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Eigentlich wollte Jess mit ihrem Urlaub auf Glory Island die Schatten ihrer Vergangenheit bewältigen – stattdessen sieht sie sich mit ganz neuen Schrecken konfrontiert. The Chant öffnet eine Dimension des kosmischen Horrors und wirft Spieler*innen in ein Horrorabenteuer voll scheußlicher Wesenheiten und allzu menschlicher Schwächen.

The Chant wurde vom kanadischen Spieleentwickler Brass Token entwickelt und erschien Anfang November für PC, PlayStation 5 und Xbox Series X und S. Es handelt sich bei dem Horrorspiel um einen Einzelspieler*innen-Titel in Third-Person-Perspektive. Teilzeithelden hat sowohl die PC- als auch die PS5-Version in den Test genommen und sich in einen Kurzurlaub der besonderen Art gestürzt. Kann der Ausflug nach Glory Island überzeugen oder sollten Spieler*innen diese Feriensaison besser aussetzen?

Handlung und Setting

In The Chant schlüpfen Spieler*innen in die Rolle von Jess, die im Prismic Science Spiritual Retreat auf Glory Island ein in ihrer Vergangenheit wurzelndes Trauma bewältigen möchte. Hierzu wurde die durchaus skeptische junge Frau von ihrer Freundin Kim überredet. Doch bereits kurz nach ihrer Anreise kristallisiert sich heraus, dass dieser Urlaubsaufenthalt alles andere als erholsam wird.

Der idyllische Eindruck trügt: Auf Glory Island lauern viele Gefahren (PS5-Screenshot).

Bei einem Gruppenritual unter der Leitung des spirituellen Führers, an dem alle Bewohner*innen des Retreats teilnehmen, geht etwas schief. Es öffnet sich ein Tor zu einer anderen Welt, zum Nebel (im Englischen Gloom).

Psychodelische Schrecken, angereichert mit persönlichen Ängsten aller Anwesenden, durchdringen die Realität. Um ihre Freundin und sich selbst zu retten, muss Jess sich ihren Dämonen und denen der anderen Inselbewohner*innen stellen. Diese können ganz unterschiedliche Formen annehmen wie beispielsweise Reue oder den erdrückenden Wunsch, nicht allein sein zu müssen. Um gegen die real gewordenen Schrecken sowie Kultist*innen aus Fleisch und Blut vorzugehen, hat Jess oft nicht mehr als Salz und Salbei zur Hand. Bald schon muss die junge Frau feststellen, dass Glory Island eine düstere, beinahe in Vergessenheit geratene Vergangenheit aufweist.

The Chant vereint eine gruselige wie auch interessante Handlung mit herausfordernden Kämpfen. Der Verlauf des Spiels präsentiert sich hierbei linear; erst nach und nach kann Jess zuvor nicht zugängliche Teile der Insel betreten. Recht früh können Spieler*innen den zu erwartenden Ablauf identifizieren, was dem Spielerlebnis Spannung raubt. Trotzdem wirken die einzelnen Kapitel keinesfalls wie eine abzuarbeitende To-Do-Liste; Jess‘ Entscheidungen sind nachvollziehbar und ihre Reaktionen auf die Schrecken der Insel nur allzu menschlich. Während aller Kapitel wird die auffallend sympathische Protagonistin von einer düsteren, belastenden Atmosphäre begleitet.

Zu Vermeidung von Spoilern sollen an dieser Stelle keine detaillierten Informationen zu den Enden des Spiels preisgegeben werden. Allerdings fiel im Spieltest auf, dass der Abschluss der Handlung als unbefriedigend empfunden werden kann. Ebenfalls negativ fällt die niedrige Spieldauer des Titels auf. Im Zuge des Spieltests wurde für einen Durchlauf ca. sechs Stunden benötigt. Das Vorhandensein einer Steam-Errungenschaft beziehungsweise PlayStation-Trophäe für das Durchspielen in vier Stunden zeigt, dass ein viel kürzerer Aufenthalt auf Glory Island möglich ist.

Aufbau und Gameplay

Protagonistin Jess muss sich durch insgesamt sechs Kapitel kämpfen. Sie kann hierbei auf Konfrontationskurs gehen oder aber potenziellen Gefahren davonlaufen. Das Retreat im Herzen der Insel fungiert als Ausgangspunkt jedes neuen Kapitels, zu dem sie mithilfe sogenannter Nebelportale sogar schnellreisen kann. Neben dem Erkunden der realen Insel, die von tierköpfigen Kultist*innen und mutierten Kröten heimgesucht wird, lernt Jess eine ganz andere Welt kennen: Nebelgefüllte Gegenden, in denen finstere Kreaturen nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Seele attackieren. Es gilt, schnell einen Ausweg aus diesen zu finden, denn sonst endet Jess‘ Abenteuer rascher als erwartet.

Die unterschiedlichen Kreaturentypen werden stimmungsvoll vorgestellt (PS5).

Körper und Geist?

Während ihres Inselbesuchs muss Jess auf drei Attribute achtgeben: Psyche, Geist und Körper. Psyche bezeichnet die geistige Stabilität der Protagonistin. Sobald dieser Wert zu niedrig wird, erleidet sie eine Panikattacke und muss augenblicklich aus der Situation gezogen werden, um regenerieren zu können. Gegen physische Angriffe hilft das Attribut Körper. Es gibt Aufschluss darüber, wie viele Hiebe Jess noch einstecken kann, ehe ihr Körper streikt. Geist ist zum einen dafür da, um über einen kurzen Meditationsprozess die Psyche wiederaufzufüllen, zum anderen dient sie als Ressource für übernatürliche Fähigkeiten, die Jess nach und nach mithilfe sogenannter Prismen freischaltet. Alle drei Attribute können mit verschiedenen Heilkräutern, wie beispielsweise Lavendel für die Psyche, geheilt werden und gewinnen darüber hinaus dank Upgrade-Optionen an Stärke.

Mithilfe von Upgrades kann zum Beispiel Jess‘ Schadensresistenz verbessert werden (PC).

Mit Salz und Salbei

Waffen im klassischen Sinne verwendet Jess nicht, stattdessen attackiert sie ihre Gegner mit beispielsweise selbstgebastelten Feuerpeitschen und Salbeifackeln. Beides kann neben anderen Gegenständen mithilfe des eines kleinen Crafting-Menüs hergestellt werden. Die Zutaten hierfür liegen im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Weg: Pflanzen, Ranken und ähnliches lassen sich an vielen verschiedenen Orten im Spiel finden. Auch lassen sich ätherische Öle und Salz auflesen; beides kann den Kreaturen aus dem Nebel ordentlich Schaden zufügen.

Waffen im klassischen Sinne hat die Protagonistin nicht zur Verfügung (PS5).

Darüber hinaus kann Jess sogenannte Prismenfähigkeiten benutzen. Zuerst lediglich eine einzige, doch mit Voranschreiten der Handlung gewinnt sie eine größere Auswahl dieser übernatürlichen Attacken hinzu, die ganz unterschiedlich ausfallen können. Die Fähigkeit Stasis zum Beispiel verlangsamt Gegner*innen, während die Fähigkeit Kristallisieren gefährliche Stacheln aus dem Boden sprießen lässt.

Zur Steuerung

Das Gameplay gestaltet sich sowohl auf der PS5 als auch auf dem PC zugänglich. Zu keiner Zeit entsteht der Eindruck, dass The Chant primär für eine Plattform programmiert und dann unsauber portiert wurde. Brass Token legt Wert auf ein umfangreiches Tutorial und trotz der Dringlichkeit der Handlung können Spieler*innen sich mit den Aspekten der Steuerung vertraut machen, ohne mit Informationen überladen zu werden.

Grafik und Sound

The Chant ist grafisch ansprechend, wenngleich nicht bahnbrechend. Da der Titel ausschließlich für die aktuelle Konsolengeneration (und PC) erschien, hätte es Spielraum nach oben gegeben. Nichtsdestotrotz überzeugt Brass Token sowohl auf der PS5 als auch auf dem PC mit einer ansprechend gestalteten Spielwelt und liebevollen Details. Bei Auswahl der Grafikeinstellung „Episch“, übersteigen die Details sowie Aspekte wie zusätzliche Pflanzen und dichtere Baumkronen bei der PC-Version des Titels die der PS5-Variante. Hierbei handelt es sich rein um einen optischen, ästhetischen Zugewinn, der das PlayStation-Spielerlebnis keinesfalls abschwächt.

Die musikalische Untermalung des Titels ist gelungen und trägt zur Spielatmosphäre bei. Positiv fällt die Synchronisierung auf, die für diesen Spieltest sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch angehört wurde. Zusammen mit der stimmigen Sprechanimationen (Mimik, Lippenbewegung) nimmt sie eine Aufwertung der Spielerfahrung vor.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Brass Token
  • Publisher: Prime Matter
  • Plattform: PC, PS5, Xbox Series X und S
  • Sprache:
    • Text: Deutsch, Englisch, Französisch Italienisch, Spanisch (Spanien, Lateinamerika), Chinesisch (traditionell, vereinfacht), Koreanisch, Polnisch, Russisch, Türkisch, brasilianisches Portugiesisch
    • Sprachausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch (Spanien, Lateinamerika), Polnisch, Russisch
  • Mindestanforderungen (PC):
    • Betriebssystem: Windows 10 64-bit
    • Prozessor: Intel Core i3-9100F @ 3.60GHz oder AMD Ryzen 3 4300G
    • Arbeitsspeicher: 8 GB RAM
    • Grafik: GeForce GTX 1050 Ti oder Radeon RX 580
    • DirectX: Version 12
    • Speicherplatz: 35 GB
  • Genre: Horror
  • Releasedatum: 03.11.2022
  • Spielstunden: ca. 6 Stunden
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: ab 16 Jahren
  • Preis: 39,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon (PC), Amazon (PS5), Amazon (Xbox Series X), idealo, MMOGA

Fazit

Ein Urlaubsaufenthalt auf Glory Island soll Jess dabei helfen, ein schreckliches Ereignis in ihrer Vergangenheit zu verarbeiten. Allerdings geht etwas gewaltig schief und die junge Frau sieht sich fürchterlichen Kreaturen aus dem Nebel und menschlichen Abgründen gegenübergestellt. In The Chant erzählt Brass Token eine spannende wie auch dynamische Horrorgeschichte mit Tiefgang.

Jetzt bloß nicht umdrehen: Auf Jess warten viele Gefahren (PC).

Spieler*innen können eine liebevoll gestaltete Spielwelt und eine schaurige Atmosphäre genießen. Der Titel, der Anfang November für PC und die aktuelle Konsolengeneration erschien, punktet außerdem mit einer herausragenden Synchronisation der Protagonistin und der Nebencharaktere. Auch die sympathische Protagonistin weiß zu begeistern. Allerdings weist The Chant auch Schwächen auf: Eine Spielzeit von vier bis sechs Stunden ist vor allem hinsichtlich des hohen Vollpreises wenig. Hinzu kommt ein niedriger Wiederspielwert, der auf der Linearität des Titels und des Spannungsverlusts beim erneuten Spielen basiert. Außerdem könnte der Spielabschluss für einige Spieler*innen unbefriedigend sein – ein Umstand, auf den hier zur Vermeidung von Spoilern nicht weiter eingegangen werden kann.

The Chant ist nicht ohne Fehler, macht aber vieles richtig. Wer kosmischen Horror mag, kann vor allem in einem Sale bedenkenlos zugreifen. Unabhängig davon, ob PC oder Konsole bevorzugt wird, ist Glory Island einen Besuch wert – doch bringt genug Lavendel und Salbei mit!

  • Schöne Spielwelt

  • Hochwertige Synchronisation

  • Sympathischer Hauptcharakter

 

  • Hoher Vollpreis

  • Niedriger Wiederspielwert

  • Spiel-Ende unter Umständen unbefriedigend


Artikelbilder: © Brass Token, Prime Matter

Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Giovanna Pirillo
Screenshots: Yola Tödt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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