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Adventure. Bei dem Genre denken die meisten an Comic-Grafik, witzige Dialoge und nerdige Anspielungen. Doch seit den späten 90ern beweisen einige Adventures, dass es auch anders geht: Sie nutzen die Möglichkeiten des Genres, um in dichten Geschichten zum Nachdenken anzuregen. Einige dieser Spiele stellen wir Euch heute vor.

Adventures stellen seit jeher einen Kontrast dar zu den hektischen Shootern, wuseligen Strategiespielen oder Echtzeit-Simulationen. Zeit vergeht in Adventures nur, wenn der Spieler etwas tut. Dazwischen steht die Zeit still. Dies lässt den Spielern den nötigen Freiraum, um über Lösungswege nachzudenken, Dinge zu notieren, die Grafik zu betrachten oder ganz allgemein die Handlung des Spieles zu reflektieren.

Genau diesen Umstand machen sich einige Designer zunutze, um den Spieler ganz bewusst Dinge – auch außerhalb des Spiels – hinterfragen zu lassen.

The longest journey © Funcom
The longest journey © Funcom

The Longest Journey (1999, Funcom)

The Longest Journey spielt 200 Jahre in der Zukunft. April Ryan ist für ihr Studium nach Newport gezogen. Sie wird von immer realer wirkenden Visionen heimgesucht, und teilweise überlagert diese Traumwelt die Wirklichkeit.

Es stellt sich heraus, dass April nicht träumt, sondern dass in ihrer Gegenwart die Schranke zwischen unserer Welt, genannt Stark, und einer zweiten Welt, genannt Arkadia, sehr dünn ist. Stark und Arkadia haben einmal gemeinsam unsere Welt gebildet, allerdings war die Kluft zwischen Magie und Vernunft irgendwann so stark, dass es in der Folge Chaos und Kriege nur deswegen gab. Um die Balance aufrechtzuerhalten, wurden die Welten damals getrennt und ein Hüter eingesetzt, um die Trennung zu überwachen.

Das Wissen um die Trennung ist auf Arkadia noch lebendig, während es auf Stark weitgehend ins Reich der Mythen verdrängt wurde. Auch deshalb drohen die beiden Welten, sich stärker voneinander zu entfernen, als es gut für sie wäre. April steht jetzt vor der Aufgabe, den Schlamassel wieder zu richten.

The Longest Journey erzählt vordergründig eine Fantasy-Geschichte, die auf zwei Welten gleichzeitig spielt. Das Spiel hält gute Dialoge und schöne Rätsel bereit. Wer aber die Absichten der einzelnen auftauchenden Fraktionen hinterfragt, sieht sich das eine oder andere Mal mit der Frage konfrontiert, ob deren Ansichten jetzt eigentlich als böse einzustufen sind oder nicht.

Einige der erklärten Gegner vertreten Ansichten, die in unserer Welt als „normal“ durchgehen würden, während einige der erklärten Guten Ansichten vertreten, die man eher als gesellschaftsfeindlich einstufen könnte. Insgesamt regt die Geschichte so zum Nachdenken an. Man kann aber tatsächlich auch nur die schöne Geschichte genießen.

Kurz und Knapp:

  • Thema: Gesellschaftliche Entwicklung, Loyalität
  • Systeme: Windows
  • Downloads: Steam, GOG
  • Preis: 9,99 EUR (Steam), 8,99 EUR (GOG)
The moment of silence © House of Tales
The moment of silence © House of Tales

The Moment Of Silence – (2004, House Of Tales)

The Moment Of Silence spielt in einer nahen Zukunft. House Of Tales haben dabei reale Entwicklungen und Trends aus der Zeit um die Jahrtausendwende aufgegriffen und konsequent in die Zukunft weitergedacht. Dadurch wirken die Schauplätze sehr realistisch, vor allem New York, die Heimatstadt des Protagonisten Peter Wright.

Direkt im Intro zeigt das Spiel, worum es geht: um Spionagesatteliten und Überwachung. Der Protagonist wird Zeuge eines Polizeieinsatzes, bei dem sein Nachbar verhaftet wird. Ein Gespräch mit dessen Frau zeigt, dass Ihr Mann Journalist war. Da sie keine Ahnung hat, was diesen Einsatz ausgelöst haben könnte, bietet Peter an, bei der Polizei nachzufragen … nur um zu merken, dass dieser Einsatz dort überhaupt nicht bekannt ist. Ab hier entwickeln sich die Ereignisse, denn Peter möchte seiner Nachbarin helfen, und herausfinden, was dort passiert ist.

Die Geschichte von The Moment Of Silence beleuchtet in vielen Facetten die sich immer weiter ausbreitende Überwachung, die dies unterstützende Gesetzgebung mit Gesetzen, die so nie gemeint waren, den gezielten Einsatz von Panik und Angst in der Bevölkerung, nur um dann bei den Wahlen „Sicherheit“ als Wahlversprechen liefern zu können, und Technik, die eingesetzt wird, weil man es kann. All dies im Jahre 2004, lange vor der heute allgegenwärtig geschürten Terrorangst, als die Videoüberwachung deutscher Großstädte noch in den Kinderschuhen steckte. Das im Spiel etablierte Verschlüsselungsverbot beispielsweise wird gerade jetzt wieder regelmäßig diskutiert.

Das Spiel verfügt über viele interessante Charaktere und Dialoge, sowie viele gut durchdachte Rätsel. Der Soundtrack eignet sich auch als Hintergrundmusik für Rollenspielrunden. Ähnlich wie Orwell lässt The Moment Of Silence auch Befürworter der fortschreitenden Überwachung zu Wort kommen. Der Protagonist hat allerdings eine festgelegte Meinung und von der kann der Spieler auch nicht abweichen.

Leider gibt es auch eine mitunter krude Wegfindung des Protagonisten und ein „Endrätsel“, welches sehr frustrierend sein kann, bis man es endlich herausbekommen hat. Nichtsdestotrotz lohnt sich The Moment Of Silence allein für die Story.

Kurz und knapp:

  • Thema: Überwachung, Polizeistaat
  • Systeme: Windows
  • Downloads: Steam, GOG
  • Preis: 14,99 EUR (Steam), 13,49 EUR (GOG)
A new beginning © Daedalic Entertainment
A new beginning © Daedalic Entertainment

A New Beginning (2010, Daedalic Entertainment)

In einer nicht näher definierten Zukunft steht die Welt vor dem Kollaps. Naturkatastrophen machen das Leben auf dem Planeten so gut wie unmöglich, und eine weitere Katastrophe droht die Menschheit endgültig auszulöschen.

Aus dieser dystopischen Zukunft heraus starten Forscher einen letzten verzweifelten Versuch, den Klimawandel noch rechtzeitig aufzuhalten. Dafür reisen sie in der Zeit zurück ins frühe 21. Jahrhundert. Hier helfen sie einem Wissenschaftler, eine alternative Form der Energiegewinnung zu entwickeln. Außerdem versuchen sie, einen Anschlag zu verhindern, der die Kettenreaktion von Katastrophen zur Folge hat, die die Welt endgültig unbewohnbar macht.

Das Spiel ist von 2010, also aus einer Zeit, wo der Klimawandel durchaus schon bekannt war. Umweltgruppen warnten schon seit längerem vor den Auswirkungen der damaligen Umweltpolitik, was allerdings in der Politik selbst noch fast niemanden wirklich interessiert hat.

Kurz und knapp:

  • Thema: Klimawandel
  • Systeme: Windows
  • Downloads: Steam, GOG
  • Preis: 9,99 EUR (Steam), 8,99 EUR (GOG)
Overclocked © House of Tales
Overclocked © House of Tales

Overclocked: Eine Geschichte über Gewalt (2007, House Of Tales)

Overclocked steuert sich wie ein Adventure, arbeitet aber in mehreren Erzählebenen.

Das Spiel beginnt mit fünf Personen, die desorientiert, ohne Gedächtnis, nackt und bewaffnet in der New Yorker Innenstadt auftauchen. Diese werden festgenommen und in die Psychiatrie auf Staten Island gebracht. Hier übernimmt der Spieler die Rolle des forensischen Psychiaters David McNamara. Dieser versucht herauszufinden, was genau mit den Jugendlichen passiert ist.

Dabei gilt es, zunächst einen Zugang zu den Patienten zu bekommen, also deren Vertrauen zu gewinnen und/oder sie auf bestimmte Gegebenheiten anzusprechen. Dann erzählen sie jeweils einen Teil ihrer Geschichte, aus der sich weitere Anhaltspunkte oder Fragen an andere Jugendliche ergeben.

Die Geschichten werden dabei nicht per Dialog erzählt, sondern in Rückblenden, in denen der Spieler selbst den entsprechenden Charakter steuert.

McNamaras eigener Hintergrund wird mit eingewoben. Anfangs weiß der Spieler nur, dass seine Ehe bröckelt, aber persönliche Erlebnisse und Erinnerungen binden den Psychiater stärker an die Geschichte.

Insgesamt ist Overclocked faszinierend und verstörend zugleich. Die Arbeitsweise von McNamara fühlt sich richtig an. Die Geschehnisse aber, die sich im Laufe des Spiels zu einem Gesamtbild zusammensetzen, hinterlassen Fragen, was mit ausreichend Macht möglich ist und was nicht.

Kurz und knapp:

  • Thema: Gewalt, psychologische Experimente
  • Systeme: Windows
  • Downloads: Steam, GOG
  • Preis: 14,99 EUR (Steam), 13,49 EUR (GOG)
Beneath A Steel Sky © Revolution Software
Beneath A Steel Sky © Revolution Software

Beneath A Steel Sky (1993, Revolution Software)

Beneath A Steel Sky ist das dienstälteste Spiel in diesem Artikel. Das unter anderem für die Grafiken von Dave Gibbons bekannt gewordene Spiel spielt in einer dystopischen Zukunft Australiens. Das Land ist aufgeteilt in große Städte und das dazwischen liegende, „The Gap“ genannte Ödland. Der Protagonist wurde im Ödland von Nachfahren der Aborigines aufgezogen, dann aber bei einem Militärschlag gegen das Ödland gefangen genommen und in die Stadt „Union City“ verbracht.

Hier versucht er, die Gesellschaftsstruktur zu verstehen, sich durch die Schichten nach oben zu arbeiten und zu verstehen, was es mit LINC auf sich hat, der KI, die die meisten Abläufe in der Stadt kontrolliert.

Beneath A Steel Sky ist ein Vertreter des Cyberpunk. Der Spieler wird konfrontiert mit einer möglichen Zukunft, in der ein Großteil des gesellschaftlichen Lebens durch Konzerne und Computer kontrolliert werden. Dabei erfährt er, wie die Freiheit des Einzelnen dadurch eingeschränkt wird – und kämpft dagegen an.

Beneath A Steel Sky wurde von Revolution Software freigegeben. Es kann unter anderem von der ScummVM-Webseite heruntergeladen werden. Wer es einfacher haben möchte, kann das Spiel über GOG gratis beziehen und installieren lassen. Eine kostenpflichtige iOS-Version lässt sich via iTunes beziehen. Vor wenigen Monaten wurde nach 26 Jahren ein Nachfolger angekündigt.

Kurz und knapp:

Mental Repairs, Inc. © Renzo „Eshaktaar“ Thönen
Mental Repairs, Inc. © Renzo „Eshaktaar“ Thönen

Mental Repairs, Inc. (2009, Renzo „Eshaktaar“ Thönen)

Mental Repairs, Inc fällt ein wenig aus dem Rahmen. Das Indie-Adventure ist das zweite Werk von Renzo Thönen, der zuvor schon durch das Indie-Adventure Mord im Laufrad aufgefallen war. Es beschäftigt sich mit verschiedenen Psychosen, sowie Depression, alles verpackt in ein kurzweiliges Rätsel-Adventure.

Der Spieler steuert Henrik Liaw, der als Maschinenpsychiater arbeitet. Seine Aufgabe ist es, seinen Verstand mittels eines Katharsis-Interfaces mit technischen Geräten zu verbinden und auf diese Weise herauszufinden, was bei den Geräten nicht funktioniert.

Zu Beginn des Spiels wird Hendrik über einen nächtlichen Notruf zu einer Firma gerufen, die diverse nicht funktionierende Geräte beklagt. Im Laufe des Spiels stellt sich aber heraus, dass mehr dahinter steckt als eine Routine-Reparatur.

Im Spiel erkundet Hendrik im Gespräch mit den Maschinen auch seine eigene Vergangenheit und erkennt Parallelen zu den Erfahrungen der Maschinen. Das Ende des Spieles soll hier nicht verraten werden.

Mit unter einer Stunde Spielzeit ist Mental Repairs, Inc. ein Spiel für nebenbei und behandelt sein Thema auch eher oberflächlich. Ich habe es dennoch hier aufgeführt, um zu zeigen, dass es auch im Indie-Sektor Spiele gibt, die von ernsteren Themen inspiriert sind.

Kurz und knapp:


Kennt Ihr eines oder mehrere der hier vorgestellten Spiele? Habe ich Eurer Meinung nach ein Adventure vergessen? Hinterlasst mir gerne Eure Meinung in den Kommentaren!

Artikelbilder: © Funcom, Daedalic Entertainment, House of Tales,Revolution Software

4 Kommentare

  1. Beneath a Steel Sky war ein tolles Spiel, wenngleich damals mit anderen Augen gesehen als man das heute vielleicht tun würde.

    Ich hätte eine Frage zum Auswahlkriterium: Auf welcher Grundlage wurden Spiele in die Liste aufgenommen bzw. welcher Definition von Adventure ist man dabei gefolgt? Je nachdem gäbe es aus meiner Sicht zumindest einen, wenn nicht zwei Titel (einer noch recht neu, einer schon deutlich älter) die man im Hinsicht auf Gesellschaftskritik aufnehmen können.

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