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Nach dem Attentat in Halle stand schnell fest: Der Attentäter ist Gamer. Das Thema ist – wie zu erwarten – wieder in aller Munde. Sogar Innenminister Horst Seehofer thematisiert die Gamerszene in einem bestenfalls missglückten Statement. Zustimmung erhält Seehofer in der überregionalen Tageszeitung DIE WELT von Susanne Gaschke. Der Autor antwortet.

DIE WELT ist nicht gerade dafür bekannt, mit Störenfrieden sanft ins Gericht zu gehen. Das ist für eine Tageszeitung, die dem bürgerlich-konservativen Spektrum zugeordnet wird, auch nicht weiter verwunderlich. Wie allerdings Susanne Gaschke – ehemals Oberbürgermeisterin von Kiel – oder Christian Pfeiffer – früher niedersächsischer Justizminister – anschaulich zeigen, ist auch ein SPD-Parteibuch kein Garant für Zurückhaltung. Das Thema polarisiert also über Parteigrenzen hinaus.

In ihrem Kommentar mit dem polemischen Titel „Die Gamer und ihr pubertäres Hohoho“ (WELT) zeichnet Gaschke ein Narrativ voller Stereotype. Der Gamer: Zeitverschwender. Amokläufer. Pöbler. Antisemit. Frauenfeind. Zugegeben: Sie sagt explizit, dass nicht jeder Gamer in diese Kategorie passt. Sie wären nur zufälligerweise oft Gamer. Der im Artikel gesetzte Ton ist eindeutig, das Wort „Holzhammer“ kommt mir nicht von ungefähr in den Sinn. Aber von Anfang an …

Szene? Community? Was denn nun?

Als mir der Artikel auf die Timeline gespült wurde, dachte ich erstmal nichts Böses. Könnte einfacher Clickbait sein, vielleicht steckt ja mehr dahinter. Auch die Eröffnung stimmte mich erstmal positiv. Endlich hat jemand verstanden, dass man nicht von DER Gamerszene reden kann und Community ein wirklich weiter Begriff ist. Schließlich sollte eigentlich jedem klar sein, dass man laut dem Verband der deutschen Games-Branche bei knapp 34 Millionen Computerspielern in Deutschland davon ausgehen darf, dass die Szene ein Schnitt durch die Gesellschaft ist.

Die Anwesenheit von Antisemiten, Trollen, Extremisten jeglicher Couleur, Misogynisten oder schlicht Arschlöchern sollte dann auch nicht weiter überraschen. Dass diese in der „Szene“ oft besonders laut sind und Schaden anrichten, ist ein reelles Problem. Gerade Fälle wie „Reconquista Germanica“ oder #gamergate zeigen, wie digitale Communities koordiniert Hass verbreiten und Meinungen schüren können. Kritischer Umgang ist – wie immer – wichtig. Nur durch differenzierte und faire Kritik wächst man und kann Fehler ausbügeln. Für Logiker – wie Gaschke es ausdrückt – ist es insoweit wenig sinnvoll, von einer Szene, die laut eigener Aussage gar keine ist, eine Distanzierung von einem Attentat zu fordern. Macht sie aber trotzdem.

Man sollte kritisch mit 4chan und Konsorten ins Gericht gehen. Man darf auch Unverständnis für bestimmte Arten von Humor haben. Um mehr als Differenzierung und Fairness bitte ich nicht. Man muss dabei nicht mal Angst haben, dass man sofort mit dem Totschlagargument konfrontiert wird, das Gaschke da an die Wand malt: Wer so etwas sagt, hat die Netzgemeinde/die Gamerszene nicht verstanden. Man muss sich nur eben mit der Thematik und den Menschen dahinter mal auseinandergesetzt haben, bevor man aus der vierten Reihe die ganz großen Kaliber auffährt.

Wo sich die Katze in den Schwanz beißt

Was der Logiker, der so gerne bemüht wird, übrigens auch gerne mag, sind belegbare Fakten. Wer sich nämlich auf Logik beruft, der sollte sich auch nicht zu schade sein für ganz grundlegende wissenschaftliche Prinzipien. Eines davon wäre etwa die Unterscheidung zwischen Korrelation und Kausalität. Nur weil viele Amokläufer Computerspiele spielen (erneut: Mehr als ein Drittel der Deutschen spielen digitale Spiele), heißt das nicht, dass diese beiden Faktoren in einem direkten Zusammenhang stehen.

Zu oft wird das aber unkritisch angenommen. Leute wie Manfred Spitzer, der zu Recht im Spiegel für seine unwissenschaftliche Arbeitsweise kritisiert wurde, gerieren sich dann als Experten. Sogar ausgemachte Kritiker wie Christian Pfeiffer konnte, wie er im Spiegel-Interview eingestehen musste, keinen Zusammenhang zwischen Gewaltausübung und Spielekonsum herstellen. Mit welcher Begründung wird die unsägliche Killerspieldebatte eigentlich überhaupt mit bester Regelmäßigkeit wieder aufgewärmt? Logik wird wohl nicht darunter sein.

Spielen ist ein gemeinsames Kulturgut!
Spielen ist ein gemeinsames Kulturgut!

Der Wert des Spielens

Warum werden Computerspiele nicht gleichberechtigt neben Filmen als Kulturgut betrachtet? Was kann denn ein Film, das ein Computerspiel nicht kann? Anstatt sachlich darüber eine Diskussion zu führen, schalten sich die Uninformierten an die Spitze der Debatte. Da werden dann etwa im vielkritisierten Kölner Aufruf gegen Computergewalt „Killerspiele“ zu „Landminen für die Seele“ oder entstammen gar direkt Trainingsprogrammen der US-Armee. Aber nicht alles ist schlecht. Endlich dürfen sich in einem angemessenen Rahmen Computerspiele auf ähnliche Regeln wie Filme berufen, wie etwa Heise berichtete.

Und obwohl Leute das verstehen, hochrangige Politiker Spielemessen besuchen und endlich ernsthaft über Spiele diskutiert wird, spult sich immer wieder das gleiche Muster ab. Die Debatte läuft und wird ausgiebig diskutiert. Und als endlich eine Änderung in Sicht kommt, schaltet sich jemand ein, der sich für außerordentlich wichtig hält, aber keinen substanziellen Beitrag zur Debatte leisten will oder kann.

Jüngst so in einer Veröffentlichung Lothar Hays bei ver.di in Bezug auf die bedingte Freigabe von Hakenkreuzen für Computerspiele durch die USK. Besonders beliebt: Eine ernsthafte Debatte einfordern, nachdem diese schon mehrere Jahre im Gange ist. Es erinnert an diese Abende mit dem Freundeskreis … Nachdem man sich nach mühseliger Diskussion darauf geeinigt hat Pizza zu bestellen, meldet sich derjenige zu Wort, der die letzten 30 Minuten geistesabwesend und schweigend FIFA gespielt hat, aber plötzlich nochmal ganz dringend darüber diskutieren will, warum Indisch die deutlich bessere Wahl sei.

Eskapismus und Zeitverschwendung

Computerspiele haben einen pädagogischen Wert, können uns Dinge lehren oder sogar als „Killerspiel“ eine klare, pazifistische und kriegskritische Botschaft übermitteln. Spec Ops: The Line hat uns das beigebracht. Ich habe vermutlich ähnlich viel über Geschichte in Crusader Kings oder Civilization gelernt wie in zwei Jahren Geschichts-LK. Mein Englisch wäre deutlich weniger flüssig, wenn ich mich nicht mit englischsprachigen Spielen auseinandergesetzt hätte; die Liste kann endlos fortgeführt werden.

Stattdessen wird ohne Weiteres das Computerspiel zur Zeitverschwendung degradiert. Oder wie es Gaschke formulierte: „Bestenfalls Zeitverschwendung.“ Die Implikation an dieser Stelle ist bereits der blanke Hohn. Ist alles, womit ich meine Freizeit verbringe, Zeitverschwendung? Ist jede Art von Eskapismus schlecht? Wie sieht es dann aus mit Rollenspielen oder Romanen? Wir können das ganze weiterspinnen: Was ist mit Theaterstücken? Verschwende ich bestenfalls meine Zeit, wenn ich den titelgebenden Protagonisten in Macbeth spiele? Werde ich schlimmstenfalls zum Mörder?

Titelbild:© samwordley@gmail.com | depositphotos.com
Artikelbild: © yacobchuk1 | depositphotos.com

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