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Ende August erschien das minimalistisch-charmante Roguelike-RTS Bad North für die Playstation 4, Xbox One und Nintendo Switch. Als Inselbewohner dürfen wir hierbei in einer Kampagne unsere Heimat vor einfallenden Wikingerhorden verteidigen. Kann das Drei-Mann-Studio Plausible Concept mit ihrem Erstlingswerk überzeugen?

In Bad North schlüpfen wir in die Rolle eines Exilanten, der auf der Flucht vor brandschatzenden Wikingern zu einem wahren Meister der Inselverteidigung avanciert. Hierbei stehen uns verschiedene Truppentypen zur Verfügung, die wir geschickt einsetzen müssen, um unsere Verluste zu minimieren. Obwohl das Spiel dabei auf eine fast schon niedliche Comicgrafik setzt, kommt der spielerische Anspruch absolut nicht zu kurz. Der strategische Anspruch der prozedural erstellten Kampagne steigt dabei von Insel zu Insel an. Momentan dürfen wir die Wikinger auf der Playstation 4, Xbox One und Nintendo Switch In diesem Jahr soll allerdings noch die PC-Fassung des Roguelite – so nennen die Entwickler ihren Mix aus Echtzeitstrategie und Roguelike – erscheinen.

Keine Story? Schade!

Als wir das Spiel das erste Mal starten, sind wir irritiert. Weder erwartet uns das fast schon obligatorische Intro, noch bekommen wir beim Start der Kampagne einen Einführungstext vorgesetzt. Näheres erfahren wir nur vom Klappentext des Spiels: Wir sind offenbar ein Thronerbe, dessen Vater von einfallenden Wikingern getötet wurde. Mit nichts als dem Nötigsten ausgestattet, sammeln wir unsere verbleibenden Untertanen und fliehen von Insel zu Insel. Uns diese Infos kurz zu Spielbeginn zu geben, ehe wir den Steam-Shop, Klappentexte oder die Webpräsenz des Spiels danach durchforsten müssen, wäre so einfach wie nützlich gewesen.

Doch genau so vage bleibt das Spiel auch. Wir können uns auch ohne Klappentext gerade so zusammenreimen, dass die einfallenden, schwarzen Männchen offenbar Wikinger sind. Mit etwas Phantasie können wir außerdem die Namen unserer Kommandanten in verschiedene historische Kontexte einordnen. Johanna ist scheinbar fränkisch, Kirwyn könnte irisch sein, Guthrum wiederum skandinavisch. Eine klare Ansage, zu welchem Volk wir gehören und was genau uns eigentlich zur Flucht treibt? Fehlanzeige. An manchen Stellen wünscht man sich als Storyfan allerdings genau diese Einbettung in einen größeren Kontext. Ein paar Stimmungstexte und ein kleines Comic-Intro hätten hier wirklich Wunder gewirkt.

Großartige Atmosphäre

Auch die technische Aufmachung des Spiels bleibt dabei dem minimalistischen Thema des Spiels treu, ist aber deutlich liebevoller als das Storygerüst. Die Inseln, auf denen wir kämpfen, sind kleine Cel-Shading-Idyllen, deren Pastell-Optik ein wunderbar funktionierendes Paket ergibt. Wir vergessen über die wirklich schöne Grafik sogar die strikt geometrische Rasterform der Insel. Die wuselnden Wikinger (in Schwarz, damit auch ja jeder weiß, wer der Böse ist) und unsere eigenen Einheiten (in Blau, wer hätte es gedacht?) fügen sich dabei hervorragend ein. In die hüpfenden und um sich schlagenden Männchen bringt die unerwartet explizite Blutdarstellung eine erwachsene Komponente, die zum fordernden Gameplay durchaus passt

Es verwundert da nicht weiter, dass auch der Soundtrack nicht gerade mit Stücken orchestralen Ausmaßes aufwartet. Es gibt eine eingängige, zum Wikinger-Thema passende Hauptmenümusik sowie kurze Musikstücke und Tonfolgen, die uns bestimmte Ereignisse anzeigen. Abgesehen von den obligatorischen Ambientegeräuschen war es das auch schon. Ehrlich gesagt möchten wir es auch gar nicht anders, denn ein sperriger Soundtrack hätte schlichtweg kaum zur Gesamtaufmachung des Spiels gepasst. Ein eingängiges Leitmotiv, wenn die Schlacht erfolgreich geschlagen ist, ein niederschmetternder Ton, wenn eine Einheit komplett aufgerieben wird, und klingende Münze, wenn wir ebenjene verteilen dürfen. Mehr braucht das Spiel gar nicht.

Minimalistisches Gameplay

Genauso wie die Story bleibt auch das Spiel zutiefst minimalistisch. Die grundlegenden Mechaniken sind schnell verstanden. Das Tutorial zu Spielbeginn umfasst einige Texte und lässt uns dann für den Rest des Spiels in Ruhe. Mit einer einfachen Steuerung lenken wir bis zu vier verschiedene Trupps von Überlebenden über zufällig generierte Inselkarten, die mit einem Rastersystem funktionieren. An den Rändern dieser Inseln landen in kleinen Booten Wikinger an, die mit unterschiedlichen Mitteln versuchen, die auf der Insel stehenden Häuser niederzubrennen. Brennt ein Haus nieder, generiert es keine Münzen mehr, die wir brauchen, um unsere Einheiten zu verbessern.

Auf der ersten Insel sind unsere beiden Starttrupps dabei noch spärlich ausgerüstet. Lediglich ein Schwert hat jeder der Kämpfer, was allerdings glücklicherweise auch auf die einfallenden Wikingerhorden zutrifft. Sind die ersten Angriffe abgewehrt, atmen wir durch und dürfen die Münzen auf die Einheiten verteilen, die am Gefecht teilgenommen haben. Erreichen wir eine gewisse Anzahl an Münzen, dürfen wir unsere Einheiten zunächst einmal verbessern. Am Anfang stehen wir vor der Wahl: Schwert und Schild, Bogen oder Speer?

Jede Einheit hat dabei bestimmte Stärken, wobei das Spiel weitestgehend auf strenges „Schere, Stein, Papier“ verzichtet. Schilde erlauben uns, Angriffe von vorne abzuwehren, Speere erlauben uns, über ein Feld hinweg zuzustechen und Angreifer zurückzustoßen, und Bögen geben uns die Möglichkeit, Feinde schon auf Entfernung auszudünnen. Das System ist zwar einfach, bietet aber unzählige Möglichkeiten. So sind Speerkämpfer, die an einer Treppe platziert werden, kaum zu besiegen, da sie die Feinde schlichtweg wieder herunterstoßen. Ebendiese Abwehrspezialisten können aber im Gegensatz zu anderen Truppentypen nicht kämpfen, wenn sie sich bewegen, und sind Pfeilen schutzlos ausgeliefert.

Taktische Tiefe

Nachdem wir uns für eine Spezialisierung entschieden haben, ist allerdings nicht Schluss. Wir können danach weiterhin Münzen investieren, um unsere Einheiten auszubauen und somit ihre Eigenschaften zu verbessern. Diese werden uns allerdings nirgendwo numerisch angezeigt. Wir müssen uns mit für Zahlenjongleure geradezu kryptischen Werten wie „Bessere Verteidigung“ herumschlagen. Im Allgemeinen müssen wir uns im gesamten Spiel oft auf Erfahrungswerte, Intuition oder Beobachtungsgabe verlassen. Wenn wir wissen wollen, wie stark unsere Trupps noch sind, hilft nur Durchzählen; die Truppstärke wird nirgendwo angezeigt. Wenn wir wissen wollen, wie viel Schaden unsere Attacken machen, hilft nur Beobachtung, denn Schadenszahlen gibt es nicht. Erfrischend einfach.

Zurück zum Punkt: Ist die Spezialisierung ausgewählt, erhält jeder der drei Truppentypen für Münzen Zugriff auf einen Spezialangriff. Bogenschützen erlernen dabei eine koordinierte Salve, Speerträger einen Sturmangriff und Schildkämpfer die Möglichkeit, von einer erhöhten Position einen Sprung durchzuführen. Wir bleiben also bei spielerischem Minimalismus, der uns allerdings erneut zahllose strategische Winkelzüge eröffnet. Genau wie zuvor sind auch diese Angriffe für Münzen verbesserbar. Ein letztes Gimmick sind die Gegenstände, die uns etwa erlauben, sofort unsere verlorenen Verteidiger wieder aufzufüllen oder die Anzahl von Soldaten pro Trupp zu erhöhen. Jede Einheit darf dabei einen dieser Gegenstände mit sich herumtragen.

Doch bevor wir unsere Truppen überhaupt in den wuseligen Schlachten einsetzen, müssen wir auf der Kampagnenkarte wählen, auf welcher Insel wir überhaupt kämpfen. Vor uns entfaltet sich dabei ein prozedural entstehendes Atoll. Pro Runde kann jeder unserer Trupps einmal in einer Inselschlacht eingesetzt werden. Gleichzeitig rückt aber die große Wikingerstreitmacht weiter vor und „verschluckt“ die nachliegenden Inseln. Ein gewisser Druck, voranzukommen, ist also da. Da wir auf den Inseln neben schnödem Mammon außerdem weitere Kommandeure oder besagte Gegenstände erhalten, ist es oft reizvoll, mehrere Inseln gleichzeitig abzuhandeln. Wollen wir das machen, bleibt uns kaum anderes übrig, als einen Vorsprung vor den Wikingerhorden zu erarbeiten und mehrere Inseln in einer Runde zu spielen.

Hart, aber fair

Das Spiel fängt dabei zwar seicht an, nimmt aber nach und nach stark an Schwierigkeit zu. Während wir am Anfang noch problemlos mehrere Inseln in einer Runde schaukeln, reichen später kleine taktische Fehler, um unseren Verteidigungsplan über den Haufen zu werfen. Der automatische Speichermodus des Spiels verwehrt uns ein Speichern und Neuladen eines Spielstands. Wird eine Einheit im Spiel völlig aufgerieben, so bleibt diese tot. Sind alle Kommandanten mitsamt ihren Truppen erschlagen, endet unsere Kampagne. All das klingt hart und unbarmherzig, und wenn wir ehrlich sind, ist es das auch. Es bricht einem schier das Herz, wenn der Trupp Schwertkämpfer auf Maximallevel mit Befehlsring – ein praktischer Gegenstand, der die Truppgröße erhöht – aufgrund eines taktischen Fehlers aufgerieben wird. Wichtig ist hier allerdings das Stichwort „Taktischer Fehler“. Es ist mitnichten so, dass das Spiel unfair wäre oder uns dumme Zufälle eine Insel kosten würden.

In den allermeisten Fällen sind wir schlichtweg selbst schuld, wenn wir Truppen verlieren, denn das Spiel ist berechenbar. Wir sehen weit vorher, wo die Wikinger angreifen, wir wissen, was unsere Soldaten können, und die Karte ist überschaubar. Die Steuerung ist schnell gemeistert, und das, obwohl es sich mit dem Controller zeitweise so anfühlt, als wäre das Spiel eigentlich für den PC konzipiert. Fair hier: Sobald wir einen Trupp anwählen, schaltet das Spiel in Zeitlupe und wir können in Ruhe unsere Taktik zurechtlegen. Und selbst wenn wir mal komplett aufgerieben werden und vor dem endgültigen Game Over stehen, ist das nicht weiter dramatisch. Das Spiel ist dergestalt minimalistisch ausgelegt, dass wir nach zwei Stunden eigentlich alles gesehen haben, und ein neuer Spielstand ist fix erstellt.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Plausible Concept
  • Publisher: Raw Fury
  • Plattform: Playstation 4, Xbox One, Nintendo Switch, später 2018 auch PC
  • Genre: Roguelike/Echtzeitstrategie
  • Releasedatum: 20. August 2018
  • Spielstunden: 5–10 für die Kampagne
  • Spieleranzahl: Singleplayer
  • Altersfreigabe: USK 12
  • Preis: 14,99 EUR
  • Bezugsquelle: Xbox One  Playstation 4Nintendo SwitchSteam

 

Fazit

Es passiert selten genug, dass es Entwickler schaffen, mit minimalsten Methoden eine gute Atmosphäre aufzubauen. Bad North allerdings schafft das hervorragend. Klar, wer hier eine spannende Geschichte erwartet, der wird enttäuscht werden. Dabei kann man nicht sagen, dass Bad North schlechtes Storytelling hätte, denn tatsächlich versucht das Spiel nicht einmal ansatzweise, uns überhaupt eine Geschichte zu erzählen. Aber obwohl wir diesen Kontext an manchen Punkten etwas missen, bleibt das im Gesamtrahmen ein mehr als verzeihliches Manko. Bad North ist hart. Das Gameplay ist zwar schnell gemeistert, aber um unsere Truppen taktisch einzusetzen und Situationen richtig einzuschätzen, zahlen wir das ein oder andere Mal bitteres Lehrgeld. So zugänglich, wie das Spiel allerdings ist, ist das trotz gnadenloser Speicherfunktion kein Problem.

Klar, wir spielen hier keine epische Kampagne Stunden am Stück, um endlich das Finale zu sehen. Viel eher packt man Bad North immer mal wieder heraus, spielt zwei bis drei Inseln und legt es dann zufrieden wieder zur Seite. Das Roguelite macht aus seinem einfachen Gerüst nämlich verdammt viel, und das für einen ziemlich fairen Preis.

Mit Tendenz nach Unten

Artikelbilder: Plausible Concept
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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