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In Büchern und Filmen werden Geschichten erzählt. Ist dieses Gerüst schlecht, werden oftmals weder gute Bilder noch schöne Worte noch viel retten können. Aber auch die Digitalen Spiele sind mittlerweile in puncto Storytelling hervorragend aufgestellt. Welche Typen von Storytelling gibt es und welchen Einfluss hat die Story auf das Spiel?

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich bei Spielen auf eine gute Geschichte viel Wert lege. Für mich waren die letzten zehn Jahre also Gold wert: Cutscenes von Triple-A-Titeln gehen schon lange als Blockbuster-Material durch. Storyboards werden von namhaften Genre-Autoren verfasst. Der Branchenriese Call of Duty verpflichtet bekannte Schauspieler als Aushängeschilder ihrer Kampagnen. Namhafte Komponisten wie Hans Zimmer, Russell Brower oder Ramin Djawadi heuern bei Spieleschmieden an. Für mich muss eine gute Story aber nicht zwangsläufig tiefgründig oder anspruchsvoll sein. Auch ein minutiös abgebranntes Klischeefeuerwerk á la Michael Bay hat seinen Reiz, wenn es gut inszeniert wird.

So unterschiedlich die Herangehensweise an das Storytelling sein mag, so gleich ist das Ziel: Unterhaltung. Seit ich lesen kann, habe ich über viele Jahre hinweg endlos viele Stunden in verschiedene Spiele gesteckt und viele Geschichten erlebt oder gehört. Manche haben mich gelangweilt, manche zum Nachdenken gebracht, die meisten haben für eine Menge Kurzweil gesorgt. Folgend also meine Perspektive auf Storytelling in Videospielen und damit einhergehende Schwächen und Stärken.

Spoiler voraus!

Das glaubwürdige und tiefgreifende Storytelling von Witcher III ist packend. © CD Project Red
Das glaubwürdige und tiefgreifende Storytelling von Witcher III ist packend. © CD Project Red

Drei Typen von Storytelling

Stumpfes Geballer macht Spaß. Ernsthaft, nicht immer steht mir als Spieler der Sinn danach, mir mühsam einen Lösungsweg zu erarbeiten, der moralisch am wenigsten Dunkelgrau ist. Nicht immer möchte ich stundenlang ins Blaue raten zu müssen, nur um dann von einem nicht vorhersehbaren Plottwist überrumpelt zu werden. Manchmal ist auch passionierten Pen & Paper-Rollenspielern wie mir ein Red Herring einer zu viel. Aber dennoch, Rückschläge sind Teil einer packenden Geschichte und ohne Katastrophe keine Katharsis.

Im Allgemeinen ist es ungemein hilfreich, Szenen, die den eigenen Charakter betreffen, mit einer gewissen Distanz zu betrachten. Losing is winning. Eine verzweigte Kampagne mit moralischen Grauzonen und emotionalen Dilemmata verfolgt eine ganz andere Vorgehensweise als eine Scriptkampagne und lässt den Spieler viel aktiver Teil der Welt werden. Gerade letzteren Punkt können Sandbox-Games, wenn sie es richtig machen, auf die Spitze treiben.

Scriptkampagnen – Warum weniger manchmal mehr ist

In Call of Duty Infinite Warfare stand Kit Harington für Aussehen und Stimme des Bösewichts Pate.
In Call of Duty Infinite Warfare stand Kit Harington für Aussehen und Stimme des Bösewichts Pate.

Dennoch muss ich das nicht immer haben. Es kann ungemein erfrischend sein, das Gehirn einfach mal an der Garderobe abzugeben, einen beliebigen Call of Duty-Teil anzuschmeißen und in den vergleichsweise kurzen Kampagnen die großartig inszenierten Bilder zu genießen. Wer der Böse ist? Völlig klar, von Anfang an. Ich habe ein markantes Gesicht, vielleicht sogar eine nachvollziehbare Vorgeschichte des Bösewichts und ich weiß, auf wen ich feuern muss. Ein fünf Meilen gegen den Wind zu riechender Plottwist, inklusive großem Verrat, gehört natürlich auch dazu. Explosionen, Rettungen in letzter Sekunde, dramatische Quicktimeevents … Alles da, was das Herz eines Michael Bay-Connaisseurs begehrt.

Scriptkampagnen aber auf vorhersehbare, stumpfe Kost zu reduzieren, wäre ein Fehler. Die Schreiber von Blizzard Entertainment etwa sind Großmeister der spannenden Kampagnen. Viele Entscheidungen konnten wir dort nie treffen, sei es nun im Diablo-, WarCraft– oder StarCraft-Franchise. Auch sind die Spielszenen bei weitem nicht so actiongeladen wie in Call of Duty, Titanfall oder Battlefield, die Geschichten sind aber meist deutlich umfassender und ein einfallsreicher. Sogar beim Branchenriesen World of WarCraft hat man sich seit Wrath of the Lich King große Mühe gegeben, den Spielern ein kohärentes Storytelling anzubieten anstelle von lose zusammenhängenden Quests.

Wichtig für gute lineare Geschichten – und das macht gerade Blizzard richtig – sind gute Cutscenes. Spätestens seit Diablo II und WarCraft III gelten die US-Amerikaner völlig zurecht als Könige der CGI-Trailer. Gemündet ist das Ganze sogar in einem ausgewachsenen Blockbuster. Alle haben aber Eines gemein: Form Follows Function. Das Gameplay steht deutlich im Vordergrund. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass sowohl bei Blizzard-Spielen, als auch bei den großen Shooter-Marken der Multiplayer der deutlich größere Langzeitmotivator sind. Dieses Gameplay allerdings ansprechend zu verpacken, lässt die Spiele ungemein gewinnen.

Seit Wrath of the Lich King helfen neben den aufwändigen CGI-Trailern auch Cutscenes in Spielgrafik beim Storytelling in WoW.
Seit Wrath of the Lich King helfen neben den aufwändigen CGI-Trailern auch Cutscenes in Spielgrafik beim Storytelling in WoW.

Nonlineare Geschichten – Open World und Identifikation

Starcraft II mit seinen beiden Erweiterungen hat neue Maßstäbe für das Storytelling in Strategiespielen gesetzt.
Starcraft II mit seinen beiden Erweiterungen hat neue Maßstäbe für das Storytelling in Strategiespielen gesetzt.

Zugegeben: Die Übergänge sind fließend. Auch StarCraft II lässt uns hier und da mal Entscheidungen treffen und auch Call of Duty: Black Ops II ist etwas offener als seine Vorgänger aufgestellt. Eine völlig strikte Trennung ist hier oft schwer. Bei einer nonlinearen Story steht allerdings in der Regel das Erlebte deutlich im Vordergrund und Entscheidungen, die häufig gefällt werden müssen, haben unvorhersehbare Konsequenzen. Intensive Spielszenen, auf die ich selber Einfluss habe oder deren Verlauf ich sogar komplett diktieren kann, sorgen für Identifikation, da ich das Gefühl habe, hier am Steuer zu sein.

Dementsprechend reißen solche Stories oftmals mit, ohne dabei über mehrere Spiele hinweg Bindungen aufbauen zu müssen. Ein Beispiel: Erlebe ich als WarCraft-Fan mit, wie König Varian durch den Angriff auf die brennende Legion stirbt, dann trifft mich das, weil er mich über Jahre hinweg durch das Spiel begleitet hat. Stirbt in Witcher III Keira Metz auf dem Scheiterhaufen, dann nimmt mich das mit, weil ich diese Entscheidung auch anders hätte treffen können, auch ohne vorher Jahre im Spiel zu verbringen. Es ist alles eine Frage des Storytellings.

In Call of Duty Black Ops 4 ist die Singleplayer-Kampagne einer Erweiterung der Multiplayer-Modi zum Opfer gefallen. Schade!
In Call of Duty Black Ops 4 ist die Singleplayer-Kampagne einer Erweiterung der Multiplayer-Modi zum Opfer gefallen. Schade!

Durch ihre komplexe, verzweigte Handlung und unser Mitwirken an der Gesamtgeschichte, fiebern wir völlig anders mit den Charakteren mit. Doch auch hier gilt: Wir dürfen uns nicht von Genres beschränken lassen. Nicht nur klassische Fantasy-Rollenspiele wie Pathfinder: Kingmaker oder das erwähnte Witcher III: Wild Hunt beinhalten nonlineare Stories. Auch bei Science-Fiction-Shooter-Hybriden á la Mass Effect hört diese Art des Storytellings nicht auf. Spec Ops: The Line hat uns gezeigt, wie gut sich tiefgründige und komplexe Stories, sogar verbunden mit sehr ernsthaften Themen, auch in reinrassigen Shootern verarbeiten lassen. 

Sandboxing – Stories, wo man keine erwartet

Auch hier gilt: Es gibt keine harten Grenzen. Pathfinder: Kingmaker etwa hat große Sandboxing-Anteile, die sogar Teil des Storytellings sind. Klassische Rollenspiele möchte ich aber hier eher auslassen, auch Sandboxing-Shooter werden sich eher wenige finden. Eine Lanze brechen möchte ich hier für Spiele, denen man – meiner Meinung nach zu unrecht – vorwerfen könnte, Sie würden keine Geschichte erzählen. Die Rede ist von 4X-Games oder – wie man bei uns etwas sperriger sagt – Globalstrategiespiele. Das Besondere hier ist, dass Offenheit und mangelnde vorgegebene Story expliziter Teil des Spiels sind.

In Stellaris können wir unterschiedlichste Reiche erschaffen und mit Ihnen Geschichte schreiben.
In Stellaris können wir unterschiedlichste Reiche erschaffen und mit Ihnen Geschichte schreiben.

Die Story findet sich dort meist im eigenen Kopf. Spielt man das Spiel nicht aus reinen Gameplay-Gesichtspunkten, dann wird man unkluge Entscheidungen treffen, die uns aber im Bauchgefühl mehr Spielspaß bereiten. In Klassikern wie der Civilization-Reihe bleibt es bei diesem Kopfkino. Andere Spiele gehen dabei weiter. Im SciFi-Globalstrategiespiel Stellaris etwa dürfen wir zu Beginn unser eigenes Volk, inklusive politischer und moralischer Ausprägung, zusammenpuzzlen. Über das gesamte Spiel werden wir immer wieder mit Events konfrontiert, die wir entsprechend unserer Ausrichtung beantworten können. Aus manchen dieser Events entspannen sich spielfüllende Kampagnen.

Als Beispiel können wir von einer leicht cthulhu-esken Entität kontaktiert werden, die unseren Leuten scheinbar wohlwollend gegenübersteht. Unsere Entscheidung: ablehnen oder annehmen. Bekämpfen wir das Wesen oder suchen wir fanatisch das Weltall nach weiteren kryptischen Hinweisen ab? Folgen wir dem Wesen, steht am Ende ein völlig verändertes Volk, das sich auf den sonst unbewohnbaren Grabwelten sehr wohlfühlt. Spieltechnisch ist die Entscheidung unsinnig, sie macht aber verdammt viel Spaß. Eine ähnliche Art des Storytellings verfolgt etwa auch Crusader Kings II, wo wir die Geschicke einer Adelsfamilie bestimmen können. Rollenspielerische Events diktieren dabei die Entwicklung unserer Spielfigur und unseres Reiches. Die Stories werden dabei nicht zusammenhängend erzählt, allerdings ist garantiert, dass, alleine schon durch Größe und Vielfalt, in jedem Durchlauf eine völlig neue Geschichte erleben wird.

Die Möglichkeiten von Storytelling

Gerade bei Spielen mit linearen Kampagnen sind die Möglichkeiten auch guten Storytellings begrenzt. Da Gameplay im Vordergrund steht, wird eine Kampagne, wenn sie auch gut inszeniert ist, nicht vollends über spielerische Schwächen hinwegtäuschen können. Selbst Kolosse wie Call of Duty müssen sich seit Jahren mit Vorwürfen mangelnder Innovation auseinandersetzen, obwohl die Kampagnen stets gut inszeniert wurden. Auch einem World of WarCraft würde man schlechtes Balancing und altbackenes Gameplay nicht verzeihen, nur weil die Zwischensequenzen grandios sind. Gleiches gilt für Sandbox-Games. Wie soll man eine gute Geschichte erzählen, wenn die Werkzeuge nicht funktionieren?

Mutiges und tiefgründiges Storytelling im klassischen Shooter-Gewand.. Spec Ops The Line.
Mutiges und tiefgründiges Storytelling im klassischen Shooter-Gewand.. Spec Ops The Line.

Etwas anders sieht das bei Spielen aus, in denen die Story im Mittelpunkt steht. Ein Witcher III etwa ist nicht gerade für sein innovatives Gameplay bekannt (wenn man von Gwent einmal absieht). Starke und leichte Attacken, einige wenige Zauber, hier und da ein Gimmick. Vor der Inszenierung, den vielen, kleinen Geschichten und der großen Kampagne hingegen schrumpfen diese „Makel“ auf Mindestmaß zusammen. Natürlich können Stories unter dem Strich kein schlechtes Spiel zu einem Guten machen. Aber sie können Triebfeder sein, als Katalysator dienen und uns Spielmechaniken zugänglich zu machen. Gutes Storytelling kann uns unter Druck setzen oder in Sicherheit wiegen und uns dann überraschen, auch ohne dabei zwangsläufig auf Gameplaymechaniken zurückgreifen zu müssen.

Von einer guten Story kann ein Spiel nur gewinnen. Kein gutes Spiel wird dadurch schlechter, dass ihm eine Kampagne beigelegt wird. Bei vielen Spielen mit gutem Gameplay hat man diese geradezu vermisst. Was hätte beispielsweise ein vergleichsweise unbekanntes, aber technisch starkes War of the Roses gewinnen können, hätte man eine spannende Storytelling-Kampagne hinzugefügt? Das Spiel hätte deutlich vor Kingdom Come: Deliverance den Markt der glaubwürdigen Historien-Rollenspiele bedienen können. Ohne dieses Gerüst war es „nur“ ein interessanter Mittelalter-Shooter. Auch ein vergleichsweise kleines Bad North hätte selbst durch eine kleine Story viel gewinnen können.

Crusader Kings II hat mit 'Way of Life' rollenspielerischen Entscheidungen ein ganzes DLC gewidmet.
Crusader Kings II hat mit ‚Way of Life‘ rollenspielerischen Entscheidungen ein ganzes DLC gewidmet.

Ausblick

Ein Ende von gut gemachten Kampagnen in den Digital Games ist erwartungsgemäß nicht abzusehen. Die meisten Spiele können durch gute Storygerüste nur gewinnen. Dass auf Treyarchs Ankündigung, in Call of Duty: Black Ops 4 keine Kampagne mitliefern zu wollen, mit Unverständnis reagiert wird, zeigt: Das Spielerinteresse ist da. Sogar mehr oder minder banale Puzzlespiele werden mit thematischen Rahmen ausgestattet, die eine rudimentäre Story enthalten. Das seit Jahren an Schlagkraft gewinnende CRPG-Genre geht mit Pathfinder neue Wege und schnuppert im Sandbox-Genre. Battlefield traut sich mit seinen kurzen Themenkampagnen auch Themen wie PTBS und die menschliche Seite des Krieges zu beleuchten. Immer mehr Computerspiele schaffen es auf die Kinoleinwand und es wird eine ernsthafte Debatte darüber geführt, ob Hakenkreuze nicht nur in Filmen, sondern auch in Spielen gezeigt werden dürfen.

Und das ist auch gut so, denn ein Computerspiel kann Leute einbinden, wo Filme und Bücher zum Zusehen zwingen, Inhalte intensiver vermitteln und uns länger unterhalten. Dabei ist es wichtig, Videospiele als Medium ernst zu nehmen. Die nächsten Jahre dürften spannend werden.

Artikelbilder: Blizzard Entertainment, CD Project RED, Activision, Paradox Development Studio, Yager Development, Bearbeitet von Verena Bach

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