend zu erwähnen ist hier nur, dass Blizzard jetzt eine unkomplizierte Rückgabe des Spiels ermöglicht hat. Die Ankündigungen insgesamt sind leider Nebelkerzen und zu echter Schadensbegrenzung eher ungeeignet. Wir hoffen an dieser Stelle auf weitere umfassende und mutige Änderungen. Ansonsten wird Warcraft III: Reforged vermutlich als gewaltiger Rückschlag in die Videospielgeschichte eingehen, der gerade nach der vielversprechenden Blizzcon umso bitterer ist.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Blizzard Entertainment
  • Publisher: Blizzard Entertainment
  • Plattform: PC
  • Mindestanforderungen: Windows 7 64bit, Intel Core i3-530 oder AMD Athlon Phenom™ II X4 910 oder besser, 4 GB RAM, NVIDIA GeForce GTS 450 oder AMD Radeon HD 5750 oder besser, 30 GB Festplattenspeicher
  • Genre: Echtzeitstrategie
  • Releasedatum: 29. Januar 2020
  • Spielstunden: Für die Kampagnen etwa 40
  • Spieleranzahl: 1-12
  • Altersfreigabe: USK 12
  • Preis: 29,99 EUR
  • Bezugsquelle: Blizzard Shop

 

Fazit

Warcraft III: Reforged macht es mir alles andere als leicht. Ich würde es gerne lieben und ich würde es hier gerne gegen all die bösen Internettrolle verteidigen, aber so richtig kann ich das leider nicht. Dafür sind die Fehler von Entwicklungsveteran Blizzard einfach zu gewaltig. Die vielen Versprechen, die gemacht und dann nicht erfüllt wurden, wiegen da einfach zu schwer. Gerade weil man an so vielen Ecken und Enden sieht, dass man gekonnt hätte, wäre der Wille da gewesen. Communitywünsche sind oft ein zweischneidiges Schwert, weil es schwer ist, einen wirklichen Wunsch von dem Geschrei einiger Weniger zu unterscheiden. In dem Fall kommt einem das Ganze etwas seltsam vor. Dass so viele andere Baustellen nämlich eher lieblos zusammengekürzt wurden, das Spiel trotz Streichung von Features kurzfristig verschoben wurde und einige Reste der Änderungen in der Kampagne geblieben sind, deutet hier eher auf mangelnde Zeit und/oder Ressourcen des Entwicklerteams hin als auf den Communitywunsch. Der wirkt fast vorgeschoben oder zumindest verdächtig bequem. Kann ich Warcraft III: Reforged also empfehlen? Nicht für jemanden, der sich ein wirklich überarbeitetes Spiel wünscht oder für Online-Veteranen, die nur etwas schönere Grafik wollten. Es ist ein Nostalgiepflaster für diejenigen, die sich nach alten Geschichten sehnen, ein optisches Remaster mit riesigen Abstrichen in den Online-Funktionen. Mehr leider nicht.

 

Artikelbild: © Blizzard Entertainment, Screenshots: © Blizzard Entertainment, Stephan Köhli, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur

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