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Games Workshop ist recht freizügig damit eine Lizenz für digitale Spiele von Warhammer zu erteilen. Manchmal zum Leidwesen der Fans. Da auch einige Perlen unter den Spielen sind, gab es durchaus reichlich Vorfreude auf den Egoshooter Necromunda: Hired Gun. Ob diese Vorfreude berechtigt war, lest ihr hier.

Gefühlt ist niemand so freizügig mit seinen Lizenzen für digitale Spiele wie Games Workshop. Regelmäßig wird die Gaminggemeinde mit neuen Veröffentlichungen versorgt. Von Digitalen Sammelkartenspielen, über Strategiespiele zu Shootern und das für so ziemlich alle Plattformen. Kaum verwunderlich, dass die Qualität entsprechend schwankt und echte Perlen sich in Grenzen halten, wie zum Beispiel Warhammer 40.000: Dawn of War II, oder die Total War: Warhammer-Reihe und Warhammer: Vermintide 2. Bei Egoshootern war das bisher überschaubar und selbst, wenn Space Marine und Space Hulk: Deathwing durchaus Fans haben, eine Offenbarung war keines dieser Games. In letzter Zeit waren wir einzig von Warhammer 40.000: Mechanicus ein bisschen überzeugt. Nun also ein neuer Versuch mit Necromunda: Hired Gun. Die Teaser waren durchaus vielversprechend und machten Lust sich in die blutigen Gemetzel der Unterwelt von Necromunda zu stürzen. Interessante Mechaniken, ein ziemlich bissiges Haustier und einer der ikonischsten Orte aus Warhammer 40.000 weckten die Hoffnung auf einen spaßigen und kurzweiligen Shooter mit echtem Warhammer 40.000-Flair.

Leben für Gelt

Necromunda ist die größte bekannte Makropole des Imperiums der Menschheit. Makropolen sind wahnwitzig große Städte die Abermillionen, teilweise Milliarden Menschen beherbergen. Während sich hoch in der Luft, über dem giftigen Smog der Welt, die Schönen und Reichen vergnügen, nimmt Lebensstandard und –qualität mit jeder Etage ab. Unter der Erde arbeiten Heerscharen nicht nur für die Spitze der Makropole, sondern vor allem für den immerwährenden Krieg des Imperiums. Je tiefer man unter der Erde ist, desto mehr schwindet der Einfluss der Ordnungsmächte und korrupte Gildenhändler*innen und Gangs halten eine fragile Ordnung aufrecht. Hier spielt unsere Geschichte. Die Geschichte eines wahrlich namenlosen Kopfgeldjägers oder einer ebenso namenlosen Kopfgeldjägerin. Zwar stehen 15 Charaktere zur Auswahl, diese unterscheiden sich jedoch nur in Geschlecht und Optik, haben aber nicht mal einen Namen. Selbst wenn, spielt er keine Rolle. Wir sind so namenlos, wie die unzähligen Feind*innen, die wir im Verlauf des Spiels niedermetzeln werden. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, ob diese jedoch beabsichtigt ist, daran darf man bei diesem Spiel zweifeln.

Mord in der Unterwelt

Kal Jerico ist unser neuer bester Freund

Ein angesehener Gildenhändler der Unterwelt Necromundas wurde ermordet. Undenkbar, selbst in dieser Welt, gelten Gildenhändler*innen quasi als sakrosankt. Da von den lokalen Polizeibehörden ein erquickliches Kopfgeld ausgesetzt wurde, zaudern wir nicht lange und machen uns, zusammen mit zwei Kollegen, auf die Jagd. Doch unser erster Hinweis erweist sich als Falle, die unseren Kollegen und uns fast das Leben kostet. Nur dank des Eingreifens des legendären Kal Jerico, schaffen wir es grade noch so unsere Haut und Cyperimplantate zu retten.

Auf dem Tisch eines freischaffenden Cyberdocs, der vielleicht auch Metzger ist, kommen wir zu uns und haben von unserem neuen Freund Kal gleich kostenlos ein paar Augmentierungen, wie zum Beispiel einen Gehirnchip, spendiert bekommen. Scheren wir uns zunächst nicht um Kal und sein freundliches Angebot zusammenzuarbeiten, ändert sich dies fix im Zuge der linearen Missionen, die wir nun absolvieren. 

Die Story beginnt interessant, aber zu einem ganz erheblichen Teil scheinen unsere Missionen damit nichts zu tun zu haben. Wir gehen irgendwo hin, bringen dort Leute um, versuchen etwas zu finden, finden meistens nichts und kehren dann zu Jerico zurück, der selbst neue Infos hat. Das eine Mission tatsächlich mal Einfluss hat, versetzt einen fast in Staunen. Und so bleibt die Story weit hinter ihren Möglichkeiten.

Gesichtslose Masse

Jado – Einer der wenigen Charaktere mit Namen

Neben Kal Jerico, treffen wir noch auf einen Kuppelläufer, der alte Technik sammelt und verkauft und die Betreiberin einer Bar, die uns beide ab und an mit Informationen versorgen. Neben dem Doc, dem Waffenhändler und einem Technikus, der unsere Waffen verbessern kann, sind das im Grunde die einzigen Charaktere mit Namen und die einzigen die ansprechbar sind. Ansprechbar ist ein großes Wort. Dialoge gibt es nämlich nur, wenn der Plot es will. Allgemein ist in dem Viertel in dem wir uns zwischen Missionen aufhalten nicht viel los. Immer dieselben Leute, stehen an immer denselben Stellen, und führen miteinander immer dieselben Gespräche, so sie denn sprechen. Manchmal ändert sich ein Gespräch, wenn eine Mission vorüber ist. Ansonsten sind sie ebenso gesichtslos, wie Feinde, Zwischen- und Endbosse, die wir niedermetzeln werden.

Gib mir einen Auftrag

Missionen bekommt man an einem Terminal bei der Bar. Dabei wählt man zwischen den Kampagnenmissionen und den Nebenquests aus. Wobei Nebenquest wieder ein großes Wort ist. Diese werden in drei Schwierigkeitsgrade unterteilt und im Auftrag einer Fraktion Necromundas sollen wir meist einer anderen Fraktion Schaden zufügen. Mit der eigentlichen Geschichte haben die Missionen nichts zu tun, es gibt nur eine begrenzte Auswahl an wiederkehrenden Missionen, die zudem alle in bereits absolvierten Leveln der Hauptmission spielen. Hier geht es einzig darum Gelt (ja, Gelt ist die gültige imperiale Währung) für Augmentationen, neue Waffen und sonstige Extras einzusammeln. Damit streckt sich zumindest die Spielzeit etwas, denn die Hauptmissionen sind gut in acht bis zehn Stunden zu schaffen.

Bei den Nebenaufträgen bleibt zudem wohl für immer ein Geheimnis was der verdiente Ruf bei einer Fraktion bringt. Auch nimmt der Ruf nicht wieder ab, wenn man gegen eine Fraktion arbeitet, bei der man einen besseren Ruf genießt. Und so bleibt dieser Spielbestandteil vollkommen bedeutungslos.

Features

Plasmawaffen sind durchschlagend mit wenig Magazin

Shoot and Loot ist die Devise und damit verbringt man den größten Teil des Spiels. Das Gameplay erinnert stark an Klassiker wie Doom oder Duke Nukem. Wir metzeln uns durch diverse Karten und Gegner*innen, sammeln, Waffen, Upgrades, Energie für Schilde und erhalten Gesundheit für das verletzen und töten von Gegner*innen. Ist ein Kampf zu hart, holt uns ein Stimpack wieder ins Leben zurück. Sind alle aufgebraucht, starten wir am letzten Speicherpunkt erneut. Die Waffenauswahl für den Fernkampf ist solide und wir können immer fünf mit uns herumtragen. Ätzend dabei ist jedoch, dass die Startpistole immer einen Slot belegt und nicht getauscht oder gar verkauft werden kann. Im Nahkampf bleibt es bei der Faust und einem Messer. Obwohl die Waffenauswahl solide ist, reicht es im Grunde die Boltpistole zu bekommen. Massereaktive Geschosse regeln fast jedes Problem sehr effizient. Für dicke Gegner*innen noch einen schweren Bolter und für den Spaß auf Distanz ein Lasergewehr mit Zieloptik. Je nach Waffe werden die Gegner*innen ordentlich zerfetzt und Eingeweide verteilt.

Kommt einer mit einem Messer zu Schießerei …

Ist das nicht ein süßer Hund

Aber eigentlich kann man sich Waffen sparen, denn stärker als Bolter-, Laser- oder Plasmawaffen sind bekanntlich Fäuste und Messer. Richtig gelesen. Kundenkontakt ist die sicherste Methode einem*einer Gegner*in den Garaus zu machen, denn der Nahkampfangriff ist, außer bei Gegner*innen mit Kraftfeld, Ogryns oder schweren mechanischen Kampfanzügen, immer ein Instant-Kill. Schwere Gegner*innen brauchen noch einen zweiten Angriff, aber werden auch dann zu blutigen Überresten. Während des Nahkampfangriffs schaltet das Spiel in eine oftmals sehr seltsame, man muss sagen weirde, Tötungsanimation. Diese ist wahlweise zu schnell, um etwas zu sehen oder auch gerne mal mit Grafikfehlern versehen,  sodass wir statt den*die Gegner*in irgendwo in eine Wand schneiden. Der*Die Gegner*in ist dennoch danach tot. Während der Animation sind wir zudem unverwundbar. Mit etwas Finesse kann man durch ganze Level von Nahkampf zu Nahkampf springen und ohne einen einzigen Schuss oder den Einsatz von Augmentierungen auskommen.

Das Fleisch ist schwach

Unser Mastiff kann stark modifiziert werden

Apropos Augmentierungen. Auch davon gibt eine nette Auswahl für den Charakter und seinen treuen Hund. Manche Verbesserungen bringen passive Eigenschaften mit sich, wie mehr Lebenspunkte, bessere Regeneration oder mehr Schutzschild, andere hingegen müssen aktiv eingesetzt werden. Diese beeinflussen dann massiv das Gameplay. So können wir die Zeit kurz verlangsamen, vollautomatisch Feinde erfassen oder Energieimpulse aussenden, die das Ziel pulverisieren. Unser treuer Hund, der mit einem lustigen Quietschetier in Missionen gerufen werden kann, kann hier auch Upgrades bekommen und wird so nach und nach von einer Bulldogge zu einem brutalen Cyberhund. In den Missionen ist er dennoch meist unnötig, da die KI unfassbar dumm ist, wäre da nicht die Fähigkeit Gegner*innen auf Distanz erkennen zu können und zwar besser als unsere eigene Augmentierung zur Nachtsicht.

Ansonsten gibt es ein paar nette Mechaniken. Man kann senkrecht an Wänden laufen um Beschuss auszuweichen, Gegner*innen zu Umlaufen oder Schluchten zu überqueren. Dank Cyberbeinen unmenschlich hoch und weit springen oder mit einer Art Enterhaken Distanzen überbrücken, Gegner*innen Schilde entreißen, diese betäuben oder sich zu diesen in den tödlichen Nahkampf ziehen.

Masse statt Klasse

Ogryns stecken ein als wäre die Haut eine Power Armor

Dumm sind leider auch alle Gegner*innen. Die KI der gegnerischen Einheiten ist unabhängig von Schwierigkeitsgrad unfassbar schlecht. Eine Steigerung der Schwierigkeit bekommt man nur, weil Gegner*innen mehr Schaden machen und mehr aushalten, außer man tötet sie im Nahkampf. Dann sterben sie in jedem Schwierigkeitsgrad dennoch sofort.

So unterscheidet sich der Schwierigkeitsgrad in den oben angesprochenen Nebenmissionen kaum und eine Steigerung in den Hauptmissionen ist bestenfalls moderat. Ändert man den Schwierigkeitsgrad des Spiels allgemein, tritt obiger Effekt ein. Stärkere Gegner*innen, immer noch dumm wie Brot und im Nahkampf meist sofort Tod.

Balancing scheint leider kein Thema der Entwicklung gewesen zu sein. Die Relation von Fernkampf zu Nahkampf ist vollkommen absurd, Gegner*innen-Typen sind entweder leicht zu töten oder ich muss gleich mehrere Boltermagazine versenken und Schwierigkeit wird einzig über Schaden definiert.

Als wäre das nicht schon alles genug, glänzt das Spiel mit regelmäßigen Grafikfehlern, massiven Rucklern und auch mal mit einem Absturz. Dachte ich zunächst, es liegt daran, dass eine PS4 Pro für das Spiel zu schwach auf der Brust ist, zeigen zahlreiche Berichte, dass das auch auf dem PC mit High End-Konfiguration, der Xbox und der PS5 passiert. Zumindest für den PC wurde inzwischen ein Update ausgeliefert, das für ein bisschen mehr Stabilität sorgen soll. Und selbst, wenn man das Glück hat von Fehlern verschont zu bleiben (das gibt es zumindest auf dem PC ab und an), bleiben die Animationen eintönig und holzig. Besonders enttäuschend sind die Gesichtsanimationen,  die selbst bei Cutszenes, kaum Mimik zeigen und die Gestik der Charaktere wirkt alle, aber nicht natürlich.

Ich hüpfe von Level zu Level bis der Endboss kommt – Materia

An der Wand laufen und mit Kletterhaken in Nahkampf

Getreu diesem einprägsamen Refrain spielt sich Necromunda: Hired Gun. Das Leveldesign zeigt wunderbar die Absurdität der Welt von Warhammer und so ist man schon mal auf einem Zug unterwegs, der die Größe einer kleinen Stadt hat oder ballert sich durch riesige Schmieden. Leider bleibt das Design dabei in einem gewissen Einheitsbrei hinsichtlich Farben und Texturen. Es wirkt lieblos und unsauber. Vielleicht soll das ein Stilelement sein, es macht das Spiel aber nicht besser.

Held des Imperiums

Ab und an erkennt man dann doch kleine Perlen, wie zum Beispiel ein Gemälde eines legendären Helden des Imperiums oder einen Binärcode, den man tatsächlich sinnvoll übersetzen kann. Wirklich großartig und im krassen Kontrast zum restlichen Spiel ist „Mission 7 Cold Black“. Hier bietet das Spiel echte Gruselmomente, soliden Horror und ordentliche Jumpscares.

Wirklich gut ist der Sound, hier wurde, im Gegensatz zum Rest, viel Liebe investiert. Der Soundtrack ist wirklich gut und fördert die Atmosphäre enorm. Die Waffensounds klingen passend und auch Schritte, Schreie oder sonstige Effekte sind gut abgemischt. Dafür ist wiederum die Vertonung der Charaktere halbherzig. Alle haben Modulation und Varianz in der Stimme, die auch durchaus zur Szenerie passt. Einzig der gespielte Charakter redet, als wäre man total unbeteiligt und würde gelangweilt an einer Bar einen aufdringlichen Nebensitzenden abwimmeln.

 Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Streum On Studio
  • Publisher: Focus Home Interactive
  • Plattform: PS4, PS5, Xbox, PC
  • Sprache: Englisch, Französisch, Deutsch
  • Genre: Egoshooter
  • Releasedatum: Juni 2021
  • Spielstunden: 8-10
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: 18
  • Preis: 39,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Das Spiel hat vielversprechende Ansätze und Mechaniken und die Story könnte spannend sein. Dennoch schafft es Streum On Studio nicht diese Ansätze gut umzusetzen. Katastrophales Balancing, Grafik- und Performancefehler am laufenden Band, uninteressante Charaktere, hölzerne Dialoge, lieblose Nebenmissionen, unnötige Spielelemente, ich könnte lange so weitermachen. Necromunda: Hired Gun ist ein Spiel der ungenutzten Chancen. Vielleicht werden viele Probleme mit kommenden Updates gelöst und fehlende Elemente, wie zum Beispiel Skinänderungen bei allen neuen Augmentierungen oder das Fraktions-System ergänzt. Zumindest lässt die Versionsnummer von 0.5 diesen Verdacht zu. Man darf aber auch 2021 immer noch ein fertiges Spiel erwarten, wenn es kein Early Access oder Pre-Release ist. Ja, manchmal kommen Inhalte später und das ist nachvollziehbar, hier ist es das nicht, zu gravierend sind die Fehler. Dennoch blickt man vielleicht in ein paar Jahren auf ein vollkommen unterbewertetes Spiel zurück. Bis dahin jedenfalls, kann man sich den digitalen Ausflug nach Necromunda jedenfalls sparen, denn es kommt nicht mal solides Warhammer-Feeling auf. Vielleicht wird es ja mit Warhammer 40.000: Darktide etwas. Selbst in der grimmen Zukunft, die nur Krieg kennt, stirbt die Hoffnung zuletzt.

 

  • Interessante Mechaniken
  • Guter Soundtrack
 

  • Katastrophales Balancing
  • Massive Grafikfehler
  • Wenig Warhammer-Gefühl

 

Artikelbilder: © Focus Home Interactive
Lektorat: Nina Hobelt
Layout und Satz: Michael Engelhardt

Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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